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Verfahrensgang

LG Tübingen, Urt. vom 28.08.2023 – 2 O 344/22, IPRspr 2023-221

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand
Vertragliche Schuldverhältnisse → Verbraucherrecht
Zuständigkeit → Gerichtsstandsvereinbarung, rügelose Einlassung
Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand

Leitsatz

Klagen von Unternehmen aus abgetretenem Recht, dessen Zessionar ein Verbraucher sein kann, werden nicht von Art. 18 Brüssel Ia-VO erfasst.

Die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nach Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO ist im Hinblick auf bereicherungsrechtliche Ansprüche begründet, wenn der Erfüllungsort des zugrunde liegenden Vertrags, dessen Nichtigkeit geltend gemacht wird, in Deutschland liegt.

Die Rechtsmissbräuchlichkeit einer mit einem Verbraucher vereinbarten klauselhaften Gerichtsstandsvereinbarung kann auch einer Unternehmerin entgegengehalten werden, die die entsprechende Forderung aus abgetretenem Recht geltend macht. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 269; BGB § 270
EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 18
Klausel-RL 93/13/EWG Art. 3
Rom I-VO 593/2008 Art. 6

Sachverhalt

Die Kl. begehrt von der Bekl., einer Gesellschaft maltesischen Rechts mit Sitz in Malta, die eine deutschsprachige Online-Plattform betreibt und im streitgegenständlichen Zeitraum keine Konzession für die Veranstaltung von Online-Glücksspiel im Land Baden-Württemberg besessen hat, die Rückerstattung verlorener Glücksspieleinsätze. Bei der Kl. handelt es sich um einen Forderungskäufer mit Sitz in St. Gallen in der Schweiz. Gemeinsam mit der in Düsseldorf ansässigen X GmbH betreibt sie das Online-Portal „www.r....de“. Auf dieser Internetseite bieten die Kl. und die X GmbH den Ankauf von Forderungen an, die Privatpersonen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme unterschiedlicher Dienstleistungen gegen Dritte erworben haben wollen. Um an den von der Bekl. angebotenen Spielen teilnehmen zu können, muss der Spieler ein Konto bei der Bekl. eröffnen und auf sein Spielerkonto Geld einzahlen, das er dann für die Glücksspiele einsetzen kann. Die Kl. trägt vor, der Zeuge W. habe als Spieler im Zeitraum von Dezember 2019 bis Oktober 2020 am Online-Glücksspiel teilgenommen. Die Abbuchungen seien über das in Deutschland geführte Girokonto bzw. Kreditkartenkonto des Zeugen erfolgt. Sie behauptet, die Abtretung der Ansprüche des Zeugen sei wirksam.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Klage ist zulässig und begründet.

[2]I. Die Klage ist zulässig.

[3]1. Das LG Tübingen ist international zuständig.

[4]a. Die Zuständigkeit folgt nicht aus Art. 18 EuGVVO. Danach können Klagen eines Verbrauchers gegen seinen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Orts, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Dass der Zeuge W. Verbraucher sein kann, ändert hieran nichts. Die Kl. ist unstreitig nicht Verbraucherin. Klagen von Unternehmern aus abgetretenem Recht werden von der Vorschrift nicht erfasst (EuGH Urt. v. 17.9.2009 – C-347/08; Musielak/Voit/ Stadler/Krüger, EuGVVO, 20. Aufl. 2023, Art. 17 Rn. 1b).

[5]b. Die internationale Zuständigkeit folgt jedoch aus Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO.

[6]Die Kl. macht iSd Norm einen Anspruch aus einem Vertrag geltend, dessen Erfüllungsort in Deutschland liegt. Die Zuständigkeitsfrage richtet sich vorliegend nach der EuGVVO. Der hiesigen Klage liegt ein vertraglicher Anspruch iSv Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO zu Grunde. Der Spieler – der Zeuge W. – hat mit der Bekl. einen Vertrag über die Teilnahme an den Online-Glücksspielen geschlossen. Die Kl. macht als Zedentin der Ansprüche des Spielers bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Grund der behaupteten Nichtigkeit des Vertrags geltend. Dass der Anspruch im Ergebnis wegen der Nichtigkeit des Vertrags (dazu unten) auf einem gesetzlichen Institut und nicht auf Vertragsrecht beruht, nimmt dem Anspruch jedoch nicht den vertraglichen Charakter iSd internationalen Zivilprozessrechts.

