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Verfahrensgang

FG Hessen, Beschl. vom 31.10.2024 – 8 V 1017/23, IPRspr 2024-237

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit

Leitsatz

Sind die Ehegatten Rumänen, so bestimmen sich die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach rumänischem Recht. Nach Art. 272 Abs. 1 des rumänischen Civil Code [ZGB] ist erforderlich, dass die künftigen Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben. Nur ausnahmsweise kann ein Minderjähriger, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, nach Abs. 2 der Vorschrift aus triftigen Gründen auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens, mit Zustimmung seiner Eltern oder gegebenenfalls des Vormunds und mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, in dessen Bezirk der Minderjährige seinen Wohnsitz hat, heiraten.

Eine im Ausland geschlossene (wirksame) Ehe ist gem. Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nach deutschem Recht unwirksam, wenn einer der Verlobten im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Diese Regelung gilt nach Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 30.06.2024 fort. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

287/2009 ZGB (Rumänien) Art. 272
EGBGB Art. 11; EGBGB Art. 13
EStG § 26
GG Art. 6

Sachverhalt

Der am 15.10.19xx geborene Antragsteller lebt offenbar mit Frau W, geboren am 06.02.19xx zusammen und hat mit ihr fünf gemeinsame Kinder. Für die in den Jahren 20xx, 20xx, 20xx, 20xx und 20xx geborenen Kinder hat der Antragsteller die Vaterschaft anerkannt. Sowohl der Antragsteller, als auch Frau W sind rumänische Staatsangehörige und haben in Rumänien am 02.08.20xx die Ehe nach kirchlichem Roma-​Ritus vollzogen. Für das Kalenderjahr 20xx übermittelte der Antragsteller am 30.06.20xx eine authentifizierte Steuererklärung. Aufgrund von Steuerfahndungsmaßnahmen wurde dem Antragsgegner im Jahr 20xx bekannt, dass der Antragsteller offenbar in- und ausländische Einkünfte erzielt hatte, die bisher weder erklärt, noch versteuert worden waren. Am 14.04.20xx erließ das Finanzamt V die Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 20xx bis 20xx und legte dabei die Ermittlungsergebnisse der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes U bzgl. eines vom Antragsteller betriebenen Kfz-​Handels in … zugrunde. Mit Bescheiden vom 15.05.20xx schätzte der Antragsgegner die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 20xx bis 20xx unter Berücksichtigung der vorliegenden Grundlagenbescheide des Finanzamts V und der weiteren Ermittlungsergebnisse. Mit Schreiben vom 07.06.20xx legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gegen die Bescheide für 20xx bis 20xx form- und fristgerecht Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Am 10.08.20xx beantragte der Antragsteller die Zusammenveranlagung mit Frau W und die Berücksichtigung seiner vier – in den jeweiligen Veranlagungszeiträumen bereits geborenen – Kinder. Hinsichtlich der Einsprüche im Übrigen ist noch keine Entscheidung ergangen.

Am 20.09.20xx hat der Antragsteller bei dem Hessischen Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Er beantragt, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides für 20xx vom 15.05.20xx in Höhe von ... Euro, des Einkommensteuerbescheides für 20xx vom 15.05.20xx in Höhe von ... Euro und des Einkommensteuerbescheides für 20xx vom 15.05.20xx in Höhe von ... Euro auszusetzen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Der Antrag ist zulässig, aber nur im tenorierten Umfang begründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Bescheide in vollem Umfang, sondern nur insoweit, als vom Antragsgegner bei der Festsetzung der Einkommensteuer für die streitgegenständlichen Jahre keine Kinderfreibeträge berücksichtigt wurden.

[3]a. ... b. ... aa. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr … gültigen Fassung steht die Möglichkeit der Zusammenveranlagung (§ [26b] EStG) nur Ehegatten zu, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben oder bei denen diese Voraussetzungen zu Beginn des Veranlagungszeitraums vorgelegen haben oder im Laufe des Veranlagungszeitraums eingetreten sind.

[4]Der dem Zivilrecht entlehnte Begriff der Ehegatten ist nach zivilrechtlichen Grundsätzen einschließlich der Vorschriften des deutschen internationalen Privatrechts zu beurteilen (vgl. Urteil des BFH vom 17.04.1998 VI R 16/97 (IPRspr. 1998 Nr. 63), BStBl. II 1998, 473 m.w.N.).

