Entscheidungen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, denen kein kontradiktorisch angelegtes Verfahren vorausgegangen ist, können nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden.
Die ASt. (Gl.) erwirkte gegen die AGg. (Schuldnerin) einen Arrestbeschluss des Amtgerichts St./Schweden vom 1.4.2005, durch den die Schuldnerin wegen einer Forderung von 199 210 Euro mit dinglichem Arrest belegt wurde. Die Schuldnerin ist vor Erlass des Arrestbeschlusses weder gehört worden, noch ist ihr zuvor ein verfahrenseinleitendes oder gleichwertiges Schriftstück zugestellt worden. Sie hat jedoch gegen den Arrest fristgerecht den zulässigen Rechtsbehelf eingelegt.
Auf Antrag der Gl. hat der Vorsitzende einer Kammer des LG den Arrestbeschluss für vollstreckbar erklärt. Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet sich die AGg. mit ihrer Rechtsbeschwerde.
[1]II. Das gemäß §§ 15 I AVAG, 574 I Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig, § 574 II Nr. 2 ZPO. Es ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 16 AVAG.
[2]Die Rechtsbeschwerde ist begründet, § 17 I, II AVAG.
[3]1. Auf das Verfahren findet die EuGVO Anwendung, die in allen Mitgliedstaaten der EG – mit Ausnahme Dänemarks – am 1.3.2002 in Kraft getreten ist (Art. 76 EuGVO) und auf alle Klagen anzuwenden ist, die danach erhoben worden sind (Art. 66 I EuGVO). Dies war hier der Fall.
[4]2. Nach Art. 45 I EuGVO i.V.m. Art. 34 Nr. 2 EuGVO wird eine Entscheidung nicht anerkannt und damit nicht für vollstreckbar erklärt, wenn dem Beklagten, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. Der Schuldnerin ist das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht vor Erlass des Arrests zugestellt worden. Sie hatte keine Gelegenheit, sich gegen den Antrag zu verteidigen, hat jedoch anschließend gegen den erlassenen Arrest Rechtsbehelf eingelegt.
[5]Entscheidung im Sinne des Art. 34 EuGVO ist gemäß Art. 32 EuGVO jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung, ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung. Hierunter fallen auch Versäumnisurteile oder Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Die Vorschriften des Kapitels III der EuGVO sind aber nicht zur Anwendung auf gerichtliche Entscheidungen vorgesehen, die nach dem innerstaatlichen Recht des Erststaats ergehen, ohne dass die Gegenpartei die Möglichkeit erhält, auf die Entscheidung des Gerichts einzuwirken. Damit kann der Arrestbeschluss des Amtsgerichts St./Schweden nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden.
[6]a) Das BeschwG (dessen Entscheidung veröffentlicht ist in OLGR Schleswig 2005, 520) hat seine gegenteilige Auffassung damit begründet, dass es eine nicht unerhebliche Lähmung des einstweiligen Rechtsschutzes im internationalen Bereich zur Folge habe, wenn man Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht anerkennen und für vollstreckbar erklären würde. Die nationalen Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten würden einstweilige Anordnungen mit Überraschungseffekt kennen. Rechtliches Gehör werde im Rechtsbehelfsverfahren gewährt. Die Mitgliedstaaten wollten auch im internationalen Kontext keinen strengeren Maßstab aufstellen.
[7]Die Entscheidung des EuGH vom 21.5.1980 zu Art. 25, 27, 46 Nr. 2 EuGVÜ sei auf Art. 32 ff. EuGVO nicht übertragbar. Der Verordnungsgeber habe auf diese Rechtsprechung nicht reagiert und mit Art. 32 EuGVO an der weiten Fassung des früheren Art. 25 EuGVÜ festgehalten. Daraus ergebe sich, dass er an dieser Rechtsprechung nicht habe festhalten wollen, weil er andernfalls den vorläufigen Rechtsschutz vom Anwendungsbereich der Anerkennungsvorschriften ausgenommen hätte.
[8]b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu den – soweit hier von Interesse – gleichlautenden Vorgängerregelungen der Art. 25, 27 Nr. 2 EuGVÜ hat der EuGH entschieden, dass gerichtliche Entscheidungen, durch die einstweilige oder auf eine Sicherung gerichtete Maßnahmen angeordnet werden und die ohne Ladung der Gegenpartei ergangen sind oder ohne vorherige Zustellung vollstreckt werden sollen, nicht nach Titel III des EuGVÜ anerkannt und vollstreckt werden können (EuGHE 1980, 1553, 1565 ff.). Dies gilt in gleicher Weise für Art. 32, 34 Nr. 2 EuGVO.
