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Verfahrensgang

AG Recklinghausen, Entsch. vom 14.12.2021 – 9 VI 909/21
AG Recklinghausen, Beschl. vom 29.09.2023 – 9 VI 909/21
OLG Hamm, Beschl. vom 18.07.2024 – 10 W 12/24, IPRspr 2024-197

Rechtsgebiete

Erbrecht → Nachlassabwicklung
Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Güterrecht

Leitsatz

Der Richter ist anstelle des Rechtspflegers funktional für die Erteilung eines Erbscheins zuständig, wenn die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt, sei es auch nur bezüglich der Vorfragen (z.B. eheliches Güterrecht). [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

Aufh-RichtRPflDieAufÜVO-NRW § 1
BGB § 2361
EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 15
EuErbVO 650/2012 Art. 1; EuErbVO 650/2012 Art. 21
EuGüVO 2016/1103 § 69
FamFG § 58; FamFG §§ 63 ff.; FamFG § 342
RPflG § 3; RPflG § 8; RPflG §§ 14 ff.; RPflG § 16; RPflG § 19

Sachverhalt

Der Beteiligte zu 1) war der Ehemann, die Beteiligten zu 2) und 3) die Brüder und die übrigen Beteiligten Neffen und Nichten der Erblasserin. Die Beteiligten zu 1) - 3) beantragten zunächst die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der für den Beteiligten zu 1) eine Erbquote von 3/4, für die Beteiligten zu 2) und 3) eine Erbquote von jeweils 1/16 und für die übrigen Beteiligten Erbquoten von jeweils 1/48 Anteil ausweisen sollte. Nachdem der Rechtspfleger durch Verfügung vom 04.11.2021 darauf hingewiesen hatte, dass bei der in Jamaika geschlossenen Ehe zwischen der Erblasserin und dem aus Jamaika stammenden Beteiligten zu 1) nicht ersichtlich sei, dass das deutsche Güterrecht Anwendung finde, stellte der Beteiligte zu 2) am xx.xx.2021 einen abgeänderten Erbscheinsantrag. Der daraufhin am 14.12.2021 antragsgemäß von dem Rechtspfleger erlassene Erbschein weist den Beteiligten zu 1) als Miterben der Erblasserin zu 1/2, die Beteiligten zu 2) und 3) als Mitererben zu je 1/8 und die Beteiligten zu 4) - 9) als Miterben zu je 1/24 Anteil aus.

Am xx.xx.2023 regte der Beteiligte zu 1) die Einziehung des Erbscheins an. Dem sind die übrigen Beteiligten entgegengetreten. Durch den angefochtenen Beschluss ist die Einziehung des Erbscheins abgelehnt worden. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1). Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache durch Beschluss vom 17.01.2024 dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung vorgelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die gegen die Ablehnung der Einziehung des Erbscheins gerichtete, nach §§ 342 Abs. Nr. 6, 58 FamFG statthafte und gemäß §§ 63 ff. FamFG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat in der Sache Erfolg. Dies führt zu der Anweisung des ausschließlich dafür zuständigen Amtsgerichts, den Erbschein vom 14.12.2021 einzuziehen.

[3]Ein erteilter Erbschein ist gemäß § 2361 BGB einzuziehen, wenn er unrichtig ist. Die Unrichtigkeit des Erbscheins kann sich aus formellen oder materiellen Aspekten ergeben. Beruht der Erbschein auf erheblichen Verfahrensverstößen im

[4]Erbscheinerteilungsverfahren, ist er formell rechtsunwirksam und deshalb einzuziehen. Die Vorschrift des § 2361 BGB ist dazu analog anzuwenden, denn das Rechtsstaatsprinzip gebietet es, dass ein Erbschein, der unter Verstoß gegen elementare Verfahrensregeln erlassen wurde, von Amts wegen wieder aus dem Rechtsverkehr gezogen wird (Mayr in: Herberger/Martinek/ Rüßmann/Weth/ Würdinger, jurisPK-​BGB, 10. Aufl., § 2361 BGB (Stand: 01.07.2023) Rn. 10).

[5]Ein einziehungsrelevanter Verfahrensverstoß folgt hier daraus, dass der Rechtspfleger den Erbschein erteilt hat. Ein Erbschein ist grundsätzlich im Sinn des § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB unrichtig, wenn er von einem unzuständigen Rechtspflegeorgan (Rechtspfleger statt Richter) erteilt worden ist (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. April 1997 - 1Z BR 86/97 -, juris m.w.Nw.).

[6]Der Rechtspfleger war hier für die Erteilung des Erbscheins nicht zuständig. Zwar sind dem Rechtspfleger gemäß § 3 Nr. 2 c) RPflG auch die Nachlasssachen nach § 342 Abs. 1, 2 Nr. 2 FamFG übertragen, wozu gemäß § 342 Abs. 1 Nr. 6 auch die Erteilung von Erbscheinen gehört. Diese Übertragung erfolgt jedoch gemäß § 3 Nr. 2 RPflG vorbehaltlich der in den §§ 14 bis 19 b des RPflG aufgeführten Ausnahmen. Hier greift der Richtervorbehalt gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG. Danach ist der Richter anstelle des Rechtspflegers u.a. dann funktional zuständig, wenn die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt.

