Für die Anwendung des österreichischen Rechtes bedarf es keiner Beweisaufnahme. Bei Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung und klaren Rechtsnormen sind die Anforderungen an die richterliche Ermittlungspflicht nicht besonders hoch.
Der unfallbedingte Erwerbsschaden ist auch nach österreichischem Recht zu ersetzen.
Auch bei materiell-rechtlicher Anwendung ausländischen Rechts richtet sich das Beweismaß (§§ 286, 287 ZPO) nach deutschem Prozessrecht.
Nach § 7 EKHG i.V.m. § 1304 ABGB ist eine verhältnismäßige Kürzung des Schadensersatzes möglich, wenn der Geschädigte schuldhaft den bereits entstandenen Schaden nicht möglichst geringgehalten hat. Diese Regelung entspricht dem deutschen § 254 II BGB. [LS von der Redaktion neu gefasst]
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Verdienstausfallentschädigung für den Zeitraum vom 16.08.2007 bis 31.12.2011 nach einem Verkehrsunfall, der sich am 15.8.2007 im Kosovo ereignet hat. Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in Österreich. Der Kläger, geboren 1970 im Kosovo, ist gelernter Elektroschweißer. Nachdem er bereits im Jahr 1992 als Flüchtling in die Bundesrepublik Deutschland gekommen war, übernahm er ab November 1993 zunächst verschiedene Aushilfstätigkeiten und war von Juni 1998 bis Mai 2000 als Angestellter im Bau- und Industriedienstleistungsbereich tätig. In der Zeit von Juni 2000 bis Mitte Januar 2002 war er arbeitslos. Ab dem 15.1.2002 machte er sich als Bau- und Industriedienstleister selbständig. Gegenstand seines Betriebes war die Installation von Planen und Netzen an Gerüsten und Gebäuden, wobei er als Subunternehmer hauptsächlich (> 80%) für die Fa. E. GmbH in H. tätig war. Daneben verrichtete er auch Aufgaben der Objektbetreuung (u.a. Garten- und Reinigungsarbeiten) für die Fa. G. in H.. Seit Februar 2002 beschäftigte er zunächst zwei Aushilfen, anschließend hatte er auch mehrere Festangestellte. Seit 2005 war der Kläger selbst überwiegend nur verwaltend tätig. Am 15.08.2007, während der Kläger Urlaub im Kosovo machte, kam es zu einem Verkehrsunfall auf einer zweispurigen Straße. Das Fahrzeug des Klägers kollidierte mit einem bei der Beklagten versicherten UNO-Fahrzeug Toyota Runner. Das klägerische Fahrzeug wurde dabei gegen ein anderes Fahrzeug geschleudert, in dem Kinder saßen. Durch den Unfall erlitt der Kläger unstreitig eine leichte Zerrung der Halswirbelsäule, eine Prellung der rechten Schulter, eine leichte Knieprellung und eine leichte Schädelprellung.