[9](1) Aus der weiten Fassung des Art. 32 EuGVO lässt sich, ebenso wie aus der entsprechenden Vorgängerregelung in Art. 25 EuGVÜ, nicht entnehmen, dass Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes, etwa die Anordnung eines dinglichen Arrests, generell nicht unter die Regelungen des EuGVÜ oder der EuGVO über die Anerkennung und Vollstreckung fallen sollen. Dies ist vielmehr möglich, setzt aber voraus, dass ein kontradiktorisch angelegtes Verfahren vorausgegangen ist. Diese Einschränkung ergab sich aus Art. 27 Nr. 2, 46 Nr. 2 EuGVÜ (EuGH aaO; BGH, Beschl. vom 24.2.1999 – IX ZB 2/98, ZIP 1999, 483, 485 (IPRspr. 1999 Nr. 154)). Sie ergibt sich nunmehr aus den Nachfolgeregelungen in Art. 34 Nr. 2 EuGVO, der insoweit mit Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ übereinstimmt, sowie aus Art. 54 EuGVO i.V.m. Anhang V der EuGVO. Nach Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ musste korrespondierend zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ die antragstellende Partei nachweisen, dass das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück der säumigen Partei zugestellt worden war. Eine völlig übereinstimmende Nachfolgeregelung hierfür gibt es zwar nicht. Die nach Art. 53 II, 54 EuGVO vorzulegende Bescheinigung nach Anhang V der EuGVO muss aber in Nr. 4.4 das Datum der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks enthalten, wenn die Entscheidung in einem Verfahren erging, auf das sich der Beklagte nicht eingelassen hat. Eine für die vorliegende Frage relevante Änderung gegenüber Art. 54 EuGVÜ ist deshalb auch insoweit nicht eingetreten.
[10](2) Der EuGH hat in der genannten Entscheidung erkannt, dass auf die hier fraglichen Entscheidungen, die ohne Beteiligung des Gegners ergangen sind, Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht angewandt werden könnte, ohne dass diese Entscheidungen ihren Sinn und ihre Tragweite verlören (EuGH aaO Rz. 10). Hieraus hat er aber nicht geschlossen, dass solche Entscheidungen gleichwohl anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden müssten. Er hat dies vielmehr im Hinblick auf die Systematik und die Ziele des EuGVÜ ausdrücklich als offensichtlich nicht gewollt abgelehnt. Die Bestimmungen des Abkommens brächten das Bestreben zum Ausdruck, sicherzustellen, dass im Rahmen der Ziele des Übereinkommens die Verfahren, die zum Erlass gerichtlicher Entscheidungen führen, unter Wahrung des rechtlichen Gehörs durchgeführt werden. Nur im Hinblick auf diese Garantien werde die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung großzügig gehandhabt. Das Übereinkommen stelle auf solche gerichtlichen Entscheidungen ab, denen im Urteilsstaat ein kontradiktorisches Verfahren vorausgegangen sei oder hätte vorausgehen können. Die Absicht, die hier fraglichen Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes von der Anwendbarkeit auszunehmen, habe daher nicht eigens zum Ausdruck gebracht werden müssen. Das bringe zwar Nachteile für die Gläubiger. Diese würden aber durch die Regelung des Art. 24 EuGVÜ (nunmehr Art. 31 EuGVO) weitgehend ausgeglichen (EuGH aaO Rz. 13 f., 17).
[11]Hieraus ergibt sich, dass nach Auffassung des EuGH Entscheidungen der Gerichte in Fällen einstweiligen Rechtsschutzes nicht nach dem EuGVÜ anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden können, wenn dem Gegner kein rechtliches Gehör gewährt worden ist.
[12]Dem haben sich der Senat und die weitere Rechtsprechung angeschlossen (BGH, Beschl. vom 24.2.1999 aaO; KG, IPRax 2001, 236, 237 (IPRspr. 1999 Nr. 160); OLG München, RIW 2000, 464 (IPRspr. 2000 Nr. 150); OLG Hamm, NJW-RR 1995, 189 (IPRspr. 1993 Nr. 182); OLG Karlsruhe, FamRZ 2001, 1623, 1624 (IPRspr. 2001 Nr. 189)).
