PDF-Version

Verfahrensgang

LG Dessau-Roßlau, Urt. vom 15.11.2022 – 2 O 244/22
OLG Naumburg, Urt. vom 09.10.2023 – 12 U 26/23, IPRspr 2023-129

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand
Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand

Leitsatz

Erfolgsort iSd Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ist der Ort, an dem die Primärverletzung entstanden ist. Unerheblich ist hierbei, ob die Erstversorgung an einem anderen Ort erfolgt ist. Ebenso wenig kann der Ort, an dem sekundäre Schäden eingetreten sind, als Erfolgsort angesehen werden.

Die Zuständigkeitsregelungen sind regelmäßig im hohen Maße vorhersehbar, um parallele Verfahren und womöglich sich widersprechende Entscheidungen in zwei (oder mehr) Mitgliedstaaten zu verhindern. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 269; BGB § 270
EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18

Sachverhalt

Die Klägerin macht gegen den in Österreich wohnhaften Beklagten, erstinstanzlich noch vertreten durch seine Eltern, Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall vom xx.xx.2019 geltend, welcher sich ebenfalls in Österreich ereignet hat. Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 15. Dezember 2022 abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I.

[2]Die Klage ist unzulässig, da das Landgericht Dessau-​Roßlau nicht international zuständig ist. Eine internationale Zuständigkeit ergibt sich weder aus Art. 18 EuGVVO (1.) noch aus Art. 7 Nr. 1 EuGVVO (2.) noch aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (3.)

[3]1. Das Landgericht Dessau-​Roßlau war nicht gemäß Art. 18 EuGVVO zuständig. Eine Zuständigkeit nach Art. 18 EuGVVO kann nur gegeben sein, wenn eine Verbrauchersache im Sinne des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO vorliegt, also eine vertragliche Beziehung betreffend a) den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung, b) ein in Raten zurückzuzahlendes Darlehen oder ein anderes Kreditgeschäft, das zur Finanzierung eines Kaufs derartiger Sachen bestimmt ist, oder c) wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Alle Varianten des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO sind nicht einschlägig. Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend. Vertragliche Beziehungen bestehen zwischen den Parteien nicht. Eine vertragliche Beziehung besteht zwischen den Parteien des Rechtsstreits auch nicht aus dem Schreiben der W. Versicherung Aktiengesellschaft vom 4. März 2022 (Anlage K 4, Anlagenband). Es fehlt zum einen daran, dass die W. Versicherung Aktiengesellschaft in Deutschland tätig im Sinne des Art. 17 Abs. 1 c) EuGVVO ist und - ganz entscheidend - an einem Vertrag. Die Klägerin hat das Angebot der Versicherung abgelehnt, ein Vertrag kam mangels Annahme nicht zustande.

[4]2. Eine internationale Zuständigkeit ergibt sich auch nicht aus Art. 7 Nr. 1 EuGVVO, denn es gibt keine freiwillig eingegangene Verpflichtung des Beklagten, auch nicht vertreten durch die W. Versicherung Aktiengesellschaft, gegenüber der Klägerin. Eine solche besteht nicht durch das Schreiben vom 4. März 2022. Eine Verpflichtung ist der Beklagte, vertreten durch die W. Versicherung Aktiengesellschaft damit nicht eingegangen, denn diese hat lediglich „völlig unpräjudiziell und nur für den außergerichtlichen Vergleichsfall“ eine Zahlung in Höhe von ... Euro angeboten. Eine Anerkennung einer Haftung ist damit keineswegs verbunden, im Gegenteil. Die W. Versicherung Aktiengesellschaft stellt eindeutig klar, dass die Zahlung ohne Präjudiz erfolgen solle. Hieraus kann nicht im Ansatz die Anerkennung einer Haftung abgeleitet werden.

[5]Gegenstand des Verfahrens ist dann auch nicht das behauptete Anerkenntnis der W. Versicherung Aktiengesellschaft in Vertretung des Beklagten, sondern ein Anspruch aus dem Verkehrsunfall.