Nach der Erstversorgung im Kosovo stellte sich der Kläger eine Woche später bei seinem Hausarzt Dr. H. vor, der am 23.08.2007 Schlafstörungen und eine somatisierte Depression, am 30.08.2007 eine reaktive Depression und für den 12.09.2007 eine posttraumatische Belastungsreaktion diagnostizierte. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger insbesondere psychische (Dauer-)Schäden nach dem Unfall davongetragen hat. Der Hausarzt Dr. H. verwies den Kläger an die Neurologin Dr. B., die unter dem 30.08.2007 einen episodischen Spannungskopfschmerz, eine posttraumatische Belastungsstörung und wegen der angegebenen Sensibilitätsstörung den Verdacht auf eine dissoziative Störung diagnostizierte und eine medikamentöse Behandlung (Amitryptylin) sowie die Wiedervorstellung nach 3 Wochen empfahl. Dieser Empfehlung kam der Kläger jedoch nicht nach, u.a. weil ihm damals das Krankheitsverständnis für die aufgetretenen psychischen Beschwerden fehlte. Stattdessen versuchte der Kläger sich selber zu therapieren, indem er sich u.a. Antidepressiva auf dem Schwarzmarkt besorgte. Im Laufe des Prozesses konnte nicht geklärt werden, um welche konkreten Medikamente es sich dabei handelte. Gegenüber dem Gerichtsgutachter Dr. K. gab er an, es habe sich wohl um zwei Präparate gehandelt, die er sich selbständig über Apotheken oder inoffiziell über den Hausarzt besorgt habe. Wegen seiner physischen Schulterbeschwerden erhält der Kläger seit 2007 Krankengymnastik, zunächst erhielt er auch Spritzen gegen Schmerzen, später dann Schmerztabletten. Außerdem stellte er sich am 25.01.2008 und am 27.08.2008 bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. Bl. wegen Schulter- und Knieschmerzen sowie HWS- und Kopfschmerzen vor, der ein posttraumatisches Impingement-Syndrom rechts, eine posttraumatische Bicepssehnentendintis rechts, eine posttraumatisch aktivierte AC-Gelenkarthrose rechts, einen posttraumatischen Reizzustand in beiden Kniegelenken und einen Zustand nach HWS-Distorsion diagnostizierte. Zwischenzeitlich stellte sich der Kläger am 28.04.2008 wegen seiner rechten Schulter auch bei dem Orthopäden Dr. M. vor. Am 22.04.2009 operierte Dr. Bl. die rechte Schulter des Klägers. Seit der Operation sind die Schulterbeschwerden besser geworden, es verbleiben jedoch Bewegungseinschränkungen. Der Kläger kann den rechten Arm nur etwa bis Schulterhöhe heben. Am 01.02.2016 erlitt der Kläger einen Bandscheibenvorfall. Weihnachten 2010 kam es bei dem Kläger zu einem psychischen Zusammenbruch. Seit dem 17.02.2011 befindet er sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. wegen einer Anpassungsstörung. Seit dem Verkehrsunfall vom 15.08.2007 geht der Kläger keiner beruflichen Tätigkeit mehr nach. Ein Wiedereingliederungsversuch im Jahr 2008 scheiterte. Nach eigenen Angaben konnte der Kläger damals nur insgesamt 28 abrechenbare Arbeitsstunden in Eigenleistung für sein Unternehmen erbringen.
Im Jahr 2009 beantragte der Kläger erstmals sog. Entgeltersatzleistungen und erhielt von der KK N. für den Zeitraum 16.04.2009 bis 30.11.2009 insgesamt ... € und für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis zum 13.10.2010 insgesamt ... € an Krankengeld zzgl. entsprechender Zahlungen auf die Renten-/Arbeitslosen-/Pflegeversicherung ausgezahlt. Ab Juli 2011 erhielt der Kläger ... € Arbeitslosengeld pro Monat, ab Oktober 2011 ... € und ab Januar 2012 ... €. Weiter erhielt der Kläger wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls aus zwei Unfallversicherungen jeweils Einmalzahlungen in unbekannter Höhe.
In einem Parallelverfahren vor dem Bezirksgericht Wien (Az.
[1]II.
[2]Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise auch begründet.
[3]Der Kläger kann für den Zeitraum 16.08.2007 bis 31.8.2010 Ersatz seines Verdienstausfalls verlangen. Für den darüberhinausgehenden Zeitraum ist die Klage abzuweisen.
