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Verfahrensgang

AG Laufen, Urt. vom 15.02.2024 – 2 C 473/22, IPRspr 2024-262

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Eine Klage des Geschädigten gegen den Versicherer über einen im Ausland (hier: Kroatien) geschehenen Verkehrsunfall begründet die Zuständigkeit deutscher Gerichte, wenn der Kläger im Inland seinen Wohnsitz hat, er einen Direktanspruch gegen den Versicherer geltend machen kann und der Versicherer seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vgl. Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 b) EuGVVO. In diesen Fällen ist gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO kroatisches Recht anzuwenden. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 11; EuGVVO 1215/2012 Art. 13
Kfz-Haftpflicht-RL 2009/103/EG Art. 18
PflichtVG (Kroatien) Art. 11
Rom II-VO 864/2007 Art. 4
ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 29; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 183; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1072; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1085; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1089; ZOO 35/05 (Kroatien) Art. 1090

Sachverhalt

Am 06.08.2022 gegen 11:40 Uhr wurde der klägerische Pkw bei einem Auffahrunfall auf einer kroatischen Insel von dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw mit dem kroatischen Kennzeichen beschädigt. Die Beklagte haftet zu 100%.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn ... € und die vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. ... € jeweils nebst Zinsen zu zahlen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]A. Die Klage ist zulässig und weitestgehend begründet.

[2]I. Die Klage ist zulässig.

[3]Insbesondere ist das Amtsgericht Laufen örtlich und international zuständig. Der EuGH hat aufgrund des Vorabentscheidungsverfahrens des BGH vom 26.09.2006 (NJW 2007, 71 (IPRspr 2006-107b)) mit Urteil vom 13.12.2007 (NJW 2008, 819) entschieden, dass die Verweisung in Art. 13 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 11 Abs. 1b EuGVVO dahin auszulegen ist, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedsstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern er einen Direktanspruch gegen den Versicherer geltend machen kann und der Versicherer seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. Damit wird nicht nur die internationale, sondern auch die (nationale) örtliche Zuständigkeit für die Klage begründet. In der ZPO ist ein entsprechender örtlicher Gerichtsstand nicht vorgesehen. Soweit die EuGVVO jedoch auch die örtliche Zuständigkeit regelt, ist sie vorrangig gegenüber dem nationalen Zivilprozessrecht (BGH a.a.O.; Thomas/Putzo, ZPO, Art. 5 EuGVVO Rn 1). Aufgrund Art. 18 der Kodifizierten KH-Richtlinie (2009/103/EU vom 16.09.2009) besteht in allen EU-Staaten ein Direktanspruch gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer.

[4]II. Die Klage ist auch weit überwiegend begründet.

[5]1. Es findet gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II VO kroatisches materielles Schadensrecht Anwendung.

[6]2. Unstreitig haftet die Beklagte dem Grunde nach für die aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall entstandenen Schäden des Klägers zu 100 %.

[7]3. ... 4. Der Kläger hat einen Direktanspruch gegen die Beklagte auf Ersatz von... € aus Art. 1072 Abs. 1 des kroatischen Obligationengesetzes (ObIG) i.V.m. Art. 11 des kroatischen Gesetzes über die Haftpflichtversicherung im Verkehr.

[8]Gemäß Art. 1085 Abs. 1 ObIG ist der Haftende verpflichtet, den Zustand wieder herzustellen, der vor Entstehung des Schadens bestand. Ist die Wiederherstellung des früheren Zustands unmöglich, hat der Haftende einen entsprechenden Geldbetrag als Schadensersatz zu leisten (Art. 1085 Abs. 3 ObIG). Art. 1089 ObIG bestimmt, dass der Geschädigte Anspruch auf den Ersatz des gewöhnlichen Schadens sowie des entgangenen Gewinns hat und sich die Höhe des Schadensersatzes nach den Preisen im Zeitpunkt des Erlasses der Gerichtsentscheidung bestimmt, sofern nicht gesetzlich etwas anderes geregelt ist. Gemäß Art. 1090 ObIG hat das Gericht unter Berücksichtigung auch der Umstände, die nach der Verursachung des Schadens eingetreten sind, den Betrag als Ersatz zuzusprechen, der erforderlich ist, um die materielle Situation des Geschädigten herzustellen, die ohne das schädigende Tun oder Unterlassen bestanden hätte.

