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Verfahrensgang

LG Lübeck, Urt. vom 28.02.2025 – 15 O 125/23, IPRspr 2025-65

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand
Vertragliche Schuldverhältnisse → Verbraucherrecht
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigte Bereicherung
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Bietet ein im Ausland ansässiges Glücksspielunternehmen über eine Website virtuelle Glücksspiele an, so kann gem. Art. 1718 EuGVVO die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts gegeben sein, wenn der Teilnehmer ein in Deutschland wohnender Verbraucher ist. In diesem Fall findet gem. Art. 6 Rom I‑VO deutsches Recht Anwendung. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 812; BGB § 817
EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18; EuGVVO 1215/2012 Art. 26
EUGVVO 44/2001 Art. 15
Rom I-VO 593/2008 Art. 6; Rom I-VO 593/2008 Art. 10; Rom I-VO 593/2008 Art. 12
Rom II-VO 864/2007 Art. 4; Rom II-VO 864/2007 Art. 10

Sachverhalt

Die Beklagte, ein in Malta ansässiges Unternehmen, betrieb Online-​Glücksspiele, die sie auf ihrer deutschsprachigen Internetdomain xxx anbietet. Sie verfügt hinsichtlich ihres Online-​Dienstleistungsangebotes über eine maltesische EU-​Lizenz der Malta Gaming Authority (MGA). Über eine deutsche Online-​Glücksspiellizenz oder über eine Lizenz im Bundesland der Klagepartei (Schleswig-​Holstein) verfügte die Beklagte im streitgegenständlichen Spielzeitraum unstreitig nicht. Die Klägerseite nahm im Zeitraum vom 26.11.2018 bis 20.12.2021 auf der von der Beklagten betriebenen Website von Deutschland aus an Online-​Glücksspielen teil. Sie hat dabei Spieleinsätze in Höhe von insgesamt ... Euro eingebracht. Dem standen Auszahlungen von ... Euro entgegen. Den Differenzbetrag von ... Euro begehrt sie nunmehr klageweise. Die Zahlungen erfolgten jeweils sowohl über den Personalcomputer als auch das Smartphone aus der Wohnung der Klägerseite heraus. Die Abbuchungen erfolgten sodann über das in Deutschland geführte Giro- und Kreditkartenkonto der Klägerseite.

Die Klagepartei beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von € ... nebst Zinsen zu zahlen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

[2]I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Lübeck international, örtlich und sachlich zuständig.

[3]1. Die internationale und örtliche Zuständigkeit folgen aus Art. 17 Abs. 1 lit. c, 18 Abs. 1 EuGVVO bzw. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.

[4]Danach kann der Verbraucher Klage vor dem Gericht seines Wohnsitzes wegen Streitigkeiten aus einem Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag erheben, wenn der Vertragspartner in dem Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedsstaat ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Ein ausländischer Anbieter muss selbst seine Tätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers zur Zeit des Vertragsschlusses ausgerichtet haben, sich also generell um Kunden in dem betreffenden Mitgliedsstaat bemüht haben (MüKoZPO/Gottwald, 6. Auflage 2022, Brüssel Ia-​VO, Art. 17 Rn 9). Der Wille, mit Kunden eines Staates Geschäfte schließen zu wollen, ergibt sich aus direkten Länderangaben, dem Auftrag an einen Internetreferenzdienst, der Verwendung eines nationalen Domainnamens („com“ oder „eu“), einer Anfahrtbeschreibung aus bestimmten Mitgliedsstaaten, der Werbung mit Bewertungen von Kunden aus bestimmten Mitgliedsstaaten, aber auch aus der verwendeten Sprache und der zugelassenen Währung (MüKoZPO/Gottwald, a.a.O., Rn 11).

[5]Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Beklagte bot unstreitig auf der deutschsprachigen Internetdomain https://mrplay.com ihre Online-​Dienste an und hat damit zum Ausdruck gebracht, gezielt deutsche Kunden anzuwerben (vgl. auch OLG Köln, Urt. v. 31.10.2022, Az. 19 U 51/22 (IPRspr 2022-280), juris, Rn 43).

