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Verfahrensgang

OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 14.08.2024 – 20 W 135/24, IPRspr 2024-132

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Zuständigkeit in Erbsachen
Erbrecht → Nachlassabwicklung

Leitsatz

Die Zuständigkeitsregelungen der EuErbVO, also die Art. 4 ff. EuErbVO und damit auch Art. 10 EuErbVO, gehen dem nationalen Recht vor, so dass die internationale Zuständigkeit grundsätzlich nicht mehr nach § 105 FamFG i.V.m. §§ 343 f. FamFG bestimmt werden kann.

Dabei steht Art. 21 Abs. 1 EuErbVO, nach dem die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates unterliegt, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, der Anordnung einer Nachlasspflegschaft durch ein deutsches Gericht unter Anwendung von § 1960 BGB nicht entgegen, denn Maßnahmen der Nachlasssicherung - wie die Anordnung einer Nachlasspflegschaft gem. §§ 1960, 1961 BGB - sind als verfahrensrechtliche Befugnisse zu qualifizieren, die auch im Falle eines ausländischen Erbstatuts bestehen und durch ein deutsches Gericht als Teil der lex fori ausgeübt werden dürfen (Anschluss u.a. an OLG Köln, Beschluss vom 9.12.2020 - I-​2 Wx 293/20 (IPRspr 2020-50)).

Das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit eines Gerichts ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in jeder Lage des Verfahrens und damit auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

BGB § 1960; BGB § 1961
EuErbVO 650/2012 Art. 4 ff.; EuErbVO 650/2012 Art. 10; EuErbVO 650/2012 Art. 11; EuErbVO 650/2012 Art. 19; EuErbVO 650/2012 Art. 21
FamFG § 58; FamFG § 63; FamFG § 64; FamFG § 105; FamFG §§ 343 f.

Sachverhalt

X (nachfolgend nur bezeichnet als: der Erblasser) war zum Zeitpunkt seines Todes (ausschließlich) Staatsbürger der Vereinigten Staaten von Amerika. Spätestens ein halbes Jahr nach dem Tod seiner deutschen Ehefrau am XX.XX.2015, mit der der Erblasser zuvor dauerhaft in Deutschland in der zum Nachlass gehörenden Eigentumswohnung in Stadt2, Straße2, gewohnt hatte, hat er nach den Darlegungen des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1 bis 3 (nachfolgend nur bezeichnet als: der Verfahrensbevollmächtigte) in dessen Schriftsatz an den Senat vom 13.08.2024 seinen dauernden und auch letzten gewöhnlichen Aufenthalt in die USA zurückverlegt (letzter dortiger gewöhnlicher Aufenthalt an seinem Wohnort in Stadt3, Bundesstaat1). Die frühere Ehewohnung soll der Erblasser nachfolgend nur noch als Übernachtungsmöglichkeit für gelegentliche Besuche in Deutschland genutzt haben. Ein Testament des Erblassers ist nicht zu den Nachlassakten gelangt. Unter Anwendung von gesetzlicher Erbfolge hat das Nachlassgericht auf den entsprechenden Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 vom 11.12.2023 am 26.03.2024 einen gemeinschaftlichen Teil-​Erbschein erteilt, der die Beteiligten zu 1 bis 3 jeweils mit einem Anteil von 1/6 als Erben des Erblassers ausweist. Bei diesen Beteiligten handelt es sich um Verwandte der mütterlichen Seite des Erblassers.

Bei Stellung des Erbscheinsantrags hat die Beteiligte zu 1 angeregt, für die väterliche Seite eine Nachlasspflegschaft über 1/2 des Nachlasses anzuordnen. Die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts hat daraufhin mit Beschluss vom selben Tag Nachlasspflegschaft angeordnet. Mit Schriftsatz an das Nachlassgericht vom 05.01.2024 hat der Verfahrensbevollmächtigte für die Beteiligten zu 1 bis 3 Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt. In einem „Nichtabhilfevermerk“ vom 28.06.2024 hat die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts der Beschwerde nicht abgeholfen und hat anschließend die Akte dem Senat zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 bis 3 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 3, 64 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 3 u. 4 FamFG) ...

[3]2. ... 3. ... a. ... b. Der angefochtene Beschluss des Nachlassgerichts vom 11.12.2023 ist außerdem dahingehend neu zu fassen, dass der in ihm unter Buchstabe a. angegebene Wirkungskreis sich auf die Sicherung und Verwaltung des in Deutschland befindlichen Nachlasses beschränkt ...

[4]Die internationale Zuständigkeit des Nachlassgerichts ergibt sich vorliegend aus Art. 10 Abs. 2 EuErbVO.