[4]Die Beklagte hat nach österreichischem Recht dem Grunde nach zu 100% für den hier streitgegenständlichen unfallbedingten Verdienstausfallschaden einzustehen. Insoweit wird auf den Inhalt des rechtskräftigen Grundurteils des Senats vom 14.09.2017 (
[5]Für die Anwendung des österreichischen Rechtes bedarf es hier keiner Beweisaufnahme. Eine solche wäre nur dann erforderlich, wenn das in Österreich geltende Recht dem Gericht unbekannt wäre (§ 293 S. 1 ZPO). Der Senat hat im pflichtgemäßen Ermessen alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen (insbesondere juristische Datenbanken und Kommentare) genutzt, um das hier maßgebliche Recht zu ermitteln. Bei Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung und klaren Rechtsnormen sind die Anforderungen an die richterliche Ermittlungspflicht insoweit nicht besonders hoch. Die Einholung eines gesonderten Sachverständigengutachtens zum österreichischen Recht hält der Senat nicht für erforderlich.
[6]Gemäß §§ 1, 13 Nr. 2 des österreichischen EKHG ist im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit durch einen Unfall der Vermögensnachteil zu ersetzen, den der Verletzte dadurch erleidet, dass seine Erwerbsfähigkeit zeitweise oder dauernd aufgehoben oder gemindert ist. Voraussetzung ist deshalb eine unfallkausale physische oder psychische Verletzung, die eine Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit verursacht hat. Die österreichische Gefährdungshaftung knüpft an den erlaubten Betrieb einer besonders gefährlichen Sache (hier eines Kraftfahrzeugs) an; sie setzt weder Rechtswidrigkeit noch Verschulden voraus (MüKoStVR/Neumayr, 1. Aufl. 2019, Österreich Rn. 51, beck-online). Das ABGB (österreichisches BGB) geht von einem weiten Schadensbegriff aus und definiert den Schaden als „jeden Nachteil, welcher jemanden an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist“ (§ 1293 S. 1 ABGB). Sowohl beim vertraglichen als auch beim deliktischen Schadenersatz kommt der Ersatz von Nachteilen an geldwerten Gütern (Vermögensschäden) und Nichtvermögensschäden (immaterielle oder ideelle Schäden) in Betracht.
[7]In Österreich ist das Beweisrecht - anders als im deutschen Recht - dem materiellen Recht zuzuordnen (§§ 1296-1299 ABGB). Wenn ein deutsches Gericht somit bei einem Verkehrsunfall österreichisches Recht anzuwenden hat, sind auch die österreichischen Beweisregeln und die dazu ergangene Judikatur anwenden (MüKoStVR/Wittwer, 1. Aufl. 2019, Österreich Rn. 538, beck-online). Im Bereich der Gefährdungshaftung (EKHG) hat der Geschädigte den Schaden und dessen Höhe sowie den Kausalzusammenhang zu beweisen.Den Kausalzusammenhang muss er zumindest wahrscheinlich machen (streitig ist, welcher Grad an Wahrscheinlichkeit insoweit genügt). Gelingt dem Geschädigten dies, hat der Schädiger besondere Arten der Kausalität zu beweisen, die ihn entlasten können (MüKoStVR/Wittwer, 1. Aufl. 2019, Österreich Rn. 540, beck-online).Ursächlich für ein bestimmtes Ereignis im Sinne einer „natürlichen“ Kausalität ist jeder Umstand, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Geschehensablauf ein anderer gewesen wäre (OGH Österreich, Beschluss vom 24.06.2019,
