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Verfahrensgang

AG Düsseldorf, Beschl. vom 22.09.2022 – 272 F 113/22
OLG Düsseldorf, Beschl. vom 04.09.2023 – 1 UF 133/22
BGH, Beschl. vom 17.04.2024 – XII ZB 454/23, IPRspr 2024-54

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung

Leitsatz

Eine nach ausländischem (hier: chinesischem) Recht geschlossene "Scheidungsfolgenvereinbarung" ist eine sonstige Familiensache i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG. Denn der Begriff der sonstigen Familiensache ist weit auszulegen. Hiervon erfasst sind solche Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Nähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen. Nach der typisierenden Einschätzung des Gesetzgebers eine größere Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand anzunehmen, wenn der Rechtsstreit durch die in § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG bezeichneten familienrechtlichen Verhältnisse nicht unwesentlich mitgeprägt ist. Diese Beurteilung ist unabhängig davon, an welchem Ort und unter der Geltung welcher Rechtsordnung die Ehe der am Rechtsstreit beteiligten Ehegatten beendet worden ist. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 1564
EheG 1980 (China) § 31; EheG 1980 (China) § 32
FamFG § 112; FamFG § 117; FamFG § 266
GG Art. 2
ZPO § 238; ZPO § 348; ZPO § 522; ZPO § 574

Sachverhalt

Die Beteiligten sind chinesische Staatsangehörige und haben im Jahr 1988 geheiratet. Die Antragstellerin hat vor dem Volksgericht des Bezirks C. der Stadt Peking die Scheidung der Ehe begehrt. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens haben die Beteiligten am 31. März 2018 eine „Scheidungsfolgenvereinbarung“ abgeschlossen, mit der sie Einverständnis über eine freiwillige Scheidung der Ehe erzielten und verschiedene Regelungen über die Verteilung von Vermögensgegenständen trafen. In diesem Zusammenhang vereinbarten die Beteiligten unter anderem, dass ein während der Ehezeit erworbenes und in Deutschland belegenes Hausgrundstück alleiniges Eigentum der Antragstellerin werden solle und der Antragsgegner nach der Scheidung „bei der Bearbeitung des Verfahrens über die Änderung des Eigentumsrechts unbedingt mitzuhelfen“ habe. Gestützt auf diese Regelung nimmt die Antragstellerin den Antragsgegner im vorliegenden Verfahren auf Herausgabe von Schlüsseln und Unterlagen für dieses Grundstück und auf Abgabe der Auflassungs- und Bewilligungserklärung in Anspruch.

Das von der Antragstellerin zunächst angerufene Landgericht hat sich mit Beschluss vom 16. April 2021 für funktionell unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht - Familiengericht - verwiesen. Das Amtsgericht hat den Antrag mit einem am 22. September 2022 verkündeten Beschluss unter Hinweis auf eine in der „Scheidungsfolgenvereinbarung“ enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung wegen internationaler Unzuständigkeit deutscher Gerichte als unzulässig „verworfen“. Gegen den amtsgerichtlichen Beschluss hat die Antragstellerin am 24. Oktober 2022 Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 6. Dezember 2022 hat das Oberlandesgericht die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass die Beschwerde bislang nicht begründet worden und angesichts der am 28. November 2022 (Montag) abgelaufenen Beschwerdebegründungsfrist beabsichtigt sei, das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen. Am 19. Dezember 2022 hat die Antragstellerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt und die Beschwerde begründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Beschwerde der Antragstellerin verworfen. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

Aus den Entscheidungsgründen:

B.

[6] Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

[7] Die nach §§ 112, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss die Antragstellerin weder in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihren sonstigen Verfahrensgrundrechten.

I. [8] ... II. [9] ... [10] 1. ... [11] a) Gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe betreffen, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a bis k ZPO genannten Sachgebiete, das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handelt.

[12] Mit § 266 FamFG hat der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert („Großes Familiengericht“). Damit sollten bestimmte Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Nähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen, ebenfalls Familiensachen werden. Ordnungskriterium ist dabei nach der Gesetzesbegründung allein die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Im Interesse aller Beteiligten soll es dem Familiengericht möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG muss ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen. Ein inhaltlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betrifft. Bei dieser Prüfung sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Verbindungen, sondern ist auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Februar 2024 - XII ZR 41/22 - zur Veröffentlichung bestimmt und vom 22. August 2018 - XII ZB 312/18 - FamRZ 2018, 1853 Rn. 11). Dabei ist im Hinblick auf die gewünschte möglichst umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte für die Beurteilung, ob ein Zusammenhang mit der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft besteht, generell ein großzügiger Maßstab anzulegen. Auszuscheiden sind nur die Fälle, in denen ein vorhandener familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet ist, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Februar 2024 - XII ZR 41/22 - zur Veröffentlichung bestimmt und vom 22. August 2018 - XII ZB 312/18 - FamRZ 2018, 1853 Rn. 13).

