PDF-Version

Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 04.10.2005 – VII ZB 8/05, IPRspr 2005-91

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Gerichtsbarkeit

Leitsatz

Bei Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen einen fremden Staat darf nicht auf die seiner diplomatischen Vertretung zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktion dienenden Gegenstände zugegriffen werden, sofern dadurch die Erfüllung der diplomatischen Tätigkeit beeinträchtigt werden könnte.

Aus der in dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13.6.1989 (BGBl. 1990 II 342) enthaltenen Schiedsvereinbarung ergibt sich für das Zwangsvollstreckungsverfahren kein Verzicht auf Immunität.

Rechtsnormen

EMRK Art. 6
Grundlagen ZGB 1962 (Russ. Föderation) Art. 61
InvestitionsschutzVertr D-UdSSR Art. 10
InvStreitÜbkG Art. 55
UNÜ Art. III; UNÜ Art. XIII
WKÜ Art. 45
WÜD Art. 32

Sachverhalt

Der Gl. hat auf der Grundlage des Investitionsschutzvertrags vom 13.6.1989 vor dem Internationalen Schiedsgericht bei der Handelskammer in Stockholm am 7.7.1998 einen Schiedsspruch erwirkt, nach dem die Schuldnerin an den Gl. 2,35 Mio. US-Dollar zuzüglich Zinsen zu zahlen hat. Diesen Schiedsspruch hat das KG für vollstreckbar erklärt.

Der Gl. hat gegen die Schuldnerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG B. vom 16.9. 2002 erwirkt, mit dem wegen eines Teilbetrags von 400 000 DM (= 204 516,75 Euro) „Umsatzsteuerrückerstattungsansprüche der Schuldnerin gegen die Bundesrepublik Deutschland gemäß der Verordnung über die Erstattung von Umsatzsteuer an ausländische ständige diplomatische Missionen und berufskonsularische Vertretungen sowie an ihre ausländischen Mitglieder (UStErstV) vom 3.10.1988 im Wege des Vergütungsverfahrens und sonstige Umsatzsteuerrückerstattungsansprüche, unabhängig aus welchem Rechtsgrund“ gepfändet und dem Gl. zur Einziehung überwiesen worden sind. Die Schuldnerin hat gegen diesen Beschluss Erinnerung eingelegt und eine Erklärung des Botschaftsrats ihrer Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt, in der er versichert, dass Umsatzsteuerrückerstattungsansprüche der Schuldnerin einschließlich der hier verfahrensgegenständlichen ausschließlich der Aufrechterhaltung der Funktionen ihrer diplomatischen Mission und konsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland dienten.

Mit Beschluss vom 27.12.2002 hat das AG den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 16.9.2002 aufgehoben, den Antrag auf Erlass dieses Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zurückgewiesen und zugleich die Wirksamkeit dieser Entscheidung bis zur Rechtskraft des Beschlusses hinausgeschoben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gl. hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde „wegen grundsätzlicher Bedeutung“ zugelassen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Gl. die Wiederherstellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erreichen. Seine Rechtsbeschwerde bleibt allerdings ohne Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Das Beschwerdegericht führt aus, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei dahin auszulegen, dass er alle bis zu seiner Zustellung bereits entstandenen Umsatzsteuererstattungs- bzw. -vergütungsansprüche umfasse. Es könne dahinstehen, ob die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben sei; es fehle jedenfalls an der Zulässigkeit der Pfändung. Der Pfändungs­ und Überweisungsbeschluss verstoße gegen die völkerrechtlichen Vorrechte und Befreiungen des diplomatischen Verkehrs. Es sei nach der Auskunft des Botschaftsrats davon auszugehen, dass die gepfändeten Umsatzsteuerrückerstattungsansprüche ausschließlich der Aufrechterhaltung der Funktionen der diplomatischen Missionen und der konsularischen Vertretungen der Schuldnerin in der Bundesrepublik Deutschland und deren bevorrechtigten Mitgliedern sowie der Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben dienten. Diese Erklärung sei zur Glaubhaftmachung, an die keine hohen Anforderungen zu stellen seien, ausreichend. Dieser Zweckbestimmung stehe nicht entgegen, dass auf die gepfändeten Forderungen noch keine Zahlungen geleistet worden seien und die Schuldnerin daher noch keine Verfügungsgewalt über den gepfändeten Vermögensgegenstand erlangt habe. Die Pfändung der Botschaftskonten sei mangels eines ausdrücklich erklärten Verzichts auf die besondere diplomatische Immunität unzulässig. Aus dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13.6.1989 (BGBl. 1990 II 342; im Folgenden Investitionsschutzvertrag) i.V.m. dem darin in Bezug genommenen UNÜ ergebe sich nicht, dass die Schuldnerin einen Immunitätsverzicht erklärt habe, der auch die besondere diplomatische Immunität umfassen würde. Dieser Verzicht müsse gemäß Art. 32 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (BGBl. 1964 II 957; im Folgenden WDÜ) und Art. 45 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (BGBl. 1969 II 1585; im Folgenden WKÜ) ausdrücklich erklärt werden. Auch nach Art. 18 und 19 des Entwurfs der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (International Law Commission) zur Staatenimmunität [YILC, 1991, II (2) 12 ff.] seien an einen solchen Verzicht strenge Anforderungen zu stellen. An dem erforderlichen ausdrücklich erklärten Verzicht der Schuldnerin auf Immunität fehle es.

