Wird ein Schutzschirmverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet, so ist auf Klagen auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle gem. Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO die EuGVVO nicht anwendbar. Maßgeblich ist vielmehr die EuInsVO, da die Klage in engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren steht. Die Sperrwirkung der EuInsVO greift auch, wenn die Forderung einen Schadensersatzanspruch zum Gegenstand hat.
Eine Not- oder Renvoi-Zuständigkeit eines inländischen Gerichts kommt nur in Betracht, wenn kein Staat die eigene internationale Zuständigkeit für sich reklamiert. [LS der Redaktion]
Der Kläger ist Eigentümer eines Hauses in K.... Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um eine in Frankreich ansässige „vereinfachte Aktiengesellschaft“ französischen Rechts (Société par actions simplifiée), deren Gesellschaftszweck in der Erzeugung von Strom, insbesondere durch Nutzung von Erdwärme, besteht. Über ihr Vermögen wurde am 02.02.2022 vom Handelsgericht (Tribunal de commerce) in A., Frankreich, ein Schutzschirmverfahren („procédure de sauvegarde“) eröffnet. Der Beklagte zu 1) ist der in dem Schutzschirmverfahren bestellte Gläubigervertreter („mandataire judiciaire“). Die Beklagte zu 2) ist Eigentümerin einer geothermischen Anlage in V., Frankreich. Im Zusammenhang mit Probebohrungen und Interferenztests an der Anlage in V. ereigneten sich im französisch-deutschen Grenzgebiet ab dem 27.10.2020 seismische Ereignisse. In der Folge wurde die Beklagte zu 2) wegen Gebäudeschäden in Anspruch genommen, die deren Haftpflichtversicherung, die ..., in vielen Fällen regulierte. In Bezug auf Schäden am Haus des Klägers lehnte sie mit Schreiben vom 28.09.2021 eine Haftung ab, da es sich um Altschäden handele.
Der Kläger meldete in dem in A. anhängigen Schutzschirmverfahren beim Beklagten zu 1) eine Schadensersatzforderung von mindestens ... € gegen die Beklagte zu 2) an. Mit Verfügung („ordonnance“) vom 09.03.2023 stellte der Insolvenzrichter („Juge-commissaire“) bei dem Tribunal de Commerce A. fest, dass die Forderung des Klägers ernsthaft bestritten sei, setzte das Feststellungsverfahren aus und forderte den Kläger auf, binnen eines Monats nach Zustellung der Verfügung das zuständige Gericht („la juridiction compétente“) anzurufen, um über das Bestehen der Forderung entscheiden zu lassen. Anderenfalls sei der Kläger mit seiner Forderung im Insolvenzverfahren ausgeschlossen. Am 14.04.2023 reichte der Kläger die vorliegende Klage ein. Mit Verfügung („Ordonnance“) vom 26.09.2023 stellte der „juge-commissaire“ fest, dass der Kläger durch Vorlage der Klageschrift nachgewiesen habe, das zuständige Gericht angerufen zu haben, und erklärte sich „bezüglich dieses Verfahrens“ für unzuständig („Nous déclarons dessaisi de la présente instance“). Der Kläger ist der Meinung, das Landgericht Offenburg sei aufgrund der Verordnung EuGVVO international zuständig. Der Kläger beantragt zuletzt, die vom Kläger in dem französischen Schutzschirmverfahren (procédure de sauvegarde) beim Handelsgericht (Tribunal de commerce - Juge-commissaire) in A., Frankreich der G. SAS (société par actions simplifiée) angemeldete Forderung über ... € festzustellen.
[1]Die Klage ist insgesamt unzulässig.
[2]I.
[3]Das Landgericht Offenburg ist international nicht zuständig.
[4]1. Eine internationale Zuständigkeit ergibt sich nicht aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Zwar ist das schädigende Ereignis, nämlich der behauptete Schaden am Haus des Klägers, in K. und damit im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Offenburg eingetreten. Allerdings ist die EuGVVO wegen der Eröffnung des Schutzschirmverfahrens über das Vermögen der Beklagten zu 2) nicht anwendbar. Maßgeblich ist vielmehr die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO), aus der sich gemäß Art. 6 Abs. 1 eine Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ergibt. Das Schutzschirmverfahren wurde vom Tribunal de Commerce in A., Frankreich, eröffnet, so dass die internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte besteht. Deutsche Gerichte sind nach der Europäischen Insolvenzverordnung vorliegend nicht zuständig.
