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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 01.10.2009 – VII ZB 37/08, IPRspr 2009-164

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Gerichtsbarkeit

Leitsatz

Die einem ausländischen Staat zustehenden Forderungen aus der Vermietung eines im Inland gelegenen Objekts, die ausschließlich für den Erhalt einer kulturellen Einrichtung dieses Staats verwendet werden, können hoheitlichen Zwecken dienen und unterliegen dann der Vollstreckungsimmunität.

Die von der Rechtsprechung zum Schutz diplomatisch und konsularisch genutzter Gegenstände gestellten Anforderungen an den Nachweis des Verwendungszwecks gelten in gleicher Weise für sonstige hoheitlich genutzte Gegenstände und Vermögenswerte einer an der Staatenimmunität teilhabenden kulturellen Einrichtung (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 4.10.2005 – VII ZB 8/05, NJW-RR 2006, 425 = IPRspr. 2005 Nr. 91).

Rechtsnormen

EMRK Art. 6
KulturAbk D-Rus Art. 14
WÜD Art. 3
ZPO § 574; ZPO § 577

Sachverhalt

[Siehe auch die in IPRspr. 2008 unter den Nrn. 106 und 187a–c abgedruckten Entscheidungen.]


Der Gl. erwirkte vor dem Internationalen Schiedsgericht bei der Handelskammer in Stockholm am 7.7.1998 einen Schiedsspruch, nach dem die Schuldnerin an den Gl. Zahlung zu leisten hat. Dieser Schiedsspruch wurde vom KG für vollstreckbar erklärt. Auf Antrag des Gl. hat das AG – Vollstreckungsgericht – mit Beschluss vom 23.1.2007 wegen eines Teilbetrags u.a. alle Ansprüche der Schuldnerin an die Drittschuldnerin aus gegenwärtigen und zukünftigen Mietzinszahlungen für das von der Drittschuldnerin von der Schuldnerin gemietete Ladenlokal gepfändet und dem Gl. zur Einziehung überwiesen. In dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wird die Schuldnerin bezeichnet als „Russische Föderation ..., Russland auch handelnd unter Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur, ausländische Vertretung des Russischen Zentrums für internationale wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit bei dem Außenministerium der Russischen Föderation“. Auf die sofortige Beschwerde des Gl. hat das BeschwG am 21.2.2008 einen neuen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, in dem u.a. die zusätzliche Bezeichnung der Schuldnerin „auch handelnd unter Russisches Haus …“ nicht mehr enthalten ist. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Schuldnerin die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]IV. Die nach § 574 I 1 Nr. 2, III 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und des vom BeschwG erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Gl. gegen den Beschluss des AG und zur Zurückweisung des Antrags des Gl. auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.

[2]1. Das BeschwG hat offengelassen, ob die Schuldnerin tatsächlich Inhaberin der gepfändeten Forderungen ist. Ob dies zu Recht erfolgt ist, kann dahingestellt bleiben, denn wenn die Schuldnerin Inhaberin der Zahlungsansprüche gegen die Drittschuldnerin wäre, wäre sie insoweit nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen.

[3]2. Mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass bezüglich der gepfändeten Zahlungsansprüche Vollstreckungsimmunität besteht, da sie hoheitlichen Zwecken der Schuldnerin dienen. Die gepfändeten angeblichen Ansprüche der Schuldnerin unterfallen zwar nicht der diplomatischen Immunität (b), mit ihrer Pfändung wird jedoch die allgemeine Staatenimmunität verletzt (c).

