Stellt sich bei der Prüfung der Wirksamkeit der Eheschließung inzident die Frage, ob eine Vorehe eines der beiden Verlobten fortbesteht, so wird diese Vorfrage aus Sicht der Rechtsordnung beantwortet, deren Sachrecht über die materiellen Voraussetzungen über die wirksame Eingehung der neuen Ehe entscheidet. Leidet die Ehe nach beiden durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechtsordnungen der Verlobten unter dem Mangel der Doppelehe, bestimmt sich die Fehlerfolge grundsätzlich nach dem ärgeren Recht.
Kommt es für die Frage der Eheschließung auf die wirksame Auflösung der Vorehe eines Verlobten durch eine im Ausland durchgeführte Scheidung an, ist eine solche Scheidung allerdings – selbst wenn sie nach dem jeweils anwendbaren Recht wirksam ist – nur dann beachtlich, wenn sie in Deutschland im Verfahren vor der Landesjustizverwaltung nach § 107 FamFG anerkannt worden ist. [LS der Redaktion]
Der 1975 geborene Kläger, ein nigerianischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug.
[1]Die Klage hat keinen Erfolg.
[2]A. Hinsichtlich des Hauptantrags, mit dem der Kläger die Verpflichtung zur Erteilung eines Visums begehrt, ist die Klage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet ...
[3]I. Die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug setzt gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG voraus, dass eine wirksame Eheschließung vorliegt. Daran fehlt es bereits.
[4]1. Nach Art. 13 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EG BGB) unterliegen die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört (BGH, Beschluss vom 8. März 2023 –
[5]a) Dies gilt auch für die Frage, ob die Vorehe des Klägers wirksam geschieden wurde. Stellt sich bei der Prüfung der Wirksamkeit der Eheschließung – wie hier – inzident die Frage, ob eine frühere Ehe eines der beiden Verlobten fortbesteht, so wird diese Frage aus Sicht der Rechtsordnung beantwortet, deren Sachrecht über die materiellen Voraussetzungen über die wirksame Eingehung der neuen Ehe entscheidet (BGH, Beschluss vom 8. März 2023, a.a.O., Leitsatz 3, Rn. 26). Leidet die Ehe nach beiden durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechtsordnungen der Verlobten unter dem Mangel der Doppelehe, bestimmt sich die Fehlerfolge grundsätzlich nach dem ärgeren Recht, d.h. nach dem Recht, welches die schärferen Rechtsfolgen an die Mangelhaftigkeit der Ehe knüpft (BGH, Beschluss vom 8. März 2023, a.a.O., Leitsatz 5).
[6]b) Kommt es für die Frage der Eheschließung auf die wirksame Auflösung der Vorehe eines Verlobten durch eine im Ausland durchgeführte Scheidung an, ist eine solche Scheidung allerdings – selbst wenn sie nach dem jeweils anwendbaren Recht wirksam ist – nur dann beachtlich, wenn sie in Deutschland im Verfahren vor der Landesjustizverwaltung nach § 107 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) anerkannt worden ist. Insoweit wird das kollisionsrechtliche Verweisungsergebnis vom verfahrensrechtlichen Anerkennungserfordernis überlagert (BGH, Beschluss vom 8. März 2023, a.a.O., Leitsatz 4, Rn. 28). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Sachverhalt einen starken Inlandsbezug aufweist, was zu bejahen ist, wenn einer der Verlobten – wie hier – deutscher Staatsangehöriger ist und auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (BGH, Beschluss vom 8. März 2023, a.a.O., Rn. 29).
[7]2. Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe ist die am 21. Juli 2018 in Nigeria geschlossene Ehe des Klägers mit der Referenzperson als unwirksam (von Anfang an nichtig) anzusehen.
[8]a) Für den Kläger, der die nigerianische Staatsangehörigkeit besitzt, ist nach den oben dargelegten Kollisionsregeln zunächst auf das nigerianische Recht abzustellen, wobei als maßgebliche Rechtsvorschriften im vorliegenden Fall die Regelungen im nigerianischen Gesetz für Ehesachen von 1970 heranzuziehen sind.
[9]Das in Nigeria geltende Recht entstammt zwei grundsätzlich verschiedenen Quellen und zwar einerseits dem englischen Rechtskreis (Common Law) und andererseits den verschiedenen Stammesrechten, zu denen auch das islamische Recht gezählt wird. Beide Rechtskreise bestehen nebeneinander. Es ist somit grundsätzlich möglich, dass für einen Bereich der persönlichen Rechte Stammesrecht gilt, für einen anderen Bereich jedoch das englische Recht anwendbar ist (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 76. Lieferung, Nigeria, S. 4-5). In Nigeria bestehen demnach zwei Formen der Ehe gleichberechtigt nebeneinander. Neben der aus dem englischen Recht übernommenen monogamen Ehe steht die dem Stammesrecht entnommene polygame Ehe. Wird eine Ehe nach den Vorschriften des aus dem englischen Rechtskreis stammenden Ehegesetzes geschlossen, so unterliegen Ehevoraussetzungen, Ehewirkungen und Eheauflösung dem Recht englischen Ursprungs. Auf der anderen Seite unterliegen die genannten Rechtsverhältnisse dem Stammesrecht, wenn die Ehe nach Stammesrecht geschlossen wurde (Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 13).
[10]Die am 21. Juli 2018 geschlossene Ehe des Klägers mit der Referenzperson ist ausweislich des vorliegenden Auszugs aus dem nigerianischen Eheregister (Bl. 124 VV) eine Ehe nach dem nigerianischen Ehegesetz (Marriage Act) und unterliegt somit dem englischen Rechtskreis. Nach Abschnitt 3 (1) (a) des nigerianischen Gesetzes für Ehesachen von 1970 (Matrimonial Causes Act 1970) ist eine Ehe nichtig, wenn ein Ehegatte zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits mit einer anderen Person wirksam verheiratet ist (Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 25).
