Für eine Klage gegen eine im Ausland (hier: British Virgin Islands) ansässige Gesellschaft mit Niederlassung im Gemeinschaftsgebiet (hier: London) ist der persönliche Anwendungsbereich der EuGVO eröffnet, denn die Gesellschaft wird gemäß Art. 15 II EuGVO so behandelt, als hätte sie als Unternehmer in diesem Mitgliedstaat ihren „Wohnsitz“ im Sinne von Art. 2 I EuGVO.
Bei einer solchen Klage eines deutschen Verbrauchers handelt es sich um eine Verbrauchersache nach Art. 15 I lit. c EuGVO, wenn die Gesellschaft wie hier eine Internetseite in deutscher Sprache zur Produktpräsentation unterhält, dort Vertragsformulare vorhält und dadurch ihre Tätigkeit auf Deutschland ausrichtet.
\pagebreak Der Kl. begehrt von der auf den British Virgin Islands geschäftsansässigen und in London eine Zweigniederlassung betreibenden Bekl. die Rückzahlung einer geleisteten Geldeinlage. Der Kl. hat über einen deutschen Vermittler bei der Bekl., die ihren Sitz auf den British Virgin Islands und eine Niederlassung in London („Generalrepräsentanz“) hat, am 30.5.1999 ein DBA-Konto („Deposit Banking Account“) eröffnet und am 6.6.1999 12 000 DM eingezahlt. Die durchgängig deutschen Formulare enthalten eine Klausel, wonach der Vertrag dem Recht und Gerichtsstand der British Virgin Islands unterliegt. Der vorformulierte Verwaltungsauftrag enthält u.a. eine Bestimmung, nach der die Laufzeit mindestens drei Jahre betrage und nach deren Ablauf die Kündigung drei Monate zum Quartalsende erfolgen könne.
Der angelegte Betrag ging am 6.6.1999 bei der Bekl. ein. Mit Schreiben vom 11.2.2002 kündigte der Kl. die Einlage zum 30.6.2002. Wegen einer zwischenzeitlichen Adressenänderung der Bekl. ging das Kündigungsschreiben erst am 19.3.2002 bei der Bekl. ein.
Das LG hat die internationale Zuständigkeit verneint und die Klage daher als unzulässig abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Kl. hatte Erfolg.
[1]1. Zu Unrecht hat das LG seine internationale Zuständigkeit verneint. Vorliegend ist der Gerichtsstand für Verbrauchersachen gemäß Art. 15 I lit. c EuGVO eröffnet.
[2]a) Die Vorschriften der EuGVO sind auf den vorliegenden Streitfall anwendbar.
[3]In zeitlicher Hinsicht stellt die Übergangsvorschrift des Art. 66 EuGVO auf den Zeitpunkt der Klageerhebung und nicht etwa, wie die Bekl. meint, auf denjenigen des Vertragsschlusses ab. Hier ist die Klage aber erst nach Inkrafttreten der EuGVO eingereicht worden. Der persönliche Anwendungsbereich ist ebenfalls eröffnet. Zwar hat die Bekl. ihren Hauptsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der EuGVO (vgl. Art. 2 EuGVO). Gemäß Art. 15 II EuGVO wird aber ein Unternehmer, der eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der EuGVO hat, so behandelt, als hätte er dort seinen ‚Wohnsitz’ im Sinne von Art. 2. So liegt der Fall hier, denn die Bekl. betreibt unstreitig eine Niederlassung in London.
[4]b) Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregelung für Verbrauchersachen in Art. 15 I lit. c EuGVO ist eröffnet.
[5]Der Kl. ist Verbraucher, da das streitgegenständliche Anlagegeschäft nicht für berufliche oder gewerbliche Zwecke des Kl. geschlossen worden ist (Art. 15 I EuGVO). Der Vertrag ist darüber hinaus von dem (im Verhältnis zur Vorgängervorschrift des Art. 13 EuGVÜ erweiterten) Anwendungsbereich erfasst. Danach können nunmehr neben Teilzahlungs- und Kreditgeschäften auch alle anderen Vertragstypen Verbraucherverträge im Sinne von Art. 15 EuGVO sein, sofern die übrigen Voraussetzungen von Art. 15 I lit. c der Vorschrift gegeben sind.
