Ist in einem Vorprozess der Frachtführer zur Zahlung von Schadensersatz wegen der Beschädigung von Transportgut verurteilt worden und war der Unterfrachtführer im Vorprozess als Nebenintervenient beteiligt, erstreckt sich in einem Rückgriffsprozess zwischen Frachtführer und Unterfrachtführer die Interventionswirkung des Vorprozesses gemäß § 68 ZPO auch auf die Anwendbarkeit des Budapester Übereinkommens über den Vertrag über Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) vom 22.6.2001 (BGBl. II 2007, 298) als tragende rechtliche Grundlage, wenn das Gericht des Vorprozesses bei Anwendbarkeit des CMNI den Frachtführer nicht auf Schadensersatz verurteilt hätte.
Das CMNI ist auf einen Schadensfall am 25.3.2007 nicht anwendbar, weil es selbst erst nach der am 10.7.2007 erfolgten Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim ungarischen Außenministerium gemäß Art. 34 II CMNI für die Bundesrepublik Deutschland erst am 1.11.2007 in Kraft getreten ist. Es ist unerheblich, dass das CMNI gemäß Art. 3 I bereits vor dem Schadensfall, nämlich am 23.3.2007, in Kraft getreten ist. [LS der Redaktion]
Die Kl. begehrt im Wege der Feststellungsklage von den Bekl. die Freistellung von gegen sie gerichteten Ansprüchen der Firma A. GmbH aus einem Transportschaden bei der Havarie des Binnenschiffes MS „E.“ am 25.3.2007. Die Firma A., eine internationale Spedition, wurde im März 2007 von der Versenderin mit dem Versand zweier Container von deren Werk in S./Deutschland zum Sitz ihrer Tochtergesellschaft (Empfängerin) beauftragt. Beide Container enthielten insges. 162 Fässer mit Chemikalien. Mit der Durchführung der Beförderung beauftragte die Firma A. die Kl. mit Sitz im Inland. Zur Erfüllung dieses Auftrags bediente sich die Bekl. zu 1) der Bekl. zu 2), der Ausrüsterin des Binnenschiffes MS „E.“. Nachdem die beiden Container der Versenderin auf die MS „E.“ verladen worden waren, gingen bei einem Drehmanöver auf dem Rhein am 25.3.2007 u.a. die beiden über Deck geladenen Container der Versenderin über Bord und konnten nur beschädigt geborgen werden. Die Firma A. nimmt die Kl. in einem beim LG Hamburg geführten Rechtsstreit wegen des Transportschadens an den Chemikalienfässern in Anspruch. In diesem Prozess wurde beiden Bekl. des vorliegenden Rechtsstreits durch die Kl. (dortige Beklagte) der Streit verkündet. Beide Streitverkündete sind dem vor dem LG Hamburg noch anhängigen Prozess aufseiten der dortigen Beklagten als Streithelfer beigetreten. Durch Grundurteil vom 10.2.2009 hat das LG Hamburg den Klaganspruch der Firma A. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Durch Beschluss des AG – Schifffahrtsgerichts – Mannheim wurde die Haftungssumme zur Errichtung eines besonderen Fonds zur Befriedigung der Ansprüche im Sinne von § 36 des Gesetzes über das Verfahren bei der Errichtung und Verteilung eines Fonds zur Beschränkung der Haftung in der See- und Binneschifffahrt (Schifffahrtsrechtliche Verteilungsordnung – SVertO) i.d.F. der Bek. vom 23.3.1999 (BGBl. I 530) – Anspruchsklasse A – mit Wirkung für Ansprüche wegen Sachschäden aus dem Ereignis vom 25.3.2007 festgesetzt. Am 11.5.2010 hat das AG das binnenschifffahrtsrechtliche Verteilungsverfahren eröffnet.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Kl. die Feststellung, dass die Bekl. sie von Ansprüchen der Firma A. wegen des Transportschadens vom 25.3.2007 freizustellen haben. Das LG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Kl. mit der Berufung.
[1]I. Entgegen der Auffassung des LG ist die Klage zulässig.
[2]1. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen LG, die auch unter der Geltung von § 513 II ZPO von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, TranspR 2009, 130) (IPRspr 2008-38), folgt jedenfalls aus § 39 Satz 1 ZPO, weil die Bekl. zu 2) zur Sache verhandelt hat, ohne das Fehlen der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu rügen (BGHZ 120, 334 (IPRspr. 1992 Nr. 229); 134, 127 (IPRspr. 1006 Nr. 160)) ...