[5](1) Nach Art. 13 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) unterliegen für jeden Verlobten die Voraussetzungen der Eheschließung dem Recht des Staates, dem er angehört. Bei einer Heirat im Ausland gilt unbeschadet des Personalstatuts nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB das Formstatut des Art. 11 Abs. 1 EGBGB. Danach ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Bezogen auf die Ehe bedeutet dies, dass sie formgültig ist, wenn sie die Formerfordernisse des Rechts des Staates erfüllt, in dem sie geschlossen worden ist (vgl. Ettlich, in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 26 EStG Rn. 41, Stand Juli 2024; Wagner in BeckOK, §26 Rn. 55, Stand Juli 2024). Das gilt auch für den Fall der nachträglichen Beurteilung einer Ehe, die Ausländer im Ausland geschlossen haben (vgl. Urteil des BFH vom 06.12.1985 VI R 56/82 (IPRspr. 1985 Nr. 61), BFHE 146,39).

[6](2) Der Antragsteller und Frau W sind rumänische Staatsangehörige und die vermeintliche „Ehe“ wurde im Ausland geschlossen, so dass unstreitig das Rumänische Zivilgesetzbuch gilt (Civil Code [ZGB] vom 17.07.2009 abrufbar unter: https://legislatie.just.ro/Public/DetaliiDocument/109884).

[7]Nach Art. 272 Civil Code [ZGB] ist erforderlich, dass die künftigen Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben (Abs. 1). Ein Minderjähriger, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, kann nach Abs. 2 der Vorschrift aus triftigen Gründen auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens, mit Zustimmung seiner Eltern oder gegebenenfalls des Vormunds und mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, in dessen Bezirk der Minderjährige seinen Wohnsitz hat, heiraten (abgerufen unter: https://legislatie.just.ro/Public/DetaliiDocument/109884).

[8]Zwar war Frau W im Jahr 20xx bereits 16 Jahre alt; allerdings lagen weder ein ärztliches Gutachten, noch eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts vor. Der Antragsteller war sogar erst 15 Jahre alt, so dass für ihn die Ausnahmeregelung noch gar nicht in Betracht kam.

[9]Daher liegt auch nach rumänischem Recht keine wirksame Ehe zwischen dem Antragsteller und Frau W vor.

[10]Auch das vom Antragsteller vorgelegte Dokument der Christlichen Pfingstkirche … beweist nichts Anderes. Dort ist lediglich bescheinigt, dass der Antragsteller und Frau W Mitglieder der Kirche sind und nach deren Brauch traditionell und ohne amtliche Legitimation „verheiratet“ wurden. Aus der Bescheinigung ergibt sich weiter, dass die traditionelle „Hochzeit“ der Aufnahme in die Familie des jungen „Ehemanns“ gleichkommt. Erst nach einer gewissen Eingewöhnungs- und Erziehungszeit als „Schwiegertochter“ bestimmen dann die Eltern des „Ehemanns“, wann das Mädchen tatsächlich zur „jungen Ehefrau“ werde. Diese „Ehe“ sei nichts Anderes als „eine Weihe durch die Anerkennung der Gemeinschaft“ und der „elterliche Segen“ für die „natürliche Neigung“, vereinfacht ausgedrückt, die Zustimmung zur – zu gegebener Zeit, auch körperlichen – Liebe der beiden Partner.

[11]Insoweit liegt auch kein Fall der so genannten „hinkenden Ehe“ vor (vgl. Urteil des BVerfG v. 30.11.1982 1 BvR 818/81 (IPRspr. 1982 Nr. 44), BVerfGE 62, 323 („Witwenrentenentscheidung”), da selbst nach dem maßgebenden Heimatrecht keine rechtsgültige Ehe vorliegt. Im Übrigen ist mit dem Inkrafttreten des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ab dem 18.07.2017 selbst eine im Ausland geschlossene (wirksame) Ehe nach deutschem Recht unwirksam, wenn einer der Verlobten im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 01.02.2023 (1 BvL 7/18 (IPRspr 2023-268)) entschieden, dass § 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist; allerdings gilt die Regelung bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 30.06.2024 fort. Für die streitigen Zeiträume bedeutet dies, dass nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB von einer absoluten Unwirksamkeit der Ehe auszugehen ist. Insoweit muss auch nicht weiter ausgeführt werden, ob diese Maßstäbe im Fall des § 26 EStG überhaupt anwendbar wären.

[12]bb. ...

Fundstellen

Volltext

Link, Bürgerservice Hessenrecht

LS und Gründe

FamRZ, 2025, 261

Bericht

Plitzko, NZFam, 2025, 301

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-237

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
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