[2]III. ... IV. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

[3]1. ... 2. Die Zwangsvollstreckung in die Ansprüche der Schuldnerin auf Umsatzsteuerrückerstattung gemäß der UStErstV ist unzulässig. Die Schuldnerin ist hinsichtlich dieser Ansprüche nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen.

[4]a) Die Schuldnerin genießt hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Ansprüche diplomatische Immunität, weil diese Ansprüche der diplomatischen Vertretung der Schuldnerin zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktion dienen.

[5]aa) Von Völkerrechts wegen darf bei Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen einen fremden Staat nicht auf die seiner diplomatischen Vertretung zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktion dienenden Gegenstände zugegriffen werden, sofern dadurch die Erfüllung der diplomatischen Tätigkeit beeinträchtigt werden könnte (BVerfG, Beschl. vom 13.12.1977 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342, 394 f. (IPRspr. 1977 Nr. 117); BGH, Beschl. vom 28.5.2003 – IXa ZB 19/03, NJW-RR 2003, 1218 = Rpfleger 2003, 518 (IPRspr. 2003, Nr. 115)). Bei der Beurteilung dieser Gefährdung zieht das Völkerrecht den Schutzbereich zugunsten des anderen Staats sehr weit und stellt auf die typische, abstrakte Gefahr, nicht aber auf eine konkrete Beeinträchtigung der diplomatischen Tätigkeit ab (BVerfG aaO 395; BGH aaO). Diese allgemeine Regel des Völkerrechts gilt auch für solche Gegenstände, die – wie die gepfändeten Ansprüche – nicht unter den Anwendungsbereich des WDÜ fallen (BVerfG aaO 396 f.). Demgemäß sind generell die den diplomatischen und konsularischen Missionen dienenden Gegenstände unverletzlich (BVerfG aaO; BGH aaO). Es kommt nicht darauf an, ob der Entsendestaat in der Lage wäre, trotz der Pfändung durch finanzielle Zuwendungen, die auf anderem Wege erbracht werden, den Botschaftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Denn dies würde die Gewährung des diplomatischen Schutzes von dem Umfang der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängig machen und könnte so zu einer unterschiedlichen Behandlung fremder Staaten im Bereich der diplomatischen Immunität führen, die dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten, der ein Konstitutionsprinzip des gegenwärtigen allgemeinen Völkerrechts ist, widerspräche (vgl. BVerfG aaO). Zweifel, dass diese vom BVerfG im Jahre 1977 festgestellte völkerrechtliche Norm auch weiterhin uneingeschränkt gilt, bestehen nicht (vgl. BGH, Beschl. vom 28.5.2003 – IXa ZB 19/03 aaO; Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), § 26, Rz. 30 f.; Geimer, IZPR, 4. Aufl. (2001), Rz. 593 ff.; Linke, IZPR, 3. Aufl. (2001), Rz. 77; Nagel-Gottwald, IZPR, 5. Aufl. (2002), § 17, Rz. 16; Pfeiffer/Kopp, ZVglRWiss 102 (2003), 563, 567 f.; Roeder, JuS 2005, 215, 218).

