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Verfahrensgang

OLG München, Beschl. vom 31.01.2012 – 34 Wx 80/10, IPRspr 2012-83

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung

Leitsatz

Zur Anerkennung einer in Ägypten ausgesprochenen Privatscheidung (Verstoßung).

Das maßgebliche Recht für die Scheidung von Eheleuten, die bei Eheschließung dieselbe (hier: ägyptische) Staatsangehörigkeit besaßen, von denen ein Ehegatte im Laufe der Ehe aber die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, bestimmt sich wegen des Vorrangs der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 5 I 2 EGBGB) nicht aus Art. 14 I Nr. 1 EGBGB.

Rechtsnormen

BGB § 1564
EGBGB Art. 5; EGBGB Art. 10; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17
FamFG § 107

Sachverhalt

Die Beteiligten schlossen 1993 im Bezirk des Amtsgerichts G./Ägypten die Ehe. Der Ehemann war seit Geburt ägypt. Staatsangehöriger, im Jahr 2000 erwarb der ASt. mit Einbürgerung die dt. Staatsangehörigkeit. Seit Geburt ist die AGg. sowohl ägypt. als auch brit. Staatsangehörige. Der ASt. hat 2009 die Scheidung dieser Ehe nach islamischem Recht ausgesprochen. Diese wurde vom Gerichtshof für Personenangelegenheiten von A./Ägypten bestätigt und in der Scheidungsurkunde aufgenommen, dass der Ehemann gegenüber der nicht anwesenden Ehefrau die vollzogene Scheidung von seiner Ehefrau gemäß der Scharia erklärt habe. Ein Widerruf der Scheidung erfolgte binnen dreier Monate ab dem Scheidungsausspruch nicht. Die AGg. lebte seit 1995 in Deutschland sowie Mitte 2009 mit dem ASt. auch einige Monate in den Niederlanden. Zum Zeitpunkt der Ehescheidung war die Ehefrau in München gemeldet und lebte hier. Der ASt. arbeitet weiterhin als Ingenieur in den Niederlanden, die Ehefrau beim Konsulat der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) in Deutschland.

Der ASt. hat beim OLG München die Anerkennung der Ehescheidung beantragt. Die AGg. hat sich gegen die Anerkennung ausgesprochen. Der Präsident des OLG München hat den Antrag auf Anerkennung zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der ASt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Der Antrag auf Entscheidung durch das OLG München ist statthaft (§ 107 V FamFG) und auch im Übrigen zulässig. Er ist jedoch ohne Erfolg.

[2]1. Es liegt eine Entscheidung im Sinne von § 107 I 1 FamFG vor, weil die Privatscheidung unter Mitwirkung einer ausländischen Behörde, nämlich einer Registrierung durch den Gerichtshof für Personenangelegenheiten von A./Ägypten zustande gekommen ist (Keidel-Zimmermann, FamFG, 17. Aufl., § 107 Rz. 19).

[3]Soweit der ASt. vorbringt, die Scheidung sei nach Schlichtungsversuchen erfolgt und bestätigt sowie eingetragen, sodass es sich nicht um eine Privatscheidung handele, ist dem nicht zu folgen. Nach der eidesstattlichen Versicherung des ASt. vom 28.2.2010 hat er die Verstoßung ausgesprochen. Selbst wenn diese durch einen Gerichtshof anerkannt wurde, handelt es sich bei der Verstoßung um eine Privatscheidung (Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand 2011], Ägypten S. 31; Staudinger-Mankowski, BGB, Bearb. 2011, Art. 17 EGBGB Rz. 63) ...

[4]2. Dieser [Präsident des OLG München] hat zutreffend festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der ausländischen Ehescheidung nicht gegeben sind, da eine Anknüpfung an das ägyptische Recht nach den Regeln des IPR nicht möglich ist.

[5]a) Soweit die Ehescheidung voraussetzt, dass aus der Sicht des deutschen Rechts überhaupt eine wirksame Ehe besteht (Palandt-Thorn, BGB, 71. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 13), wurde diese durch die vorgelegte Heiratsurkunde [und] den Ehevertrag belegt.

[6]b) Nach Art. 17 I 1 EGBGB folgt das Scheidungsstatut dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB. Anknüpfungszeitpunkt ist nach Art. 17 I 1 EGBGB der Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags bzw. bei Privatscheidungen der Zeitpunkt, der der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vergleichbar ist (Palandt-Thorn aaO Rz. 7). Soweit der ASt. darauf hinweist, das Ehewirkungsstatut folge nach Art. 14 I 1 EGBGB dem ägyptischen Recht, da die Ehegatten noch im Jahr 2000 die gemeinsame ägyptische Staatsangehörigkeit besessen hatten, kommt es darauf nicht an. Für das Scheidungsstatut wird zwar auf Art. 14 EGBGB verwiesen, allerdings ein anderer Zeitpunkt für maßgeblich erklärt.

