PDF-Version

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf, Urt. vom 21.09.2007 – 16 U 230/06, IPRspr 2007-148

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Bei einem Handelsvertretervertrag handelt es sich um einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen, der von Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO erfasst wird.

Erfüllt der Handelsvertreter seine vertraglich geschuldeten Leistungen tatsächlich und vertragsgemäß in verschiedenen Mitgliedstaaten, so ist auch hinsichtlich der Gegenleistung entscheidend, wo der örtliche Schwerpunkt der Dienstleistung liegt. Dies ist grundsätzlich der Ort, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweist, und bei der Dienstleistung des Handelsvertreters damit der Ort, an dem der Tätigkeitsschwerpunkt liegt.

Rechtsnormen

EGV-Amsterdam Art. 50
EUGVVO 44/2001 Art. 1; EUGVVO 44/2001 Art. 2; EUGVVO 44/2001 Art. 3; EUGVVO 44/2001 Art. 5; EUGVVO 44/2001 Art. 5 ff.; EUGVVO 44/2001 Art. 22; EUGVVO 44/2001 Art. 23; EUGVVO 44/2001 Art. 24; EUGVVO 44/2001 Art. 60
EuGVÜ Art. 5; EuGVÜ Art. 13
EVÜ Art. 5
HGB § 89b
LugÜ Art. 13
ZPO §§ 12 ff.; ZPO § 538

Sachverhalt

Der Kl. war für die in den Niederlanden ansässige Bekl. als Handelsvertreter für Brautmoden in Deutschland, der Schweiz und Österreich tätig und begehrt nun von der Bekl. u.a. entgangene Provisionsgewinne sowie einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB.

Das LG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da deutsche Gerichte international unzuständig seien.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Kl.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Berufung des Kl. hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil auf den Hilfsantrag des Kl. aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückzuverweisen ist (§ 538 II 1 Nr. 3 ZPO). Denn die Klage ist zulässig; das angerufene Gericht ist international zuständig.

[2]1. ... 2. Die Klage ist ist zulässig. Entgegen der Ansicht des LG folgt die internationale und örtliche Zuständigkeit des LG Düsseldorf aus Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO.

[3]Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts beurteilt sich allein nach den Regelungen der EuGVO. Der sachliche und räumliche Geltungsbereich der Verordnung ist eröffnet (Art. 1 I, III EuGVO).

[4]Nach Art. 3 I i.V.m. Art. 60 I EuGVO kann eine juristische Person, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß Art. 5 ff. EuGVO verklagt werden. In diesem Fall wird auch die örtliche Zuständigkeit alleine durch Art. 5 ff. EuGVO bestimmt, §§ 12 ff. ZPO sind unanwendbar (Zöller-Geimer, ZPO, 26. Aufl., Anh. I Art. 2 EuGVVO Rz. 6).

[5]Nach der Systematik der Verordnung ist die internationale Zuständigkeit eines Gerichts gegeben, wenn sie durch einen ausschließlichen Gerichtsstand (Art. 22 EuGVO), durch rügelose Einlassung (Art. 24 EuGVO) durch eine Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 23 EuGVO), durch den allgemeinen Gerichtsstand (Art. 2 EuGVO) oder durch einen besonderen Gerichtsstand (Art. 5 ff. EuGVO) begründet wird.

[6]Hier kommt allein ein besonderer Gerichtsstand nach Art. 5 EuGVO in Betracht.

[7]Nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO i.V.m. Art. 60 I EuGVO kann eine juristische Person, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Orts, in dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Erfüllungsort für die Erbringung von Dienstleistungen ist nach Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem diese nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen.

[8]Der Begriff der Dienstleistung ist losgelöst von der lex causae gemeinschaftsrechtlich zu verstehen. Er ist zwar in der EuGVO selbst nicht definiert. Es können jedoch der entsprechende gemeinschaftsrechtliche Begriff aus Art. 50 EG, der Begriff der Dienstleistung in Art. 5 I des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (BGBl. 1986 II 809) sowie der jeweilige Art. 13 I Nr. 3 EuGVÜ/LugÜ herangezogen werden (BGH, NJW 2006, 1806 (IPRspr 2006-109); OLG Saarbrücken, NJOZ 2007, 709, 713 (IPRspr 2006-137)). Gemäß Art. 50 I EG sind unter einer Dienstleistung Leistungen zu verstehen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit von Personen unterliegen. Gemäß Art. 50 II lit. d EG gehören hierzu insbesondere freiberufliche Tätigkeiten. Gemäß Art. 50 EG sind als ‚Dienstleistungen’ solche Leistungen anzusehen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeiten, wobei der Begriff weit auszulegen ist (vgl. OLG Saarbrücken aaO; Emde, Heimatgerichtsstand für Handelsvertreter und andere Vertriebsmittler?: RIW 2003, 505, 508 m.w.N.).

