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Verfahrensgang

BFH, Beschl. vom 08.01.2019 – II B 62/18, IPRspr 2019-15

Rechtsgebiete

Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Eine im Inland weder als Kapital- noch als Personengesellschaft rechtsfähige Briefkastengesellschaft kann nicht Anteile an einer grundbesitzenden Personengesellschaft erwerben.

Die Rechtsfähigkeit einer im Ausland gegründeten Kapitalgesellschaft beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht am Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes (sogenannte Sitztheorie).

Abweichend davon richtet sich die Rechtsfähigkeit nach der sogenannten Gründungstheorie, wenn eine Gesellschaft in einem Vertragsstaat der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraums oder in einem mit diesen aufgrund Staatsvertrags in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat nach dessen Vorschrift wirksam gegründet ist.

Kommt einer Kapitalgesellschaft nach Maßgabe der Sitztheorie keine Rechtsfähigkeit zu, kann sie dennoch als Personengesellschaft rechtsfähig sein, wenn sie mehr als einen Gesellschafter besitzt.

Rechtsnormen

AEUV Art. 54; AEUV Art. 198; AEUV Art. 199
FGO § 69
GrEStG § 1

Sachverhalt

Die ASt. ist eine KG mit Grundbesitz im Freistaat Sachsen. Komplementärin ist eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) G, die mittlerweile als GmbH eingetragen und deren Geschäftsführer X ist; Kommanditist war zunächst nur X mit einer Einlage von ... €. Mit Vertrag vom 16.1.2013 setzte X seinen Kommanditanteil auf ... € herab, während die S als Kommanditistin eintrat. Mit weiterem – bisher nicht aktenkundigen – Vertrag vom 19.2.2013 erhöhte S ihren Kommanditanteil auf ... €, eingetragen im Handelsregister am 6.3.2013. Ausweislich der Anmeldung zum Handelsregister war die S am 10.8.2011 nach dem International Business Companies Act der Republik Seychellen (Seychellen) gegründet worden. Ihre Alleingesellschafterin war in der Zeit vom 1.2.2013 bis 30.7.2015 die C mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln. X hatte in Zypern mit der C eine Vereinbarung abgeschlossen, derzufolge die C den Geschäftsanteil an der S treuhänderisch für X hielt. Die Generalstaatsanwaltschaft führt gegen X ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung durch. Im September 2017 hatte das AG ... einen Untersuchungshaftbefehl erlassen. Der Haftbefehl stützt sich auf Vorgänge im Zusammenhang mit der S und der C.

Im Jahre 2015 wurde dem AGg. (FA) angezeigt, dass X seinen Wohnsitz sowie die ASt. und die G ihre Geschäftsleitung nach Deutschland in den Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Y verlegt hätten. Das FA erließ im Februar 2017 den streitgegenständlichen Bescheid, mit dem es sinngemäß feststellte, dass durch die Erhöhung des Kommanditanteils vom Februar/März 2013 unmittelbar bzw. mittelbar Anteile der grundbesitzenden ASt. übergegangen seien und hierdurch ein Erwerbsvorgang nach § 1 IIa des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) verwirklicht worden sei. Über den Einspruch ist nach Aktenlage noch nicht entschieden. Das Lagefinanzamt hat einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den März 2013 erlassen. Das FA ... hat einen Bescheid über Grunderwerbsteuer erlassen und betreibt die Vollstreckung.

Der Antrag der ASt. auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids vom 13.2.2017 blieb sowohl beim FA als auch beim FG erfolglos. Die ASt. beantragt, den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 19.2.2017 ab Wirksamkeit und ohne Sicherheitsleistungen bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung auszusetzen bzw. die Vollziehung aufzuheben. Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und schließt sich der Auffassung des FG an. Auf den Hinweis des Senats, dass Bedenken an der Rechtsfähigkeit der S bestünden, ist das FA dem entgegengetreten und hat einen Datenbankauszug vorgelegt, demzufolge die S im August 2011 gegründet worden sei, noch bestehe und über eine Anschrift auf den Seychellen verfüge.

Aus den Entscheidungsgründen:

II. [17] Die Beschwerde ist begründet. Bei der im Verfahren über die Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids i.S.d. § 69 III 1 i.V.m. II 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

[18] 1. ... [19] a) ... [20] b) ... [21] c) ... [22] aa) ...[23] bb) Gesellschafter einer Personengesellschaft kann auch eine ausländische Kapitalgesellschaft sein. Diese wird grunderwerbsteuerrechtlich nicht anders behandelt als eine inländische Kapitalgesellschaft (ausdrücklich für den Fall des Anteilserwerbs BFH, Urt. vom 2.8.2006 – II R 23/05, BFH/NV 2006, 2306, unter II.2.). Dies setzt aber voraus, dass das als ausländische Kapitalgesellschaft und damit als ausländische juristische Person auftretende Gebilde tatsächlich rechtsfähig ist. Fehlt es daran, ist im Einzelfall zu prüfen, welche zivilrechtlichen Folgen sich hieraus für Rechtsgeschäfte mit der Scheingesellschaft ergeben.

