Das Vorgehen nach Art. 20 (ehemals Art. 15) EuZustVO setzt - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal - voraus, dass die Zustellung des betreffenden Schriftstücks nach dem Recht des Staates, in dem das Verfahren geführt wird, im Parteibetrieb zu erfolgen hat, weil es sich sonst aus dessen Sicht nicht um einen wirksamen Zustellungsvorgang handeln kann.
Die europäischen Zustellverordnungen treffen keine Regelungen im Hinblick auf das „Ob“ einer Zustellung von Amts wegen oder im Parteibetrieb, sondern gestalten die nach dem nationalen Recht jeweils vorgesehene Zustellungsart aus. Die nach der lex fori processualis einzuhaltenden Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines vollstreckbaren Titels werden durch die Regelungen der Verordnungen nicht berührt, sondern vorausgesetzt.
Nur dann, wenn das nationale Recht eine Zustellung eines Dokuments im Parteibetrieb zulässt, können deshalb die in Art. 15 EuZustVO a.F. (Art. 20 EuZustVO n.F) vorgesehenen Erleichterungen in Anspruch genommen werden. Das deutsche Recht lässt eine Zustellung von im schriftlichen Verfahren nach § 331 Abs. 3 ZPO erlassenen Versäumnisurteilen nicht zu. [LS der Redaktion]
Der in Griechenland ansässige Beklagte ist auf Antrag des Klägers im schriftlichen Vorverfahren nach § 331 Abs. 3 ZPO durch Versäumnisurteil vom 19.7.2019 zur Herausgabe eines gebrauchten Segelboots nebst Zubehör Zug um Zug gegen Zahlung restlichen Kaufpreises innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft des Urteils verurteilt worden. Zugleich wurde die Feststellung ausgesprochen, dass sich der Beklagte mit der Annahme der Restkaufpreiszahlung in Annahmeverzug befinde und wurde er für den Fall, dass er seiner Herausgabepflicht nicht fristgerecht nachkomme, verurteilt, an den Kläger einen weiteren Geldbetrag zu zahlen. Die amtswegig veranlasste Zustellung des Versäumnisurteils an den Beklagten durch die zuständigen griechischen Behörden konnte nicht bewirkt werden, als Grund dafür ist angegeben „Address unknown“ (Adresse unbekannt), „Addressee cannot be located“ (Adressat nicht aufzufinden“).
Der Kläger beantragte, außergerichtliche Kosten nebst Gerichtskosten und Zinsen gegen den Beklagten festzusetzen. Diesen Antrag wies der Rechtspfleger des LG Potsdam mit dem angefochtenen Beschluss vom 28.3.2022 als unzulässig zurück. Mit der „Beschwerde“ vom 5.4.2022 verfolgt der Kläger die Festsetzung der angemeldeten Kosten weiter. Der Rechtspfleger hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen, sondern „die Beschwerde“ mit Beschluss vom 22.8.2022 dem Brandenburgischen OLG zur Entscheidung vorgelegt.
[1]II.
[2]Die als sofortige Beschwerde gemäß § 567 ZPO auszulegende Eingabe des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Potsdam vom 28. März 2022 ist nach § 11 RPflG, §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567, 569 ZPO zulässig, …
[3]Sie ist allerdings unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht Potsdam - Rechtspfleger - den Antrag auf Erlass des beantragten Kostenfestsetzungsbeschlusses zurückgewiesen.
