Bei der Abstammung eines Kindes handelt es sich um einen abgeschlossenen Vorgang, sodass nach Art. 220 Abs. 1 EGBGB das vor dem 1.9.1986 geltende Internationale Privatrecht anwendbar ist (BGH, Urteil vom 11. Mai 1994 -
Für ein Abstammungsgutachten kann eine genetische Probe herangezogen werden, die aus auf Postkarten des potentiellen leiblichen Vaters aufgeklebten Briefmarken gewonnen wurde. Zur Überzeugungsbildung können die erklärte Vaterschaftsanerkennung, die über mehrere Jahre gezahlten Unterhaltsbeträge sowie Briefe der verstorbenen Mutter und des potentiellen Vaters herangezogen werden. [LS von der Redaktion neu gefasst]
Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass der verstorbene K. G. ihr Vater ist. Die Beteiligte zu 3. ist die Mutter der Antragstellerin, beide sind deutsche Staatsangehörige. In den Jahren 1962 und 1963 hatte die Beteiligte zu 3. ein intimes Verhältnis mit dem 1925 geborenen und 2020 verstorbenen K. G., der die schweizerische Staatsangehörigkeit hatte. Als die Antragstellerin am 1963 in M. geboren wurde, war die Beteiligte zu 3. nicht verheiratet. In der Folge heiratete sie einen Herrn W., dessen Namen sie und die Antragstellerin annahmen. Mit einem blutgruppenserologischen Gutachten aus 1964 stellte der damals in M. als Gutachter für Blutgruppenserologie tätige Sachverständige Prof. Dr. W. fest, es sei nicht offenbar unmöglich, dass Herr G. der Vater der Antragstellerin sei. Im November 1964 erklärte Herr G. in einem als „Vaterschaftsanerkennung und Alimentenverpflichtung“ überschriebenen Schriftstück gegenüber einem Amtsvormund des Schweizer Kantons ..., er erkenne die Vaterschaft für die Antragstellerin unter dem Vorbehalt an, dass er nicht innerhalb von drei Monaten seine Zeugungsunfähigkeit beweisen kann. Außerdem verpflichtete er sich zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente an die Antragstellerin. In einer schriftlichen Erklärung bestätigte Herr G., dass er seiner „Tochter, M. D.“ im Zeitraum von November 1989 bis November 1996 einen Betrag im Wege der vorweggenommenen Erbfolge überwiesen habe. Im Jahr 2000 ließ Herr G. der Antragstellerin ein vorbereitetes Schriftstück zukommen, in dem sie mit Unterschrift „als einzige Tochter von H. G.“ auf ihren güterrechtlichen Pflichtteil verzichtete. In einem Testament aus 2017 setzte Herr G. die Beteiligte zu 2. als Erbin für sein gesamtes Nachlassvermögen ein. Im September 2021 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht beantragt festzustellen, dass Herr H. G. der Vater der Antragstellerin ist. Das Amtsgericht hat die Beteiligte zu 2. als mögliche Erbin des Herrn G. förmlich am Verfahren beteiligt. Die Beteiligte zu 2. bestreitet nicht, dass Herr G. der biologische Vater der Antragstellerin ist. 2022 hat die Antragstellerin mehrere an sie adressierte Briefe, Briefumschläge und eine Postkarte eingereicht. Hierzu hat sie vorgetragen, dass Herr G. diese Schriftstücke geschrieben habe. Weiterhin hat sie ein durch sie beauftragtes Gutachten eines Sachverständigen der Rechtsmedizin des Universitätsklinikums ... von Februar 2022 eingereicht, in dem die Sachverständige die an den eingereichten Briefen entnommenen DNA-Proben mit einer DNA-Probe der Antragstellerin verglichen hat. Als Ergebnis hat die Sachverständige festgestellt, dass die Vaterschaft von Herrn G. zur Antragstellerin praktisch erwiesen sei, wenn man davon ausgeht, dass Herr G. die eingereichten Briefe selbst zugeklebt und frankiert hat.