[7]Bei autonomer Auslegung des Vertragsbegriffs in Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO ist entscheidend, welche Rechtsnatur das dem Anspruch zu Grunde liegende Schuldverhältnis hat (Geimer/Schütze/ Paulus, Int. Rechtsverkehr, 66. EL Januar 2023, VO (EG) 1215/2012 Art. 7 Rn. 37 ff.). Dies erschließt sich bereits vor dem Hintergrund, dass es sonst zu einer Zuständigkeitsaufspaltung von auf einen (nichtigen) Vertrag bezogenen Ansprüchen kommen würde, die je nach dogmatischer Einordnung einer Anspruchsgrundlage im nationalen Recht zu international betrachtet willkürlichen Ergebnissen führen könnte. Bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Grund der Nichtigkeit eines Vertrags fallen insoweit unter vertragliche Ansprüche iSd Norm (vgl. EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13 Rn. 58).

[8]Der maßgebliche Erfüllungsort der Ansprüche des Zeugen, die er an die Kl. abgetreten hat, liegt in Deutschland. Der Erfüllungsort iSd Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO bestimmt sich nach der sog. Tessili-Regel. Dabei handelt es sich um den Ort, an dem im Einzelfall rechtlich bzw. tatsächlich Erfüllung eingetreten ist bzw. einzutreten hat. Maßgeblich ist das in der Sache anwendbare Recht. Der Zeuge W. hatte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und auch die gesamte Spielzeit über seinen Wohnsitz in Deutschland. Die bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche sind nach §§ 269, 270 Abs. 4 BGB am Wohnsitz des Zeugen zu erfüllen.

[9]c. Die von der Bekl. in Ziffer 25 ihrer AGB enthaltene Gerichtsstandklausel steht dem nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob die Klausel, mit der die Gerichte Maltas gewählt wurden, wirksam in den Spielvertrag einbezogen wurde, denn die Bekl. kann sich wegen Art. 3 Abs. 1 RL/93/13/EWG nicht auf die Gerichtsstandsvereinbarung berufen. Eine solche Klausel, die in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden enthalten ist, ohne im Einzelnen ausgehandelt worden zu sein, und die dem Gericht, in dessen Bezirk sich der Sitz des Gewerbetreibenden befindet, eine ausschließliche Zuständigkeit zuweist, ist als rechtsmissbräuchlich iSv Art. 3 Abs. 1 RL/93/13/EWG anzusehen (EuGH Urt. v. 18.11.2020 – C-519/19 Rn. 35 ff.). Dass die Klausel im Einzelnen ausgehandelt worden wäre, trägt auch die Bekl. nicht vor.

[10]Die Rechtsmissbräuchlichkeit kann auch einer Unternehmerin entgegengehalten werden, die die entsprechende Forderung aus abgetretenem Recht geltend macht. Die Abtretung ändert nichts an der Unwirksamkeit der Gerichtsstandsklausel (EuGH Urt. v. 18.11.2020, aaO).

[11]2. ... II. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO. Die Geltung des Art. 6 Rom I-VO wird von der Abtretung der Ansprüche des Spielers als Verbraucher an die Kl. als Unternehmerin nicht ausgeschlossen. Im Kollisionsrecht bemisst sich die Schutzbedürftigkeit der Parteien nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sodass eine spätere Abtretung keine Auswirkung auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts hat (BeckOGK/Rühl, 1.2.2023, Rom I-VO Art. 6 Rn. 83).

[12]Die in den AGB der Bekl. unter Ziffer 25 enthaltene Rechtswahlklausel ändert daran nichts, da die Bekl. sich hierauf wegen des Vorliegens von Rechtsmissbräuchlichkeit nicht berufen kann. Insofern gilt das oben unter I.1.c. [= Rn. 31] Gesagte entsprechend.

[13]III. ...

Fundstellen

LS und Gründe

MMR, 2024, 61

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2023-221

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
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