[5]Danach sind die Gerichte des Mitgliedstaats der EuErbVO, in dem sich Nachlassvermögen befindet - hier also in Deutschland -, für Entscheidungen über dieses Nachlassvermögen zuständig, wenn kein Gericht in einem Mitgliedstaat nach § 10 Abs. 1 EuErbVO zuständig ist. Letzteres ist vorliegend der Fall: Der Erblasser hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in den Vereinigten Staaten von Amerika, also einem Drittstaat. Dann würde eine Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 a) EuErbVO nur bestehen, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats besessen hätte, in dem sich Nachlassvermögen befindet. Dies ist vorliegend bei dem Erblasser als zum Todeszeitpunkt ausschließlich US-​amerikanischem Staatsbürger nicht der Fall. Eine Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 b) EuErbVO würde dann bestehen, wenn der Erblasser seinen vorhergehenden gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat gehabt hätte, in dem sich das Nachlassvermögen befindet und wenn die Änderung seines gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts - hier also im Dezember 2023 - nicht länger als fünf Jahre zurückgelegen hätte. Auch dies ist hier nicht der Fall, nachdem der Erblasser bereits Ende 2015 seinen gewöhnlichen Aufenthalt von Deutschland in die Vereinigten Staaten von Amerika verlegt hat.

[6]Die Zuständigkeitsregelungen der EuErbVO, also die § 4 ff. EuErbVO und damit auch § 10 EuErbVO, sind vorliegend auch anwendbar; sie gehen dem nationalen Recht vor, so dass die internationale Zuständigkeit grundsätzlich nicht mehr nach § 105 FamFG i. V. m. §§ 343 f. FamFG bestimmt werden kann. Dass die Zuständigkeitsregelungen der EuErbVO nicht für Sicherungsmaßnahmen - also etwa auch die Anordnung einer Nachlasspflegschaft - gelten würden, lässt sich aus der EuErbVO nicht belegen; insbesondere spricht Art. 19 EuErbVO, der ausdrücklich einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen vorsieht, gegen eine solche Interpretation. Dabei steht Art. 21 Abs. 1 EuErbVO, nach dem die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates unterliegt, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, der Anordnung einer Nachlasspflegschaft durch ein deutsches Gericht unter Anwendung von § 1960 BGB nicht entgegen, denn Maßnahmen der Nachlasssicherung - wie die Anordnung einer Nachlasspflegschaft gem. §§ 1960, 1961 BGB - sind als verfahrensrechtliche Befugnisse zu qualifizieren, die auch im Falle eines ausländischen Erbstatuts bestehen und durch ein deutsches Gericht als Teil der lex fori ausgeübt werden dürfen (vgl. im Einzelnen Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 09.12.2020, Az. I-​2 Wx 293/20 (IPRspr 2020-50), m. w. N., im Fall eines deutschen Erblassers mit in Deutschland befindlichem Vermögen und letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Brasilien (also einem Drittstaatsbezug wie auch im vorliegenden Fall) und Oberlandesgericht München, Beschluss vom 12.06.2024, Az. 33 Wx 270/23 e (IPRspr 2024-62), das ebenfalls Art. 10, 11 EuErbVO im Rahmen eines Drittstaatsbezugs (dort Vatikanstaat) als Prüfungsnormen für die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts zur Anordnung einer Nachlasspflegschaft herangezogen hat, jeweils zitiert nach juris; vgl. auch Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 07.04.2022, Az. C-​645/20, der dort Art. 10 Abs. 1 a) EuErbVO in Erbsachen bei einem gewöhnlichen Aufenthalt eines Erblassers im Zeitpunkt seines Todes in einem nicht durch die EuErbVO gebundenen Staat als Prüfungsmaßstab herangezogen hat - dort ging es im Ausgangsverfahren um die Anordnung einer Nachlassverwaltung in Frankreich bei letztem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in Großbritannien -, zitiert nach beck-​online; Dutta in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2024, Art. 19 EuErbVO Rn. 3, m. w. N., auch zur teilweisen a. A. in der Lit., nach der grds. auf das Erbstatut abzustellen sei, zitiert nach beck-​online; Eichel in jurisPK-​BGB, Stand 01.07.2023, Art. 19 EuErbVO Rn. 11, zitiert nach juris; Leipold in Münchener Kommentar zum BGB, a. a. O., § 1960 BGB Rn. 5 bis 9).

[7]Da sich die internationale Zuständigkeit des Nachlassgerichts also aus Art. 10 Abs. 2 EuErbVO ergibt, besteht eine solche - wie oben bereits dargelegt - nur für Entscheidungen über das in Deutschland befindliche Vermögen. Dass dies in dem angefochtenen Beschluss des Nachlassgerichts, der sich zu dieser Frage nicht konkret verhält, Berücksichtigung gefunden hätte, ist nicht zu erkennen. Daher bedarf es insoweit - von Amts wegen - ebenfalls einer entsprechenden Neufassung des in Buchstabe a. des angefochtenen Beschlusses bestimmten Wirkungskreises des Beteiligten zu 4.

[8]4. ...

Fundstellen

LS und Gründe

Juris-Permalink, https://www.juris.de/perma?d=NJRE001591713
BeckRS, 2024, 31451

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-132

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