[8]Das Landgericht ist hier nicht von einem falschen Beweismaß ausgegangen, sondern hat zu Recht angenommen, dass es von den als unfallursächlich behaupteten Primärverletzungen des Klägers richterlich voll überzeugt sein muss (§ 286 ZPO). Das gesamte deutsche Prozessrecht ist auch dann anwendbar ist, wenn sich die materiell-rechtlichen Beziehungen nach ausländischem Recht (hier österreichischem Recht) richten. Denn die deutschen Gerichte wenden in den vor ihnen anhängigen Verfahren nur deutsches Verfahrensrecht an (BGH Urteil vom 27.4.1977,
[9]1. ... 3. Unterbrechung der Kausalkette (überholende Kausalität)
[10]In der Nichtbehandlung des Klägers trotz von ihm erkannter PTBS in der Zeit vom 20.08.2007 bis 17.02.2011 (Erstdiagnose der Neurologin Dr. B. am 30.8.2007 und Bestätigung durch den Hausarzt Dr. H. am 12.09.2007 bis zur erstmaligen ambulanten Behandlung durch die Neurologin Dr. T.) könnte eine Unterbrechung der Kausalkette liegen. Eine Zurechnung des Schadens kann entfallen, wenn die Schadensfolge auf einen selbständigen Willensentschluss des Geschädigten zurückzuführen ist, die nicht durch den haftungsbegründenden Vorgang herausgefordert wurde (vgl. MüKoStVR, Österreich Rn. 41, zitiert nach Beck-online). Ein Fall der überholenden Kausalität liegt vor, wenn die Beeinträchtigung auch ohne das schädigende Ereignis bzw. den Unfall gleichermaßen eingetreten wäre, wofür allerdings die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. OGH Österreich, Beschluss vom 24.06.2019,
[11]Unstreitig hat sich der Kläger in der Zeit 9/2007 bis 2/2011 einer Selbstmedikation unterzogen, eine psychotherapeutische Behandlung abgelehnt und die bereits bei der Neurologin Dr. B. zeitnah eingeleitete psychiatrische Behandlung im September 2007 abgebrochen. Der Sachverständige Dr. K. hat dazu in seinem Gutachten ausgeführt, dass er die Frage, ob die Selbstmedikation die nachfolgende Chronifizierung der psychischen Beeinträchtigungen verursacht oder mitverursacht hat, nicht sicher beantworten könne, weil nicht bekannt sei, welche Substanzen der Kläger tatsächlich eingenommen habe. Jede Aussage dazu sei deshalb spekulativ. Ein positiver Einfluss auf die Behandlung der sekundären Depression könne im Fall einer adäquaten und kontinuierlichen Einnahme von wirksamen Antidepressiva lediglich nicht ausgeschlossen werden.
[12]Eine Begehrensneurose mit Anhaltspunkten für eine Aggravation oder Simulation konnten beide psychiatrischen Gerichtsgutachter bei dem Kläger nicht feststellen, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt keine Unterbrechung des Kausalverlaufs festzustellen ist.
[13]4. Mitverschulden (§ 1304 ABGB)
[14]a) Nach § 7 EKHG i.V.m. § 1304 ABGB ist eine verhältnismäßige Kürzung des Schadensersatzes möglich, wenn der Geschädigte schuldhaft den bereits entstandenen Schaden nicht möglichst geringgehalten hat (MüKoStVR, 1. Aufl. 2019, Rn. 520, Beck-online). Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist anzunehmen, wenn der Geschädigte eine zumutbare Heilbehandlung verweigert oder ärztliche Anweisungen schuldhaft nicht befolgt (MüKoStVR, 1. Aufl. 2019, Rn. 521 m.w.N., Beck-online). Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht liegt nur dann nicht vor, wenn der Geschädigte seiner durch den Unfall und dessen Folgen ausgelösten oder begünstigten psychotischen Verhaltensweise nicht wirksam begegnen kann (OGH, Urteil v. 24.6.2019, Az.: 2Ob221/18s, bei Lexis Nexis Rn. 4.2 m.w.N.).