[7](1) In Folge der Verweisung auf Art. 14 EGBGB bestimmt sich das Scheidungsstatut in erster Linie nach dem gemeinsamen Heimatrecht (Personalstatut) der Ehegatten zum Zeitpunkt der Ehescheidung. Die angegriffene Entscheidung geht zutreffend davon aus, dass hierbei Art. 5 I 2 EGBGB zu berücksichtigen ist (so auch Bamberger-Roth-Heidenhoff, BGB, 2. Aufl., Art. 17 Rz. 51; BayObLG, NJW-RR 1994, 771 (IPRspr. 1994 Nr. 174); a.A. offenbar AG Garmisch-Partenkirchen, Urt. vom 29.1.2007 – 1 F 263/06, juris; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 1515 (IPRspr 2009-73), allerdings ohne Auseinandersetzung mit der Frage der Anwendbarkeit von Art. 5 EGBGB). Die Anwendbarkeit von Art. 5 I 2 EGBGB folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Verweisungsnorm, sondern auch daraus, dass Art. 17 EGBGB das Scheidungsstatut eigenständig regelt und klarstellt, dass das anwendbare Recht (nur) bis zur Rechtshängigkeit der Scheidung wechseln kann (Staudinger-Mankowski aaO Rz. 140, 141). Wäre – wovon der ASt. ausgeht – auf die Staatsangehörigkeit bei Eheschließung abzustellen, hätte es einer besonderen Regelung eines Scheidungsstatuts nicht bedurft. Der Verweis auf die Entscheidung des BGH vom 20.6.2007 (XII ZB 17/04 = NJW 2007, 3347) (IPRspr. 2007 Nr. 4) ist schon deshalb nicht einschlägig, weil sie zur Frage des Namensrechts und damit zu Art. 10 EGBGB ergangen ist.

[8]Art. 5 I 2 EGBGB führt wegen des Anknüpfungszeitpunkts der Rechtshängigkeit der Scheidungssache dazu, dass stets nur die deutsche Staatsangehörigkeit zu beachten ist, sofern diese in dem vorgenannten Zeitpunkt zumindest auch besteht (Bamberger-Roth-Heidenhoff aaO Rz. 52).

[9]Der ASt. ist (zumindest auch und vermutlich ausschließlich) deutscher Staatsangehöriger. Ob er seine ägyptische Staatsangehörigkeit behalten hat, kann letzten Endes dahinstehen, da Art. 5 I 2 EGBGB die deutsche Staatsangehörigkeit als vorrangig bezeichnet. Daher ist nicht an die gemeinsame Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung anzuknüpfen; Art. 14 I Nr. 1 EGBGB greift nicht ein, denn die Beteiligten hatten im Jahr 2009 ob des Vorrangs nach Art. 5 I 2 EGBGB keine gemeinsame Staatsangehörigkeit.

[10](2) Eine Rechtswahl nach Art. 14 III EGBGB ist zwar behauptet. Aus den vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem Ehevertrag, ergibt sich eine solche jedoch nicht.

[11](3) Auch Art. 17 I 1 i.V.m. Art. 14 I Nr. 2 EGBGB führt nicht zur Anwendbarkeit ägyptischen Rechts. Danach wäre der gemeinsame Aufenthalt beider Ehegatten im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags oder der letzte gemeinsame Aufenthalt maßgeblich. Dieser lag, auch nach dem Vortrag des ASt., zum Zeitpunkt der Scheidung nicht in Ägypten, vielmehr waren die Ehegatten zu diesem Zeitpunkt in den Niederlanden gemeldet und vermutlich wohnhaft. Dass die Beteiligten möglicherweise auch gemeinsam Immobilien in Ägypten besitzen, ist insofern nicht erheblich, da auch die Angaben des ASt. nicht den Schluss auf einen dortigen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 14 I Nr. 2 EGBGB zum Scheidungszeitpunkt zulassen. Als gewöhnlicher Aufenthalt ist der Ort eines nicht nur vorübergehenden Verweilens, an dem der Daseinsmittelpunkt der Person liegt, zu verstehen (Palandt-Thorn aaO Art. 5 EGBGB Rz. 10). Die AGg. selbst gibt an, in Deutschland und den Niederlanden ihren Lebensmittelpunkt gehabt zu haben. In Anbetracht der langjährigen Berufsausübung des ASt. in Deutschland und den Niederlanden scheidet – trotz möglicher Besuche von Verwandten in Ägypten – auch ein Daseinsmittelpunkt des ASt. in Ägypten aus. Auch ein zunächst gemeinsamer, dann ununterbrochener gewöhnlicher Aufenthalt nur eines der Ehegatten in Ägypten lag nicht vor, sodass auch insofern die Voraussetzungen des Art. 14 I Nr. 2 EGBGB nicht gegeben sind (BGH, NJW 1993, 2047/2048) (IPRspr. 1993 Nr. 65).

