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Verfahrensgang

OLG Köln, Beschl. vom 29.10.2009 – 21 UF 158/09, IPRspr 2009-95

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Kindesentführung

Leitsatz

Steht den Eltern das gemeinsame Sorgerecht zu, darf der Elternteil, dem das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen wurde, nicht dauerhaft mit dem Kind in ein weit entferntes Land (hier: Thailand) übersiedeln, weil damit die praktische Ausübung des Sorgerechts des anderen Elternteils vereitelt würde.

Trifft ein Elternteil die Entscheidung, dauerhaft mit dem Kind in einem entfernten Land (hier: Thailand) zu verbleiben, nachdem es zunächst unter zulässiger Ausübung seines Aufenthaltsbestimmungsrechts dorthin nur vorübergehend verreist war, liegt darin ein widerrechtliches Vorenthalten des Kindes im Sinne von Art. 3 HKiEntÜ. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

HKÜ Art. 3
IntFamRVG § 6; IntFamRVG § 8

Sachverhalt

Der ASt. hatte die thailändische Staatsangehörige S. J. geheiratet. Die Ehe, aus der der Sohn G. L. hervorging, wurde durch Urteil des AG Ratingen vom 16.6.2004 aufgehoben, weil die Kindesmutter dem ASt. arglistig die Existenz eines weiteren im Jahre 1997 geborenen Sohns verschwiegen hatte, der in Thailand bei ihren Eltern lebte. Da die Kindeseltern keine Einigung erzielen konnten, von welchem Elternteil das gemeinsame Kind G. in Zukunft aufgezogen und betreut werden sollte, erging in dem beim AG Ratingen eingeleiteten Sorgerechtsverfahren am 13.10.2004 ein Beschluss, mit dem – unter Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Übrigen – das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind auf den Kindesvater übertragen wurde. Im Beschwerdeverfahren wurde diese erstinstanzliche Entscheidung des AG Ratingen durch Beschluss des OLG Düsseldorf vom 8.5.2005 dahingehend abgeändert, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für G. nunmehr auf die Kindesmutter übertragen wurde. Seit dieser Entscheidung lebte G. wieder bei der Kindesmutter und ihrem neuen Lebensgefährten und zwischenzeitlichen Ehemann, Herrn C. D., zuletzt in E. Ende Oktober/Anfang November 2008 reiste die Kindesmutter mit G., der nicht von der zuvor in E. besuchten städtischen Gemeinschaftsgrundschule abgemeldet worden war, nach Thailand. In dem deswegen vom ASt. beim AG Düsseldorf eingeleiteten Verfahren auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts erklärte die Kindesmutter, dass sie sich aus gesundheitlichen und familiären Gründen nur vorübergehend in Thailand aufhalten werde. Das AG Düsseldorf entzog daraufhin mit Beschluss vom 15.12.2008 im Wege der einstweiligen Anordnung der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn G. und übertrug dieses zur alleinigen Ausübung auf den Kindesvater. Ein Rückführungsantrag des ASt. wurde von der AGg. nicht zur Bearbeitung angenommen.

Gegen diese Entscheidung hat der ASt. mit Schreiben vom 5.10.2009 beantragt, die Entscheidung des OLG Köln herbeizuführen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Der Antrag des ASt. auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 8 I IntFamRVG ist begründet. Die AGg. hat gemäß § 6 II IntFamRVG die für den Rückführungsantrag des ASt. vom 28.8.2009 erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.

[2]Die Auffassung der AGg., das Verbringen des Kindes nach Thailand sei nicht widerrechtlich gewesen, weil die Kindesmutter zum Zeitpunkt der Ausreise Inhaberin des Aufenthaltsbestimmungsrechts gewesen sei, ist zutreffend, wenn die Kindesmutter mit G. zu einem nur vorübergehenden Aufenthalt nach Thailand gereist war.

