Das gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO angerufene Gericht entscheidet nicht über die Zulässigkeit oder Begründetheit einer möglichen Schiedsklage der Antragstellerin. Diese Prüfung bleibt dem Schiedsgericht vorbehalten. Dabei zählt zu den ausschließlich vom Schiedsgericht zu überprüfenden Aspekten u.a. die Frage, ob ein Rechtsschutzinteresse des Schiedsklägers oder gegebenenfalls eine rechtskräftige entgegenstehende Vorentscheidung vorliegt. Es kann daher in einem Verfahren gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO offen bleiben, welche Wirkungen möglicherweise inzwischen in der im Ausland (hier: Russischen Föderation) ergangene Entscheidungen auf ein gegebenenfalls noch zu führendes Schiedsverfahren nach den vertraglichen Vereinbarungen haben können.
Im Rahmen des § 1032 Abs. 2 ZPO ist unschädlich, dass zur Zeit des Antragseingangs bereits staatliche Verfahren begonnen haben und die Antragstellerin dort die Einrede des Schiedsverfahrens erhoben hat. [LS der Redaktion]
Die Antragstellerin begehrt die Feststellung der Zulässigkeit eines Schiedsverfahrens gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO.
[1]II.
[2]Der Antrag ist zulässig und begründet. Gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO ist auf den Antrag der Antragstellerin festzustellen, dass ein schiedsrichterliches Verfahren zulässig ist.
[3]1. Der Antrag ist zulässig.
[4]Gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 2 ZPO kann ein Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit eines Schiedsverfahrens gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO bei dem Oberlandesgericht gestellt werden.
[5]Das Kammergericht als Oberlandesgericht in Berlin ist gemäß §§ 1062 Abs. 2, 1025 Abs. 2 ZPO örtlich zuständig. Gemäß § 1025 Abs. 2 ZPO findet § 1032 ZPO auch dann Anwendung, wenn der Schiedsort im Ausland liegt. Dies ist hier der Fall, weil die Parteien in der Schiedsklausel des Vertrages vom X Wien in Österreich aus Schiedsort vereinbart haben. Mangels anderer Anknüpfungspunkte ist das Kammergericht gemäß der in § 1062 Abs. 2 ZPO geregelten hilfsweisen Auffangzuständigkeit das örtlich zuständige Gericht.
[6]Die Antragsschrift, der Schriftsatz vom 20. Juni 2022 und die gerichtliche Aufforderung zur Stellungnahme zu dem Antrag sind der Antragsgegnerin ordnungsgemäß zugestellt worden.
[7]Die nach dem Haager Zustellübereinkommen vom 15. November 1965 (HZÜ) veranlasste Zustellung ist allerdings von den zuständigen Organen der Russischen Föderation verweigert worden. Zwar hat das zuständige Justizministerium in Moskau die Schriftstücke erhalten und diese an das Aribtrazh Gericht der Stadt Moskau zum Zweck der Zustellung an die Antragsgegnerin weitergeleitet, das Arbitrazh Gericht hat aber mit dem Beschluss vom 1. Februar 2023, begründet am 2. Februar 2023 die Zustellung verweigert. Die daraufhin mit Beschluss vom 9. März 2023 veranlasste öffentliche Zustellung gilt nach dem Aushang an der Gerichtstafel am 16. März 2023 und der Abnahme am 17. April 2023 gemäß § 188 ZPO am 18. April 2023 als bewirkt.
[8]Die Antragstellerin hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis an der begehrten Entscheidung. Denn auch wenn als Schiedsort Wien vereinbart ist, haben die Streitigkeiten mit der Antragsgegnerin Auswirkungen auf die im Inland ansässige Antragstellerin, deren Vermögenssituation durch die gegen sie in der Russischen Föderation betriebenen Verfahren an ihrem Sitz in Deutschland betroffen ist. Außerdem entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nicht wegen der bereits anhängigen staatlichen Verfahren und der dort von der Antragstellerin erhobenen Schiedseinrede, denn das Oberlandesgericht ist nach der gesetzlichen Wertung in Deutschland das zur Entscheidung über die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens zuständige Gericht (vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2019,
[9]2. Der Antrag ist begründet.
[10]Es ist gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO festzustellen, dass ein Schiedsverfahren zwischen den Parteien für sämtliche Streitigkeiten aus dem Vertrag vom X zulässig ist.
[11]Nach § 1032 Abs. 2 ZPO kann beim Oberlandesgericht bis zur Bildung des Schiedsgerichts Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens gestellt werden. Im Rahmen eines solchen Antrags prüft das staatliche Gericht, ob eine wirksame Schiedsvereinbarung besteht, diese durchführbar ist und der Gegenstand des Schiedsverfahrens der Schiedsvereinbarung unterfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2019,
[12]a.
[13]Zwischen den Parteien besteht eine wirksame Schiedsvereinbarung. Gemäß der Regelung unter Ziffer X des Vertrages vom X unterliegen alle Streitigkeiten aus dem Vertrag einem Schiedsverfahren unter Ausschluss staatlicher Gerichtsbarkeit. Nach dem ausdrücklich vereinbarten anwendbaren deutschen Recht ist eine Schiedsvereinbarung gemäß § 1029 ZPO eine Vereinbarung, die alle oder einzelne entstandene oder künftige Streitigkeiten zwischen den Parteien in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis vertraglicher oder nichtvertraglicher Art, der Entscheidung durch ein Schiedsgericht unterwerfen. Gemäß § 1029 Abs. 2 ZPO kann die Schiedsvereinbarung in Form einer selbständigen Vereinbarung (Schiedsabrede) oder in Form einer Klausel in einem Vertrag (Schiedsklausel) geschlossen werden. Nach dieser Maßgabe regelt Ziffer X eine wirksame Schiedsklausel in Bezug auf alle Streitigkeiten der Parteien im Zusammenhang mit dem Vertrag. Grundsätzlich ist eine Schiedsklausel weit auszulegen und bezieht sich in der Regel auf alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis, also sowohl auf das Zustandekommen und die Beendigung des Vertrages sowie auf sämtliche Pflichten während und nach Beendigung des Vertragsverhältnisses (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2018,
[14]b.