[6]c) Der Vertrag unterfällt schließlich auch dem situativen Anwendungsbereich von Art. 15 I lit. c EuGVO. Auf der Grundlage des unstreitigen Vorbringens beider Parteien ist entgegen der Auffassung des LG eine ‚Ausrichtung’ der Geschäftstätigkeit der Bekl. auf Deutschland im vorliegenden Fall anzunehmen.
[7]aa) Der Begriff der ‚Ausrichtung’ ist weit auszulegen. Die mit Art. 15 I lit. c EuGVO im Vergleich zur Vorgängerregelung des Art. 13 EuGVÜ vorgenommene Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf sämtliche anderen, nicht von Art. 15 I lit. a und b EuGVO erfassten Vertragsarten (unter der Einschränkung, dass der Vertragspartner des Verbrauchers seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausübt oder sie hierauf ausrichtet) geht insbesondere auf Probleme zurück, die bei der Anwendung des EuGVÜ auf via Internet initiierte Verträge entstanden waren (vgl. Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331). Der Begriff der ‚Ausrichtung’ geht insoweit nach Meinung der Literatur (Micklitz/Rott aaO; Spindler, MMR 2000, 18, 21) über die Fallgestaltungen des Art. 13 EuGVÜ hinaus. Er erfasst überdies nicht nur Geschäfte im Internet, sondern auch konventionelle Vertragsschlüsse. Art. 15 I lit. c EuGVO schützt nicht nur den ‚passiven Verbraucher’, sondern auch den ‚aktiven’ Verbraucher, der sich aus eigenem Antrieb im Ausland geschäftlich umtut. Dies hat – jedenfalls nach einhelliger Auffassung der hierzu veröffentlichten Literatur – zur Folge, dass Anbieter im Binnenmarkt in erheblich größerem Maße als bisher im Verbraucherwohnsitzstaat gerichtspflichtig werden (vgl. Junker, RIW 2002, 569, 574 m.w.N.).
[8]bb) Nach Maßgabe dieser mit der Änderung der Zuständigkeitsbestimmungen für Verbraucherverträge verfolgten Ziele hat das LG sich zu Unrecht allein an einer zu Art. 29 EGBGB ergangenen BGH-Entscheidung orientiert, ohne sich mit dem inzwischen (im Gegensatz zur Vorgängerregelung in Art. 13 EuGVÜ) wesentlich geänderten Wortlaut von Art. 15 EuGVO, insbesondere dem Begriff der ‚Ausrichtung’, näher zu befassen. Auf der Grundlage einer – wie dargestellt – gebotenen weiteren Auslegung ist im vorliegenden Fall eine ‚Ausrichtung’ der Geschäftstätigkeit der Bekl. auf Deutschland unter verschiedenen Gesichtspunkten zu bejahen:
[9](1) Präsentation auf deutschsprachiger Internetseite
[10]Unstreitig fallen Verbrauchergeschäfte unter die Vorschrift des Art. 15 I lit. c EuGVO, wenn der Anbieter eine ‚aktive Website’ unterhält (Verordnungsvorschlag der EU-Kommission, ABl. EG Nr. C 376 E vom 28.12.1999, S. 1). Keine Ausrichtung soll hingegen vorliegen, wenn lediglich eine passive Website vorliegt, wobei es bei der Unterscheidung zwischen den Alternativen nicht auf die Möglichkeit einer Interaktion ankommen soll (vgl. Micklisch/Rott aaO). Nach Auffassung der genannten Autoren sind Websites nur dann vom Anwendungsbereich des Art. 15 EuGVO ausgeschlossen, wenn sie ausdrücklich oder konkludent einen geschäftlichen Kontakt mit dem Verbraucher aus dem jeweiligen anderen Staat ausschließen. Dem ist zuzustimmen. Ausgehend von dem vorstehend beschriebenen, mit der Neuregelung verfolgten Anliegen, der geänderten Praxis von Akquise und Geschäftsanbahnung mittels moderner Kommunikationstechnik im internationalen Geschäftsverkehr Rechnung zu tragen, ist der bewusst weit gehaltene Begriff der ‚Ausrichtung’ der Geschäftstätigkeit nicht auf Fälle zu beschränken, in denen der Verbraucher die Internetseite direkt zur Ausführung einer Bestellung nutzen kann. Es genügt vielmehr, dass auf der Internetseite die Produkte des Anbieters präsentiert werden und – wie im vorliegenden Fall von der Bekl. eingeräumt – entsprechende Vertragsformulare (seien diese herunterladbar oder nicht) vorgehalten werden. Mit dem Betreiben einer derartigen Internetseite in deutscher Sprache hat die Bekl. ihre Geschäftstätigkeit (auch) auf Deutschland ausgerichtet. Denn das Präsentieren von Waren oder Dienstleistungen i.V.m. dem Zurverfügungstellen eines Vertragsformulars beinhaltet eine konkludente Aufforderung an den potenziellen Kunden, sich bezüglich eines Vertragsschlusses an die Bekl. zu wenden. Bedient sich ein im englischsprachigen Raum ansässiger Unternehmer hierbei auch der deutschen Sprache, so gibt er damit regelmäßig konkludent zu erkennen, dass er sich auch an Kunden wendet, die in Staaten wohnhaft sind, in denen Deutsch gesprochen wird. Dabei ist es unerheblich, dass die Website nach dem Bekunden der Bekl. ‚auch’ auf den übrigen deutschsprachigen Raum, etwa die Schweiz, gerichtet ist. Denn jedenfalls lässt sich ihrem Vortrag nicht entnehmen, dass sie – ausdrücklich oder konkludent – zum Ausdruck gebracht hat, deutsche Verbraucher grundsätzlich nicht als Vertragspartner zu akzeptieren, so dass sich der vorliegende Vertrag gewissermaßen als ‚unplanmäßige Ausnahmeerscheinung’ darstellen würde.
[11](2) Zusammenarbeit mit der Fa. AIL
[12]Eine Ausrichtung der gewerblichen Tätigkeit auf Deutschland ist darüber hinaus auch aufgrund der Zusammenarbeit der Bekl. mit der unstreitig auch am Wohnsitz des Kl. werbend tätigen Vertriebsfirma AIL anzunehmen. Zwar ist der Vortrag der Parteien zur konkreten rechtlichen Ausgestaltung der Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden Unternehmen nicht sonderlich ergiebig. Der Kl. hat (naturgemäß) keinen näheren Einblick; die Bekl. hält sich (aus welchen Gründen auch immer) mit einer substantiierten Darlegung von Details der vertraglichen Beziehungen zur AIL zurück. Sie beschränkt sich insoweit auf das Eingeständnis, die AIL sei ‚Kundin’ der Bekl. und bediene sich ihrer regelmäßig als ‚Bank’, da die AIL – im Gegensatz zur Bekl. – über keine Erlaubnis zur Vornahme von Einlagegeschäften verfüge. Im Zusammenhang mit den vom Kl. vorgelegten Formularen (K 1 und K 2) genügt dieser Sachverhalt aber, um das Tatbestandsmerkmal der ‚Ausrichtung’ im Sinne von Art. 15 I lit. c EuGVO als gegeben anzusehen: Auch wenn die Bekl. bestreitet, dass die Formulare (die in der oberen linken Ecke ihre Firmenbezeichnung sowie den Sitz der Generalrepräsentanz in London einschließlich Telefonnummern und in der unteren Spalte in Großbuchstaben nochmals fett gedruckt die Abkürzung des Firmennamens der Bekl. ‚FSL’ enthalten) aus ihrem Hause stammen, so lässt sich ihrem Vortrag doch jedenfalls entnehmen, dass sie mit der AIL eine Geschäftsbeziehung pflegt, bei der es mehr oder wenig regelmäßig zu vertraglichen Beziehungen zwischen den von der AIL geworbenen Kunden und der Bekl. in der Form kommt, dass die Kunden Konten bei der Bekl. eröffnen und dabei (wie die Bekl. vorträgt: in Erfüllung des Gebots der ‚Kontenwahrheit’) in direkte Vertragsbeziehung mit der Bekl. treten. Selbst wenn mithin die auch im vorliegenden Fall verwendeten Antragsformulare, mittels derer sich die von der AIL geworbenen Kunden direkt an die Bekl. wenden, von der AIL stammen sollten, so erfolgte die Verwendung – wie der nachfolgende Vertragsschluss zeigt – mit Duldung und Billigung durch die Bekl. Dass es sich bei dem hier streitgegenständlichen Vertrag um einen Einzel- oder Ausnahmefall handelt, behauptet die Bekl. nicht. Sie bedient sich mithin bei der Anbahnung von Geschäften in Deutschland eines Unternehmens, mit dem sie ihrerseits in vertraglicher Beziehung steht. Hierin ist eine ‚Ausrichtung’ ihrer gewerblichen Tätigkeit (auch) auf Deutschland zu sehen, ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die Frage einer ausdrücklichen Beauftragung der AIL oder gar deren Vertretungsmacht für die Bekl. ankommt. Ob die Fa. AIL dabei ‚eigene Produkte’ vertreibt, ist angesichts dessen, dass es jedenfalls in diesem Zusammenhang offenbar zu einer Art ‚Depotvertrag’ zwischen Kunde und Bekl. kommt, unerheblich.