[3]Sollte bereits zum Zeitpunkt der Ausreise aus Deutschland von der Kindesmutter eine dauerhafte Übersiedelung in ihr Heimatland geplant gewesen sein, wäre dies durch das der Kindesmutter zur alleinigen Ausübung übertragene Aufenthaltsbestimmungsrecht aufgrund der Tatsache, dass den Kindeseltern im Übrigen die elterliche Sorge für G. weiterhin gemeinsam zustand, nicht mehr gedeckt gewesen. Auch wenn das Aufenthaltsbestimmungsrecht die grundsätzliche Befugnis beinhaltet, den Wohnort und die Wohnung des Kindes frei und ohne vorherige Zustimmung des anderen Elternteils zu bestimmen, kann die Kindesmutter aufgrund der ansonsten fortbestehenden gemeinsamen elterlichen Sorge für G. nicht schrankenlos über den Aufenthalt des Kindes alleine entscheiden. Da der ASt. die gemeinsame elterliche Sorge sowohl im Rahmen seines Umgangsrechts als auch insbesondere durch die Betreuung des Kindes in der Abwesenheit der Kindesmutter Anfang Oktober 2008 auch tatsächlich ausgeübt hat (Art. 3 lit. b HKiEntÜ), würde das dem ASt. zustehende (Mit-)Sorgerecht für G. durch eine dauerhafte Übersiedlung von Deutschland nach Thailand in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Auch wenn ein Wechsel des Wohnorts innerhalb der Staaten der EG gegen den Willen des im Übrigen mitsorgeberechtigten Elternteils zu akzeptieren ist, da der andere Elternteil seine Mitsorge in derartigen Fällen auch von seinem Heimatland aus in ausreichendem Maße ausüben kann (vgl. OLG Koblenz, Beschl. vom 9.8.2007 – 9 UF 450/07, NJW 2008, 238 ff. (IPRspr 2007-83)), beinhaltet eine Übersiedelung von Deutschland nach Thailand aufgrund der Entfernung und der damit zusammenhängenden Probleme einer hinreichenden Kommunikation mit dem Kind und dessen Bezugspersonen im sozialen Umfeld, dass eine Ausübung der den Kindeseltern gemeinsam zustehenden Teilbereiche der elterlichen Sorge, wie z.B. der Gesundheitsfürsorge, der Vermögenssorge sowie die Entscheidung über die Religion und den Schulbesuch, tatsächlich unmöglich gemacht würde. Bei einer derartigen dauerhaften Übersiedlung würde die gemeinsame elterliche Sorge auf ein lediglich noch formal bestehendes Recht reduziert, dessen praktische Ausübung aber derart vereitelt würde, dass eine Widerrechtlichkeit des Verbringens im Sinne von Art. 3 HKiEntÜ bejaht werden müsste.

[4]Da die Kindesmutter im Verfahren ... vor dem AG Düsseldorf jedoch selbst vorgetragen hat, dass zum Zeitpunkt der Ausreise – bestätigt durch ihren Ehemann in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2008 – nur ein vorübergehender Aufenthalt in Thailand mit dem Kind geplant war, wäre zwar diese Reise nach Thailand nicht als widerrechtlich im Sinne von Art. 3 HKiEntÜ zu werten. Da der Kindesmutter jedoch im Wege der einstweiligen Anordnung des AG Düsseldorf vom 15.12.2008 das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und dieses auf den Kindesvater zur alleinigen Ausübung übertragen wurde, ist durch die sodann von der Kindesmutter getroffene Entscheidung, dauerhaft in Thailand zu bleiben, ein widerrechtliches Vorenthalten des Kindes im Sinne von Art. 3 HKiEntÜ festzustellen. Hierbei muss aus dem zwischenzeitlichen Zeitablauf und der Tatsache, dass der zuvor noch in E. lebende Ehemann der Kindesmutter sowohl seine Arbeitstelle aufgegeben als auch die Wohnung in E. gekündigt hat, um sodann ebenfalls nach Thailand überzusiedeln, geschlossen werden, dass die Kindesmutter nach der Entscheidung des AG Düsseldorf vom 15.12.2008 ihre zuvor bestehenden Planungen aufgegeben und sich nunmehr für eine dauerhafte Verlegung ihres Lebensmittelpunkts nach Thailand entschlossen hat. Dies wird dadurch unterstrichen, dass die Kindesmutter den zuvor noch bestehenden Kontakt des Kindes zum ASt. abgebrochen und sich seit Frühjahr 2009 mit G. an einem unbekannten Ort aufhält. Hierzu war sie jedoch nicht mehr berechtigt, da ihr zuvor durch den Beschluss vom 15.12.2008 das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden war.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2010, 913

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2009-95

Lizenz

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