[6]bb) Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die gepfändeten Ansprüche der diplomatischen Vertretung der Schuldnerin zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen dienen.

[7](1) Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass von der Schuldnerin von Völkerrechts wegen lediglich verlangt werden kann, glaubhaft zu machen, der gepfändete Gegenstand diene der Aufrechterhaltung der Funktionen ihrer diplomatischen Vertretung. Es wäre eine völkerrechtswidrige Einmischung in die Angelegenheiten eines fremden Staates, wenn diesem angesonnen würde, die Verwendungszwecke eines ihm gehörenden Vermögensgegenstands näher darzulegen (BVerfG aaO BVerfGE 46, 342, 400 (IPRspr. 1977 Nr. 117); BGH aaO (IPRspr. 2003, Nr. 115)). Deshalb genügt es, wenn der fremde Staat durch die gehörige Versicherung eines zuständigen Organs glaubhaft macht, dass der Vermögensgegenstand unmittelbar der Aufrechterhaltung der Funktionen der diplomatischen Vertretung dient (BVerfG aaO; BGH aaO m.w.N.; Linke aaO; Geimer Rz. 594; Kröll, IPRax 2004, 223, 227). Eine solche Erklärung hat die Schuldnerin abgegeben.

[8](2) Rechtsfehler des Beschwerdegerichts bei der tatrichterlichen Würdigung dieser Erklärung hat die Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Erklärung des Botschaftsrats der Botschaft der Schuldnerin formelhaft wirkt, hindert es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht, die Erklärung als zur Glaubhaftmachung ausreichend anzusehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ohne eine nähere Darlegung des Verwendungszwecks des fraglichen Vermögenswerts eine inhaltliche Überprüfung der Erklärung kaum möglich ist. Gleichwohl muss sie aus den genannten Gründen als ausreichend angesehen werden. Für die Richtigkeit der Erklärung spricht im Übrigen, dass gemäß § 1 UStErstV die Umsatzsteuer erstattet wird, die bei der Lieferung von Gegenständen oder sonstigen Leistungen für den amtlichen Gebrauch der Botschaft der Schuldnerin entstanden ist.

[9](3) Aus dem in Art. 6 I EMRK verbürgten Anspruch des Gläubigers auf effektiven Rechtsschutz ergeben sich keine anderen Anforderungen an die Erklärung des Entsendestaats.

[10]Der Umfang der diplomatischen Immunität der Schuldnerin bestimmt sich allein nach dem Diplomatenrecht und kann daher nicht durch innerstaatliches Recht eingeschränkt werden. Dürfte der Empfangsstaat auch mit anderen als den vom Diplomatenrecht vorgesehenen Mitteln gegen einen Diplomaten vorgehen, würden die Grundlagen der diplomatischen Beziehungen erschüttert, die ein Zusammenleben der Staaten erst ermöglichen (BVerfG, Beschl. vom 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 82). Die Institution der Diplomatie mit ihren Privilegien und Immunitäten ist ein unverzichtbares Element der effektiven Kooperation innerhalb der internationalen Gemeinschaft, [welches dazu dient] ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln beizulegen (BVerfG aaO 83). Die Regeln, die den geordneten Fortschritt der Beziehungen zwischen den Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft sichern, müssen deshalb dauerhaft und mit größter Sorgfalt respektiert werden (BVerfG aaO 83).

[11]Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vermag das Interesse des Gl. an der Pfändung eines konkreten Vermögensgegenstands einen Eingriff in den Bereich, für den die Schuldnerin diplomatischen Schutz genießt, nicht zu rechtfertigen. Das gilt hier auch deshalb, weil der Gl. auf nicht weniger effektive Weise Rechtsschutz zu erlangen vermag. Wie sich aus dem von ihm zur Akte gereichten Beschluss des OLG F. vom 26.9.2002 ergibt, hat er auf andere Vermögenswerte der Schuldnerin erfolgreich zugreifen können.