[13](3) Provisionszahlungen
[14]Dass die Bekl. ihre gewerbliche Tätigkeit zumindest auch auf Deutschland ausrichtet, zeigt überdies auch der Umstand, dass der erstinstanzlich durch den Kl. als Zeuge benannte U. M. von der Bekl. für mit deutschen Kunden geschlossene Verträge unstreitig Provision von der Bekl. erhalten hat. Für die Frage der ‚Ausrichtung’ der gewerblichen Tätigkeit ist entgegen der Auffassung der Bekl. ohne Belang, ob der Zeuge M. als (direkter oder Unter-)Vermittler für die Bekl. oder lediglich als – wie sie es bezeichnet – ‚Empfehlungsgeber’ tätig geworden ist. Entscheidend ist allein, ob die Bekl. Aktivitäten entfaltet, die auf die Herbeiführung von Geschäftsabschlüssen auch mit in Deutschland ansässigen Kunden gerichtet sind. Dass die Zahlung von Provision – sei es an Vermittler oder an Empfehlungsgeber – geeignet ist, den Abschluss von Verträgen zu fördern, liegt auf der Hand. Wird ein ausländisches Unternehmen in einer solchen Weise tätig, kann es sich im Anwendungsbereich von Art. 15 I EuGVO nicht darauf berufen, der Vertragsschluss sei lediglich ‚Zufallsprodukt’ der Tätigkeit anderer Firmen bzw. allein aufgrund eigener Aktivitäten des Kunden zustande gekommen.
[15]d) Die von den Vorschriften der EuGVO abweichende Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien ist gemäß Art. 17 EuGVO unwirksam, da keiner der dort vorgesehenen Ausnahmetatbestände gegeben ist. Insbesondere wurde dem Kl. mit der Gerichtsstandsvereinbarung kein zusätzlicher Gerichtsstand (Art. 17 Nr. 2 EuGVO) eingeräumt.
[16]2. Die Klage ist auch begründet.
[17]Nach den maßgeblichen vertraglichen Vereinbarungen der Parteien steht dem Kl. aufgrund seiner unstreitig am 19.3.2002 der Bekl. zugegangenen Kündigung ein Anspruch auf Auszahlung des zum 30.6.2002 vorhandenen Guthabens zu.
[18]a) Es kann dahinstehen, ob die getroffene Rechtswahl wirksam ist und ob ggf. daneben gemäß Art. 29 I EGBGB zwingende Verbraucher schützende Vorschriften des deutschen Rechts, etwa § 306a BGB, anwendbar sind. Bereits die Auslegung der die maßgebliche Kündigungsfrist enthaltenden Vertragsklausel ergibt die Berechtigung des geltend gemachten klägerischen Anspruchs, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Unklarheitenregelung des deutschen Verbraucherschutzrechts bedarf. Die Formulierung in der streitgegenständlichen Kündigungsklausel ist eindeutig im klägerischen Sinne zu verstehen. Die Formulierung ‚zum Quartalsende nach Ablauf der Anlagejahre’ weist – ihrem Wortlaut nach unmissverständlich – auf eine mögliche Kündigung zum Ende des auf den Ablauf der Mindestlaufzeit folgenden Quartals hin. (...) Der maßgebliche Kündigungstermin ist im vorliegenden Fall folglich der 31.3.2002. Da die Kündigung unstreitig bereits am 19.3.2002 bei der Bekl. eingegangen ist, ist die Kündigung rechtzeitig erfolgt. Darauf, ob die – ebenfalls in den AGB enthaltene – Verlängerungsregelung (auf der Grundlage des Rechts der Britisch Virgin Islands) Vertragsbestandteil geworden ist und wer hierfür ggf. darlegungs- und beweispflichtig wäre, kommt es daher nicht an.