[15]Das österreichische Recht entspricht damit im Wesentlichen dem deutschen Recht (vgl. § 254 Abs. 2 BGB). Zum Mitverschulden hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 21.9.2021,
[16]Hier hat die Beklagte einen Verstoß des Klägers gegen seine v.g. Schadensminderungsverpflichtung dargelegt und nachgewiesen. Der Kläger hat unstreitig die bereits zeitnah bei der Neurologin Dr. B. begonnene psychiatrische Behandlung im September 2007 abgebrochen. Die Diagnose „PTBS“ war ihm sowohl durch die Behandlung bei seinem Hausarzt Dr. H. (vgl. Patientendokumentation v. 12.9.2007) als auch durch die Behandlung bei der Neurologin Dr. B. vom 30.8.2007 (vgl. Arztbrief vom 05.09.2007) bekannt. Da die Behandlung ihm ärztlich durch Dr. B. ausdrücklich angeraten worden war (Wiedervorstellung in 3 Wochen) hat er den Abbruch auch selbst verschuldet. Grund für die Behandlungsverzögerung war - so der Sachverständige Dr. K. - das fehlende Krankheitsverständnis des Klägers im Hinblick auf psychische Beschwerden sowie sein „Selbstbild eines starken Mannes“, das möglicherweise kulturell bedingt ist. Beides sind Umstände, die zwar nachvollziehbar sind, aber das Verhalten des Klägers nicht entschuldigen können. Auch im Termin am 25.2.2025 hat der Sachverständige nochmals bestätigt, dass selbst die offene Ablehnung einer angebotenen Psychotherapie durch den PTBS-Patienten keinen Grund darstellt, die mit Schlüsselgrad A empfohlene „frühzeitige traumafokussierte Psychotherapie“ hinauszuzögern oder überhaupt nicht durchzuführen. Selbst bei einer zunächst offenen Ablehnung des Therapieangebots durch den Patienten komme es auf die Kunst und das Talent der Therapeuten an, den Patienten von der Notwendigkeit einer Therapie bzw. ihrer Fortsetzung zu überzeugen. Nach einer ersten Phase des Kennenlernens sei es erfahrungsgemäß auch in solchen Fällen durchaus möglich, dass der Patient gleichwohl in der zweiten Phase über das Trauma zu sprechen beginne. Diese Aussage wird bezüglich des Klägers durch das o.g. Schreiben seiner Therapeutin Dr. T. vom 09.12.2011 eindrucksvoll bestätigt.
[17]Der Einwand des Klägers, die damals durchgeführte Verdrängungsstrategie und Selbstmedikation seien probate Behandlungsmittel gewesen, jedenfalls läge insoweit kein Verschulden vor, ist unbegründet. Die behandelnde Fachärztin Dr. B. hat den Kläger ausdrücklich auf die Wiedervorstellung in 3 Wochen hingewiesen. Soweit der Kläger erstmals im zweiten Rechtszug behauptet, sein Hausarzt Dr. H. habe damals (2007) wegen seiner Persönlichkeitsstruktur die zeitnahe Durchführung einer ambulanten Psychotherapie zunächst nicht für erforderlich gehalten, wird dieser Vortrag gemäß §§ 729, 731 ZPO als verspätet zurückgewiesen. Die Beklagte hat diese (neue) Behauptung ausdrücklich bestritten und erklärt, dass das Gegenteil der Fall gewesen sei (... auch Dr. H. habe dem Kläger damals eine ambulante psychiatrische Behandlung empfohlen). Dafür spricht der Umstand, dass der Kläger tatsächlich schon am 30.08.2007 die psychiatrische Behandlung bei der Neurologin Dr. B. begonnen hat. Die Persönlichkeitsstruktur des Klägers (u.a. „starker Mann“) wäre kein Hindernis für die Durchführung einer traumafokussierten Psychotherapie gewesen, da sie - so der Sachverständige Dr. K. in seinem Ergänzungsgutachten vom 12.2.2025 - nicht starr und unveränderbar gewesen sei. Die Therapie hätte vielmehr unterstützend gewirkt, die belastenden Erlebnisse erfolgreich zu verarbeiten und damit einer depressiven Entwicklung entgegen gewirkt.
