Ein minderjähriger, unbegleitet ins Staatsgebiet eingereister Flüchtling hat jedenfalls dann in Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, wenn er nach seiner Ankunft im Haushalt einer Familie untergebracht wurde – mit der Folge dass für die Frage der Vormundschaft gemäß Art. 8 I EuEheVO die deutschen Gerichte international zuständig sind.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Auswahl eines Vormunds für den minderjährigen Flüchtling Y. Der Jugendliche ist aus L. geflüchtet, um dem Krieg im Land zu entkommen. Er reiste mit dem Zug unerlaubt nach Deutschland ein und wurde dort von der Bundespolizei kontrolliert. Daraufhin wurde der Jugendliche vom JugA in Obhut genommen und bei einer Familie in S. untergebracht. Die Eltern des Jugendlichen sind unbekannten Aufenthalts. Mit Beschluss des AG – FamG – Freiburg wurde festgestellt, dass die elterliche Sorge für den Jugendlichen ruht, und Vormundschaft angeordnet. Als Vormund wurde das JugA ausgewählt. Gegen diesen Beschluss hat das JugA Beschwerde eingelegt.
[1]II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
[2]1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die bei Fällen mit Auslandsberührung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und zu beachten ist, folgt im vorliegenden Fall jedenfalls aus Art. 8 I EuEheVO. Diese Verordnung ist stets anwendbar, wenn das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vgl. Art. 61 lit. a EuEheVO. Grundsätzlich sind nach Art. 8 I EuEheVO die Gerichte des Staats für die Sorgerechtsregelung international zuständig, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Neben der körperlichen Anwesenheit eines Kindes werden weitere Faktoren für die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts – in Abgrenzung zu einer nur vorübergehenden Anwesenheit – herangezogen, namentlich eine gewisse Integration in ein soziales und familiäres Umfeld sowie die Dauer des Aufenthalts (Johannsen-Henrich, Familienrecht, 5. Aufl., § 99 FamFG Rz. 10). Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort wird dabei grundsätzlich schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf eine längere Zeitdauer angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkt sein soll (BGH, NJW 1981, 520) (IPRspr. 1980 Nr. 94). Minderjährige, die zusammen mit ihren Eltern oder mit dem sorgeberechtigten Elternteil oder mit Zustimmung des oder der Sorgeberechtigten in ein anderes Land übersiedeln, erwerben deshalb mit dem Umzug am neuen Wohnort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt (OLG Karlsruhe, NJW-RR 2008, 1323 (IPRspr 2008-76); ähnlich Johannsen-Henrich aaO Art. 21 EGBGB Rz. 7 m.w.N., der davon ausgeht, dass der neue gewöhnliche Aufenthalt alsbald erworben wird).
[3]Y. kam am 28.7.2011 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland. Ungeachtet der Frage, ob zu diesem Zeitpunkt bereits familiäre und soziale Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland bestanden, ist jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland auszugehen. Y. wohnte nach seiner Ankunft in Deutschland zunächst im Haushalt der Familie S. in S. und nunmehr bei Familie L. in V.
[4]2. In der Sache ist gemäß Art. 15 I KSÜ deutsches Recht anwendbar. Nach Art. 15 I KSÜ gilt das Lex-fori-Prinzip: Ist die Zuständigkeit eines Vertragsstaats begründet, wendet dieser sein eigenes Recht an. Dabei ist unerheblich, ob das betroffene Kind Angehöriger eines Vertragsstaats oder eines Drittstaats ist (Palandt-Thorn, BGB, 71. Aufl., Anh. zu EGBGB 24 Rz. 18).