[13](3) Für die insoweit unverändert gebliebenen Vorschriften der EuGVO gilt dasselbe. Da der Verordnungsgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des EuGH die Regelungen (insoweit) inhaltlich unverändert übernommen hat, ist davon auszugehen, dass diese Rechtsprechung Bestand haben soll. Die gegenteilige Auffassung des BeschwG ist nicht haltbar. Nur wenn der europäische Verordnungsgeber die Rechtslage insoweit hätte ändern wollen, hätte Veranlassung bestanden, den Wortlaut der Vorschriften zu ändern, etwa Art. 32 oder Art. 34 Nr. 2 EuGVO einzuschränken für Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes, vor deren Erlass dem Gegner kein rechtliches Gehör gewährt wurde. Die Annahme des BeschwG, der Verordnungsgeber habe die bestehende Rechtslage gerade dadurch ändern wollen, dass er die Vorschriften unverändert übernommen hat, widerspricht offenkundig der Methodik jeder Gesetzgebung.
[14]Anhaltspunkte für die Auffassung des BeschwG ergeben sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien zur EuGVO (vgl. Begründung S. 16 zu Art. 41 des Entwurfs der EuGVO, KOM/99/348 endg.). Änderungen im Kapitel III (Anerkennung und Vollstreckung) sind zwar mit dem Ziel vorgenommen worden, zugunsten der Gläubiger eine zügige Vollstreckung der Urteile in andere Mitgliedstaaten zu erreichen; zu diesem Zweck sind verschiedene Erleichterungen eingefügt worden (vgl. etwa Piltz, NJW 2002, 789, 794). An den Regelungen für die hier zu beurteilende Frage wurde indessen nichts Relevantes geändert.
[15]Die genannte Rechtsprechung des EuGH ist demnach auch für Art. 32, 34 Nr. 2 EuGVO maßgebend (Musielak-Weth, ZPO, 5. Aufl., Art. 32 EuGVVO Rz. 5; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 65. Aufl., Art. 32 EuGVVO Rz. 1; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 32 EuGVO Rz. 22; Schlosser, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 32 EuGVVO Rz. 6; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., Art. 32 EuGVVO Rz. 4; Linke, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl., 2006 Rz. 195a, 403; Fohrer/Mattil, WM 2002, 840, 844 f.; OLG Zweibrücken, OLGR 2006, 218 (IPRspr 2005-157); OLG Düsseldorf, Beschl. vom 13.9.2006 – 3 W 159/06, zitiert nach juris).
[16]3. Eine Vorlage gemäß Art. 234 EG an den EuGH ist nicht angezeigt. Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 234 III EG besteht dann nicht, wenn das letztinstanzliche nationale Gericht in dem bei ihm schwebenden Verfahren feststellt, dass die betreffende entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand der Auslegung durch den EuGH war, und die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts offenkundig ist, und damit für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (EuGHE 1982, 3415, 3430 Rz. 16; vgl. BGHZ 109, 29 (IPRspr. 1989 Nr. 195), 35; BGH, Urt. vom 28.3.2001 – VIII ZR 72/00, WM 2001, 1264, 1265 f.; vom 24.10.2003 – V ZR 48/03, WM 2004, 693, 695; vom 10.10.2005 – II ZR 148/03, NJW 2006, 371, 373; Beschl. vom 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806, 1808 (IPRspr 2006-109)). So liegt der Fall hier. In dem zitierten Urteil vom 21.5.1980 (EuGHE 1980, 1553, 1565 ff.) hat der EuGH die Frage für die Vorgängerregelung in Art. 25, 27 Nr. 2 EuGVÜ geklärt. Die Entscheidung kann ohne weiteres auf die insoweit inhaltlich unverändert gebliebene Neuregelung in der EuGVO übertragen werden.
[17]Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, diese Rechtsprechung sei auf die EuGVO nicht übertragbar, wendet sie sich inhaltlich zumeist bereits gegen die Entscheidung zum EuGVÜ und fordert deren Revidierung (Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 32 Rz. 35; Rauscher-Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 34 Brüssel I-VO Rz. 26; Heinze, RIW 2003, 922, 928; gegen eine Übertragung wegen angeblich grundlegender Umgestaltung der EuGVO in diesem Bereich Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16). Dies gibt keine Veranlassung für eine erneute Vorlage.