[6]Die Klagepartei hat auch als Verbraucher gehandelt. Die Verbrauchereigenschaft nach Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ist anzunehmen, wenn Verfahrensgegenstand ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag bildet, den eine Person zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Verbraucher in umfangreichen Maße Online-​Glücksspiel betreibt. So führt der EuGH in seiner Entscheidung vom 10.12.2020, Az. C-​774/19 dazu ausdrücklich aus:

[7]„Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass eine natürliche Person mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, die zum einen mit einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft einen Vertrag zu den von dieser Gesellschaft festgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschlossen hat, um online Poker zu spielen, und zum anderen eine solche Tätigkeit weder amtlich angemeldet noch Dritten als kostenpflichtige Dienstleistung angeboten hat, nicht ihre Eigenschaft als „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung verliert, selbst wenn sie täglich viele Stunden an diesem Spiel teilnimmt und dabei erhebliche Gewinne erzielt.“

[8]Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Beklagte ist dem Vortrag der Klägerseite, sie habe lediglich in seiner Freizeitgestaltung und damit zu privaten Zwecken gespielt, nicht in substantiierter Weise entgegengetreten, wenn sie behauptet, dass die streitgegenständlichen Umsätze zeigen würden, dass die Klagepartei nicht nur gelegentlich sondern in erheblichem Umfang spiele und davon auszugehen sei, dass die Klagepartei auch noch auf anderen Plattformen in ähnlichem Umfang tätig sei. Dieser Vortrag ist rein spekulativ und daher ohne prozessuale Bedeutung.

[9]Hinsichtlich der geltend gemachten deliktischen Ansprüche ist zudem der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO eröffnet. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Das schädigende Ereignis im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (BeckOK/Thode, ZPO, 44. Ed. 01.12.2023, Brüssel Ia-​VO Art. 7 Rn 82). Hinsichtlich des Vortrages des Klägers zu der von seinem Wohnort in xxx getätigten Teilnahme an den streitgegenständlichen Online-​Glücksspielen, stellt dieser sowohl den Ort der schädigenden Handlung, nämlich die Zahlungen der Einsätze seitens der Klagepartei an die Beklagte, als auch denjenigen der Verwirklichung des Schadenserfolges dar.

[10]Zudem ist die internationale Zuständigkeit hier auch durch rügelose Einlassung der Beklagten gemäß Art. 26 Abs. 1 S. 1 EuGVVO begründet (Musielak/Voit/Stadler/Krüger, EuGVVO, 20. Auflage 2023, Art. 26 Rn 1).

[11]2. ... II. ... 1. Gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-​VO findet auf vertragliche Ansprüche der Klägerseite gegen die Beklagte deutsches Recht Anwendung. Die Klägerseite ist Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland und die Beklagte hat ihre Tätigkeit auf Deutschland ausgerichtet. Auch für Bereicherungsansprüche, die auf die Nichtigkeit eines Vertrags gestützt werden, wie hier der Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB, ist gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-​VO das Vertragsstatut maßgeblich. Über die Nichtigkeit des Vertrags entscheidet gem. Art. 10 Abs. 1 Rom I-​VO ebenfalls das Vertragsstatut. Auch der Anspruch aus § 817 S. 1 BGB knüpft an eine Leistung aufgrund eines (vermeintlichen) vertraglichen Verhältnisses der Parteien an und weist eine enge Verbindung hierzu auf, so dass gemäß Art. 10 Abs. 1 Rom II-​VO deutsches Recht anzuwenden ist.

[12]Auf das Rechtsverhältnis der Parteien ist zudem deutsches Deliktsrecht anwendbar. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-​VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Der Schaden ist hier bei der Klägerseite, also in Deutschland eingetreten. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 4 Abs. 3 Rom II-​VO, da auch aufgrund des zugrunde liegenden Vertrages eine enge Verbindung zu Deutschland besteht.

[13]2. ...

Fundstellen

Volltext

Link, Landesvorschriften und Landesrechtsprechung Schleswig-Holstein

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2025-65

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