[4]a) Nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts ist die Zwangsvollstreckung gegen einen fremden Staat in Gegenstände dieses Staats ohne Zustimmung des fremden Staats unzulässig, soweit diese Gegenstände im Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckungsmaßnahme hoheitlichen Zwecken des fremden Staats dienen (BVerfGE 46, 342, 392 (IPRspr. 1977 Nr. 117) und 64, 1, 40 (IPRspr. 1983 Nr. 127); BGH, Beschl. vom 28.5.2003 – IXa ZB 19/03, NJW-RR 2003, 1218 (IPRspr. 2003 Nr. 115); Beschl. vom 4.10.2005 – VII ZB 9/05, NJW-RR 2006, 198 (IPRspr 2005-118) m.w.N.). Ob ein Vermögensgegenstand hoheitlichen Zwecken dient, richtet sich danach, ob er für eine hoheitliche Tätigkeit verwendet werden soll (BGH, Beschl. vom 4.10.2005 aaO). Nach der herrschenden Theorie der restriktiven Immunität ist zu unterscheiden zwischen hoheitlich bedingten Tätigkeiten des Staats (acta iure imperii) und seinen privatwirtschaftlichen Aktivitäten (acta iure gestionis). Letztere werden von der Immunität ausgenommen (Geimer, IZPR, 5. Aufl., Rz. 558 ff.; Stürner, IPRax 2008, 197, 200).

[5]b) Die gepfändeten angeblichen Ansprüche der Schuldnerin aus dem Mietvertrag mit der Drittschuldnerin fallen nicht unter die diplomatische Immunität.

[6]aa) Von Völkerrechts wegen darf bei Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen einen fremden Staat nicht auf die seiner diplomatischen Vertretung zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktion dienenden Gegenstände zugegriffen werden, sofern dadurch die Erfüllung der diplomatischen Tätigkeit beeinträchtigt werden könnte (BVerfGE 46 aaO 394 f.; BGH, Beschl. vom 28.5.2003 aaO; Beschl. vom 4.10.2005 – VII ZB 8/05, NJW-RR 2006, 425 (IPRspr 2005-91)). Bei der Beurteilung der Gefährdung dieser Funktionsfähigkeit zieht das Völkerrecht den Schutzbereich zugunsten des anderen Staats sehr weit und stellt auf die typische, abstrakte Gefahr, nicht auf eine konkrete Beeinträchtigung der diplomatischen Tätigkeit ab.

[7]bb) Ein Mietvertrag der Schuldnerin mit der Drittschuldnerin stünde nicht im Zusammenhang mit dem Betrieb der Botschaft oder eines Konsulats der Schuldnerin. Dass die gepfändeten Ansprüche der Aufrechterhaltung der Funktion ihrer diplomatischen Vertretung dienen, hat auch die Rechtsbeschwerde nicht vorgetragen. Entgegen der Rechtsbeschwerde kann auch aus Art. 3 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (BGBl. 1964 II 959) nichts anderes hergeleitet werden. Danach gehört zwar der Ausbau der kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zu den Aufgaben einer diplomatischen Mission. Das Russische Haus ist jedoch keine diplomatische Mission in diesem Sinne.

[8]c) Mit der Pfändung der angeblichen Ansprüche der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin aus dem Mietverhältnis ist jedoch die allgemeine Staatenimmunität der Schuldnerin verletzt. Das Russische Haus als ausländische Vertretung des Russischen Zentrums für internationale, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit bei dem Außenministerium der Russischen Föderation ist eine Kultureinrichtung der Schuldnerin, deren hoheitlichen Vermögenswerte von der Vollstreckungsimmunität umfasst werden.

[9]Zu Unrecht stellt das BeschwG darauf ab, dass eine hoheitliche Zweckbestimmung die unmittelbare Betroffenheit des Kernbereichs ausländischer hoheitlicher Tätigkeit voraussetze. Neben dem Kernbereich der staatlichen Tätigkeit kann auch sonstiges hoheitliches Handeln unter die allgemeine Staatenimmunität fallen (BVerfGE 16, 27, 63) (IPRspr. 1962–1963 Nr. 171). Letzterem sind die gepfändeten Vermögenswerte der Schuldnerin zuzuordnen.

