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Verfahrensgang

OLG Karlsruhe, Beschl. vom 19.08.2011 – 16 UF 140/11, IPRspr 2011-103

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Kindschaftsrecht gesamt bis 2019
Zuständigkeit → Zuständigkeit in Ehe- und Kindschaftssachen

Leitsatz

Soweit das nach Art. 16 I KSÜ maßgebliche Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes (hier: bulgarisches Recht) die elterliche Verantwortung Vater und Mutter gemeinschaftlich zuweist und das nach einem anschließenden Aufenthaltswechsel des Kindes maßgebliche Recht des Zuzugsstaats (hier: Deutschland) die elterliche Verantwortung nur der Mutter zuweist, bleibt das Recht des zweiten Staats nach Art. 16 III KSÜ ohne Wirkung auf die Rechte des Vaters. [LS Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 1626a
EuEheVO 2201/2003 Art. 8; EuEheVO 2201/2003 Art. 61
FGB (Bulgarien) Art. 68
KSÜ Art. 16; KSÜ Art. 53

Sachverhalt

Die Beteiligten zu 2) und 3) streiten um die elterliche Sorge für den Beteiligten zu 1). Die Beteiligte zu 3), bulgarischer Staatsangehörigkeit, und der Beteiligte zu 2), deutscher Staatsangehörigkeit, die nicht miteinander verheiratet waren oder sind, sind die Eltern des Kindes T., das über die bulgarische und die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt. Bei Geburt des Kindes (2005) hatten beide Eltern ihren Wohnsitz in S./Bulgarien. Nach Art. 68 bulg. FGB (a.F.) haben die Eltern das Sorgerecht gemeinsam inne; eine Unterscheidung nach ehelichen und nichtehelichen Kindern besteht insoweit nicht. Die Beteiligten zu 1) bis 3) lebten bis zum 16.10.2005 in Bulgarien und anschließend in Serbien. Am 28.2.2009 kehrten die Beteiligten zu 1) bis 3) nach Deutschland zurück, wo sie gemeinsam in P. lebten. Mitte Dezember 2009 trennten sich die Beteiligten zu 2) und 3); die Beteiligte zu 3) zog mit T. nach M. T. lebt seitdem im Haushalt der Beteiligten zu 3). Mit anwaltlichem Schreiben vom 7.7.2011 informierte die Beteiligte zu 3) den Beteiligten zu 2) darüber, dass sie – im Hinblick auf ihr befristetes Arbeitsverhältnis – beabsichtige, mit T. ihren Wohnsitz in den Sommerferien 2011 nach B. zu verlegen. Due Beteiligte zu 3) hat ab August 2011 in Bulgarien eine Wohnung angemietet und T. zu Anfang August in Bulgarien auch bereits angemeldet.

Vor dem AG beantragte der Beteiligte zu 2) die Feststellung des gemeinsamen Sorgerechts, hilfsweise die Übertragung des Sorgerechts auf die Eltern gemeinsam. Das AG hat durch Beschluss festgestellt, dass die elterliche Sorge für den Beteiligten zu 1) den Beteiligten zu 2) und 3) gemeinsam zusteht. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 3).

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Beschwerde und die Anschlussbeschwerde sind zulässig, bleiben indessen in der Sache beide ohne Erfolg.

[2]Das AG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die elterliche Sorge für T. den Beteiligten zu 2) und 3) gemeinsam zusteht. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Beurteilung.

[3]Dabei hat der Beteiligte zu 2) seinen Feststellungsantrag – ebenso wie den Hilfsantrag auf Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge – zu Recht gegen die Beteiligte zu 3), und nicht gegen T., gerichtet, da die Beteiligte zu 3) die elterliche Mitverantwortung des Kindesvaters in Frage gestellt hat.

[4]Die – vom AG inzident angenommene – Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich aus Art. 8 I EuEheVO. Hinsichtlich der Zuständigkeit geht die EuEheVO nach ihrem Art. 61 dem KSÜ vor (BGH, FamRZ 2011, 796 m.w.N. (IPRspr 2011-111)).

[5]1. Die Frage des anzuwendenden Rechts richtet sich nach dem KSÜ.

[6]Gemäß Art. 53 I KSÜ ist das Übereinkommen auf Maßnahmen anzuwenden, die in einem Staat getroffen werden, nachdem das Übereinkommen für diesen Staat in Kraft getreten ist. Das für Bulgarien bereits am 1.2.2007 in Kraft getretene KSÜ ist für die Bundesrepublik Deutschland am 1.1.2011 in Kraft getreten (BGBl. 2010 II 1527). Da es vorliegend nicht um die Anerkennung oder Vollstreckung von Maßnahmen, sondern vielmehr um die Frage des anwendbaren Rechts geht, ist das KSÜ auf die zu treffende Entscheidung anzuwenden (BGH aaO mit Verweisung auf BGH, NJW 1973, 417 (IPRspr. 1972 Nr. 59b) für den vergleichbaren Fall des Inkrafttretens des MSA).