[18]Der Sachverständige Dr. K. hat zudem mit seinem Ergänzungsgutachten vom 10.02.2025 darauf hingewiesen, dass die sog. S3-Leitlinie der Gesellschaft für Psychotraumatologie eine klare evidenzbasierte Schlüsselempfehlung (Empfehlungsgrad A) enthält. Danach sei die traumafokussierte Psychotherapie die erste Wahl bei der Behandlung einer PTBS. Diese Therapie werde von speziell ausgebildeten Therapeuten durchgeführt. Die traumafokussierten Therapien stellen darauf ab, mittels Konfrontation mit der Erinnerung an das Trauma eine Integration des Erlebten unter geschützten therapeutischen Bedingungen zu erreichen. Zu diesen Therapien zählten z.B. die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT) oder die eye-movement desensitation and reprocessing Technik (EMDR). Über die psychotherapeutische Grundausbildung hinaus setze die Anwendung dieser traumafokussierten Therapien eine spezialisierte Zusatzausbildung voraus. Die von dem Kläger eingewandte „Vermeidungsstrategie“ könne zwar kurzfristig negative Symptome/Emotionen verhindern, mittel- und langfristig führe dies aber zur Aufrechterhaltung von Vermeidungsverhalten und damit zur Entwicklung einer depressiven Symptomatik. Dies hat der Krankheitsverlauf beim Kläger eindrucksvoll bestätigt.
[19]Soweit der Kläger sein Verhalten als adäquate und zum Selbstschutz zulässige „Vermeidungsstrategie“ bezeichnet hat und dazu auf entsprechende Gutachten des Psychiaters Dr. AS vom 28.08.2022 und 29.03.2023 in dem Rechtsstreit LG M. (Az.
[20]b) Die Verletzung der Schadensminderungspflicht ist für die Entstehung der psychischen Sekundärschäden (Depression F 33.0 und Chronifizierung von Depression und PTBS) kausal gewesen. Hierfür genügt das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO, das heißt zur Überzeugungsbildung reicht die hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit (BGH, Urteil vom 29.01.2019,
[21]Während der im ersten Rechtszug tätige Sachverständige Dr. Bi. dazu keine klare Aussage treffen konnte, hat der Sachverständige Dr. K. nachvollziehbar ausgeführt, dass eine rechtzeitig eingeleitete ambulante Psychotherapie bei dem Kläger „sehr wahrscheinlich“ eine Heilung oder zumindest wesentliche Besserung seiner psychiatrischen Beschwerden herbeigeführt hätte. Dies hat er bei seiner ergänzenden Anhörung am 25.02.2025 auf Nachfrage des Klägervertreters nochmal ausdrücklich bestätigt und insoweit sogar von einer „sehr hohen Wahrscheinlichkeit“ gesprochen. Für diese günstige Prognose sprächen viele Faktoren (Typ-1-Trauma, d.h. kurzeitiges plötzliches und einmaliges Ereignis; keine psychiatrischen Vorerkrankungen, gutes soziales Netz). Die Chronifizierung der psychischen Beeinträchtigungen sei durch die verzögerte Aufnahme einer psychiatrischen Behandlung begünstigt worden. Dieser überzeugenden medizinischen Bewertung schließt sich der Senat an.
