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Verfahrensgang

LG Münster, Zwischenurt. vom 12.04.2024 – 4 O 82/23, IPRspr 2024-112
OLG Hamm, Beschl. vom 13.08.2024 – 34 U 58/24

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand
Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Macht der Kläger aus abgetretenem Recht eine deliktische Haftung eines Online-Glücksspielanbieters geltend, besteht gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO die Zuständigkeit deutscher Gerichte, sofern der Zedent seinen Wohnsitz im Inland hat. Dort wird sich regelmäßig der Schadenserfolg verwirklicht haben.

Erfüllungsort eines Online-Glücksspielvertrags i.S.d. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist regelmäßig der Ort der Erbringung der Dienstleistung, demnach der Sitz des Anbieters. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 6; EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 18; EuGVVO 1215/2012 Art. 19; EuGVVO 1215/2012 Art. 21; EuGVVO 1215/2012 Art. 24; EuGVVO 1215/2012 Art. 25
GlüStV § 4
Rom I-VO 593/2008 Art. 4
StGB § 284
ZPO § 12; ZPO § 17; ZPO § 29; ZPO § 32; ZPO § 280

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Ansprüche aus abgetretenem Recht. Inhaltlich geht es um die Teilnahme an Online-​Glücksspielen durch den T. (im Folgenden: Zedent). Dieser hat mit der Klägerin mit Sitz in der Schweiz über etwaige Ansprüche aus Teilnahmen an Online-​Glücksspielen für den Zeitraum xx.xx.2019 bis xx.xx.2021 eine Abtretungsvereinbarung geschlossen, deren Wirksamkeit streitig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Das Gericht hat zunächst ein Zwischenurteil im Sinne von § 280 ZPO erlassen, um aus prozessökonomischen Gründen die Frage der gerügten Zuständigkeit vorab zu klären. Dabei ist ein solches Zwischenurteil auch dann möglich, wenn - wie hier - zuvor keine ausdrückliche Anordnung der abgesonderten Verhandlung ergangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.03.1994, III ZR 60/93; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.07.2012, 9 U 204/11).

[2]Das angerufene Landgericht Münster ist international, örtlich und sachlich zuständig.

[3]Die Klägerin stützt ihre Ansprüche u.a. auf Deliktsrecht.

[4]Für die gegen die Beklagten 1) - 4) gerichteten und auf unerlaubter Handlung gestützten Ansprüche ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Denn die schlüssig dargelegten deliktischen Ansprüche stellen Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dar, wobei der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs dieser Ansprüche im Bezirk des erkennenden Gerichts liegt. Dies reicht zur Begründung einer hiesigen Zuständigkeit aus, da zwischen dem Ort des ursächlichen Geschehens und der Verwirklichung des Schadenserfolgs ein Wahlrecht besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 15.07.2021, C-​30/20) ...

[5]Diese schlüssig dargelegten deliktischen Ansprüche stellen Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Sinne des autonom auszulegenden Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dar, da der geltend gemachte Anspruch auf einem Verstoß gegen gesetzliche Verpflichtungen beruht und es nicht unerlässlich erscheint, den Vertragsinhalt zu prüfen, um zu beurteilen, ob das vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.2020, C-​59/19).

[6]Die Klägerin hat auch schlüssig dargelegt, dass jedenfalls der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Bezirk des erkennenden Gerichts liegt. Zwar wenden die Beklagten ein, dass nach der Rechtsprechung des EuGH zumindest nicht allein aufgrund des Eintretens eines Vermögensschadens die gerichtliche Zuständigkeit beim Wohnsitz der Geschädigten begründet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 28.01.2015, C-​375/13). Eine Zuständigkeit am Wohnort besteht aber, wenn dieser tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist (EuGH, a.a.O.). Dies ist nach dem schlüssigen klägerischen Vortrag vorliegend der Fall. Dafür spricht schon, dass § 4 Abs.1 S.2, Abs. 4 GlüStV (a.F. und n.F.) sowie § 284 StGB nicht allgemein verbieten, organisatorische und technische Maßnahmen zur Ermöglichung von Online-​Glücksspiel außerhalb Deutschlands vorzunehmen. Verboten ist vielmehr, gerade die Nutzung dieses Online-​Glücksspiels in Deutschland zu ermöglichen. Die Klägerin hat dargelegt, dass der Zedent das Glücksspiel an seinem Wohnsitz in Rheine im Bezirk des erkennenden Gerichts genutzt hat. Entsprechend hat sich der Erfolg in Rheine verwirklicht, da erst durch die Ermöglichung der Nutzung des Online-​Glücksspiels in Deutschland überhaupt die schlüssig dargelegte Verletzung eines Schutzgesetzes vorliegt. Zudem hat der Zedent nach dem schlüssigen Klägervortrag bereits einen Vermögensschaden im hiesigen Gerichtsbezirk erlitten, weil er die Überweisungen von seiner Wohnung aus veranlasst, wodurch auf dem von ihm in Deutschland geführten Bankkonto unmittelbar ein Vermögensschaden eingetreten ist. Es ist unerheblich, dass ggf. bis zum endgültigen Verlust erst ein Zwischenschritt in Form der Buchung auf ein Nutzerkonto erforderlich war, denn bei Überweisungen ist bereits die erste Überweisung nach außen an Dritte maßgeblich (vgl. Mankowski, Anmerkung zu EuGH (Zweite Kammer), Urteil vom 16.06.2016 - C-​12/15, EuZW 2016, 583).