Mit Beschluss vom 28.7.2022 hat das Amtsgericht den Feststellungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Die Antragstellerin hat ein weiteres Gutachten der Sachverständigen Dr. A. eingereicht, in dem die Sachverständige die zwischenzeitlich eingereichten DNA-Proben von Nichten und Neffen von Herrn G. mit der DNA der Antragstellerin sowie mit der DNA von den eingereichten Briefen verglichen hat.
[1]II.
[2]Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.
[3]Gemäß § 1600d Abs. 1 BGB ist festzustellen, dass K. H. G. der Vater der Antragstellerin ist.
[4]1.
[5]Der Senat legt den Antrag der Antragstellerin dahin aus, dass die Feststellung der Vaterschaft von K. H. G. begehrt wird, nicht von H. G.. Dies folgt daraus, dass der vollständige Name des am ... 1925 geborenen Herrn G. ausweislich des als Anlage AS6 zur Akte gereichten Auszuges aus dem schweizerischen Zivilstandsregister K. H. G. lautet.
[6]2.
[7]Dieser Feststellungsantrag ist zulässig.
[8]a.
[9]Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass gemäß §§ 100, 169 Nr. 1 FamFG die deutschen Gerichte für das Abstammungsverfahren zuständig sind, weil sowohl die Antragstellerin als Kind im Sinne der Vorschrift als auch die Beteiligte zu 3. als Mutter der Antragstellerin Deutsche sind.
[10]b.
[11]Dem Antrag der Antragstellerin vom ... September 2021 auf Feststellung der Vaterschaft steht die am ... November 1964 erklärte Vaterschaftsanerkennung des verstorbenen Herrn G. nicht entgegen. Nach § 1600d Abs. 1 BGB ist die Vaterschaft nur festzustellen, wenn keine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593 BGB besteht. Besteht nach diesen Vorschriften bereits eine Vaterschaft, etwa gemäß § 1592 Nr. 2 BGB durch eine wirksame Vaterschaftsanerkennung, ist der Antrag auf gerichtliche Vaterschaftsfeststellung unzulässig (Wellenhofer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1600d, Rn. 31; Schwonberg, in: Schulte-Bunert/Weinrich, FamFG, 6. Auflage 2020, § 169, Rn. 4). Dies gilt sowohl für die erfolgte Anerkennung durch einen anderen Mann (BGH FamRZ 1999, 716) als auch für die erfolgte Anerkennung durch denselben Mann, dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt werden soll (Staudinger/Rauscher (2011), § 1600d BGB, Rn. 9). Hier fehlt es jedoch an einer Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 BGB, weil die Vaterschaftsanerkennung vom ... November 1964 nach dem in diesem Verfahren anwendbaren maßgeblichen deutschen Sachrecht unwirksam war.
[12]aa.
[13]Für das gerichtliche Feststellungsverfahren ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deutsches Sachrecht anzuwenden.
[14]Nach Art. 220 Abs. 1 EGBGB bleibt auf vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Vorgänge das bisherige Internationale Privatrecht anwendbar. Abgeschlossene Vorgänge im kollisionsrechtlichen Sinne sind alle unwandelbar angeknüpften Rechtsverhältnisse, deren Anknüpfungstatbestand sich bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung des Internationalen Privatrechts verwirklicht hat und wo das auf sie anzuwendende Kollisionsrecht unwandelbar feststeht (BGH FamRZ 1994, 1027 (IPRspr. 1994 Nr. 99)). Dabei geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass es sich bei der Abstammung um einen abgeschlossenen Vorgang handelt, weil für die Beurteilung der Abstammung auf den Zeitpunkt der Geburt abzustellen sei, der das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht unwandelbar festlege (BGH FamRZ 1994, 1027 (IPRspr. 1994 Nr. 99); ebenso Palandt/Thorn, 78. Auflage 2018, Art. 220 (ab der 79. Auflage nicht mehr kommentiert), Rn. 3 f.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Auflage 2006, S. 194; differenzierend Staudinger/Dörner (2016), Art. 220 EGBGB, Rn. 38; a.A. Kegel, Internationales Privatrecht, 6. Auflage 1987, S. 611).
