Die Anerkennung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung darf nicht nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO versagt werden, wenn der Beklagte hiergegen einen Rechtsbehelf im Urteilsstaat (hier: Italien) einlegen und geltend machen konnte, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück sei ihm nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden, dass er sich habe verteidigen können. [LS der Redaktion]
Die AGg. wurde durch Urteil des Landgerichts Neapel vom 15.10.2002 zur Zahlung eines Betrags zzgl. Zinsen und Kosten verurteilt. Nach den Feststellungen hatte sich die AGg. auf die ihr am 8.3.1995 zugestellte Klage eingelassen und wurde von einem Rechtsanwalt verteidigt. Auf Antrag des Kl. hat das LG dieses Urteil durch Beschluss vom 7.12.2007 für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar erklärt. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der AGg. hat das BeschwG die Entscheidung des LG abgeändert und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der ASt. mit seiner Rechtsbeschwerde.
[1]Das gemäß §§ 15 I AVAG, 574 I 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 577 IV 1 ZPO).
[2]Das BeschwG hat Art. 327 II ital. C. proc. civ. in gehörsverletzender Weise übergangen (§ 293 ZPO; Art. 103 I GG). Danach können Rechtsmittel – insbesondere die Berufung – sogar noch nach Ablauf der absoluten Rechtsmitteleinlegungsfrist von einem Jahr ab der Veröffentlichung des Urteils eingelegt werden, wenn die säumige Partei nachweist, wegen Nichtigkeit der Zustellung der in Art. 292 ital. C. proc. civ. vorgesehenen Schriftstücke vom Verfahren keine Kenntnis gehabt zu haben. Nach dem Vortrag des ASt. hätte die AGg. deshalb gegen die Entscheidung, deren Vollstreckbarkeit in Deutschland er herbeiführen will, in Italien sowohl nach Ablauf der regelmäßigen Rechtsmittelfrist von 30 Tagen als auch nach Ablauf der absoluten Rechtsmitteleinlegungsfrist von einem Jahr ab der Veröffentlichung des Urteils Rechtsmittel einlegen können und könnte es sogar heute noch. Ordentliche Rechtsmittel würden im Fall eines Verfahrensfehlers im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVO ‚fristlos’ gestellt.
[3]Gegebenenfalls greift die Ausnahmeregelung in Art. 34 Nr. 2 EuGVO ein. Hat ein Beklagter, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte, so steht der Anerkennung der Entscheidung nicht entgegen, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück ihm nicht oder nicht in der Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.
[4]Allerdings wird der Beklagte dies vor dem italienischen Gericht nachweisen müssen. Aus diesem Grund hat der EuGH (EuGHE 1996 I 4960, 4967) – und ihm folgend der BGH (vgl. Beschlüsse vom 18.9.2001 – IX ZB 104/00, NJW-RR 2002, 1151 (IPRspr. 2001 Nr. 185); vom 6.10.2005 – IX ZB 360/02, NJW 2006, 701, 702 (IPRspr 2005-159); vom 21.12.2006 – IX ZB 150/05 (IPRspr 2006-192), ZIP 2007, 396, 397 Rz. 13 ff.) – früher ausgesprochen, eine nur unter den dargelegten Voraussetzungen erfolgversprechende Berufung gestatte keine gleichwertige Verteidigung, eine ursprüngliche Gehörsverletzung werde dadurch also nicht geheilt. Diese Rechtsprechung ist jedoch noch zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ergangen, der eine Ausnahmeregelung wie in Art. 34 Nr. 2 EuGVO nicht kannte. Inzwischen hat die Große Kammer des EuGH durch Urteil vom 28.4.2009 (EuGRZ 2009, 210, 216 Rz. 80) entschieden, dass die Anerkennung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung nicht nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO versagt werden darf, wenn der Beklagte gegen die in Abwesenheit ergangene Entscheidung einen Rechtsbehelf einlegen konnte, mit dem er geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich habe verteidigen können. Damit hat der EuGH zugleich eine frühere Entscheidung (NJW 2007, 825, 827 Rz. 49), die möglicherweise noch anders verstanden werden konnte, korrigiert.
[5]Nach der Zurückverweisung wird das BeschwG die Möglichkeiten zu ermitteln haben, die das italienische Prozessrecht der AGg. geboten hat.