[11]Das nigerianische Recht stellt in Bezug auf die Rechtsfolge, die an das Verbot der Doppelehe anknüpft, im vorliegenden Fall auch das ärgere Recht dar. Für die Referenzperson, die deutsche Staatsangehörige ist, gilt nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB das deutsche Recht. Gemäß § 1306 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darf eine Ehe nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht. Anders als im nigerianischen Recht ist eine Ehe, die gegen das Verbot der Doppelehe verstößt, nach deutschem Recht nicht von Anfang an nichtig, kann jedoch gemäß § 1314 Abs. 1 Nr. 2 BGB aufgehoben werden.
[12]Da sich die Fehlerfolge grundsätzlich nach dem ärgeren Recht bestimmt, trifft den Kläger hier die im nigerianischen Recht für den Fall der Doppelehe vorgesehene Nichtigkeitsfolge, so dass seine mit der Referenzperson geschlossene spätere Ehe unwirksam ist (BGH, Beschluss vom 8. März 2023, a.a.O., Leitsatz 5, Rn. 34).
[13]Nach Überzeugung der Einzelrichterin war der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit der Referenzperson noch wirksam mit Frau J. F. C. F. verheiratet. Die am 10. Oktober 2014 mit Frau [F.] geschlossene Ehe war zum Zeitpunkt der erneuten Eheschließung nicht wirksam geschieden.
[14]Grundsätzlich richtet sich auch die Auflösung von monogamen Ehen, die dem englischen Rechtskreis unterliegen, nach dem nigerianischen Gesetz für Ehesachen von 1970. Für Ehesachen sind die High Courts zuständig, wenn der Antragsteller in Nigeria im Sinne des Gesetzes für Ehesachen seinen Wohnsitz hat. Grundsätzlich ist die Ehescheidung nur bei Vorliegen eines der abschließend aufgeführten Ehescheidungsgründe möglich (Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 15). Nach Abschnitt 15 (1) des nigerianischen Gesetzes für Ehesachen 1970 kann eine Klage auf Scheidung der Ehe von jedem Ehegatten mit der Begründung erhoben werden, dass die Ehe unheilbar zerrüttet ist (Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 27).
[15]Der Kläger hat im Visumsverfahren eine Entscheidung des High Court in Lagos vom 14. Februar 2017 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass die Ehe mit Frau Fernandes am genannten Tag wegen unheilbarer Zerrüttung geschieden wurde (Bl. 27, 125 VV). Die im Auftrag des Generalkonsulats durchgeführte (zweite) Urkundenüberprüfung stuft dieses Scheidungsdokument jedoch – ebenso wie bereits die erste Urkundenüberprüfung – als ungültig ein. Der Urkundenprüfbericht vom 27. April 2022 verweist diesbezüglich auf die Auskunft des High Court in Lagos vom 14. April 2022, wonach das vom Kläger vorgelegte und auf den 14. Februar 2017 datierte Scheidungsdokument nicht vom High Court in Lagos ausgestellt wurde. Es handelt sich somit um eine unechte Urkunde, da derjenige, der als Aussteller des Scheidungsdokuments erscheint – nämlich der High Court in Lagos – die Erklärung tatsächlich nicht abgegeben hat. Diesen Feststellungen ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten ...
[16]b) Abgesehen davon ist die – hier bereits unwirksame – Scheidung nach der oben dargelegten Rechtsprechung des BGH jedenfalls auch deshalb nicht zu berücksichtigen, weil es zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an einer positiven Anerkennungsentscheidung durch die zuständige Landesjustizbehörde fehlt.
[17]Gemäß § 107 Abs. 1 FamFG werden Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe für nichtig erklärt, aufgehoben, dem Ehebande nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden oder durch die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Beteiligten festgestellt worden ist, nur anerkannt, wenn die Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen. Hat ein Gericht oder eine Behörde des Staates entschieden, dem beide Ehegatten zur Zeit der Entscheidung angehören, hängt die Anerkennung nicht von einer Feststellung der Landesjustizverwaltung ab. Die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen, ist gemäß § 107 Abs. 9 FamFG für Gerichte und Verwaltungsbehörden bindend.
[18]Vorliegend bedarf die Entscheidung über die Ehescheidung gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG der Anerkennung durch die zuständige Landesjustizverwaltung. Die Ausnahme für sogenannte Heimatstaatentscheidungen nach § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG greift nicht, da nur der Kläger – nicht aber seine deutsche Ehefrau – die nigerianische Staatsangehörigkeit besitzt.
[19]Der Kläger hatte im Visumsverfahren zwar zunächst eine Entscheidung der Senatsverwaltung für Justiz vom 10. Juli 2019 vorgelegt, mit der diese die Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung des High Court of Lagos State vom 14. Februar 2017 über die Scheidung der am 10. Oktober 2014 mit Frau J. F. C. F. geschlossene Ehe feststellte (Bl. 23 VV). Diese Anerkennungsentscheidung hat die Senatsverwaltung für Justiz jedoch mit Entscheidung vom 7. Juli 2021 wieder aufgehoben (Bl. 202 VV), so dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Anerkennungsfeststellung mehr vorliegt.
[20]II. Vor dem Hintergrund, dass bereits die Ehe mit der Referenzperson nicht wirksam zustande gekommen ist, kommt es auf die Ernsthaftigkeit der Eheführungsabsicht und die damit verbundene Frage, ob eine schützenswerte Ehe im Sinne von Art. 6 Grundgesetz (GG) vorliegt, nicht weiter an.
[21]III. ...