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Verfahrensgang

AG Aachen, Beschl. vom 22.10.2020 – 700H VI 1942/18
OLG Köln, Beschl. vom 09.12.2020 – 2 Wx 293/20, IPRspr 2020-50

Rechtsgebiete

Erbrecht → Nachlassabwicklung
Freiwillige Gerichtsbarkeit → Nachlasssachen

Leitsatz

Deutsche Gerichte sind international für die Anordnung der Nachlasspflegschaft für in Deutschland befindliche Vermögenswerte eines mit letztem gewöhnlichen Aufenthaltsort im Ausland verstorbenen Erblassers zuständig.

Die Anordnung und die Überwachung der Nachlasspflegschaft richtet sich nach deutschen Sachvorschriften, auch wenn auf die Erbfolge ausländisches Recht Anwendung findet.

Rechtsnormen

BGB §§ 1960 f.; BGB § 1961
EuErbVO 650/2012 Art. 10; EuErbVO 650/2012 Art. 21; EuErbVO 650/2012 Art. 29; EuErbVO 650/2012 Art. 34

Sachverhalt

Mit Schriftsatz vom 25.7.2018 hat Frau A die Anordnung einer Nachlasspflegschaft gem. § 1961 BGB beantragt, um einen Löschungsanspruch bezüglich im Grundbuch eingetragener Rechte des Erblassers geltend zu machen. Sie hat vorgetragen, dass die Erben unbekannt seien. Durch Beschluss vom 30.7.2018 hat das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft angeordnet und den Beteiligten als Nachlasspfleger mit den Wirkungskreisen der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses, der Ermittlung der Erben und der Vertretung der unbekannten Erben im Löschungsverfahren des Amtsgerichts Aachen betreffend das Grundbuch von B bestellt.

Nachdem der Beteiligte die Löschungsbewilligung in öffentlich beglaubigter Form am 23.1.2019 mit Zustimmung des bestellten Verfahrenspflegers erklärt hat, hat das Nachlassgericht durch Beschluss vom 7.2.2019 die Erklärungen des Beteiligten nachlassgerichtlich genehmigt. Anschließend ist die Löschung der Rechte des Erblassers im Grundbuch erfolgt. Am 2.7.2019 hat der Beteiligte ein Nachlassverzeichnis vorgelegt. Am 23.4.2020 hat das Nachlassgericht den Beteiligten aufgefordert, eine Rechnungslegung mit den Originalbelegen einzureichen, die Vergütung anzumelden und anschließend den Restnachlass beim Amtsgericht zu hinterlegen. Mit Schreiben vom 9.9.2020 hat das Nachlassgericht an die Verfügung vom 23.4.2020 erinnert, eine Frist bis zum 16.10.2020 gesetzt und die Festsetzung eines Zwangsgeldes angedroht. Durch Beschluss vom 22.10.2020 hat das Nachlassgericht ein Zwangsgeld gegen den Beteiligten festgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte sofortige Beschwerde eingelegt. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. …

[2]In der Sache hat die sofortige Beschwerde indes keinen Erfolg. Das Nachlassgericht hat zu Recht ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR gegen den Beteiligten festgesetzt.

[3]Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Anordnung der Nachlasspflegschaft und Aufsichtsmaßnahmen gegenüber dem Nachlasspfleger ergibt sich hier gem. Art. 10 Abs. 1 Ziff. a) EuErbVO. Der Erblasser hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes in Brasilien, d.h. nicht in einem Mitgliedsstaat der EuErbVO. Es befindet sich Vermögen des Erblassers in Deutschland und der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger.

[4]Die Festsetzung des Zwangsgeldes richtet sich nach deutschen Sachvorschriften. Zwar ist hier gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO auf die Erbfolge grundsätzlich brasilianisches Recht anzuwenden, weil der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Brasilien hatte und eine Rück- oder Weiterverweisung gem. Art. 34 EuErbVO im Hinblick auf die Wohnsitzanknüpfung im brasilianischen Recht nicht in Betracht kommt. Maßnahmen der Nachlasssicherung wie die Anordnung einer Nachlasspflegschaft gem. §§ 1960, 1961 BGB sind indes als verfahrensrechtliche Befugnisse zu qualifizieren, die auch im Falle eines ausländischen Erbstatuts bestehen und durch ein deutsches Gericht als Teil der lex fori ausgeübt werden dürfen (MüKo-BGB/Dutta, 8. Aufl. 2020, EuErbVO, Art. 19 Rn. 3; Zimmermann, Rpfleger 2017, 2, 3). Dies gilt für die Festsetzung eines Zwangsgeldes wegen einer unterbliebenen Rechnungslegung im Rahmen einer auf Antrag angeordneten Nachlasspflegschaft im Sinne von § 1961 BGB gem. Art. 29 Abs. 1, Abs. 3 EuErbVO jedenfalls dann, wenn - wie hier - das auf die Erbfolge anzuwendende Recht das Recht eines Drittstaates ist (MüKo-BGB/Dutta, 8. Aufl. 2020, EuErbVO, Art. 29 Rn. 16; Dutta/Weber/Magnus, Internationales Erbrecht, 2016, EuErbVO, Art. 29 Rn. 6, 45).

[5]...

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2021, 551
FGPrax, 2021, 87
JR, 2021, 233
JurBüro, 2021, 103
Rpfleger, 2021, 233
ZEV, 2021, 95
IPRax, 2022, 385

Bericht

Burandt, FuR, 2021, 227

Aufsatz

Wiedemann, IPRax, 2022, 356

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-50

Lizenz

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