[3]II. Die Eröffnung des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens hat nicht zur Unterbrechung des vorliegenden Rechtsstreits geführt. Die Kl. kann den von ihr gegenüber der Bekl. zu 1) geltend gemachten Freistellungsanspruch aber nicht außerhalb des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren verfolgen. Denn dieser Anspruch unterliegt der globalen Haftungsbeschränkung nach §§ 4, 5c I Nr. 1, 5d II BinSchG mit der Folge, dass er nur noch im Rahmen des binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens durchgesetzt werden kann. Bei dieser Rechtslage war vom Senat eine Sachentscheidung zu treffen, für eine Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 538 II Nr. 3 ZPO bleibt kein Raum (1.). Anders verhält es sich in Bezug auf die Bekl. zu 2). Ob die Haftung der Bekl. zu 2) nach den vorerwähnten Vorschriften des BinSchG begrenzt ist, bedarf der weiteren Sachaufklärung. Unter bes. Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hat der Senat diesbezüglich von einer eigenen Entscheidung in der Sache abgesehen (2.).
[4]1. Zur Haftung der Bekl. zu 1):
[5]Die Bekl. zu 1) haftet gegenüber der Kl. für den Verlust der streitgegenständlichen Container nicht unbegrenzt, vielmehr kann sie sich als Charterer des Binnenschiffs MS ‚E.’ mit Erfolg auf die globale Haftungsbeschränkung gemäß §§ 4, 5c I Nr. 1, 5d BinSchG berufen mit der Folge, dass etwaige Schadensersatzansprüche nur im binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren verfolgt werden können.
[6]a) Der Regressprozess ist nicht gemäß §§ 41, 8 III SVertO durch die Eröffnung des schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens unterbrochen ...
[7]b) Ein Anspruch der Kl., von Forderungen der Firma A. wegen des Schadensereignisses vom 25.3.2007 freigestellt zu werden, ergibt sich aus §§ 452a, 459, 407, 425 I, 428, 435 HGB.
[8]aa) Gemäß Art. 28 I und IV 1 EGBGB findet deutsches Recht Anwendung.
[9]Die Rom-I-VO ist nicht heranzuziehen. Gemäß Art. 28, 29 Rom-I-VO gilt diese für Schuldverhältnisse, die nach dem 17.12.2009 [begründet] wurden, und somit nicht für das streitgegenständliche Vertragsverhältnis, welches im Jahr 2007 zustande gekommen ist.
[10]Nach Art. 28 IV 1 EGBGB wird bei Güterbeförderungsverträgen vermutet, dass diese mit dem Staat die engsten Verbindungen aufweisen, in dem der Beförderer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seine Hauptniederlassung hat, sofern sich in diesem Staat auch der Verladeort oder der Entladeort oder die Hauptniederlassung des Absenders befindet. Die Bekl. zu 1) hat ihren Sitz im Inland, wo sich auch der Verladeort befunden hat.
[11]Die Kl. hat mit der Bekl. zu 1) einen Vertrag über einen sog. multimodalen Transport im Sinne von § 452 HGB vereinbart. Verschiedene Transportmittel im Sinne dieser Vorschrift liegen bereits dann vor, wenn ein Teil des Transports per Schiff auf Binnengewässern und ein weiterer Abschnitt des Transports per Schiff zur See erfolgt bzw. erfolgen soll (vgl. Koller, Transportrecht, 6. Aufl., § 452 HGB Rz. 14). Außerdem wären dann, wenn über jede Teilstrecke ein gesonderter Vertrag abgeschlossen worden wäre, auch mindestens zwei dieser Verträge verschiedenen Rechtsvorschriften unterworfen gewesen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nur auf den Binnenschiffstransport neben den Vorschriften des HGB auch das BinSchG anzuwenden ist (vgl. Koller aaO Rz. 18).
[12]Nachdem bei dem hier in Rede stehenden multimodalen Vertrag feststeht, dass die Beschädigung der Güter auf einer bestimmten Teilstrecke, nämlich während der Binnenschifffahrtsbeförderung, entstanden ist, bestimmt sich die Haftung des Frachtführers gemäß § 452a HGB nach den Rechtsvorschriften, die auf einen Vertrag über eine Binnenschifffahrtsbeförderung nach Rotterdam anzuwenden wären. Bei diesen Vorschriften handelt es sich entgegen der Ansicht der Bekl. nicht um diejenigen des CMNI, sondern um die §§ 407 ff. HGB.Das LG Hamburg hat im Grundurteil vom 10.2.2009, das im Rechtsstreit zwischen der Firma A. und der hiesigen Kl. ergangen ist, die Ansicht vertreten, dass die Rechtsregeln der CMNI vorliegend nicht eingreifen. Diese Sichtweise hat das OLG Hamburg in seinen Beschlüssen vom 16.12.2009 und vom 25.2.2010 – 6 U 34/09 bestätigt. Durch die Zurückweisung der gegen das vorerwähnte Grundurteil eingelegten Berufung hat diese Entscheidung Rechtskraft erlangt. Für den vorliegenden Regressprozess entfaltet das Grundurteil zur Frage der Unanwendbarkeit der CMNI Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO.