[9]Erfasst werden von Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO mithin Dienstleistungen jeder Art, gewerbliche gleichermaßen wie freiberufliche, und zwar Verträge über jede Art von Diensten, zum Beispiel Werk- und Geschäftsbesorgungsverträge, Verträge mit dienstleistenden Freiberuflern und Vermittlern von Waren sowie selbstständige Vermittlerdienste für Waren (Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 5 Rz. 90).

[10]Der Handelsvertretervertrag ist ein Dienstvertrag über Geschäftsbesorgung, über selbstständige Dienste. Anwendbar sind deswegen neben den Vorschriften des HGB u.a. Dienstvertragsrecht (vgl. Baumbach-Duden-Hopt, HGB, 32. Aufl., § 86 Rz. 1, 4; Emde aaO). Es bestehen deswegen keine Zweifel, dass der Handelsvertretervertrag ein Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen ist (OLG Saarbrücken aaO; Emde aaO).

[11]Auch die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 12.12.2006 (ABl. Nr. L 376/36) sieht die Dienste von Handelsvertretern als – von dieser Richtlinie erfasste – Dienstleistungen an (vgl. dort Rz. 33 der einl. Erwägungen). Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO bestimmt nicht lediglich den internationalen Gerichtsstand für die Klagen bezüglich der vom Handelsvertreter (Dienstleister) zu erbringenden Dienstleistung. Der für die Dienstleistung ermittelte Erfüllungsort gilt vielmehr auch für die Gegenleistung. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO knüpft nicht an die Erfüllung der streitigen Verpflichtung an, sondern an den Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung. Sinn und Zweck der Regelung ist es, einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Kauf bzw. Dienstleistungsvertrag zu schaffen. Es wird also für alle Klagen aus dem Vertrag ein einziger Wahlgerichtsstand am Erfüllungsort der vertragstypischen Verpflichtung des Verkäufers bzw. Dienstverpflichteten begründet (BGH aaO; Musielak-Weth, ZPO, 5. Aufl., VO (EG) 44/2001 Art. 5 Rz. 7; Emde aaO).

[12]Anders als nach der Vorgängerregelung des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ ist der Erfüllungsort nicht mehr nach der lex causae, also mit Hilfe des IPR des angerufenen Gerichts zu bestimmen (sog. Tessili-Regel; vgl. EuGH, NJW 1977, 491). Vielmehr wurde mit Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO ein selbständiger Erfüllungsortbegriff geschaffen (BGH aaO; Zöller-Geimer aaO Art. 5 EuGVVO Rz. 3; Musielak-Weth aaO). Dieser ist, losgelöst von rechtlichen Kategorien der einzelnen Mitgliedstaaten, gemeinschaftsrechtlich autonom auszulegen (BGH aaO).

[13]Ist die Dienstleistung, wie hier, tatsächlich und vertragsgemäß in verschiedenen Mitgliedstaaten erbracht worden, ist hinsichtlich der Gegenleistung maßgebend, wo der örtliche Schwerpunkt der Dienstleistung war. Dies ist grundsätzlich der Ort, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweist (BGH aaO).

[14]Anderenfalls wäre das Ziel der Verordnung, einen einheitlichen Gerichtsstand für alle Klagen aus dem Dienstleistungsvertrag zu schaffen, nicht zu erreichen. Der Ort, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweist, ist bei einer Dienstleistung der Ort, an dem der Tätigkeitsschwerpunkt liegt (BGH aaO).

[15]Dies ist vorliegend Deutschland. Die von dem Kl. abgeschlossenen Verträge sind nach seiner unbestritten gebliebenen Darstellung ganz überwiegend mit in Deutschland ansässigen Kunden zustande gekommen ... Auch die aufgelisteten Kundenbesuche waren ganz überwiegend solche bei in Deutschland ansässigen Kunden ...

[16]Hiernach besteht kein Zweifel daran, dass der Kl. ganz überwiegend in Deutschland tätig geworden ist. Denn hier hat er auch seine verwaltenden und organisatorischen Tätigkeiten verrichtet.

Fundstellen

LS und Gründe

NJW-RR, 2008, 223

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2007-148

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>