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Verfahrensgang

LG Berlin, Beschl. vom 14.03.2024 – 6 O 82/23
LG Rottweil, Beschl. vom 06.06.2024 – 1 O 82/24
KG, Beschl. vom 14.10.2024 – 2 UH 31/24, IPRspr 2024-121

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Gerichtsstandsvereinbarung, rügelose Einlassung

Leitsatz

Von einer Einlassung auf das Verfahren nach Art. 24 LugÜ II ist auszugehen, wenn der Beklagte die Zuständigkeitsrüge nicht spätestens in der Stellungnahme erhebt, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist. Vor deutschen Gerichten ist danach im Gegensatz zu § 39 ZPO keine Einlassung zur Hauptsache in einer mündlichen Verhandlung erforderlich; zuständigkeitsbegründend ist nach allgemeiner Auffassung bereits eine rügelose Einlassung in der Klageerwiderung.

Eine rügelose Einlassung nach Art. 14 LugÜ II begründet neben der internationalen Zuständigkeit auch die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 26
LugÜ II Art. 1; LugÜ II Art. 2; LugÜ II Art. 14; LugÜ II Art. 24; LugÜ II Art. 69
ZPO § 36; ZPO § 39; ZPO § 281

Sachverhalt

Die Klägerin, die ihren Sitz in ..... E##### (Landgerichtsbezirk Rottweil) hat, nimmt die in der Schweiz ansässige Beklagte auf Zahlung des Entgelts aus einer als „SERVICE PROVISION AGREEMENT“ bezeichneten Vereinbarung in Anspruch.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil das zuerst mit dem Rechtsstreit befasste Landgericht Berlin zu seinem Bezirk gehört und aufgrund der Beteiligung eines weiteren Landgerichts aus einem anderen Oberlandesgerichtsbezirk an dem Zuständigkeitsstreit das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof wäre.

[2]2. ... 3. Das Landgericht Berlin II ist als örtlich zuständiges Gericht bestimmen. Denn seine örtliche Zuständigkeit ist jedenfalls gemäß Art. 24 LugÜ begründet, nachdem sich die Beklagte dort rügelos eingelassen hat (a.). Es hat seine Zuständigkeit auch nicht durch den gleichwohl erlassenen Verweisungsbeschluss vom 14. März 2024 verloren, weil sich dieser als objektiv willkürlich darstellt, was seine gesetzliche Bindungswirkung (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO) ausnahmsweise entfallen lässt (b.).

[3]a. Das Landgericht Berlin II ist jedenfalls aufgrund der rügelosen Einlassung der Beklagten gemäß Art. 24 LugÜ international und örtlich zuständig geworden. Das Übereinkommen und seine von § 39 ZPO abweichenden Regelungen zur rügelosen Einlassung sind sachlich (Art. 1 LugÜ), zeitlich (Art. 69 LugÜ) und aufgrund des Sitzes der Beklagten in der Schweiz auch räumlich anwendbar (Art. 2 LugÜ). Auf die von den Parteien und den an dem Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten erörterte Frage, ob durch die in den Verträgen vom 16. April 2018 bzw. vom 23. Juli 2019 enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarungen die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Berlin II bzw. des Landgerichts Rottweil wirksam begründet worden ist, kommt es damit nicht mehr entscheidend an.

[4]Nach Art. 24 LugÜ wird ein Gericht eines Vertragsstaats, sofern es nicht bereits nach anderen Vorschriften des Übereinkommens zuständig ist, zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt, ohne den Mangel der Zuständigkeit zu rügen, und keine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit begründet ist. Von einer Einlassung auf das Verfahren ist auszugehen, wenn der Beklagte die Zuständigkeitsrüge nicht spätestens in der Stellungnahme erhebt, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist. Vor den deutschen Zivilgerichten ist danach im Gegensatz zu § 39 ZPO keine Einlassung zur Hauptsache erforderlich; zuständigkeitsbegründend ist nach allgemeiner Auffassung bereits eine rügelose Einlassung in der Klageerwiderung (BGH, Urteil vom 31. Mai 2011 – VI ZR 154/10 (IPRspr 2011-183b), BGHZ 190, 28; OLG Düsseldorf, JR 1991, 243 (IPRspr. 1990 Nr. 173), 244; Musielak/Voit/ Stadler/Krüger, ZPO, 21. Aufl. 2024, Art. 24 EuGVVO Rn. 3; MüKo/Gottwald, ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 26 EuGVO Rn. 7 f.).

[5]Die Beklagte hat sich hier somit spätestens mit ihrer Klageerwiderung vom 28. Oktober 2023 nach Art. 24 LugÜ rügelos eingelassen, nachdem sie dort zu der aus ihrer Sicht fehlenden Begründetheit der Klage vorgetragen und sich damit auf das Verfahren eingelassen hat, ohne den Mangel der fehlenden Zuständigkeit des Gerichts geltend zu machen. Durch eine rügelose Einlassung nach Art. 24 LugÜ bzw. der inhaltsgleichen Regelung in Art. 26 EuGVVO wird nach allgemeiner und unbestrittener Auffassung neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründet (BGH, Urteil vom 17. März 2015 - VI ZR 12/14 (IPRspr 2015-226), juris Rn. 10; Berger in: Oetiker/Weibel, Basler Kommentar, LugÜ, 2011, Art. 24 Rn. 9; Thomas/Putzo/ Nordmeier, ZPO, 45. Aufl. 2024, Art. 26 EuGVVO Rn. 1), wie sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmungen ergibt. Eine Verweisung des Rechtsstreits wegen der vermeintlichen örtlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts war somit spätestes mit dem Eingang der Klageerwiderung ausgeschlossen.

[6]b. ...

Fundstellen

LS und Gründe

NJ, 2024, 557
NJW-RR, 2024, 1445

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-121

Lizenz

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