[7]Wie schon aus dem angefochtenen Beschluss hervorgeht, ist das hier der Fall. Zwar richtet sich die Erbfolge im vorliegenden Fall aufgrund des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO nach deutschem Recht, weil die Erblasserin in Deutschland im Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Rahmen der Feststellung der gesetzlichen Erbfolge und der Erbquoten der Beteiligten kommt bezüglich des Güterrechts der im Jahr 2010 in Jamaika geschlossenen Ehe die Anwendung ausländischen Erbrechts in Betracht, denn Art. 1 Abs. 2 lit. d EuErbVO nimmt Fragen des ehelichen Güterrechts ausdrücklich von dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Die Kollisionsnormen der EuGüVO finden gemäß § 69 Abs. 3 EuGüVO auf die vor dem 29.01.2019 geschlossene Ehe der Erblasserin und des Beteiligten zu 1) indessen keine Anwendung, so dass die bestehenden Abgrenzungsfragen zwischen Erb- und Güterstatut unter Zugrundlegung der Art. 14, 15 EGBGB a.F. gelöst werden müssen. Danach bestimmt sich das eheliche Güterrecht vorbehaltlich einer Rück- oder Weiterverweisung nach objektiven Anknüpfungspunkten, in erster Linie der Staatsangehörigkeit, ersatzweise dem gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten bzw. die Verbundenheit der Ehegatten zu einem Staat.

[8]Wie der Rechtspfleger in dem angefochtenen Beschluss nachvollziehbar ausgeführt hat, kommt danach in Betracht, dass sich das eheliche Güterrecht nach dem jamaikanischen Marriage Act, mithin ausländischem Recht, richtet.

[9]Da § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG nicht zwischen ausländischem Erbrecht und sonstigem ausländischem Recht differenziert, eine solche Differenzierung aber auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechen würde, weil die mit der Anwendung ausländischen Rechts verbundenen Schwierigkeiten, die für die funktionelle Zuständigkeit des Richters sprechen, in der Regel auch dann auftreten, wenn nur bezüglich der Vorfragen ausländisches Recht in Betracht bzw. zur Anwendung kommt, greift der Richtervorbehalt ein, so dass die Zuständigkeit des Rechtspflegers nach § 3 Nr. 2 c) RPflG entfällt (OLG Köln, Beschluss vom 18. Mai 2020 - I-​2 Wx 89/20 (IPRspr 2020-72) -, juris; Rellermeyer in: Arnold/Meyer-​Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg, Rechtspflegergesetz, § 16 Rn. 33).

[10]Im vorliegenden Fall greift auch die Regelung des § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Aufhebung von Richtervorbehalten und zur Übertragung von Aufgaben des Rechtspflegerdienstes auf die Urkundsbeamtinnen und Urkundsbeamten der Geschäftsstelle NRW vom 25. November 2021 (RichtVorAufhebV NW) in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG nicht ein, denn nach § 1 Abs. 2 dieser Verordnung ist der Richtervorbehalt erst für Verfahren, die nach dem 31.12.2021 anhängig geworden sind, also nicht für das hier am 28.10.2021 eingeleitete Erbscheinverfahren, aufgehoben worden.

[11]Die Erteilung des Erbscheins war auch nicht auf den Rechtspfleger übertragbar, so dass hier nicht die Ausnahme von der Unwirksamkeit der Erbscheinerteilung gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 RPflG eingreift. Geschäfte, die der Richter nach dem RPflG auf den Rechtspfleger übertragen kann, sind auch dann wirksam, wenn sie der Rechtspfleger wahrgenommen hat, obwohl eine richterliche Übertragungsverfügung nicht vorlag oder eine solche Verfügung zwar vorlag, aber ihre Voraussetzungen nicht gegeben waren (Hintzen in: Arnold/Meyer-​Stolte/ Rellermeyer/Hintzen/ Georg, Rechtspflegergesetz, § 8 Rn. 13).

[12]Die Voraussetzungen für eine Übertragung lagen jedoch nicht vor. Zwar kann der Richter gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 RPflG dem Rechtspfleger die Erteilung eines Erbscheins übertragen. Voraussetzung ist dafür jedoch, dass trotz Vorliegens einer Verfügung von Todes wegen die gesetzliche Erbfolge maßgeblich ist und deutsches Erbrecht anzuwenden ist. Die Möglichkeit der Übertragung scheidet daher bereits dann schon aus, wenn es - wie hier - an einer Verfügung von Todes wegen fehlt (OLG Köln, Beschluss vom 18. Mai 2020 - I-​2 Wx 89/20 (IPRspr 2020-72) -, juris). Hat aber der Rechtspfleger ein ihm weder übertragenes noch übertragbares Geschäft wahrgenommen, so ist das Geschäft unwirksam, § 8 Abs. 4 RPflG (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Dezember 2019 - 3 W 129/19 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 209 AR 12/18 -, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. März 2018 - III-​2 Ws 94/18 -, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. September 2013 - 5 WF 205/13 -, juris; Hintzen in: Arnold/Meyer-​Stolte/ Rellermeyer/Hintzen/ Georg, Rechtspflegergesetz, § 8 Rn. 16). In diesem Fall muss der von ihm erteilte Erbschein - ohne Rücksicht auf dessen sachliche Richtigkeit - eingezogen werden.

[13]III. ...

Fundstellen

Volltext

Link, openJur
Link, NRWE (Rechtsprechungsdatenbank NRW)

LS und Gründe

FGPrax, 2024, 232
NJW-RR, 2024, 1393
Rpfleger, 2024, 744
ZEV, 2025, 137

Bericht

Grziwotz, NZFam, 2024, 1054

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-197

Lizenz

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