[10]aa) Die Staatenimmunität schützt die Funktionsfähigkeit staatlichen Handelns nach außen. Hierzu gehört auch das Handeln selbständiger Dienststellen, soweit die eingeleiteten Verfahren sich auf von diesen ausgeübte hoheitliche Funktionen beziehen (Dahm-Delbrück-Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., § 73 II.1). Die Staatenimmunität steht damit nicht nur dem Staat selbst, sondern auch Untergliederungen des Staats zu, durch die dieser handelt. Die Verbindung zum Staat als Hoheitsträger muss so eng sein, dass er auch in dieser Handlung durch die Immunität geschützt werden muss. Dies gilt umso mehr, als ein Staat, der außerhalb seiner Hoheitsgrenzen tätig werden will, in aller Regel auf das Privatrecht verwiesen ist, weil das völkerrechtliche Territorialprinzip die Geltung seiner Hoheitsakte auf sein Staatsgebiet beschränkt (Stein, IPRax 1984, 179, 180).

[11]Ob ein Handeln oder ein Vermögenswert als hoheitlich zu qualifizieren ist, entscheidet sich, soweit keine Kriterien im Völkerrecht vorhanden sind (wie z.B. im Fall eines Botschaftsgegenstands), grundsätzlich nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung (lex fori) (OLG Köln, IPRax 2004, 251, 254 (IPRspr. 2003 Nr. 118); Dutta, IPRax 2007, 109, 110 f.; Dahm-Delbrück-Wolfrum aaO II.2; Linke, IZPR, 4. Aufl., Rz. 76; Weller, Rpfleger 2006, 364, 368; differenz. Stein aaO182; a.A. Gramlich, NJW 1981, 2618, 2619).

[12]bb) Nach diesen Maßstäben dienen die gepfändeten Ansprüche hoheitlichen Zwecken.

[13] (1) Nach Art. 14 I des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über kulturelle Zusammenarbeit vom 16.12.1992 (BGBl. 1993 II 1256) haben die Vertragsparteien die Gründung von kulturellen Einrichtungen der jeweils anderen Vertragspartei im Hoheitsgebiet ihrer Länder zu fördern und deren Tätigkeit zu erleichtern. Kulturelle Einrichtungen in diesem Sinne sind u.a. vollständig oder überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanzierte Kulturinstitute oder Kulturzentren (Abs. 2). Jedenfalls im Zusammenhang mit der Prüfung der Reichweite eines pauschalen Immunitätsverzichts hat das BVerfG als sonstige hoheitlich genutzte Gegenstände und Vermögenswerte eines ausländischen Staats im Vollstreckungsstaat u.a. Kultur- und Forschungseinrichtungen genannt (BVerfGE 117, 141, 155) (IPRspr 2006-106). Da zur Wahrnehmung ausländischer Gewalt auch die vom Staat abhängige Repräsentation von Kultur und Wissenschaft im Ausland durch Mittelorganisationen gehört, bezieht sich das Vollstreckungsverbot grundsätzlich auch auf kulturelle Einrichtungen (Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., § 26 Rz. 32; so auch für das Danish Cultural Institute der Italienische Kassationshof in einer Entscheidung vom 15.2.1979, ILR 65 (1984), 325). Das Russische Haus als ausländische Vertretung des Russischen Zentrums für internationale, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit bei dem Außenministerium der Schuldnerin ist eine solche kulturelle Einrichtung, mit der die Schuldnerin hoheitliche Zwecke, nämlich die Förderung russischer Kultur in der Bundesrepublik, verfolgt.

[14] (2) Die gepfändeten Ansprüche dienen dieser Förderung und damit hoheitlichen Zwecken.

[15]Die Schuldnerin, die nach allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vollstreckungsimmunität trägt (Geimer aaO Rz. 527 m.w.N.; Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 2004, 82 ff.; a.A. Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 69 o. n. Begr.), hat den Verwendungszweck der gepfändeten Forderungen in ausreichendem Maße glaubhaft gemacht.

