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Verfahrensgang

LG Berlin, Urt. vom 27.03.2012 – 15 O 377/11, IPRspr 2012-250

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Durchführung des Verfahrens (bis 2019)
Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand

Leitsatz

Eine Zustellung per Einschreiben mit internationalem Rückschein im Ausland (hier: in den Vereinigten Staaten von Amerika) ist nach § 183 I 2 Alt. 1 ZPO im Anwendungsbereich völkerrechtlicher Vereinbarungen zulässig, welche die Übersendung unmittelbar durch die Post zulassen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

HZÜ Art. 5; HZÜ Art. 10
HZÜAG § 6
StPO § 37
ZPO § 32; ZPO § 167; ZPO § 183; ZPO § 184; ZPO § 929

Sachverhalt

Die ASt. ist die Tochter und Miterbin des Künstlers V.v.B. Die AGg. ist Betreiberin der bekannten Online-Enzyklopädie www. ... .org. Laut Impressum ist Anbieterin dieser Website eine Stiftung nach dem Recht des US-Bundesstaats Florida. Durch E-Mail ihrer Bevollmächtigten ließ die ASt. die Betreiberin der deutschsprachigen Ausgabe des Suchportals vergeblich auffordern, die Verbreitung der Abbildungen von Wohlfahrtsmarken mit bekannten Motiven des Künstlers sowie seines persönlichen Schriftzugs sofort einzustellen und eine Unterlassungsverpflichtungserklärung zu unterzeichnen.

Aufgrund eines Eilantrags hat die Kammer durch einstweilige Verfügung der AGg. unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt, die Briefmarken öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen. Der ASt. wurde eine Ausfertigung der einstweiligen Verfügung zugestellt. Die ASt. bat um Zustellung der einstweiligen Verfügung per Einschreiben mit internationalem Rückschein. Die Aufgabe zur Post erfolgte am 19.10.2011. Spätestens am 23.11.2011 gelangte der datumslos unterzeichnete Rückschein zu den Akten. Gegen diese einstweilige Verfügung hat die AGg. Widerspruch eingelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]A) Die Beschlussverfügung vom 6.10.2011 ist auf den Widerspruch der AGg. auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen ...

[2]I. Zur Entscheidung über das vorliegende Eilbegehren ist das LG Berlin örtlich und international zuständig.

[3]Die ASt. wendet sich gegen die widerrechtliche öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke sowie gegen die Verletzung des Persönlichkeitsrechts über die deutschsprachige Internetseite http:// ... .org. Das ist eine unerlaubte Handlung, die den besonderen Gerichtsstand nach § 32 ZPO eröffnet. Nach § 32 ZPO ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die beanstandete Handlung begangen worden ist. Das ist jeder Ort, an dem auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale des Delikts verwirklicht worden ist, also nicht nur der Begehungsort, sondern auch der Erfolgsort. Da die ins Internet gestellten Werke und der persönliche Schriftzug auch in Berlin aufgerufen werden konnten und sich das Angebot unter http:// ... .org bestimmungsgemäß an Nutzer in der Bundesrepublik Deutschland richtet, ist das LG Berlin nach § 32 ZPO örtlich zuständig.

[4]Aufgrund der Doppelfunktion des § 32 ZPO folgt hieraus zugleich die internationale Entscheidungszuständigkeit des LG Berlin für die in den USA ansässige AGg.

[5]Allerdings musste das ausgesprochene Verbot klarstellend um den Zusatz ‚im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland’ ergänzt werden. Wegen des Territorialitätsprinzips kann die ASt. vor einem deutschen Gericht Schutz nur für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geltend machen. Das inländische Urheberrecht kann nur durch eine im Inland begangene Handlung verletzt werden. Da die ASt. nur ein öffentliches Zugänglichmachen beanstandet, bleibt sie im Rahmen der internationalen Entscheidungskompetenz der deutschen Gerichte (für alles Vorstehende: LG Hamburg, MMR 2010, 833 (IPRspr 2010-235), zit. n. juris Rz. 79 m.w.N.) ...

[6]III. Die einstweilige Verfügung ist nicht wegen Versäumung der Vollziehungsfrist nach § 929 II ZPO – was die Beschlussverfügung unheilbar unwirksam machen würde (vgl. OLG Hamburg, NJW-RR 2007, 986, zit. n. juris Rz. 8) – aufzuheben.

[7]a) Bei einer eine Ordnungsmittelandrohung enthaltenden Unterlassungsverfügung genügt grundsätzlich eine Parteizustellung der Beschlussverfügung an den Schuldner als Vollziehung; bei im Ausland ansässigen Schuldnern ist eine Zustellung nach § 183 ZPO vorzunehmen (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 922 Rz. 11). Hier hat die ASt. eine Zustellung nach § 183 I 2 Alt. 1 ZPO beantragt.

[8]Die Beschlussverfügung ist den Verfahrensbevollmächtigten der ASt. am 7.10. 2011 zugestellt worden. Die Vollziehungsfrist nach § 929 II ZPO endete damit am 7.11.2011.