[4]Nach § 103 ZPO kann der Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten nur auf Grund eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels geltend gemacht werden, der bestimmt, wer die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Ein im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 ZPO erlassenes Versäumnisurteil ist allerdings nur dann zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn es beiden Parteien wirksam zugestellt worden ist. Erst dann ist es rechtlich existent wird, denn die Zustellung ersetzt in diesem Fall die Verkündung des Urteils nach § 310 Abs. 1 ZPO und stellt damit den Staatsakt dar, durch den das Urteil aus dem inneren Bereich des Gerichts heraustritt (Zöller-Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 310 Rn. 1). Diese Zustellung ist nach § 166 Abs. 2 ZPO zwingend von Amts wegen vorzunehmen. Eine Zustellung im Parteibetrieb genügt insoweit nicht, denn diese findet - wie sich auch aus § 191 ZPO ergibt - nur in den gesetzlich zugelassenen oder vorgeschriebenen Fällen statt (Zöller-Schultzky, a.a.O., § 166 Rn. 7), zu denen die Zustellung eines im schriftlichen Verfahren erlassenen Versäumnisurteils nicht zählt. Mangels amtswegiger Zustellung kann das Versäumnisurteil vom 19. Juli 2019 deshalb nicht Grundlage des beantragten Kostenfestsetzungsbeschlusses sein und war der darauf gerichtete Antrag des Klägers zurückzuweisen.
[5]Entgegen der Ansicht des Klägers rechtfertigt sich eine andere rechtliche Begründung auch nicht aus Art. 20 EuZustVO (VO [EU) 2020/1784] in der ab dem 01.07.2022 geltenden, der bis dahin in Art. 15 EuZustVO (VO [EU] 1393/2007) enthaltenen Regelung korrespondierenden Fassung, soweit dort bestimmt ist, dass jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des Empfangsmitgliedstaats zustellen lassen kann, wenn eine solche unmittelbare Zustellung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats zulässig ist. Denn das Vorgehen nach Art. 20 (ehemals Art. 15) EuZustVO setzt - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal - voraus, dass die Zustellung des betreffenden Schriftstücks nach dem Recht des Staates, in dem das Verfahren geführt wird, im Parteibetrieb zu erfolgen hat, weil es sich sonst aus dessen Sicht nicht um einen wirksamen Zustellungsvorgang handeln kann (Domej, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., Art 15 EuZustVO Rn 3; Rauscher, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 15 EG-ZustellVO Rn 2, 7; Gottwald, in: Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Internationale Zustellungen Rn 8.83; Okonsga in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivilsachen, Werkstand 65. EL Mai 2022, VO (EG) 1393/2007 Art. 15 Rn 3). Aufgabe der VO (EG) 1393/2007 bzw. der diese ersetzenden VO (EU) 2020/1784 ist es, die Übermittlung und Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke zwischen den Mitgliedstaaten in Zivil - oder Handelssachen (weiter) zu verbessern und zu beschleunigen und zugleich ein hohes Maß an Sicherheit und Schutz bei der Übermittlung solcher Schriftstücke sicherzustellen (vgl. Erwägungsgrund 3, 4 VO (EU) 2020/1784 bzw. Erwägungsgrund 1 VO (EG) 1393/2007). Die Verordnungen treffen mithin keine Regelungen im Hinblick auf das „Ob“ einer Zustellung von Amts wegen oder im Parteibetrieb, sondern gestalten die nach dem nationalem Recht jeweils vorgesehene Zustellungsart aus. Die nach dem lex fori processualis einzuhaltenden Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines vollstreckbaren Titels werden mithin durch die Regelungen der Verordnungen nicht berührt, sondern vorausgesetzt. Nur dann, wenn das nationale Recht eine Zustellung eines Dokuments im Parteibetrieb zulässt, können deshalb die in Art. 15 EuZustVO a.F.(Art. 20 EuZustVO n.F) vorgesehenen Erleichterungen in Anspruch genommen werden. Das deutsche Recht lässt allerdings aus den oben aufgezeigten Gründen eine Zustellung von im schriftlichen Verfahren nach § 331 Abs. 3 ZPO erlassenen Versäumnisurteilen nicht zu.
[6]Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Kläger, wie er geltend macht, das Versäumnisurteil vom 19. Juli 2019 dem Beklagten in Griechenland in einer den Anforderungen des Art. 15 EuZustVO a.F. entsprechenden Art und Weise hat zustellen lassen. Ein Nachweis hierüber findet sich auch im Zusammenhang mit dem Schriftsatz des Klägers vom 25.01.2022 nicht in den Akten.
[7]...