Zur funktionellen Zuständigkeit im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils in einer Handelssache.
Auf die Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung nach Art. 43 II EuGVO in Verbindung mit Anlage III zur EuGVO in Verbindung mit §§ 11 ff. AVAG findet kein Abhilfeverfahren beim Landgericht nach § 572 ZPO statt.
Bei der Anerkennung einer ausländischen (hier: luxemburgischen) Säumnisentscheidung bleibt nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO ein Zustellungsmangel folgenlos, wenn der Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit hierzu hatte, das heißt im vorliegenden Fall weder gemäß Art. 90 des luxemburgischen C. proc. civ. innerhalb von fünfzehn Tagen Einspruch noch das Rechtsmittel der Berufung eingelegt hat, das für eine Partei mit Sitz im Ausland gemäß Art. 571, 573 des luxemburgischen C. proc. civ. einer weiteren, von 40 auf 55 Tage verlängerten Frist unterliegt.
Durch Urteil einer Kammer für Handelssachen des Amtsgerichts von und in Luxemburg ist die im dortigen Verhandlungstermin säumig gebliebene Schuldnerin verurteilt worden, 13 619,76 Euro zzgl. Zinsen und Kosten zu zahlen. Auf einen an die Kammer für Handelssachen des LG Bonn gerichteten Antrag hat der Vorsitzende der 2. Kammer für Handelssachen dieses Urteil für vollstreckbar erklärt. Gegen die ihr am 3.3.2004 zugestellte Entscheidung wendet sich die Schuldnerin mit ihrer am 5.5.2004, einem Montag, eingegangenen Beschwerde, mit der sie geltend gemacht hat, im Ausgangsverfahren sei ihr das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Vielmehr habe sich in dem ihr zugestellten Schriftstück lediglich ein mit „ANNEXE“ überschriebenes Schriftstück befunden, das Angaben mit den Daten der am Verfahren beteiligten Personen bzw. Institutionen enthalten habe.
Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen ist daraufhin in die Prüfung einer etwaigen Abhilfe eingetreten und hat vor der Kammer, also unter Beteiligung der Handelsrichter, eine Zeugin vernommen. Sodann hat die Kammer beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen und die Sache dem OLG vorzulegen. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
[1]Die Beschwerde ist zulässig; insbesondere steht der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Schuldnerin sein Mandat inzwischen niedergelegt hat, der Zulässigkeit nicht entgegen. Aus der Bestimmung in § 6 III AVAG, wonach im ersten Rechtszug eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich ist, folgt nicht die unbedingte Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung im Beschwerdeverfahren; denn diese kann gemäß § 11 II AVAG auch zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden. Entsprechendes gilt gemäß § 13 II AVAG für weitere Prozesshandlungen, solange keine mündliche Verhandlung angeordnet ist. Nur für das Verfahren mit mündlicher Verhandlung besteht gemäß den §§ 13 II AVAG, 78 III ZPO Anwaltszwang (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 24. Aufl., § 11 AVAG Rz. 4, § 13 Rz. 1; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 23. Aufl., Art. 43 EuGVO Rz. 17) mit der weiteren Folge, dass auch § 87 I, Alt. 2 ZPO nicht eingreift, also die Mandatsniederlegung sofort wirksam geworden ist.
[2]In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.
[3]1. Es ist allerdings zweifelhaft, ob der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen funktionell zuständig war. Für Vollstreckbarkeitssachen nach dem AVAG ist auch nach der gesetzlichen Neufassung an sich nur und ausschließlich der Vorsitzende einer Zivilkammer zuständig (§ 3 III AVAG). Zwar soll gemäß § 55 I AVAG die Vorschrift des § 3 dann keine Anwendung finden, wenn dem Vollstreckbarkeitsverfahren die EuGVO zugrunde liegt, nach deren Anhang II der ‚Vorsitzende einer Kammer des Landgerichts’ zuständig ist. Durch den Ausschluss des § 1 sollte aber wegen der Regelung der Zuständigkeit in Art. 39 I EuGVO i.V.m. Anhang II nur der Anschein einer nach EG-Recht unzulässigen Doppelregelung vermieden werden (vgl. BT-Drucks. 14/7207; Zöller-Geimer aaO § 55 AVAG Rz. 1; Hub, NJW 2001, 3145 [3150]). Eine Abweichung gegenüber dem früheren Rechtszustand und demjenigen nach Art. 39 EuGVÜ/LugÜ, deren Regelung wegen des in Deutschland zuständigen Gerichts im Anhang II der EuGVO unverändert übernommen wurde, war damit nicht beabsichtigt. In der Literatur wird demzufolge im Anwendungsbereich der EuGVO auch weiterhin – wie selbstverständlich – nur der Vorsitzende einer Zivilkammer als zuständig angesehen (vgl. Thomas-Putzo-Hüßtege aaO Art. 39 EuGVO Rz. 1; Schlösser, EUZivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 39 EuGVO Rz. 1).