[15]Für die Zeit vor dem 1. September 1986 bestand im deutschen Internationalen Privatrecht keine ausdrückliche Kollisionsnorm zur abstammungsrechtlichen Zuordnung eines nichtehelichen Kindes zum Vater (Staudinger/Henrich (2022), Art. 19 EGBGB, Rn. 4). Die Rechtsprechung ging jedoch nach Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes davon aus, dass das für die Vaterschaftsfeststellung anzuwendende Statut dem für die Unterhaltspflicht geltenden Statut folgen musste (ausführlich BGH FamRZ 1973, 257 (NJW 1973, 948) (IPRspr. 1973 Nr. 82); BGH FamRZ 1987, 583 (NJW 1987, 2296) (IPRspr. 1987 Nr. 82)). Da gemäß Art. 4 des durch die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht von 1973 und gemäß Art. 18 a.F. EGBGB für die Unterhaltspflicht das am gewöhnlichen Aufenthalt der Unterhaltsberechtigten geltende innerstaatliche Recht maßgebend war, ergibt sich für die in Deutschland lebende Antragstellerin die Anwendbarkeit deutschen Rechts.
[16]Es wirkt sich dabei nicht aus, dass die Antragstellerin im Jahr 1963 und damit vor Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes am 1. Juli 1970 geboren worden ist. Gemäß Art. 220 Abs. 1 EGBGB ist auf abgeschlossene Vorgänge nicht das zum Zeitpunkt des abgeschlossenen Vorgangs geltende Kollisionsrecht anzuwenden, sondern das bis zum 31. August 1986 geltende Kollisionsrecht.
[17]bb.
[18]Das im Feststellungsverfahren in zeitlicher Hinsicht anwendbare deutsche Sachrecht wiederum richtet sich nicht gemäß Art. 224 § 1 EGBGB nach den bis zum 1. Juli 1998 geltenden Vorschriften, sondern nach der aktuellen Gesetzeslage, weil mit der Vorschrift des Art. 224 § 1 EGBGB lediglich bestehende Vaterschaften nicht dem neuen Recht unterstellt werden sollen (Staudinger/Rauscher (2016), Art. 224 § 1 EGBGB, Rn. 14). Wenn - wie hier - die gerichtliche Feststellung bisher noch nicht eingeleitet war, bestimmt sich die Vaterschaftsfeststellung nach neuem Recht.
[19]Ob dies auch für die hier im Rahmen der Zulässigkeit vorzunehmende Beurteilung der Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung vom ... November 1964 gilt oder ob diese Wirksamkeit vielmehr gemäß Art. 224 § 1 EGBGB nach dem bis zum 1. Juli 1998 geltenden Recht zu bewerten ist, kann dahinstehen. Sowohl nach dem derzeit geltenden § 1594 Abs. 3 BGB als auch nach dem bis zum 1. Juli 1998 geltenden § 1600b Abs. 1 a.F. BGB ist eine Anerkennung unter einer Bedingung unwirksam. Die Anerkennung ist bedingt, wenn ihre Wirkung von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht wird (Wellenhofer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1594, Rn. 38). Daraus folgt die Unwirksamkeit der Erklärung vom ... November 1964, weil Herr G. die Anerkennung unter dem Vorbehalt erklärte, dass er nicht innerhalb von drei Monaten seine Zeugungsunfähigkeit beweisen kann.
[20]cc.
[21]Doch selbst wenn sich entsprechend der Auffassung der Standesamtsaufsicht M. die Wirksamkeit der Anerkennungserklärung nach Schweizer Recht zum damaligen Zeitpunkt bestimmen sollte und die behördliche Eintragung der Anerkennung im Geburtenbuch daher möglich erscheint, ist der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis nicht abzusprechen …
[22]3.
[23]Der Feststellungsantrag ist auch begründet.
[24]Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der Senat nach freier Überzeugungsbildung gemäß § 37 Abs. 1 FamFG davon überzeugt, dass Herr G. der Vater der Antragstellerin ist …