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Verfahrensgang

BayObLG, Beschl. vom 01.09.2023 – 102 AR 130/23 e, IPRspr 2023-217

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand
Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand

Leitsatz

Bei einem Darlehensvertrag ist Erfüllungsort im Sinne des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO der Ort, an dem die für diesen Vertrag charakteristische Leistung, die Darlehensgewährung, erbracht worden ist. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 1; EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18

Sachverhalt

Die Antragstellerin macht Darlehensrückzahlungsansprüche gegen die Antragsgegner geltend. Die Antragstellerin hat gegen beide Antragsgegner als Gesamtschuldner am 27. Dezember 2022 jeweils einen Mahnbescheid über die Gesamtvaluta nebst Zinsen beantragt. Als Prozessgericht, an das im Fall des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden soll, hat die Antragstellerin für die Ansprüche gegen den Antragsgegner zu 1) das Landgericht Ingolstadt, für die Ansprüche gegen die Antragsgegnerin zu 2) das Landgericht Osnabrück angegeben. Nach Widerspruch beider Antragsgegner hat das Amtsgericht das Verfahren gegen den Antragsgegner zu 1) an das Landgericht Ingolstadt abgegeben. Für das Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 2) steht die Abgabe mangels Antrags noch aus. Der Antragsgegner zu 1) hat in der Klageerwiderung die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Ingolstadt gerügt. Er sei im Jahr 2019 nach Italien verzogen und wohne nicht mehr in der XXX in Ingolstadt.

Die Antragstellerin hat in der Anspruchsbegründung bezogen auf den Antragsgegner zu 1) beantragt, diesen zur Zahlung von ... € nebst Zinsen zu verurteilen, und angekündigt, das für das Verfahren gegen beide Antragsgegner zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmen zu lassen. Nach Abgabe des Verfahrens an das Landgericht Ingolstadt hat die Antragstellerin noch hilfsweise beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht München I als Gericht des Erfüllungsorts zu verweisen. Eine Verweisung des Rechtsstreits ist noch nicht erfolgt. Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2023 hat die Antragstellerin beim Bayerischen Obersten Landesgericht beantragt, nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als gemeinsam für die Antragsgegner zuständiges Gericht das Landgericht München I, hilfsweise das Landgericht Ingolstadt, äußerst hilfsweise das Landgericht Osnabrück zu bestimmen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung ist zurückzuweisen.

[3]1. Die deutschen Gerichte sind für die Entscheidung über die Gerichtsstandsbestimmung auch dann international zuständig, wenn der Antragsgegner zu 1) seinen Wohnsitz nach Vertragsschluss nach Italien verlegt hat. Dies folgt ungeachtet des Umstands, dass der Auslandsbezug erst nach Abschluss der Verträge entstanden ist, aus Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO. Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) ist gemäß deren Art. 1 anwendbar. Nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. a) Brüssel-Ia-VO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Orts, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. b) Spiegelstrich 2 Brüssel-Ia-VO ist mangels anderer Vereinbarung Erfüllungsort der Verpflichtung für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Als „Dienstleistung“ anzusehen ist nach der notwendigen autonomen Auslegung auch die Gewährung eines verzinslichen Darlehens durch eine Bank (EuGH, Urt. v. 15. Juni 2017, C-249/16, ZIP 2017, 1734 Rn. 36 f.; BGH, Urt. v. 12. Mai 2020, XI ZR 371/18 (IPRspr 2020-314), ZIP 2020, 1629 Rn. 13 [zu Art. 5 Nr. 1 Buchst. b) zweiter Spiegelstrich LugÜ II]; Urt. v. 28. Februar 2012, XI ZR 9/11, NJW 2012, 1817 Rn. 16 ff.) oder durch eine Privatperson (OLG Hamm, Urt. v. 11. Januar 2017, 30 U 107/16 (IPRspr 2017-44b), IPRax 2018, 57 [juris Rn. 32]). Nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO ist für sämtliche Klagen aus dem Darlehensvertrag der Ort maßgeblich, an dem die für diesen Vertrag charakteristische Leistung, die Darlehensgewährung, erbracht worden ist. Die Verpflichtung des Darlehensnehmers, das Darlehen zurückzuzahlen, stellt hingegen nur die Folge der Leistung des Darlehensgebers dar. Danach ist auch für den Rückzahlungsanspruch maßgeblich der Ort, an dem die Gewährung des Darlehens erfolgte (EuGH ZIP 2017, 1734 Rn. 40 ff.; BGH ZIP 2020, 1629 Rn. 13 (IPRspr 2020-314); NJW 2012, 1817 Rn. 23 f.).

[4]Damit liegt der Erfüllungsort für den eingeklagten Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Antragsgegner zu 1) nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO im Bezirk des Landgerichts München I. Unstreitig wohnte bei Darlehensgewährung der Antragsgegner zu 1) in Sauerlach bei München. Wie sich aus den als Anlagen K 1 und K 2 vorgelegten Kontoauszügen ergibt, hatte damals die Antragstellerin ebenfalls in München ihren Wohnsitz. Damit im Einklang hat der Antragsgegner zu 1) vorgetragen, die Darlehensauszahlung sei im Bezirk des Landgerichts München I erfolgt.

[5]Anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Antragsgegner nicht aus Art. 18 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO. Danach kann die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher nur vor den Gerichten des Mitgliedsstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Indessen kommt Art. 18 Brüssel-Ia-VO nur zur Anwendung, wenn eine Verbrauchersache nach Art. 17 Brüssel-Ia-VO vorliegt. Daran fehlt es hier. Weder diente das Darlehen der Finanzierung eines Kaufs beweglicher Sachen (Art. 17 Abs. 1 Buchst. b] i. V. m. Buchst. a] Brüssel-Ia-VO), noch fällt die Darlehensgewährung in den Bereich einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit der Antragstellerin (Art. 17 Abs. 1 Buchst. c] Brüssel-Ia-VO). Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte im Vortrag und den vorgelegten Anlagen der Parteien. Vielmehr hat die Antragstellerin unbestritten dargetan, die Kreditgewährung sei aus privaten Mitteln erfolgt.

[6]2. ...

Fundstellen

LS und Gründe

NJW-RR, 2024, 119

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2023-217

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