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Verfahrensgang

OLG Naumburg, Urt. vom 06.10.2010 – 5 U 73/10, IPRspr 2010-347

Rechtsgebiete

Insolvenz- und Anfechtungsrecht
Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Die deutschen Gerichte sind nach Art. 3 I EuInsVO für eine insolvenzanfechtungsrechtliche Klage auf Rückforderung von Gesellschafterdarlehen zuständig, wenn über die Gesellschaft in Deutschland ein Insolvenzverfahren nach der EuInsVO eröffnet worden ist.

Selbst wenn auf das Darlehensverhältnis nach dem deutschen Internationalen Privatrecht ausländisches (hier: österreichisches) Recht Anwendung finden sollte, ist dies im Rahmen der Sonderanknüpfung des Art. 13 EuInsVO unbeachtlich, da es bei der Rückforderung der Gesellschafterdarlehen von vornherein nur um eine gesellschafts- oder insolvenzrechtlich zu qualifizierende Fragestellung geht. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 288; BGB § 291; BGB § 819
EuInsVO 1346/2000 Art. 3; EuInsVO 1346/2000 Art. 3 f.; EuInsVO 1346/2000 Art. 4; EuInsVO 1346/2000 Art. 13
EVÜ Art. 1; EVÜ Art. 4; EVÜ Art. 8; EVÜ Art. 10
InsO § 129; InsO § 131; InsO § 135; InsO § 143
Rom I-VO 593/2008 Art. 28 f.
ZPO § 513

Sachverhalt

Der Bekl. wurde im Rahmen eines österr. Konkursverfahren zum Masseverwalter des Vermögens der A. R. Holding Ges.m.b.H. bestellt. Er führte das Unternehmen einstweilen auf unbestimmte Zeit fort. Die A. R. Holding Ges.m.b.H. ist die alleinige Gesellschafterin der R. Deutschland GmbH. Die R. Deutschland GmbH hielt wiederum einen Geschäftsanteil an der H. GmbH. Am 26.6.2009 wurde über das Vermögen der H. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und die Kl. zur Verwalterin bestellt. Die Kl. verfolgt gegen den Bekl. einen Rückgewähranspruch aus Insolvenzanfechtung, der gegen die vom Bekl. repräsentierte Masse gerichtet ist. Die H. GmbH befand sich im April 2009 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Um eine Insolvenz der Gesellschaft zu verhindern, sagte der Bekl. ihr einen Überbrückungskredit zu. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde dieser Überbrückungskredit zurückbezahlt.

Mit ihrer Klage macht die Kl. einen Anspruch auf Rückforderung des ausbezahlten Darlehens geltend. Das LG hat der Klage weit überwiegend stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Bekl. mit der Berufung.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Berufung des Bekl. hat nur in Bezug auf die Höhe der geltend gemachten Zinsen einen geringen Teilerfolg. Darüber hinaus beruht die angefochtene Entscheidung auf keiner Rechtsverletzung im Sinne von § 513 I ZPO. Das LG hat den Bekl. im Ergebnis zutreffend verurteilt, an die Kl. 300 000 Euro nebst Zinsen zurückzuzahlen. Dies folgt aus §§ 135 I Nr. 2; 131 I Nr. 1; 129 I; 143 I InsO i.V.m. Art. 4 I, II 2 lit. m; 3 I EuInsVO und §§ 819 I; 291; 288 I 2 BGB.

[2]Trotz des § 513 II ZPO prüfen die Berufungsgerichte die gerügte internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte (Zöller-Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 513 Rz. 8 m.w.N.). Dies ist hier schon deshalb geboten, weil Art. 4 I EuInsVO für das anzuwendende Insolvenzrecht am Ort der Verfahrenseröffnung anknüpft. Das LG hat in diesem Zusammenhang zu Recht auf Art. 3 I EuInsVO abgestellt. Hieraus ergibt sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte auch für Annexverfahren, zu denen Insolvenzanfechtungsklagen gehören (EuGH, NJW 2009, 2189; BGH, NZG 2009, 954 (IPRspr 2009-307); Haß-Huber-Gruber-Heiderhoff-Haß/Herwig, EuInsVO, 2005, Art. 3 Rz. 23 ff.; MünchKomm-Kindler, 4. Aufl., Art. 25 EuInsVO Rz. 583). Die Schuldnerin hatte ihren satzungsmäßigen Sitz in M./Deutschland.