[12](4) Eine Anknüpfung an das ägyptische Recht nach Art. 17 I 1 i.V.m. Art. 14 I Nr. 3 EGBGB scheidet aus. Danach unterliegen die Wirkungen der Ehe dem Recht des Staats, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind. Zur Klärung dieser Voraussetzung ist für jeden Einzelfall zu prüfen, zu welchem Staat und zu welcher Rechtsordnung beide Ehegatten gemeinsam die stärkste Beziehung besitzen. Dabei können auch eine (zeitweise) gemeinsame Staatsangehörigkeit, der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt, gemeinsame soziale Bindungen durch Herkunft, Kultur, Sprache, berufliche Tätigkeit, aber auch gemeinsame objektiv feststellbare Zukunftspläne berücksichtigt werden (Palandt-Thorn aaO Art. 14 EGBGB Rz. 10).

[13]Selbst nach dem Vortrag des ASt. liegen die stärksten Beziehungen beider Ehegatten bei objektiver Beurteilung nicht in Ägypten, auch wenn bis zum Jahr 2000 eine gemeinsame ägyptische Staatsangehörigkeit bestand. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt war – trotz möglichen Immobilienbesitzes in Ägypten – seit langem in Deutschland, wo die drei gemeinsamen Kinder geboren wurden, zuletzt in den Niederlanden. Zwar stammt der ASt. aus Ägypten. Die AGg. wohnte dort aber selbst nach dem insofern widersprüchlichen Vortrag des ASt. nur zwei oder vier Jahre. Eine gemeinsame Herkunft kann der ASt. nicht belegen, nachdem er selbst in Ägypten geboren wurde und dort aufgewachsen ist, die AGg. aber in London geboren ist und in Großbritannien und Katar aufwuchs.

[14]Soweit der ASt. darstellt, dass er – obwohl er die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat und seitdem die ägyptische möglicherweise nicht mehr besitzt – der ägyptischen Kultur, insbes. der Religion, zugewandt ist, bringt er schon nicht vor, inwieweit das auch für die AGg. gilt. Aus deren Stellungnahmen erschließt sich dies nicht. Die Zugehörigkeit zum Islam, die behauptete gemeinsame Religionsausübung und die Pflege der gemeinsamen Muttersprache selbst indizieren – für sich oder auch zusammengenommen – nicht schon die starke Beziehung gerade zu Ägypten, zumal die AGg. zwölf Jahre lang in Katar gelebt hatte.

[15]Auch die berufliche Tätigkeit der Beteiligten ist nicht auf Ägypten ausgerichtet. Der ASt. selbst arbeitet seit langem in Europa bzw. von Europa aus. Dass die AGg. nunmehr als Angestellte des Konsulats der VAE arbeitet, belegt ebenfalls keine Ausrichtung der Tätigkeit gerade auf Ägypten hin.

[16]Der Beleg, dass sich der ASt. 2007 für eine Stelle bei der UNESCO in Kairo beworben hatte, ergibt für sich, betrachtet für den maßgeblichen Zeitpunkt, keine gemeinsamen, objektiv feststellbaren Zukunftspläne in Ägypten. Im Anschluss an die Ablehnung der Bewerbung hat sich der ASt. nach den Niederlanden orientiert, wohin er 2009 verzog und wo er seitdem arbeitet. Dies belegt gerade keine im Zeitpunkt der Scheidung bestehende Absicht, nach Ägypten überzusiedeln. Der mögliche Wunsch, selbst später wieder nach Ägypten zu gehen, ist für die Bestimmung des Scheidungsstatuts schon deswegen unerheblich, da die AGg. diese Absicht offensichtlich nicht hat.

[17]c) Da somit auf die Ehescheidung gemäß Art. 17 I 1 mit Art. 5 I 2 EGBGB deutsches Recht Anwendung findet, steht die Vorschrift des § 1564 Satz 1 BGB der Anerkennung der in Ägypten ausgesprochenen Privatscheidung (Verstoßung) entgegen.

Fundstellen

nur Leitsatz

FamFR, 2012, 168, mit Anm. Ülker-Can
FamRBint., 2012, 25, mit Anm. Finger
IPRax, 2012, 450

LS und Gründe

FamRZ, 2012, 1142, mit Anm. Henrich

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2012-83

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