[16]Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 46, 342, 395 ff.) (IPRspr. 1977 Nr. 117) und des BGH (Beschl. vom 4.10.2005 aaO 425) zu diplomatischen Vertretungen dürfen keine hohen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des ausländischen Staats gestellt werden. Es reicht aus, dass ein zuständiges Organ des ausländischen Staats versichert, eine solche Zweckbestimmung sei erfolgt. Das folgt aus dem Schutz, den das Völkerrecht diplomatisch und konsularisch genutzten Gegenständen gewährt. Es wäre als völkerrechtswidrige Einmischung in die Angelegenheiten eines fremden Staats zu werten, wenn dieser vor Gericht die Verwendungszwecke eines ihm gehörenden Vermögensgegenstands näher darlegen müsste.

[17]Nichts anderes kann gelten, wenn der ausländische Staat behauptet, den einer kulturellen Einrichtung zustehenden Vermögensgegenstand für sonstige hoheitliche Zwecke zu verwenden. Nach zutreffender, aber umstrittener Auffassung sind die von der Rechtsprechung zum Schutz diplomatisch und konsularisch genutzter Gegenstände verringerten Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast auch auf sonst hoheitlich genutzte Gegenstände und Vermögenswerte einer an der Staatenimmunität teilhabenden kulturellen Einrichtung auszudehnen (vgl. OLG Köln aaO; LG Frankfurt/M., RIW 2001, 308 (IPRspr. 2000 Nr. 107b); Lange aaO 85 ff.; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, 1985, 176 f.; Habscheid, BerDGVR 8 (1968), 159, 267; Weller aaO 368; offengelassen BVerfG, BVerfGE 46 aaO 402; a.A. Dutta aaO 111; Kröll, IPRax 2004, 223, 227; Albert, Völkerrechtliche Immunität ausländischer Staaten gegen Gerichtszwang, 1984, 286 f., wonach in solchen Fällen die allgemeinen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast gelten sollen).

[18]Einen über die Glaubhaftmachung hinausgehenden Nachweis zu fordern, würde eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des fremden Staats bedeuten. Die Staatenimmunität stellt eine wesentliche Regelung des Völkerrechts dar und basiert auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten. Die über Art. 6 EMRK geschützten Interessen privater Vollstreckungsgläubiger müssen insoweit zurücktreten. Behauptet der ausländische Staat, das einer Vollstreckungsimmunität genießenden kulturellen Einrichtung zustehende Vollstreckungsobjekt diene hoheitlichen Zwecken, und macht er dies glaubhaft, reicht dies zur Beweisführung aus.

[19]Die Schuldnerin hat vorgetragen, dass die in Betracht kommenden Ansprüche gegen die Drittschuldnerin zum Zwecke des Betriebs der kulturellen Einrichtung des Russischen Hauses (zur Unterhaltung des Grundstücks und zur Vornahme von Instandhaltungsmaßnahmen) verbraucht werden. Damit werden sie der hoheitlichen Zweckbestimmung des Russischen Hauses entsprechend verwandt. Das BeschwG hat zwar keine Feststellungen zur Richtigkeit dieses von dem Gl. bestrittenen Vortrags getroffen. Die Schuldnerin hat diesen Vortrag jedoch durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Direktors des Russischen Hauses vom 20.2.2007 hinreichend glaubhaft gemacht. Dies kann das Rechtsbeschwerdegericht nach § 577 V ZPO selbst entscheiden, nachdem die eidesstattliche Versicherung vorliegt. Ob das Russische Haus rechtlich selbständig mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit ist, kann dahingestellt bleiben. Denn es kommt nicht auf die austauschbare Rechtsform, sondern auf die Funktion an, die das Russische Haus erfüllt (vgl. Geimer aaO Rz. 624 a m.w.N.).

Fundstellen

LS und Gründe

Europ. Leg. Forum, 2010, II-119
MDR, 2010, 109
NJW, 2010, 769
RIW, 2010, 72
Rpfleger, 2010, 88
WM, 2010, 84

nur Leitsatz

JurBüro, 2010, 161
LMK, 2010, 304719, Anm. Weller

Aufsatz

Weller, RIW, 2010, 599 A

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2009-164

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