[22]Bei einer PTBS wird als „Behandlung erster Wahl“ (AWMF S3-Leitlinie 155-001 Posttraumatische Belastungsstörung, 2019, S. 24) eine traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie empfohlen (vgl. Möhlenkamp, VersR 2025, 1, 13). Dies hat der Sachverständige Dr. K. bestätigt und ausgeführt, dass zur Behandlung der PTBS bei dem Kläger schon frühzeitig nach dem Unfall im Jahr 2007 eine traumafokussierte ambulante Psychotherapie indiziert gewesen sei. Dabei handele es sich um eine Therapieform, bei der der Schwerpunkt auf der Verarbeitung der Erinnerung an das traumatische Ereignis und seiner Bedeutung liege. Der typische zeitliche Rahmen für eine solche Behandlung umfasse 1 bis 2 Jahre. Unterstützend (adjuvant) könnten dabei auch Antidepressiva oder niederpotente Antipsychotika zur Linderung der Symptome zum Einsatz kommen. Die vorgenannte Therapie sei - so der Sachverständige Dr. K. - gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden. Zwar sei auch bei der gebotenen Behandlung eine Chronifizierung der PTBS nicht völlig ausgeschlossen, bei dem Kläger seien jedoch viele günstige Faktoren vorhanden, die die Prognose einer Heilung oder zumindest wesentlichen Besserung der Beschwerdesymptomatik sehr wahrscheinlich gemacht hätten. Das besondere Risiko einer Retraumatisierung bei Durchführung einer regelkonformen traumafokussierten Psychotherapie sieht der Sachverständige nicht, weil der Patient im Rahmen der Therapie nicht sofort mit dem Trauma konfrontiert werde, sondern diese Konfrontation in einem geschützten Rahmen geschieht und in mehreren Phasen abläuft.
[23]Der Sachverständige Dr. K. hat in diesem Zusammenhang jedoch auch darauf hingewiesen, dass eine besondere Schwierigkeit in der begrenzten Verfügbarkeit ambulanter Therapieplätze mit ggf. langen Wartezeiten bestand. Dieser Umstand ist bei der Prognose, ab wann mit einer Besserung/Heilung der unfallbedingten psychischen Beeinträchtigungen zu rechnen gewesen wäre, mit zu berücksichtigen. Im Rahmen seiner mündlichen Ergänzungen vom 25.02.2025 hat der Sachverständige Dr. K. ausgeführt, dass bei dem Kläger ganz sicher auch eine klassische ambulante Psychotherapie ausgereicht hätte. Psychotherapeuten ohne eine entsprechende Spezialausbildung für die traumafokussierte Therapie seien nämlich ebenfalls in der Lage, entsprechende Traumata zu behandeln. Es hänge - so der Sachverständige - von mehreren Faktoren ab (u.a. Wohnort, Therapeutendichte, Motivation des Patienten), wie lange es dauern würde, bis ein Proband einen entsprechenden Psychotherapieplatz bekäme. Nach den Erfahrungen des Sachverständigen würden in H. in der Regel 4-6 Monate ausreichen, um einen Platz für eine ambulante klassische Psychotherapie zu bekommen. Auch Patienten aus Schleswig-Holstein könnten in H. einen Platz für eine ambulante psychotherapeutische Behandlung bekommen.
[24]Da es hier auf den Zeitpunkt Herbst 2007 (ab September 2007) ankommt und nach dem Eindruck des Sachverständigen die Versorgung mit Therapieangeboten in den letzten Jahren eher besser geworden ist, geht der Senat zugunsten des Klägers davon aus, dass er spätestens 1 Jahr nach der Erstdiagnose einen entsprechenden Therapieplatz bekommen hätte. Die Erstdiagnose PTBS hat die behandelnde Neurologin Dr. B. bereits am 30.08.2007 gestellt.
[25]Soweit das Landgericht in dem angefochtenen Urteil von einer Gesamt-Therapiezeit von 1 1/2 Jahren ausgegangen ist (erstmalige Diagnose durch den Hausarzt Dr. H. am 12.09.2007 zuzüglich 1 1/2 Jahre = 15.02.2009), ist der Zeitraum, bis höchstwahrscheinlich (bei Durchführung der empfohlenen Therapie) mit einer Heilung oder wesentlichen Besserung der psychischen Beschwerden zu rechnen gewesen wäre, entsprechend zu verlängern.
