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Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg, Beschl. vom 21.03.2024 – 70z AR 48/24
OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 28.05.2024 – 11 UH 14/24, IPRspr 2024-210

Rechtsgebiete

Verfahren → Zustellung

Leitsatz

Das Amtsgericht als Empfangsstelle, dem von der Übermittlungsstelle ein zuzustellendes gerichtliches Schriftstück nach der VO (EU) 2020/1784 über die Zustellung von Schriftstücken übermittelt worden ist, hat alle für die erfolgreiche Zustellung erforderlichen Schritte zu unternehmen.

Dazu gehört, auch wenn der als GmbH verfasste Zustellungsempfänger im Bezirk des Amtsgerichts keinen Sitz hat, eine Zustellung an die im Bezirk liegende Wohnanschrift des GmbH-​Geschäftsführers gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, §§ 179, 180 ZPO.

Die Möglichkeit einer Zustellung im Bezirk der angerufenen Empfangsstelle schließt eine Verweisung bzw. Weiterleitung an die für den Sitz des Zustellungsempfängers zuständigen Empfangsstelle aus.

Rechtsnormen

EuZVO 2020/1784 Art. 3; EuZVO 2020/1784 Art. 10; EuZVO 2020/1784 Art. 11
GmbHG § 35
ZPO § 36; ZPO § 179; ZPO § 180; ZPO § 1069

Sachverhalt

Mit Ersuchen der niederländischen Übermittlungsstelle vom 17.10.2022 ist das Amtsgericht Bad Schwalbach um eine Zustellung an die Antragsgegnerin unter einer zum Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Bad Schwalbach gehörenden Anschrift, Straße1 in Stadt1, gebeten worden. Das Amtsgericht Bad Schwalbach hat den Antrag, in dem das zuzustellende Schriftstück unter 6. nicht bezeichnet ist, dem aber ein Europäischer Zahlungsbefehl nach VO (EU) 1896/2006, Formular E, sowie der zugrundeliegende Antrag (Formular A) beigefügt waren, zunächst unbearbeitet gelassen. Am 13.02.2024 hat die nach Dezernatswechsel nunmehr zuständige Rechtspflegerin das Zustellungsersuchen dem AG (Berlin‑​) Charlottenburg übersandt und darauf verwiesen, es sei aus anderen Dezernaten bekannt, dass die Antragsgegnerin ihren Sitz nach Stadt2 verlegt habe. Die Rechtspflegerin hat die Sitzverlegung durch einen (geröteten) Handelsregisterauszug über die Antragsgegnerin belegt, nachdem diese ihren Sitz von Stadt1 nach Stadt2 verlegt hat. Das Amtsgericht Charlottenburg hat die Übernahme mit Verfügung vom 21.02.2024 abgelehnt. Mit Beschluss vom 21.03.2024 hat sich das Amtsgericht Charlottenburg für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO vorgelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]1. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist für die Entscheidung des Zuständigkeitsstreites gem. § 36 Abs. 2 ZPO funktional zuständig, da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der beiden Amtsgerichte der Bundesgerichtshof wäre und das zum hiesigen OLG-​Bezirk gehörende Amtsgericht Bad Schwalbach zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.

[3]2. ... 3. ... 4. Zuständig ist das Amtsgericht Bad Schwalbach.

[4]Gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2020/1784 i.V.m. § 1069 Abs. 2 ZPO ist deutsche Empfangsstelle für ein derartiges Gesuch die Geschäftsstelle desjenigen Amtsgerichts, „in dessen Bezirk das Schriftstück zugestellt werden soll“.

[5]Ausweislich Ziff. 4 des Gesuchs soll das Schriftstück an die Antragsgegnerin, eine GmbH, unter der Adresse Straße1, Stadt1, zugestellt werden. Dies liegt im Bezirk des Amtsgerichts Bad Schwalbach. Soweit diese gewählte Anschrift laut Handelsregister-​Eintrag vom 24.8.2021 infolge Sitzverlegung der Schuldnerin nach Stadt2 in die Straße2 nicht mehr der aktuellen Anschrift der Schuldnerin entspricht, rechtfertigte dies allein keine Verweisung an das Amtsgericht Charlottenburg.

[6]Die Formulierung in § 1069 ZPO, wonach das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk das Schriftstück zugestellt werden „soll“, ist vor dem Hintergrund der beabsichtigten zügigen und erfolgreichen Amtshilfe zu verstehen. Dies unterstreicht u.a. die Regelung in Art. 11 Abs. 2 lit. b VO (EU) 2020/1784, wonach im Fall eines missglückten Zustellversuchs alle für die erfolgreiche Zustellung erforderlichen Schritte seitens des angerufenen Empfangsstelle zu unternehmen sind. Soweit das Zustellgesuch auf eine Zustellung an die Schuldnerin selbst unter ihrer Geschäftsadresse gerichtet war, kam hier zur Erreichung einer raschen Erfüllung des Amtshilfeauftrags die Möglichkeit der Zustellung an die Schuldnerin über die Wohnanschrift ihres Geschäftsführers gem. § 35 Abs. Abs. 1 S. 1 GmbHG, §§ 179, 180 ZPO in Betracht. Die Wohnanschrift des Geschäftsführers der Schuldnerin, Herr A, befindet sich ausweislich der letzten Handelsregisteranmeldung der Antragsgegnerin vom 29.11.2021 weiterhin im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Bad Schwalbach, nämlich in der Straße3, Stadt1.

[7]War damit das Amtsgericht Bad Schwalbach für die Zustellung des Schriftstücks - unter Berücksichtigung der Möglichkeit, das Schriftstück an der Wohnadresse des Geschäftsführers zuzustellen - zuständig, lagen die Voraussetzungen einer Verweisung des Verfahrens an das Amtsgericht Charlottenburg gem. Art. 10 Abs. 4 VO (EU) 2020/1784 nicht vor.

Fundstellen

Volltext

Link, Bürgerservice Hessenrecht

LS und Gründe

NZG, 2025, 182

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-210

Lizenz

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