[7]Nach Art. 16 I KSÜ bestimmt sich die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde nach dem Recht des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. Gemäß Art. 16 III KSÜ besteht die elterliche Verantwortung nach dem Recht des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes nach einem Wechsel dieses gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Staat fort. Gemäß Art. 16 IV KSÜ stehen die unterschiedlichen Zuweisungsempfänger der elterlichen Verantwortung ggf. nebeneinander.

[8]Bei der Geburt T. trat nach bulgarischem Recht auch für nichteheliche Kinder unstreitig gemeinsame elterliche Sorge ein. T. hatte bei seiner Geburt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bulgarien, da beide Elternteile zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz – aus beruflichen Gründen – in S. hatten, wie sich aus sämtlichen Dokumenten im Zusammenhang mit der Geburt (Vaterschaftsanerkennung; Erklärungen vor der deutschen Botschaft in S.) ergibt. Dass die Eltern nur sechs Wochen nach der Geburt – wiederum aus beruflichen Gründen – nach B./Serbien verzogen sind, vermag daher nichts daran zu ändern, dass zuvor der gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten zu 1) bis 3) in S./Bulgarien lag. Derzeit hat T. seit 2009 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Nach deutschem Recht tritt nach § 1626a BGB Alleinsorge der Kindesmutter ein, wenn, wie hier, eine gemeinsame Sorgerechtserklärung nicht errichtet wird; das BVerfG hat indessen durch Beschluss vom 21.7.2010 (FamRZ 2010, 1403) ergänzend zur Regelung des § 1626a I Nr. 1 BGB angeordnet, dass das FamG den nicht verheirateten Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.

[9]Soweit danach hier das Recht des ersten Staats die elterliche Verantwortung Vater und Mutter gemeinschaftlich und das Recht des zweiten Staats sie nur der Mutter zuweist, bleibt das Recht des zweiten Staats nach der ausdrücklichen Begründung zu Art. 16 III KSÜ (BT-Drucks. 16/12068 S. 60 Rz. 107) ohne Wirkung auf die Rechte des Vaters, der nach Art. 16 III KSÜ die ihm von dem ersten Recht zugewiesene elterliche Verantwortung behält.

[10]Ob dies auch für den Fall gilt, wenn sich der Erwerb der Sorgerechtsstellung eines Beteiligten bereits zu einem Zeitpunkt vollzogen hat, als das KSÜ für den jetzt befassten Staat noch nicht in Kraft getreten war, ergibt sich daraus noch nicht. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. aaO S. 72 Rz. 179) weist ausdrücklich darauf hin, dass das Übereinkommen in Bezug auf das Übergangsrecht der Kollisionsnorm zum auf die elterliche Verantwortung kraft Gesetzes anzuwenden Recht (Art. 16) schweige. Man könne nicht wissen, welche Antwort das innerstaatliche Recht jedes Vertragsstaats auf die Frage gebe, ob der neue Träger der elterlichen Verantwortung nach dem von der neuen Kollisionsnorm bezeichneten Recht an die Stelle des früheren trete oder bis zur Entscheidung des etwaigen Konfliktes zwischen beiden durch eine von den Behörden des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ergriffene Maßnahme hinzutrete.

[11]Auf die Frage, ob vorliegend etwas anderes gilt, weil sich der Erwerb der Sorgerechtsstellung des Beteiligten zu 2) zu einer Zeit vollzogen hat, als das KSÜ für Deutschland noch nicht in Kraft getreten war (ausdrückl. offengelassen in BGH 2011 aaO), kommt es hier indessen im Ergebnis nicht an, da auf den in erster Instanz gestellten Hilfsantrag des Beteiligten zu 2) hin jedenfalls auch nach deutschem Recht die gemeinsame elterliche Sorge auszusprechen gewesen wäre.

[12]Das BVerfG hat durch Beschluss vom 21.7.2010 (aaO) ergänzend zur Regelung des § 1626 a I Nr. 1 BGB angeordnet, dass das FamG den nicht verheirateten Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Der gewählte Prüfungsmaßstab hins. des Kindeswohl soll sicherstellen, dass die Belange des Kindes maßgebliche Berücksichtigung finden, jedoch die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden (BVerfG aaO 1410 Rz. 75). Diese Voraussetzungen sind ... hier gegeben.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2011, 1963, mit Anm. Henrich

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2011-103

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