[3]Danach ist auf die Anfechtungsklage deutsches Recht anzuwenden (Art. 4 I, II 2 lit. m EuInsVO). Soweit der Bekl. im Hinblick auf Art. 13 EuInsVO anderer Auffassung ist, fehlt es von vornherein an der Maßgeblichkeit des österr. Rechts für die Rückzahlung des Überbrückungsdarlehens (vgl. MünchKommInsO-Reinhart, 2. Aufl., Art. 13 EuInsVO Rz. 6; MünchKomm-Kindler aaO Art. 13 EuInsVO Rz. 375; Haß-Huber-Gruber-Heiderhoff aaO Art. 13 Rz. 3), womit Art. 13 EuInsVO keine Sperrwirkung entfaltet. Schon das Überbrückungsdarlehen selbst unterfiel deutschem Recht. Nichts anderes ergibt sich für dessen Anfechtbarkeit und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen.

[4]Für die Bestimmung der lex causae gilt das Kollisionsrecht des angerufenen Gerichts. Das ist im Verhältnis zum Bekl. das EVÜ. Die Rom-I-VO trat erst am 17.12. 2009, also nach der Ausreichung und Rückforderung des Überbrückungsdarlehens, in Kraft (vgl. Art. 28, 29 Rom-I-VO). Insoweit mögen im Falle eines normalen Darlehensvertrags Art. 1 I; 4 I 1 und II 2; 8 I; 10 I lit. e EVÜ auf österr. Recht verweisen. Die charakteristische Leistung beim Darlehensvertrag erbringt der Darlehensgeber.

[5]Etwas anderes muss aber dann angenommen werden, wenn – wie hier – innerhalb eines Gesellschaftsverbunds Darlehen ausgereicht und zurückgezahlt werden, für die sich die Frage des Eigenkapitalersatzes oder der Gesellschafterfinanzierung stellt. Diese Fallgestaltungen unterfallen je nach einzelstaatlicher Zuordnung entweder dem Gesellschaftsrecht, für das das Gesellschaftsstatut gilt (vgl. Art. 1 II lit. e EVÜ), oder es handelt sich um eine insolvenzrechtliche Frage, die sich nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung beantwortet. Beide Anknüpfungen führen zu deutschem Recht. Für die letztgenannte Variante, von der nunmehr wohl in Deutschland ausgegangen wird (vgl. MoMiG vom 23.10.2008 [BGBl. I 2026 u. BT-Drucks. 16/6140 S. 26, 42]), ergibt sich dies – wie dargelegt – bereits aus Art. 4 EuInsVO. Hält man das Gesellschaftsstatut für maßgebend (so MünchKommInsO-Reinhart aaO Art. 4 EuInsVO Rz. 6 f.), führen sowohl die Sitztheorie also auch die Gründungstheorie ebenfalls zum deutschen Recht. Die Schuldnerin wurde ausweislich der Registerakten HRB ... AG Stendal in Deutschland gegründet, und sie unterhielt hier auch ihren effektiven Verwaltungssitz.

[6]Dies führt nicht – wie der Bekl. insbes. im Schriftsatz vom 23.9.2010 meint – zu einem Leerlaufen des Art. 13 EuInsVO und beruht auch nicht auf einem Zirkelschluss. Wie bereits dargelegt, würde über Art. 13 EuInsVO die Prüfung österr. Konkursrechts offenstehen, wenn das Überbrückungsdarlehen drittfinanzierenden Charakter trüge. Das ist aber gerade nicht der Fall. Damit führt die Rechtsauffassung des Senats nur im vorliegenden Einzelfall zu dem nahe liegenden Ergebnis, dass sich Gesellschafterdarlehen für in Deutschland gegründete und dort ansässige Gesellschaften nach deutschem Recht richten und sich in der Insolvenz an deutschem Insolvenzrecht messen lassen müssen. Schutzwürdiges Vertrauen in die österr. Rechtsordnung konnte der Bekl., der als Gesellschafter-Gesellschafter einer deutschen GmbH in der Krise ein Darlehen gewährte, nicht entwickeln. Deshalb ist es nur konsequent, dass Art. 13 EuInsVO von vornherein keine Sperrwirkung entfaltet. Denn die Norm soll das Vertrauen des Anfechtungsgegners schützen. Fallen lex causae und das Insolvenzstatut zusammen, ist hierfür kein Raum.

Fundstellen

LS und Gründe

ZInsO, 2010, 2325
ZIP, 2011, 677

nur Leitsatz

EWiR, 2011, 709, mit Anm. Knof
GWR, 2011, 72, mit Anm. Wöhlert

Aufsatz

Schall, ZIP, 2011, 2177

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2010-347

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