[5]Nach Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO ist die Verordnung nicht auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren anzuwenden. Auch Klagen, die unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgehen und im engen Zusammenhang damit stehen, unterfallen nicht ihrem Anwendungsbereich, sondern unterfallen der Europäischen Insolvenzverordnung (vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2018 - C-296/17, NZI 2018, 994 Rn. 31).
[6]Bei der vorliegenden Klage auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle handelt es sich um eine solche „in engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehende“ Klage (vgl. EuGH, Urteil vom 18.09.2019 - C-47/18, BeckRS 2019, 21303, „Riel“, vgl. auch BGH, Beschluss vom 15.06.2021 -
[7]2. Eine internationale Zuständigkeit des Landgerichts Offenburg ergibt sich auch nicht daraus, dass aufgrund des Ortes des Schadenseintritts in K. eine Sachnähe besteht. Denn auch hier greift die Sperrwirkung der Europäischen Insolvenzverordnung mit der internationalen Zuständigkeit der französischen Gerichte. Im Übrigen käme es auch nach der deutschen Insolvenzordnung auf eine solche Sachnähe nicht an. Auch im deutschen Recht konzentriert § 180 Abs. 1 S. 2 InsO die örtliche und sachliche Zuständigkeit als ausschließliche Zuständigkeit auf das Amts- oder Landgericht am Sitz des Insolvenzgerichts (vgl. Depré in: Kayser/Thole, Insolvenzordnung (Heidelberger Kommentar), 11. Auflage 2023, § 180 InsO, Rn. 1).
[8]3. Der Umstand, dass sich der „Juge-commissaire“ bei dem Tribunal de Commerce A. durch Verfügungen vom 09.03.2023 und vom 26.09.2023 für unzuständig erklärt hat, begründet ebenfalls keine internationale Zuständigkeit des Landgerichts Offenburg als Prozessgericht. Auch insoweit ist Art. 6 Abs. 1 EuInsVO vorrangig und führt zur Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates der Verfahrenseröffnung, hier Frankreichs.
[9]Der „Juge-commissaire“ hat den Kläger als Insolvenzgläubiger an das „zuständige Prozessgericht“ verwiesen. Welches Gericht das örtlich und sachlich zuständige Prozessgericht ist, bestimmt sich - darin ist dem Kläger zuzustimmen - nach den allgemeinen französischen Zuständigkeitsregeln als lex fori concursus (Mock in BeckOK InsR EuInsVO 2017, 34. Edition Stand 15.01.2024, Art. 6 Rn. 11). Die internationale Zuständigkeit des Prozessgerichts jedoch ergibt sich aus der Europäischen Insolvenzverordnung. Diese sieht - wie ausgeführt - in Art. 6 Abs. 1 eine Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates vor, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Diese Zuständigkeit ist ausschließlich und steht nicht zur Disposition der Parteien (Mock in BeckOK InsR EuInsVO 2017, 34. Edition Stand 15.01.2024, Art. 6 Rn. 9 mit weiteren Nachweisen). Daher kann auch die Verfügung des „Juge-commissaire“ vom 26.09.2023, wonach der Kläger nachgewiesen habe, das zuständige Gericht angerufen zu haben, nicht eine Zuständigkeit des Landgerichts Offenburg begründen, die kraft Gesetzes, nämlich aufgrund Art. 6 EuInsVO, ausgeschlossen ist. Dies gilt, obwohl weder der Beklagte zu 1) noch die Beklagte zu 2) die Verfügung vom 26.09.2023 angefochten haben. Denn hinsichtlich der von Art. 6 Abs. 1 EuInsVO erfassten Klagen kann eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht getroffen werden und auch eine rügelose Einlassung ist ausgeschlossen (Mock in BeckOK InsR EuInsVO 2017, 34. Edition Stand 15.01.2024, Art. 6 Rn. 10). Daher kann auch nicht aus der Nichtanfechtung der Verfügung vom 26.09.2023 die Zuständigkeit des Landgerichts Offenburg abgeleitet werden.
[10]4. Schließlich besteht auch eine Not- oder Renvoi-Zuständigkeit des Landgerichts Offenburg nicht. Eine solche wäre nur dann in Betracht zu ziehen, wenn kein Staat die eigene internationale Zuständigkeit für sich reklamiert (Patzina in MüKo ZPO, 6. Auflage 2020, § 12 Rn. 98). Dies ist vorliegend nicht der Fall; vielmehr weist die Europäische Insolvenzverordnung das vorliegende Verfahren den französischen Gerichten zu.
[11]II. ...