Die Rückführung minderjähriger Kinder nach Bosnien und Herzegowina ist nach Verstreichen der Jahresfrist des Art. 12 Abs. 1 HKÜ gemäß Art. 12 Abs. 2 HKÜ ausgeschlossen, wenn sich die Kinder in Deutschland eingelebt haben, in das bestehende familiäre, kulturelle und soziale (schulische) Umfeld integriert sind und eine Rückkehr nachdrücklich ablehnen. [LS der Redaktion]
Aus der - inzwischen geschiedenen - Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin sind die Kinder D. F. und Do. F. hervorgegangen. Beide Kinder lebten nach der Trennung der Eltern zuletzt bei der Antragsgegnerin, bis August 2020 in Bosnien und Herzegowina. Im Scheidungsurteil des Gemeindegerichts Zepce, Bosnien und Herzegowina, aus 2015 ist in Bezug auf die Kinder ausgeführt: „Die ehelichen Kinder der Parteien: F., D., ...2006, und F., Do., ...2009, werden mit der Antragstellerin F. M. als Mutter leben.“ In diesem Urteil wurde zudem festgehalten, dass die Eltern gemeinsam für Leben, Gesundheit und Schulung der Kinder sowie für alle wichtigen Angelegenheiten der Kinder sorgen. In der Folgezeit gab es zwischen den Kindeseltern häufig Konflikte. Mitte August 2020 verließ die Antragsgegnerin mit den beiden Kindern Bosnien und Herzegowina und ging nach Deutschland in der Absicht, mit den Kindern dauerhaft dort zu verbleiben. Sie lebt mit beiden Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten seitdem in einem gemeinsamen Haushalt in M. Am 18.11.2020 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Kindesrückführung bei der Zentralen Behörde in Bosnien und Herzegowina. Der Antrag wurde an das Bundesamt für Justiz weitergeleitet. Der Rückführungsantrag des durch das Bundesamt für Justiz vertretenen Antragstellers ging beim Amtsgericht Stuttgart am 24.11.2021 ein.
Der Antragsteller hat vor dem Amtsgericht u.a. beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kinder D. F., geboren am ...2006, und Do. F., geboren am ...2009, (...) innerhalb einer angemessenen Frist nach Bosnien und Herzegowina zurückzuführen. Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 22.12.2021 den Antrag zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.
[1]II.
[2]Die frist- und formgerecht eingelegte und begründete und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.
[3]1.
[4]Zu Recht ist das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss von der Anwendbarkeit des HKÜ auf den vorliegenden Fall ausgegangen.
[5]2.
[6]Die Voraussetzungen für eine Rückführungsanordnung liegen nicht vor.
[7]a) Nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ ordnet das Gericht die sofortige Rückgabe des Kindes an, wenn dieses widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten worden ist, sofern bei Eingang des Rückführungsantrags bei dem zuständigen Gericht eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen ist.
[8]Ist der Antrag erst nach Ablauf der Jahresfrist eingegangen, so ordnet das Gericht die Rückführung an, sofern nicht erwiesen ist, dass das Kind sich in seine neue Umgebung eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 HKÜ).
[9]b) Die Jahresfrist des Art. 12 Abs. 1 HKÜ ist vorliegend nicht gewahrt. Die Antragsgegnerin hat beide Kinder im August 2020 nach Deutschland verbracht, wie die Antragstellerseite selbst vorgetragen hat.
[10]Für die Wahrung der Jahresfrist ist der Eingang des Rückführungsantrags „bei dem zuständigen Gericht“, also bei der Stelle, die über den Antrag entscheidet, und damit nicht bei der Zentralen Behörde im Zufluchtsstaat oder gar im Herkunftsstaat maßgeblich (OLG Hamm, FamRZ 2017, 1679 (IPRspr 2016-173); OLG Stuttgart, FamRZ 2013, 51 (IPRspr 2012-117); Hausmann, IntEuFamR, 2. A., U Rn. 176 m.w.N.).
[11]Bei dem im vorliegenden Fall zuständigen Amtsgericht Stuttgart ist der Rückführungsantrag des Antragstellers ausweislich des Eingangsstempels auf der Antragsschrift erst am 24.11.2021 und damit nach Ablauf der Jahresfrist eingegangen.
[12]c) Die Antragsgegnerin hat zur vollen Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass sich beide Kinder inzwischen in Deutschland in ihre neue Umgebung eingelebt haben (zu den diesbezüglichen Anforderungen vgl. Hausmann, U Rn. 180 ff.). D. und Do. sind hier in das bestehende familiäre, kulturelle und soziale Umfeld integriert. Dies ergibt sich aus einer zusammenfassenden Betrachtung der Stellungnahmen des Jugendamts Ludwigsburg vom 01.12.2021, der Stellungnahmen des Verfahrensbeistands vom 15.12.2021, vom 21.12.2021 und vom 01.02.2022, der Stellungnahme der Hanfbachschule betreffend Darko vom 14.12.2021 sowie der Angaben der Eltern und der Kinder gegenüber der Amtsrichterin ...
[13]d) Der Senat übt das ihm nach Art. 12 Abs. 2 HKÜ zustehende Ermessen (vgl. hierzu Hausmann, U Rn. 185) unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte dahingehend aus, dass eine Rückführung nicht angeordnet wird.
[14]e) Darauf, ob die Voraussetzungen des Art. 13 HKÜ vorliegen oder nicht, kommt es nicht mehr an.
[15]III. ...