[13]Es ist anerkannt, dass ein rechtskräftiges Grundurteil gemäß § 304 ZPO bereits Interventionswirkung zeitigt (RGZ 123, 95; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 31. Aufl., § 68 Rz. 4; Zöller-Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 68 Rz. 4). Nach § 68 ZPO umfasst die Interventionswirkung in objektiver Hinsicht die tragenden Feststellungen des Ersturteils. Sie erstreckt sich danach sowohl auf den beurteilten Tatsachenkomplex als auch auf die inhaltliche ‚Richtigkeit’ der Entscheidung und damit auf deren tatsächliche und rechtliche Grundlagen, die sog. ‚Entscheidungselemente’ (BGHZ 85, 255; 96, 53; 103, 278; 116, 102; 157, 99; Zöller-Vollkommer aaO Rz. 9). Was zu den tragenden Feststellungen des Ersturteils gehört, beurteilt sich nicht danach, was das Erstgericht selbst als entscheidungserheblich angesehen hat, sondern ausschließlich danach, worauf die Entscheidung objektiv nach zutreffender Rechtsauffassung beruht; dabei ist von dem vom Erstgericht gewählten Begründungsansatz auszugehen (BGHZ 157 aaO).
[14]Von diesen Grundsätzen ausgehend ist eine Interventionswirkung zu bejahen. Die jetzigen Bekl. sind dem vor dem LG Hamburg geführten Prozess nach der erfolgten Streitverkündung durch die jetzige Kl. als Streithelfer beigetreten. Der Beitritt war wirksam. Die Unanwendbarkeit der CMNI zählt zu den tragenden rechtlichen Feststellungen im Vorprozess, denn sie war hinreichende und notwendige Bedingung der Erstentscheidung. Bei Vertragsketten entfaltet die Entscheidung über für beide (sämtliche) Vertragsverhältnisse identische Streitpunkte Bindungswirkung im Folgeverfahren (Zöller-Vollkommer aaO Rz. 10). So liegt der Fall hier. Bei Anwendbarkeit des CMNI hätte das LG nicht zu einer Haftung der jetzigen Kl. dem Grunde nach aus §§ 452a, 459, 407, 425, 428, 435 HGB gegenüber der Firma A. gelangen können.
[15]Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung des LG Hamburg zur fehlenden Anwendbarkeit des CMNI. Zur näheren Begründung wird auf das noch nicht rechtskräftige Senatsurteil vom 1.7.2009 – 3 U 248/08, TranspR 2009, 309 (IPRspr 2009-46) – Bezug genommen, welches das nämliche Schadensereignis vom 25.3.2007 zum Gegenstand hat. Nach erneuter Prüfung hält der Senat daran fest. Im Grundsatz gilt der Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrags als innerstaatliches Recht nicht vor dem Eintritt der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Vertrags für die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfGE 1, 396, 411). Von diesem Prinzip kann der Gesetzgeber zwar abweichen. Ein eindeutiger Wille der Legislative, dass die Bestimmungen des CMNI unabhängig vom Inkrafttreten des völkerrechtlichen Vertrags innerstaatliche Geltung erlangen sollten, ist jedoch weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Zustimmungsgesetz hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen.
[16]Mangels Anwendbarkeit des CMNI wären auf einen reinen Binnenschifffahrtstransportvertrag die §§ 407 ff. HGB heranzuziehen. Das BinSchG steht der Anwendung dieser Normen nicht entgegen, da § 26 BinSchG für Frachtgeschäfte zur Beförderung von Gütern auf Binnengewässern auf die §§ 407 ff. HGB verweist und es im Übrigen nur Regelungen enthält, die neben die frachtrechtlichen Haftungsbestimmungen treten bzw. diese ergänzen.
[17]bb) Die Voraussetzungen für eine dem Grunde nach bestehende Obhutshaftung der Bekl. zu 1) nach § 425 I HGB sind gegeben, nachdem die Container nach der Übergabe an die Bekl. und vor der Ablieferung am Bestimmungsort in den Rhein gefallen sind und die darin befindlichen Fässer beschädigt wurden.
[18]cc) Auf den Haftungsausschluss gemäß § 427 I Nr. 1 HGB (Decksverladung) bzw. aus § 427 I Nr. 5 HGB (ungenügende Gewichtskennzeichnung der Frachtstücke) kann sich die Bekl. zu 1) nicht mit Erfolg stützen. Gleiches gilt für alle übrigen Haftungsbegrenzungen und -befreiungen nach dem HGB und nach den ADSp. Denn das Schadensereignis beruht auf einem qualifizierten Verschulden des Schiffsführers, das sich die Bekl. zu 1) zurechnen lassen muss (§§ 435, 428 HGB bzw. Nr. 27 ADSp).