[13] b) Gemessen daran ist unter den hier obwaltenden Umständen (jedenfalls) vom Vorliegen einer sonstigen Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG auszugehen.

[14] aa) Das Verfahren steht nicht nur in einem zeitlichen Zusammenhang zu der in der Volksrepublik China betriebenen Ehescheidung. Auch inhaltlich stellt es sich unzweifelhaft als Begleiterscheinung der Beendigung der Ehe der Beteiligten dar. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Antragstellerin ihren Anspruch auf Übertragung des in Deutschland belegenen Grundstücks aus einer (Scheidungsfolgen-​) Vereinbarung herleitet, mit der die Beteiligten unter anderem ihre in der Ehezeit erworbenen Vermögenswerte auseinandergesetzt haben und die damit gerade auf die wirtschaftliche Entflechtung der Ehegatten nach Scheidung ihrer Ehe abzielt.

[15] bb) Das zieht die Rechtsbeschwerde nicht grundlegend in Zweifel. Sie macht vielmehr geltend, dass es für die Beurteilung der Frage, ob im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ein Zusammenhang mit der „Scheidung“ der Beteiligten bestehe, auf den Scheidungsbegriff nach deutschem Recht ankommen müsse. Die Ehe der Beteiligten sei in der Volksrepublik China indessen durch eine Scheidungsfolgenvereinbarung geschieden worden, und eine Scheidung durch Vertrag sei nach deutschem Recht, nach dem die Scheidung nur durch eine richterliche Entscheidung erfolgen könne (§ 1564 BGB), ausgeschlossen.

[16] Dieser Einwand greift nicht durch. Zwar kennt das für den vorliegenden Fall noch maßgebliche chinesische Ehegesetz vom 10. September 1980 in der Fassung vom 28. April 2001 (in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Heberer China aktuell 2001, 389, 390 ff.; im Folgenden: chinEheG) neben der gerichtlichen Scheidung nach [§] 32 chinEheG auf einseitigen Antrag eines Ehegatten beim Vorliegen bestimmter Scheidungsgründe auch die einvernehmliche Scheidung vor der Eheregisterbehörde nach [§] 31 chinEheG. Bei dieser wird auf übereinstimmenden Antrag der Ehegatten eine Scheidungsurkunde ausgestellt, wenn sich die Behörde von der Freiwilligkeit des Scheidungswunsches überzeugt hat und angemessene Maßnahmen hinsichtlich der Versorgung der Kinder und der Regelung der Vermögenswerte getroffen sind (vgl. auch Süß in Rieck/Lettmaier Ausländisches Familienrecht [Stand: Dezember 2023] Volksrepublik China Rn. 13). Selbst wenn die Ehe der Beteiligten nach dem Abschluss der im Rahmen der gerichtlichen Schlichtung zustande gekommenen „Scheidungsfolgenvereinbarung“ auf diese Weise vor der Eheregisterbehörde aufgelöst worden sein sollte, hätte dies jedoch auf die Anwendbarkeit von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG keinen Einfluss. Denn die Vorschrift verlangt nur generell einen Zusammenhang mit der Scheidung der Ehe, nicht mit der Scheidung der Ehe durch ein deutsches (oder ausländisches) Gericht. Nach der typisierenden Einschätzung des Gesetzgebers ist immer dann von einer größeren Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand auszugehen, wenn der Rechtsstreit durch die in § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG bezeichneten familienrechtlichen Verhältnisse - Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe - nicht unwesentlich mitgeprägt ist. Diese Beurteilung ist unabhängig davon, an welchem Ort und unter der Geltung welcher Rechtsordnung die Ehe der am Rechtsstreit beteiligten Ehegatten beendet worden ist.

[17] 2. ...

Fundstellen

Bericht

FamRB, 2024, 392
Maaß, NZFam, 2024, 854

LS und Gründe

FamRZ, 2024, 1381
FF, 2024, 358
MDR, 2024, 999
NJW-RR, 2024, 873

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-54

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