[4]Ob dem zu folgen ist, kann indes letztlich offen bleiben, denn die Schuldnerin hat eine etwaige fehlende funktionelle Zuständigkeit des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen nicht gerügt. Zwar ist die in erster instanz von Amts wegen zu prüfende Zuständigkeit auch vom Beschwerdegericht nachprüfbar, wie der Senat mit Beschluss vom 17.3.2004 – 16 W 2/04 (IPRspr 2004-159) – auf eine entsprechende Rüge hin für die örtliche und sachliche Zuständigkeit entschieden hat. Dies beruht darauf, dass der Ausschluss von Zuständigkeitsrügen in § 571 II 2 ZPO wegen des nur einseitigen Verfahrens erster Instanz im Beschwerdeverfahren nach dem AVAG keine entsprechende Anwendung finden kann. Ein etwaiger Mangel der funktionellen Zuständigkeitsmangel führt indes regelmäßig nur zu einer Anfechtbarkeit und damit zu einer Rügeobliegenheit des Rechtsmittelführers (vgl. Thomas-Putzo-Hüßtege aaO Vor § 1 ZPO Rz. 11). Eine entsprechende Rüge ist nicht erfolgt.
[5]2. Prozessual unzulässig war es, dass das LG auf die Beschwerde hin in die Prüfung einer etwaigen Abhilfe gemäß § 572 ZPO eingetreten ist und zu diesem Zweck eine Zeugin vernommen hat, und zwar vor der gesamten Kammer einschließlich der Handelsrichter. Eine Zuständigkeit der Kammer insgesamt ist im Vollstreckbarkeitsverfahren nirgends begründet. Wenn und soweit entsprechend § 572 ZPO eine Abhilfebefugnis bestände, könnte dies daher ohnehin nur durch den als erstinstanzliches Organ allein zuständigen Vorsitzenden erfolgen. Indes scheidet eine entsprechende Befugnis von vornherein aus. Zwar können die §§ 567 ff. ZPO im Beschwerdeverfahren nach dem AVAG entsprechende Anwendung finden, aber nur sofern sich nicht aus der EuGVO, dem jeweils anwendbaren Übereinkommen oder dem AVAG nicht etwas anderes ergibt (vgl. Zöller-Geimer aaO § 11 AVAG Rz. 1). Vorliegend ist es bereits zweifelhaft, ob die Regelung in § 11 II AVAG, wonach die Zulässigkeit der Beschwerde nicht durch die Einlegung beim LG berührt wird und dieses verpflichtet ist, die Sache unverzüglich an das OLG abzugeben, überhaupt mit Art. 43 II EuGVO i.V.m. Anlage III zur EuGVO, nach der die Beschwerde beim OLG einzulegen ist, in Einklang zu bringen ist (vgl. die Nachweise zum Meinungsstand in dem Senatsbeschluss vom 17.3.2004 - 16 W 2/04 (IPRspr 2004-159)). Jedenfalls ist es alleine Sinn und Zweck des § 11 II AVAG unbillige Härten für den zu vermeiden, der in Unkenntnis der Besonderheiten des Vollstreckbarkeitsverfahrens entsprechend den allgemeinen Vorschriften der ZPO Beschwerde beim Ausgangsgericht einlegt. Deshalb besteht nach h.M. keine Abhilfemöglichkeit (vgl. BT-Drucks. 11/351 S. 22; OLG Zweibrücken, InVo 2004, 250 (IPRspr. 2003 Nr. 187); Thomas-Putzo-Hüßtege aaO Art. 43 EuGVO Rz. 1; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Art. 43 Rz. 10; EuGVO Rz. 10; Zöller-Geimer aaO § 11 AVAG Rz. 4).
[6]3. Ob die hiernach verfahrenswidrig durchgeführte Beweisaufnahme des LG vor der Kammer zu der Frage, ob der Schuldnerin das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden ist, für das weitere Beschwerdeverfahren verwertbar ist, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung, denn der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVO liegt auch auf der Grundlage des Sachvortrags der Schuldnerin nicht vor. Nach Nr. 2 bleibt nämlich – in bewusster Abkehr von der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ – auch in Fällen einer Säumnisentscheidung ein Zustellungsmangel folgenlos, wenn der Beklagte gegen die Ausgangsentscheidung kein Rechtsmittel eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit hierzu hatte. Um einen derartigen Fall handelt es sich hier. Gegen das ihr am 4.9.2003 zugestellte Versäumnisurteil des Amtsgerichts von und in Luxemburg hätte die Schuldnerin gemäß Art. 90 lux. C. proc. civ. innerhalb von 15 Tagen Einspruch einlegen können. Zudem war ihr als Partei mit Sitz im Ausland gemäß Art. 571, 573 lux. C. proc. civ. die Möglichkeit eröffnet, nach Ablauf der Einspruchsfrist innerhalb einer von 40 auf 55 Tagen verlängerten weiteren Frist Berufung einzulegen. Von beiden Möglichkeiten hat die Schuldnerin keinen bzw. keinen formgerechten Gebrauch gemacht, weil die von ihrem früheren Prozessbevollmächtigten unterzeichnete Rechtsmittelschrift vom 21.9.2004 wegen der fehlenden Zulassung bei dem zuständigen luxemburgischen Berufungsgericht nicht der gesetzlichen Form im Sinne des Art. 584 lux. C. proc. civ. entsprach.
[7]Da auch die formellen Voraussetzungen für eine Vollstreckbarkeitserklärung unzweifelhaft vorliegen, war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 97 I ZPO zurückzuweisen.