[9]a) Nach der kroatischen Rechtsprechung kann der Geschädigte grundsätzlich fiktiv abrechnen (vgl. Seite 6 Gliederungspunkt 4.a) der Rechtsauskunft vom 13.09.2023).

[10]Anders als im deutschsprachigen Schrifttum überwiegend vertreten wird, bejaht die neuere kroatische Rechtsprechung auch die Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteuer im Falle einer fiktiven Abrechnung (vgl. Seite 6/7 Gliederungspunkt 4.b) der Rechtsauskunft vom 13.09.2023 mit Verweisen auf Rechtsprechung aus dem Jahr 2022).

[11]Dabei hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten, wie sie in Kroatien anfallen würden, sofern nicht besondere Umstände darauf hinweisen, dass die Reparatur des geschädigten Fahrzeugs im Ausland durchzuführen ist (vgl. Seite 7 Gliederungspunkt 5.a) der Rechtsauskunft vom 13.09.2023).

[12]Solche besonderen Umstände liegen hier vor, da der geschädigte Kläger in Deutschland wohnhaft ist und auch sein beschädigtes Fahrzeug hier registriert war, wobei es weder auf die Staatsangehörigkeit des Geschädigten noch auf seine Verweildauer in Kroatien ankommt (vgl. Seite 8/10 Gliederungspunkte 5.b), c), d) der Rechtsauskunft vom 13.09.2023 mit Verweisen auf Rechtsprechung und Kommentarliteratur).

[13]Der Kläger hat daher Anspruch auf Erstattung der Bruttoreparaturkosten i.H.v. ... € wie sie sich aus dem Kostenvoranschlag (Anlage K1) ergeben ... 

[14]Auch ein ergänzendes Rechtsgutachten war nicht zu erholen.

[15]Die Frage Ziffer 1. aus dem Schriftsatz vom 08.11.2023 stellt eine allgemeine Rechtsfrage dar. Das Gericht sieht es als zutreffend an, dass im kroatischen Recht ein Bereicherungsverbot und die Schadensminderungspflicht anerkannt sind. Das ändert an der Entscheidung jedoch nichts. Letztlich möchte die Beklagte als den erforderlichen Herstellungsaufwand nur den im Prüfgutachten (Anlage B1) genannten Schadensbetrag von ... € gelten lassen und damit die Nettoreparaturkosten auf Basis kroatischer Reparaturkostenpreise. Diese beiden Gesichtspunkte wurde im bereits erholten Rechtsgutachten wie oben dargelegt beantwortet, auch wenn die Antwort der Beklagten nicht gefallen mag.

[16]Soweit die Beklagte in der Frage Ziffer 2. wissen möchte, wie vorgerichtlich nach kroatischen Recht die Schadenshöhe bestimmt wird, ist dies für die Entscheidung des Rechtsstreits irrelevant, weil es sich hier um eine gerichtliche Auseinandersetzung handelt. Nicht relevant ist überdies der Einwand der Beklagten, es sei im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung üblich, dass das Gericht einen Sachverständigen mit der Bezifferung der Schadenshöhe beauftragt. Vorliegend gelten die Regeln der ZPO. Eine Beweiserhebung ist nur dann erforderlich, wenn ein relevantes Bestreiten vorliegt. Das ist vorliegend nicht der Fall, da der vorgelegte Prüfbericht wie oben dargelegt ohne Beweiswert ist, weil er von kroatischen Löhnen und Ersatzteilpreisen ausgeht.

[17]Soweit die Beklagte in Ziffer 3. moniert, die Rechtsauskunft derselben Unterzeichner sei in anderen Verfahren betreffend die Erstattungsfähigkeit der Mehrwertsteuer im Rahmen einer fiktiven Abrechnung anders beurteilt worden, ist auch insoweit keine Nachfrage veranlasst. Wie die Beklagte selbst vorträgt, stützte sich die abweichende Rechtsansicht auf eine Entscheidung aus dem Jahre 1996 bzw. eine Kommentarstelle aus dem Jahr 2019. In der im hiesigen Verfahren erholten Rechtsauskunft vom 13.09.2023 beziehen sich die Unterzeichner jedoch auf neuere Entscheidungen und Kommentarliteratur aus dem Jahr 2022. Es ist daher offensichtlich, dass sich die Rechtsprechung in Kroatien insoweit geändert hat und die Rechtsauskunft aus älteren Fällen überholt ist.