[24] Jedenfalls kann ein nicht rechtsfähiges Gebilde nicht Rechtsträger und deshalb auch nicht Gesellschafter einer Personengesellschaft i.S.d. § 1 IIa GrEStG sein.

[25] cc) Die Frage, ob eine im Ausland gegründete juristische Person rechtsfähig ist, beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht, das am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt (sog. Sitztheorie, vgl. BFH, Beschl. vom 12.6.1995 – II S 9/95 (IPRspr. 1995 Nr. 20), BFHE 177, 347, BStBl II 1995, 605, unter II.2.c).

[26] aaa) Abweichend davon richtet sich die Frage der Rechtsfähigkeit nach der sog. Gründungstheorie, wenn eine Gesellschaft in einem Vertragsstaat der EU oder des EWR oder in einem mit diesen aufgrund Staatsvertrags in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat nach dessen Vorschriften wirksam gegründet ist. Diese ist in einem anderen Vertragsstaat auf der Grundlage der im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) garantierten Niederlassungsfreiheit (Art. 54 AEUV) unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (vgl. BGH, Urt. vom 13.3.2003 – VII ZR 370/98 (IPRspr. 2003 Nr. 13), BGHZ 154, 185; Urt. vom 13.4.2010 – 5 StR 428/09 (IPRspr 2010-19), DB 2010, 1581; BFH, Urt. vom 29.6.2016 – II R 14/12, BFH/NV 2017, 1, m.w.N.).

[27] bbb) Für Gesellschaften außerhalb des geschilderten Raums bleibt es bei der Sitztheorie (im Einzelnen Palandt-Thorn, BGB, 77. Aufl. [2017], Anh. EGBGB 12 Rz. 10–13). Haben Kapitalgesellschaften, die nach ausländischem Recht gegründet wurden, ihren Sitz im Inland, können sie im Regelfall mangels Einhaltung der inländischen Gründungsvorschriften für Kapitalgesellschaften nicht als solche betrachtet werden. Damit entfällt die Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaft und ist auf die hinter ihr stehenden Gesellschafter zurückzugreifen. Folgerichtig kommt in einem solchen Fall die Behandlung als rechtsfähige Personengesellschaft in Betracht (vgl. BGH, Urt. vom 1.7.2002 – II ZR 380/00 (IPRspr. 2002 Nr. 18), BGHZ 151, 204, unter II.1.; Urt. vom 27.10.2008 – II ZR 158/06 (IPRspr 2008-11) ‚Trabrennbahn’, BGHZ 178, 192, unter I.1.c). Dies wiederum setzt voraus, dass die Gesellschaft mehr als einen Gesellschafter hat, denn eine Einmann-Personengesellschaft existiert im deutschen Recht nicht (grundlegend für die GbR Palandt-Sprau aaO § 705 Rz. 1). Hat mithin die ausländische Kapitalgesellschaft lediglich einen Gesellschafter, tritt dieser an die Stelle der Personengesellschaft. Damit entfällt die Möglichkeit, in der Gesellschaft ein rechtsfähiges Gebilde zu sehen. Maßgebender Rechtsträger ist der Gesellschafter allein.

[28] 2. ... [30] a) ... [31] aa) Die Rechtsfähigkeit der S beurteilt sich nach dem Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes und nicht nach ihrem Gründungsstatut. S wurde nach Aktenlage nach dem Recht der Seychellen gegründet, die weder Vertragsstaat der EU noch des EWR noch hins. der Niederlassungsfreiheit gleichgestellt ist. Aus dem Umstand, dass die C als ihre Alleingesellschafterin – wenn auch in Treuhand für X – ihren Sitz augenscheinlich auf den im Wege der Assoziierung nach Art. 198, 199 Nr. 5, Anh. II AEUV in den Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit einbezogenen Britischen Jungferninseln hatte und mutmaßlich auch nach dem dortigen Recht gegründet wurde, folgt in diesem Zusammenhang schon deshalb nichts Gegenteiliges, weil nicht das Gesellschaftsstatut der Gesellschafterin C, sondern das der Gesellschaft S selbst maßgebend ist. Aus demselben Grunde kommt es erst recht nicht darauf an, dass der Vertreter der C auf dem zur EU gehörenden Zypern ansässig gewesen sein soll.

[32] bb) Der tatsächliche Verwaltungssitz der S könnte sich in Deutschland befunden haben. Der Haftbefehl geht davon aus, dass S mangels Personals, Geschäftsräumen, eigener Geschäftsausstattung oder Teilnahme am Marktgeschehen weder auf den Seychellen noch auf Zypern irgendeine Form von Geschäftstätigkeit ausgeübt habe und X sowohl kraft Vollmacht als auch tatsächlich die Geschäftsführung bestimmt habe. X war in Deutschland ansässig.

Fundstellen

LS und Gründe

BFH/NV, 2019, 293
DNotZ, 2019, 788
DStRK, 2019, 92
GmbHR, 2019, 304

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2019-15

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