[12](4) Ohne Erfolg macht der Gl. geltend, das Beschwerdegericht habe seinen Vortrag nicht berücksichtigt, dass die Erstattung nicht an die Botschaft der Schuldnerin, sondern unmittelbar an die Schuldnerin erfolge. Dieser Vortrag kann als wahr unterstellt werden. Für die Frage, ob die Schuldnerin hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Ansprüche diplomatische Immunität genießt, ist es unerheblich, ob die Umsatzsteuer unmittelbar an die Schuldnerin erstattet wird oder ob hierbei ihre Botschaft als Zahlstelle fungiert. Entscheidend ist, dass die Erstattungsbeträge, wie das Beschwerdegericht zutreffend festgestellt hat, für Zwecke der diplomatischen Mission der Schuldnerin verwendet werden.

[13]b) Die Schuldnerin hat hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Ansprüche nicht auf ihre Immunität verzichtet.

[14]aa) Aus der in dem Investitionsschutzvertrag enthaltenen Schiedsvereinbarung ergibt sich kein Verzicht auf Immunität für das Vollstreckungsverfahren. Das Bestehen von Immunität im Erkenntnisverfahren einerseits und im Zwangsvollstreckungsverfahren andererseits ist nach unterschiedlichen Maßstäben und daher unabhängig voneinander zu beurteilen (vgl. BVerfG aaO 366 f. (IPRspr. 1977 Nr. 117); Geimer Rz. 562; Linke Rz. 74; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl., § 12 Rz. 665; Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung, 37 ff.; Kröll 223 ff.). Die Schiedsvereinbarung regelt das Erkenntnisverfahren. Aus ihr lässt sich daher von vornherein nicht auf einen Immunitätsverzicht für das Zwangsvollstreckungsverfahren schließen.

[15]bb) Aus der Vereinbarung, dass ein Schiedsspruch, der nach Maßgabe des Investitionsschutzvertrags zustande gekommen ist, nach Maßgabe des UNÜ ‚anerkannt und vollstreckt’ wird (Art. 10 IV 2 Investitionsschutzvertrag), folgt kein Verzicht auf Immunität für das Vollstreckungsverfahren. Völkerrechtliche Verträge sind vom Senat so auszulegen, dass die Vertragspartner einerseits das von ihnen gemeinsam angestrebte Ziel durch den Vertrag erreichen können, andererseits nicht über das gewollte Maß hinaus als gebunden angesehen werden dürfen (vgl. BVerfG, Urt. vom 4.5.1955 – 1 BvF 1/55, BVerfGE 4, 157; BVerfG, Beschl. vom 7.4.1965 – 2 BvR 227/64, BVerfGE 18, 441, 450; Beschl. vom 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 79/80 m.w.N.).

[16](1) Nach diesen Kriterien enthalten der Investitionsschutzvertrag und das UNÜ keinen Immunitätsverzicht. Das UNÜ bestimmt, dass beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Schiedssprüche nach den inländischen Verfahrensregeln zur Vollstreckung zugelassen werden müssen und die Vollstreckung weder wesentlich strengeren Verfahrensvorschriften noch wesentlich höheren Kosten unterliegen darf als inländische Schiedssprüche (Art. III UNÜ). Die Bezugnahme auf das inländische Verfahrensrecht schließt als Bestandteil des Bundesrechts die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ein, zu denen die Beachtung der diplomatischen Schutzrechte gehört.