[18]b) ... c) Eine Unkostenpauschale ist nach kroatischem Recht nicht geschuldet, vielmehr hätte der Kläger seine Kosten im Einzelnen darlegen und beweisen müssen (vgl. Seite 10/11 Gliederungspunkt 6. der Rechtsauskunft vom 13.09.2023).

[19]4. Der Kläger kann neben der Hauptforderung den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltkosten verlangen.

[20]Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten sind in Kroatien nur zu erstatten, wenn die Beauftragung im konkreten Fall erforderlich war, also bei einer schwierigen Sach- und Rechtslage. Bei einfach gelagerten Fällen wird die Einschaltung eines Rechtsanwalts dagegen als Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht betrachtet (vgl. Seite 11 Gliederungspunkt 7.a) der Rechtsauskunft vom 13.09.2023).

[21]Vorliegend hat der in Deutschland wohnhafte Kläger in Kroatien einen Sachschaden erlitten. Zwar mag die Sachlage bei einem Auffahrunfall einfach und auch einem Laien verständlich sein, die Schadensabwicklung setzt jedoch Kenntnisse des Unionsrechts und des kroatischen Rechts voraus, so dass für den Geschädigten erhebliche rechtliche Schwierigkeiten bestehen, die die Beauftragung eines Rechtsanwalts rechtfertigen.

[22]Die Beauftragung eines im Wohnsitzland tätigen Rechtsanwalts ist üblich. Ein in Deutschland ansässiger Rechtsanwalt rechnet nach dem RVG ab. Diese Kosten, die der Klägervertreter vorliegend mit ... € in korrekter Höhe angegeben hat, sind nach dem Grundsatz des vollen Schadensersatzes aus Art. 1090 ObIG zu ersetzen.

[23]5. Dem Kläger stehen auch Verzugszinsen zu.

[24]Art. 29 Abs. 1 ObIG bestimmt, dass ein Schuldner, der mit der Erfüllung einer Geldschuld in Verzug gerät, neben der Hauptforderung auch Verzugszinsen schuldet.

[25]Art. 183 ObIG regelt den Verzugseintritt. Danach gerät der Schuldner in Verzug, wenn er die Schuld nicht innerhalb der für die Erfüllung bestimmten Frist erfüllt; bei fehlender Fristbestimmung durch Zahlungsaufforderung, außergerichtliche Mahnung oder Einleitung eines auf die Erfüllung der Schuld gerichteten Verfahrens.

[26]Vorliegend forderte der Klägervertreter die Regulierungsbevollmächtigte der Beklagten mit Schreiben vom 27.09.2022 zur Zahlung von Schadensersatz bis 22.09.2022 auf. Diese Frist lag jedoch in der Vergangenheit und ist damit unbeachtlich. Zinsen können daher erst ab Einleitung des Klageverfahrens verlangt werden. Klageerhebung war am 01.12.2022.

[27]Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt der Kläger ohnehin erst Verzinsung ab Rechtshängigkeit, also ab Zustellung der Klage am 08.12.2022.

[28]Die Höhe der Verzugszinsen ergibt sich aus Art. 29 Abs. 2, Abs. 7, Abs. 8 ObIG. Für das 2. Halbjahr 2022 hat die kroatische Nationalbank den Diskontsatz mit 2,31 % festgelegt (vgl. Seite 14 Gliederungspunkt 8.c) der Rechtsauskunft vom 13.09.2023), der - außer bei Handelsgeschäften - um 3 Prozentpunkte erhöht wird.

[29]Mit Eintritt Kroatiens in den Euro-Raum am 01.01.2023 änderte sich der Zinssatz, weil seither auf den Leitzinssatz der Europäischen Zentralbank Bezug genommen wird, welcher - außer bei Handelsgeschäften - um 3 Prozentpunkte erhöht wird.

[30]Es war daher zwischen dem Zinssatz bis 31.12.2022 und dem Zinssatz ab 01.01.2023 zu unterscheiden wie im Tenor ausgesprochen.

[31]III. ...

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