[6]Überdies hat die Klägerin dieses Angebot unstreitig abgelehnt und stattdessen Klage vor dem Landgericht Dessau-​Roßlau erhoben. Damit war auch jede Vertragsanbahnung beendet, die man womöglich in diesem außergerichtlichen Vergleichsangebot hätte sehen können, was aber letztlich nicht entschieden werden muss.

[7]Zuletzt wäre auch Art. 7 Nr. 1 EuGVVO bereits deshalb nicht einschlägig, da der Anspruch aus dem unterstellt angebahnten Vertrag nicht in Deutschland zu erfüllen wäre, sondern der Erfüllungsort in Wien läge, am Sitz der W. Versicherung Aktiengesellschaft. Bei Geldschulden handelt es sich - wie die Berufungserwiderung zutreffend ausführt - um qualifizierte Schickschulden, sodass der Erfüllungsort am Wohnsitz des Schuldners liegt, §§ 270 Abs. 1, 269 Abs. 1 BGB.

[8]3. Die Zuständigkeit des Landgerichts bestand auch nicht nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in seinem Urteil vom 15. Dezember 2022 an, macht sich diese zu eigen.

[9]Im Hinblick auf die Angriffe der Berufung ist lediglich folgendes hinzuzufügen:

[10]Es ist irrelevant, durch wen, wann und vor allem wo die aus dem Unfall resultierende Verletzung behandelt worden ist. Nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO kommt es darauf an, wo das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Das ist hier Wien, Österreich. Hier ereignete sich unstreitig der Verkehrsunfall und durch diesen Verkehrsunfall ist die Primärverletzung entstanden. Dass diese operativ erst in Dessau versorgt wurde, ist unerheblich.

[11]Da die Humerusfraktur bereits im Donauspital in Wien diagnostiziert wurde, was zum einen unstreitig ist, sich zum anderen aber auch aus dem Arztbrief (Anlage B 1, Anlagenband) ergibt, bestehen keine Zweifel des Senats, dass die Schadensfolgen vollständig in Wien eingetreten sind. Dem entspricht auch der sich nach persönlicher Anhörung der Klägerin ergebende weitere zeitliche Verlauf nach Rückkehr aus dem Urlaub ...

[12]Dass womöglich, so ist es jedenfalls mit der Berufungsbegründung behauptet, die Erstversorgung im Donauspital nicht standardgerecht war, vielmehr zumindest die Klägerin auf das notwendige Verhalten bis zur Versorgung im Heimatkrankenhaus hätte hingewiesen werden oder sogleich eine operative Versorgung hätte erfolgen müssen, hat keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit nach der EuGVVO. Zu Recht weist das Landgericht darauf hin, dass die Zuständigkeitsregelungen im hohen Maße vorhersehbar zu sein haben, um parallele Verfahren und womöglich sich widersprechende Entscheidungen in zwei (oder mehr) Mitgliedstaaten zu verhindern. Stellte man in Fällen wie hier auf die Behandlung der Verletzung ab, hätte es der Geschädigte jederzeit selbst in der Hand, sich mehrere mögliche Gerichtsstände zu schaffen. Dies ist bereits deshalb nicht im Sinne der EuGVVO, da dort der Grundsatz der Zuständigkeit des Wohnortgerichtes des Beklagten normiert ist und Ausnahmen hierzu, wie Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, nur in den jeweils benannten engen Grenzen zulässig sind. Es erhöhte auch deutlich das Risiko von Parallelverfahren, was die EuGVVO gerade verhindern möchte.

[13]Es ist auch deshalb nicht auf den behauptet eingetretenen Dauerschaden abzustellen. Dieser ist nur Folge der Primärverletzung. Könnte jeder sekundäre Schaden eine internationale Zuständigkeit begründen, wäre dies in hohem Maße vom Zufall abhängig, was die engen Regeln der EuGVVO aushebelte.

[14]II. ...

Fundstellen

LS und Gründe

NJ, 2024, 177

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2023-129

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>