[9]Unerheblich ist, dass dem internationalen Rückschein nicht zu entnehmen ist, wann das Schriftstück zugegangen ist. Denn es gilt § 167 ZPO, sodass es auf den Eingang des Antrags nach § 183 ZPO ankommt (vgl. LG Berlin, Urt. vom 24.4.2007 – 15 O 718/06, zit. n. juris, Rz. 57; Zöller-Vollkommer aaO § 929 Rz. 10 m.w.N.). Hier ging der Antrag am 14.10.2011 bei Gericht ein.

[10]Die vorliegend erfolgte Zustellung der Beschlussverfügung per Einschreiben mit internationalem Rückschein ist wirksam, was allerdings nicht daraus folgt, dass das HZÜ keine Anwendung finden würde. Die diesbezügliche Argumentation der ASt., es handele sich nicht um eine Zustellung im Ausland, sondern um eine mit Zugangsfiktion verbundene Form der Zustellung im Inland, ist für den Streitfall nicht zutreffend. Diese Auffassung ist richtig für Zustellungen nach § 184 ZPO (BGHZ 188, 164 (IPRspr 2011-252), zit. n. juris, Rz. 10 m.w.N.). Um eine solche geht es hier aber nicht.

[11]Eine Zustellung per Einschreiben mit internationalem Rückschein ist nach § 183 I 2 Alt. 1 ZPO im Anwendungsbereich völkerrechtlicher Vereinbarungen zulässig, welche die Übersendung unmittelbar durch die Post zulassen.

[12]Für Zustellungen aus der Bundesrepublik Deutschland nach den USA ist das HZÜ einschlägig. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGBI. 1977 II 1452) als auch die USA sind diesem Übereinkommen beigetreten (vgl. BGBl. 1980 II 907). Auslandszustellungen zwischen diesen Staaten richten sich daher nach dem HZÜ.

[13]Nach Art. 10 lit. a HZÜ ist die Zustellung durch die Post grundsätzlich zulässig.

[14]Entgegen der Auffassung der AGg. stellt Art. 10 lit. a HZÜ eine völkerrechtliche Vereinbarung im Sinne von § 183 I 2 ZPO dar (vgl. Zöller-Geimer aaO § 183 Rz. 6 m.w.N.; BeckOK-ZPO-Dörndorfer, § 183 Rz. 4; Staudinger-Spellenberg, BGB, Neub. 2005, EheGVO Art. 18 Rz. 43).

[15]Allerdings hat die Bundesrepublik den zu Art. 10 lit. a HZÜ möglichen Widerspruch gegen eine Postzustellung im Gebiet der Bundesrepublik in § 6 Satz 2 des Gesetzes zur Ausführung des HZÜ vom 22.12.1977 (BGBl. I 3105) erklärt. Die USA haben dagegen keinen Widerspruch erklärt.

[16]Die Kammer folgt der Auffassung, dass eine Zustellung in Staaten, die keinen Widerspruch erklärt haben, völkerrechtlich zulässig ist (vgl. Zöller-Geimer aaO m.w.N.; Stein-Jonas-Roth, ZPO, 22. Aufl., § 183 Rz. 11; Geimer, IZPR, 6. Aufl., Rz. 418, 2084 f.; Staudinger-Spellenberg aaO).

[17]Die Argumentation in dem von der AGg. angeführten Beschluss des OLG Düsseldorf vom 8.2.1999 – 3 W 429/98 (IPRspr. 1999 Nr. 140), Rpfleger 1999, 287, zit. n. juris) ist angesichts der Einführung des § 183 I 2 ZPO überholt. Denn in dem Beschluss wird der von der Bundesrepublik Deutschland erklärte Vorbehalt gegen eine postalische Zustellung in Deutschland mit der Begründung allseitig – d. h. auch bzgl. Zustellungen an Adressaten im Ausland – ausgelegt, dass die ZPO für die Übermittlung von Schriftstücken ins Ausland weder das unmittelbare Ersuchen der Partei an die zuständige ausländische Stelle vorsehe noch die unmittelbare Übersendung durch die Post – im Gegensatz zur StPO, die in § 37 II ausdrücklich zulasse, dass eine Zustellung im Ausland auch durch Einschreiben mit Rückschein bewirkt werden könne, soweit aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen (Rz. 16).

[18]Nunmehr ist die postalische Direktzustellung in § 183 I 2 ZPO – wie in § 37 II StPO a.F. – ausdrücklich vorgesehen und stellt sogar die nach dem Gesetzeswortlaut präferierte Zustellungsart dar.

[19]b) Die Zustellung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beschlussverfügung in der deutschen Sprache abgefasst war.

[20]Ein Übersetzungserfordernis ergibt sich nicht aus Art. 5 III HZÜ, da keine förmliche Zustellung nach Art. 5 I HZÜ vorgenommen wurde.

Fundstellen

LS und Gründe

ZUM-RD, 2012, 399

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2012-250

Lizenz

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