[7]Entsprechend der obigen Ausführungen zu den Beklagten 1) - 4) ist das erkennende Gericht auch für die gegen die Beklagte 5) gerichteten Ansprüche aus unerlaubter Handlung international zuständig, wobei sich diese Zuständigkeit aus § 32 ZPO ergibt. Die internationale (und örtliche) Zuständigkeit richtet sich insoweit nach der ZPO, da seit dem Wirksamwerden des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU Gibraltar nicht mehr als Mitgliedsstaat der EU anzusehen ist. Auf die vorstehenden Ausführungen zum Erfolgsort kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden. Dies ist ausreichend, da § 32 ZPO dem Kläger ein Wahlrecht zwischen dem Handlungsort und dem Erfolgsort eröffnet (BGH, Urteil vom 28.02.1996, XII ZR 181/93 (IPRspr. 1996 Nr. 142)).

[8]Allerdings weist das Gericht die Klägerin bereits jetzt darauf hin, dass keine Zuständigkeit besteht, soweit Ansprüche aus unerlaubter Handlung gemacht werden.

[9]Eine solche Zuständigkeit ergibt sich bezüglich der Beklagten 1) - 4) insbesondere nicht aus Art. 7 Nr. 1 EUGVVO. Zwar unterfallen Art. 7 Nr. 1 EUGVVO auch geltend gemachte Rückabwicklungsansprüchen bei Vertragsnichtigkeit, die sich aus Vertrag oder ungerechtfertigter Bereicherung ergeben (vgl. Dörner in Saenger, Zivilprozessordnung, 10. Auflage 2023, Rn. 8 zu Art. 7 EUGVVO). Jedoch handelt es sich bei einem Glücksspielvertrag um einen Dienstleistungsvertrag für den die Sonderregeln des Buchstaben b) gelten und bei dem ein einheitlicher Gerichtsstand nach dem Erfüllungsort begründet wird. Dieser wiederum bestimmt sich im Zweifel nach dem Schwerpunkt der Leistungserbringung. Wegen der faktischen Konkretisierung des Erfüllungsortes durch den Ort der Erbringung der Dienstleistung kommt es auf den Tätigkeitsschwerpunkt an, der auch bei Online-​Dienstleistungen in Parallele zu Art. 4 Abs. 1 b) Rom I-​VO grundsätzlich am Sitz des Dienstleisters zu lokalisieren ist (vgl. OLG Stuttgart, EuGH-​Vorlage vom 15.01.2021, 5 U 11/20 (IPRspr 2021-342)). Auf den streitigen Ort des Standortes der Server kommt es danach nicht an.

[10]Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.04.2024 aus einer Verfügung des OLG Celle zitiert hat, resultiert daraus kein weiterer Erkenntniswert, weil in der Verfügung auf den maßgeblichen Art. 7 Nr. 1 b) EuGVVO gar nicht eingegangen wird.

[11]Eine etwaige Gerichtsstandsvereinbarung zwischen dem Zedenten und den Beklagten kann im Hinblick auf Art. 25 Abs. 4, Art. 19 EuGVVO keine Wirkung entfalten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Beklagte auf die Unwirksamkeit beruft, weil die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit unabhängig von Einwendungen der Parteien zu berücksichtigen sind.

[12]Auch soweit sich die gegen die Beklagte zu 5) Ansprüche aus Bereicherungsrecht geltend gemacht werden, liegt keine internationale Zuständigkeit vor.

[13]Gemäß Art. 6 Abs. 1 EuGVVO bestimmt sich die internationale Zuständigkeit mangels Anwendbarkeit der Art. 18, 21, 24, 25 EuGVVO nach deutschem Recht. Danach ergibt sich weder aus § 29 Abs. 1 ZPO noch aus §§ 12, 17 ZPO ein Gerichtsstand innerhalb Deutschlands. Für §§ 12, 17 ZPO ist das im Hinblick auf den Sitz der Beklagten 5) evident. Hinsichtlich § 29 ZPO gilt bei Geldschulden der Sitz des Schuldners als der den Gerichtsstand begründende Erfüllungsort (vgl. Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, Rn. 25 zu § 29).

Fundstellen

LS und Gründe

Juris-Permalink, https://www.juris.de/perma?d=NJRE001587727
BeckRS, 2024, 21808

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-112

Lizenz

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