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Verfahrensgang

LG Coburg, Entsch. vom 29.04.2022 – 11 O 542/21
OLG Bamberg, Urt. vom 08.03.2023 – 8 U 67/22
BGH, Urt. vom 23.12.2024 – VIa ZR 598/23, IPRspr 2024-289

Rechtsgebiete

Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Der Erfolgsort i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kfz der Ort, an dem der Kaufvertrag über das Kfz geschlossen wurde. Die Ausstellung einer EG-Typengenehmigung durch eine ausländische (hier: italienische) Behörde nach EG-FGV begründet keine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Land i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EG-FGV § 6; EG-FGV § 27
RL 2007/46/EG Art. 18
Rom II-VO 864/2007 Art. 4; Rom II-VO 864/2007 Art. 15; Rom II-VO 864/2007 Art. 17
ZPO § 561; ZPO § 562

Sachverhalt

Der Kläger erwarb am xx.xx.2015 von einem Dritten in Deutschland ein gebrauchtes Wohnmobil Pössl Roadcruiser. Das von der Beklagten hergestellte Basisfahrzeug Fiat Ducato ist mit einem Dieselmotor der Baureihe 3-​l-Multijet (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet. Es verfügt nach Angaben des Klägers über ein sogenanntes "Thermofenster" und eine sogenannte "Timer-​Funktion". Für den Typ des Basisfahrzeugs hatte eine Behörde der Italienischen Republik, das Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (MIT), eine EG-​Typgenehmigung erteilt.

Der Kläger hat in erster Linie die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz aus der Manipulation des Fahrzeugs resultierender Schäden begehrt (Berufungsantrag zu 1). Für den Fall der Unzulässigkeit des Feststellungsantrags hat er hilfsweise den Ersatz des Kaufpreises und der Kosten für nachträgliche Einbauten nebst Prozesszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 2), die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung entstandener oder entstehender Schäden (Berufungsantrag zu 3), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 4) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 5) verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Berufungsanträge zu 2 bis 5 mit der Maßgabe weiter, dass sich der Berufungsantrag zu 3 nicht mehr auf die Manipulation des On-​Board-​Diagnosesystems bezieht.

Aus den Entscheidungsgründen:

[5] Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

[6] Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet: ...

[7] ... II. [9] ... [10] 1. ... [11] a) ... [12] b) ... [13] c) ... [14] aa) ... [15] bb) ... [16] 2. ... [17] a) ... [19] b) ... [20] aa) ... [21] bb) ... [23] cc) ... III.

[24] 1. Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO ...

[25] 2. ... [26] a) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist die Anwendung deutschen Sachrechts nicht von vornherein ausgeschlossen.  Auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung ist, sofern - wie hier - keine vorrangigen Kollisionsnormen eingreifen, nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-​II-VO) das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Dies ist aufgrund des Schadenseintritts durch den Abschluss des Kaufvertrags über das Wohnmobil in der Bundesrepublik Deutschland deutsches Recht (BGH, Urteil vom 27. November 2023 - VIa ZR 1425/22 (IPRspr 2023-27), VersR 2024, 1306 Rn. 11). Dies gilt  insbesondere hinsichtlich des Grunds und des Umfangs der deliktischen Haftung sowie der für ihre Handlungen haftbar zu machenden Personen (Art. 15 Buchst. a Rom-​II-​VO).

[27] Art. 18 Abs. 1 der in nationales Recht umzusetzenden Richtlinie 2007/46/EG sieht vor, dass der Hersteller des Basisfahrzeugs als Inhaber der diesbezüglichen EG-​Typgenehmigung jedem Basisfahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung beizufügen hat, die dem Käufer des - vervollständigten - Fahrzeugs auszuhändigen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 21. März 2023 - C-​100/21, NJW 2023, 1111 Rn. 78 ff.). Die Übereinstimmungsbescheinigung soll dem Käufer erlauben, das bestimmungsgemäß vervollständigte Fahrzeug ohne Vorlage zusätzlicher technischer Unterlagen in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union zuzulassen. Dementsprechend übernimmt nach der Konzeption der Richtlinie der Hersteller des Basisfahrzeugs, der ein mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehenes Fahrzeug zur Vervollständigung und zum Inverkehrbringen in einem Mitgliedstaat des EU-​Binnenmarktes ausliefert, gegenüber dem Käufer des sodann bestimmungsgemäß auf dem Basisfahrzeug aufbauenden Fahrzeugs die Verantwortung dafür, dass das Basisfahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im EU-​Binnenmarkt in den Verkehr gebracht wird (vgl. EuGH, Urteil vom 21. März 2023, aaO, Rn. 81 f.).

[28] Angesichts dessen besteht weder eine offensichtlich engere Verbindung mit der Italienischen Republik, in der die Beklagte die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt haben mag (Art. 4 Abs. 3 Rom-​II-​VO), noch erscheint es angemessen, die italienischen Vorschriften über die Erteilung der Übereinstimmungsbescheinigung heranzuziehen (vgl. Art. 17 Rom-​II-​VO). Denn mit der Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung für das Basisfahrzeug war es für die Beklagte vorhersehbar, dass diese in einem anderen Mitgliedstaat des EU-​Binnenmarktes Verwendung finden würde; dies ist genau ihr Zweck. Dann aber muss der Hersteller des Basisfahrzeugs sein Verhalten an den - ebenso wie die entsprechenden italienischen Vorschriften - unionsrechtlich determinierten Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-​FGV messen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2023 - VIa ZR 1425/22 (IPRspr 2023-27), VersR 2024, 1306 Rn. 18). Mit Blick auf die angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sieht der Senat keinen Anlass zu einem Vorabentscheidungsersuchen zur Frage des anwendbaren Sachrechts. Etwaige andere nach Art. 4 Abs. 3 Rom-​II-​VO erhebliche Umstände, aus denen sich eine offensichtlich engere Verbindung der unerlaubten Handlung mit einem anderen Staat ergeben könnte, sind bislang nicht festgestellt.

[29] b) ...



Fundstellen

Volltext

Link, BGH (bundesgerichtshof.de)
Link, openJur
Link, BMJ (rechtsprechung-im-internet.de)

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-289

Lizenz

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