[26]Während der erstinstanzlich tätige Sachverständige Dr. Bi. noch davon ausging, dass der Kläger bei entsprechender Teilnahme und Anstrengung der Psychotherapie innerhalb eines Zeitraumes von 18 Monaten wieder arbeitsfähig gewesen wäre, hat der im zweiten Rechtszug tätige Sachverständige Dr. K. die Therapiezeit auf 1 bis 2 Jahre geschätzt. Hinzuzurechnen wäre die Wartezeit auf einen Therapieplatz, die der Senat auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. hier zugunsten des Klägers auf maximal 1 Jahr schätzt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre deshalb erst ab dem 01.09.2010 mit einer Heilung bzw. wesentlichen Besserung der psychischen Beschwerden zu rechnen gewesen. Nach den Feststellungen des Senats ist danach davon auszugehen, dass der Kläger bei entsprechender Durchführung einer ambulanten Psychotherapie innerhalb eines Zeitraumes von 3 Jahren nach der Erstdiagnose wieder arbeitsfähig gewesen wäre.
[27]5. Schadenshöhe
[28]Der Verdienstausfallschaden nach § 13 EKHG ist grundsätzlich konkret nach der Differenzmethode zu bemessen (MüKoStVR, 1. Aufl. 2019, Rn. 366, zitiert nach Beck-online). Hierfür ist die Differenz zwischen dem tatsächlichen Einkommen des Geschädigten nach der Verletzung und dem Einkommen, welches ohne die Verletzung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge erzielt worden wäre, zu ermitteln, wobei die Beweislast beim Geschädigten liegt (MüKoStVR, 1. Aufl. 2019, Rn. 366, zitiert nach Beck-online, m.w.N.). Dabei kommen dem Geschädigten die Darlegungs- und Beweiserleichterungen nach § 287 ZPO zugute. Diese Erleichterungen ändern nichts daran, dass es im Rahmen der Ermittlung des Erwerbsschadens nach § 287 ZPO konkreter Anknüpfungstatsachen bedarf, die der Geschädigte darlegen und zur Überzeugung des Gerichts nachweisen muss. Dabei ist in der Regel an die Geschäftsentwicklung und die Geschäftsergebnisse in den letzten Jahren vor dem Unfall anzuknüpfen (vgl. BGH, Urteil vom 19.09.2017 -
[29]Die vom Kläger behauptete und mit der Berufung ausdrücklich nochmals geltende gemachte Gewinnsteigerung von jährlich 5% hat das Landgericht zu Recht abgelehnt. Eine weitere Erhöhung des Gewinns unter Hinweis auf die kontinuierliche Umsatz- und Gewinnsteigerung ab 2007 ist nicht gerechtfertigt. Zwar ist es dem Geschädigten unbenommen nachzuweisen, dass sich der entgangene Verdienst nach dem Unfall noch weiter erhöht hätte (OLG Celle, Urteil vom 18.09.
[30]Die Höhe des dem Kläger zustehenden unfallbedingten Verdienstausfalls errechnet sich demnach für den Zeitraum vom 15.08.2007 (Unfallzeitpunkt) bis zum 31.8.2010 (sehr wahrscheinliche Heilung oder wesentliche Besserung) wie folgt: ...
[31]Gesamt: ... €
[32]Abzüglich bereits zuerkannter und gezahlter ... € verbleibt ein restlicher Verdienstausfallschaden in Höhe von noch ... €.
[33]Hiervon abzuziehen sind die kongruenten Entgeltersatzleistungen der Sozial- und Krankenkassen in dem Zeitraum vom Unfalltag bis zum 01.09.2010. Unstreitig erhielt der Kläger anrechenbares Krankengeld von der KK N. in Höhe von insgesamt netto ... € (bis 11/09 insgesamt ... €; bis 13.10.2010 insgesamt ... €). Soweit der Kläger ab Juli 2011 Arbeitslosengeld erhalten hat, ist dies für die Berechnung des Verdienstausfallschadens für den o.g. Zeitraum unerheblich.
[34]Damit errechnet sich ein restlicher Verdienstausfallschaden in Höhe von noch ... € (... € ./. Krankengeld ... €).
[35]Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
[36]...