[15]Der Gegenstand des Schiedsverfahrens unterfällt auch der Schiedsvereinbarung. Angesichts der grundsätzlich gebotenen weiten Auslegung der Schiedsvereinbarung sind sämtliche Streitigkeiten der Parteien im Zusammenhang mit dem Vertrag vom X und dessen Zusatzvereinbarungen vor einem Schiedsgericht zu klären, so dass sowohl der Streit über die Zulässigkeit und Wirksamkeit der Kündigung als auch über weitere Verpflichtungen der Parteien einschließlich möglicher Schadensersatzleistungen und andere Rechtsfolgen einer Kündigung vor dem Schiedsgericht auszutragen wäre. Die Antragstellerin kann ihr Feststellungsbegehren auch wie beantragt und tenoriert auf die einzelnen bereits vor staatlichen Gerichten in der Russischen Föderation anhängigen Verfahren beziehen. Eine gezielte Zulässigkeitsprüfung bezogen auf einzelne Streitgegenstände folgt aus dem einheitlichen Prüfungsumfang von § 1032 Abs. 2 und § 1032 Abs. 1 ZPO und entspricht der Prozessökonomie, weil sie der frühzeitigen Klärung der Zuständigkeitsfrage dient (BGH, Beschluss vom 19. September 2019,
[16]Im Verfahren gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO kann offen bleiben, welche Wirkungen möglicherweise inzwischen in der Russischen Föderation ergangene Entscheidungen auf ein gegebenenfalls noch zu führendes Schiedsverfahren nach den vertraglichen Vereinbarungen haben können. Denn das gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO angerufene Gericht entscheidet nicht über die Zulässigkeit oder Begründetheit einer möglichen Schiedsklage der Antragstellerin, diese Prüfung bleibt dem Schiedsgericht vorbehalten. Dabei zählt zu den ausschließlich vom Schiedsgericht zu überprüfenden Aspekten unter anderem auch die Frage, ob ein Rechtsschutzinteresse des Schiedsklägers oder gegebenenfalls eine rechtskräftige entgegenstehende Vorentscheidung vorliegt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 01.10.2011,
[17]Es bleibt auch der Prüfung des Schiedsgerichts vorbehalten, ob die Voraussetzungen für die Einleitung eines Schiedsverfahrens unter Berücksichtigung der Regelung unter Ziffer X des Vertrages über die gütliche Streitbeilegung eingehalten worden sind. Angesichts der bereits von der Antragsgegnerin eingeleiteten staatlichen Verfahren dürfte allerdings ein Schlichtungsverfahren, bei dem die Parteien durch einen Generalvertreter repräsentiert werden, nicht mehr in Betracht kommen.
[18]c. Die Schiedsabrede ist auch durchführbar. Die Parteien haben in der Schiedsklausel die Geltung der Wiener Regeln für das Schiedsverfahren vereinbart, derzeit gilt die Schieds- und Mediationsordnung der Wirtschaftskammer Österreich in der Fassung vom 2. Juni 2021 (VIAC Schieds- und Mediationsordnung, abrufbar unter viac.eu auch in russischer Sprache).
[19]Gemäß Art. 1 Abs. 2 der VIAC Schiedsordnung finden die Wiener Regeln in der bei der Einleitung des Schiedsverfahrens geltenden Fassung Anwendung, wenn - wie hier - die Parteien die Durchführung des Verfahrens nach den Wiener Regeln vereinbart haben.
[20]Danach stehen der Einleitung des Schiedsverfahrens seitens keiner der Parteien Hindernisse entgegen. Insbesondere ist ein Schiedsverfahren nicht deswegen undurchführbar, weil die Antragsgegnerin mit Sanktionen aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine belegt sein könnte. Grundsätzlich muss das Recht der Parteien auf Zugang zur Schiedsgerichtsbarkeit trotz der Sanktionen gewährleistet sein, hiervon geht auch die VIAC (vgl. viac.eu./en/arbitration/sanctions) ausdrücklich aus. Ebenso ist nicht maßgeblich, dass es den in der Russischen Föderation ansässigen Unternehmen aufgrund einer Änderung des Russian Arbitrazh (Commercial) Procedure Code nunmehr möglich sein soll, sich einseitig von einer Schiedsvereinbarung zu distanzieren, worauf sich die Antragsgegnerin in den bereits anhängigen Verfahren in der Russischen Föderation und bei der Anhörung zur Zustellung der streitgegenständlichen Verfahrensunterlagen offensichtlich berufen hat. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin sich im hiesigen Verfahren gar nicht geäußert hat, obwohl ihr insoweit die Darlegungslast hinsichtlich einer Ungültigkeit der Schiedsabrede obläge, wäre auch die Frage, ob eine Abstandnahme von der Schiedsvereinbarung wirksam wäre und der Zulässigkeit einer Schiedsklage entgegenstünde, erst im Schiedsverfahren zu klären.
[21]3. ...