[17](2) Auch eine systematische Auslegung des Investitionsschutzvertrags ergibt einen solchen Verzicht nicht. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Bezugnahme auf das UNÜ nicht sinnentleert. Sie stellt klar, dass ein Investor aus einem Schiedsspruch, den er nach Maßgabe des Investitionsschutzvertrags erwirkt hat, gegen den betreffenden Vertragsstaat vollstrecken kann. Diese Klarstellung war erforderlich, weil die Schuldnerin jedenfalls zum Zeitpunkt des Abschlusses des Investitionsschutzvertrags von einer absoluten Immunität der Staaten sowohl im Erkenntnis- wie auch im Zwangsvollstreckungsverfahren ausging, d.h. jede Vollstreckung gegen einen fremden Staat für unzulässig erachtete (Geimer Rz. 557; Lentz, Die internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation, 2000, 391; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, 189; aus sozialistischer Sicht: Enderlein, RIW 1988, 333 ff., der ebenfalls von einer absoluten Immunität ausgeht, auf die teilweise – nämlich für Außenhandelsunternehmen – generell verzichtet worden sei). So sah Art. 61 des [am 1.5.1962 in Kraft getretenen] Gesetzes über die Grundlagen des zivilgerichtlichen Verfahrens der UdSSR und der Sowjetrepubliken vor, dass die Erhebung einer Klage gegen einen auswärtigen Staat und die Zwangsvollstreckung in das Vermögen eines auswärtigen Staats nur mit Zustimmung der zuständigen Organe dieses Staats zulässig sei (vgl. Heß 190 f.). Ohne eine Bezugnahme auf das UNÜ hätte daher davon ausgegangen werden müssen, dass die Schuldnerin für das Zwangsvollstreckungsverfahren absolute Immunität beanspruchen würde.

[18]Durch die Bezugnahme ist außerdem gewährleistet, dass eine Vollstreckung auch dann nach dem UNÜ stattfinden kann, falls eine der Parteien des Investitionsschutzvertrags das UN-Übereinkommen gemäß dessen Art. XIII kündigen sollte.

[19]Auch die sonstige Vertragspraxis zu Investitionsschutzvereinbarungen spricht dafür, dass die Vertragsparteien keinen Verzicht auf Vollstreckungsimmunität erklären wollten. Das Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten vom 18.3.1965 (BGBl. 1969 II 369), das den meisten anderen Investitionsschutzabkommen zugrunde liegt (vgl. Semler, SchiedsVZ 2003, 97), enthält in Art. 55 einen ausdrücklichen Vorbehalt zur Vollstreckungsimmunität.

[20]Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragsparteien über das nach den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts zulässige Maß eine Zwangsvollstreckung ermöglichen wollten, ergeben sich daher aus der Bezugnahme auf das UNÜ nicht. Wäre dies gewollt gewesen, hätte es, insbesondere im Hinblick auf die sonstige Vertragspraxis, nahegelegen, den Verzicht auf jede Immunität ausdrücklich zu erklären.

[21](3) Auch eine teleologische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Vertragszweck, die Förderung von Investitionen von Angehörigen des anderen Vertragsstaats, erfordert es, dass eine Vollstreckung gegen die jeweiligen Vertragsstaaten grundsätzlich möglich ist. Eine Vollstreckung auch in solche Gegenstände, die hoheitlichen Zwecken dienen, ist dagegen nicht erforderlich, um den Vertragszweck zu erreichen.

[22](4) Allein die Gefahr, dass die Schuldnerin wahrheitswidrig versichern könnte, ein Vermögensgegenstand, in den der Gl. vollstrecken möchte, diene diplomatischen Zwecken, rechtfertigt ebenfalls keine andere Auslegung des Vertrags. Die möglichen Reaktionen auf einen eventuellen Missbrauch diplomatischer Vorrechte und Immunitäten, für den hier allerdings nichts ersichtlich ist, werden durch das Diplomatenrecht abschließend umschrieben (vgl. BVerfG, Beschl. vom 10.6.1997 – 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68). Die Annahme eines Immunitätsverzichts durch die Gerichte des Empfangsstaats ist keine Maßnahme, die das Diplomatenrecht vorsieht.

Fundstellen

nur Leitsatz

InVo, 2006, 297
MDR, 2006, 414

LS und Gründe

NJW-RR, 2006, 425
Rpfleger, 2006, 133
SchiedsVZ, 2006, 44, mit Anm. Raeschke-Kessler
WM, 2006, 41
WuB, 2006, mit Anm.Kröll, VI D. § 829 ZPO Nr. 2.06

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2005-91

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>