Bei § 575 Abs. 1 BGB handelt es sich um eine international zwingende Formvorschrift i.S.v. Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO.
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Räumung der von ihnen seit 2003 innegehaltenen Wohnung in Anspruch. Die Klägerin ist Eigentümerin der Immobilie X, die sich neben dem Gebäude der Botschaft der Y befindet und für die Unterbringung von Botschaftsangehörigen genutzt sowie teils an botschaftsfremde Personen vermietet wird. Der Beklagte zu 1) schloss mit dem als Vermieter bezeichneten Ministerium für auswärtige Angelegenheiten am 09./14.10.2019 einen neuen Mietvertrag über die Wohnung, der in der Y-Sprache abgefasst ist. Art. 31 des Mietvertrages bestimmt für die nicht im Vertrag geregelten Angelegenheiten die Geltung des Z-Rechts. Der Mietvertrag wurde gemäß Art. 24./1 für den Zeitraum von einem Jahr geschlossen. Die Klägerin teilte dem Beklagten zu 1) im April 2020 mit, der Mietvertrag könne nach Ablauf der bis zum 30.9.2020 vereinbarten Mietzeit nicht verlängert werden.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Klägerin beantragt, die Beklagten unter Abänderung des Urteils und Aufhebung des Versäumnisurteils des Amtsgerichts Mitte zu verurteilen, die Wohnung X zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
[1]II.
[2]Die Berufung ist zulässig. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus dem gemäß Art. 24 Nr. 1 EuGVVO begründeten vorrangigen Gerichtsstand des Belegenheitsortes der Mietsache.
[3]Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gemäß §§ 546 Abs. 1, 985 BGB zu, da das Mietverhältnis weder durch Fristablauf noch durch eine Kündigung beendet worden ist.
[4]Einem vertraglichen Rückgabeanspruch nach § 546 Abs. 1 BGB steht aus den von der Berufung nicht gesondert angegriffenen Gründen des Amtsgerichts bereits entgegen, dass ausweislich des Mietvertrags das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der Y als selbständige juristische Person Vermieterin der streitbefangenen Wohnung ist.
[5]Der Herausgabeanspruch ist auch nicht gemäß § 985 Abs. 1 BGB begründet, da den Beklagten aus dem nicht beendeten Mietverhältnis ein von der zur Überlassung der Wohnung berechtigten Vermieterin abgeleitetes Recht zum Besitz zusteht, § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB.
[6]Die in Art. 24./1 des Mietvertrages vereinbarte Befristung des Mietverhältnisses verstößt gegen § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach der Abschluss eines befristeten Mietverhältnisses nur zulässig ist, wenn einer der in den Ziffern 1 bis 3 genannten Befristungsgründe vorliegt und dem Mieter der Grund der Befristung bei Vertragsschluss schriftlich mitgeteilt wird. An der danach für die ausnahmsweise Wirksamkeit einer Befristung des Mietvertrages vorausgesetzten schriftlichen Mitteilung des Befristungsgrundes fehlt es indes, so dass gemäß § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gilt.
[7]Anders als die Berufung meint, ist auf das streitgegenständliche Mietverhältnis die für eine wirksame Befristung statuierte Formvorschrift des § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB als zwingendes Recht des Belegenheitsortes und nicht gemäß der Rechtswahlklausel des Art. 31 des Mietvertrags Z-Recht anzuwendenden. Dies findet seine Grundlage in Art. 11 Abs. 5 Rom-I-VO, wonach Verträge, die die Miete einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand haben, den Formvorschriften des Staates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, unterliegen, sofern diese Vorschriften nach dem Recht dieses Staates unabhängig davon gelten, in welchem Staat der Vertrag geschlossen wird oder welchem Recht dieser Vertrag unterliegt, und von ihnen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
[8]Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
[9]Das auf das eine Verbindung zu dem Recht verschiedener Staaten aufweisende Mietverhältnis als vertraglichem Schuldverhältnis anwendbare Recht bestimmt sich gemäß Art. 3 Nr. 1 lit. b) EGBGB, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Rom-I-VO nach den Regeln der Rom-I-VO.
[10]Die nach der Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 Rom-I-VO grundsätzlich zulässige kollisionsrechtlich freie Rechtswahl wird vorliegend aufgrund der Formvorschrift des § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB als im Sinne von Art. 11 Abs. 5 Rom-I-VO international zwingend geltendes Recht des Belegenheitsortes verdrängt, wobei von der Vorschrift als Anknüpfungsvorschrift für Formfragen bei Schuldverträge, die die des EGBGB ersetzen, nicht nur Verträge über ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache, sondern auch Verträge, die die Miete einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand haben, erfasst sind.
[11]Eine international zwingende Wirkung i.S.v. Art 11 Abs. 5 Rom I-VO ist in der Regel solchen Formvorschriften zuzubilligen, deren Schutzzweck es erfordert, dass sie sich auch gegenüber an sich einschlägigen ausländischen Formvorschriften durchsetzen. Maßgeblich ist, ob dieser Staat, wenn aus seiner Sicht inländische Immobilien betroffen sind, inländische Formvorschriften ohne Rücksicht auf den Abschlussort des Vertrages oder sein Geschäftsstatut anwendet (vgl. Mäsch, in: BeckOK BGB, 63. Ed. 1.8.2022, VO (EG) 593/2008 Art. 11 Rn. 1, 63-64; Winkler von Mohrenfels, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearb. 2021, ROM I Art 11, Rz. 143, 145; Stürner, in: Erman, BGB, Rom-I-VO, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rz. 10-11).
[12]Eine nach diesen Maßgaben international zwingende Wirkung im Sinne des Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO kommt der mieterschützenden Formvorschrift der schriftlichen Mitteilung des Befristungsgrundes in § 575 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 BGB zu, deren sozialer Zweck ein Eingreifen der Vorschrift unabhängig davon erfordert, welche einschlägigen Vorschriften des grundsätzlich vereinbarten ausländischen Rechts den Mietvertrag beherrschen. Schutzzweck der in § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB angeordneten schriftlichen Begründung der Befristung bei Mietvertragsschluss ist ausgehend von dem das deutsche Mietrecht beherrschenden einheitlich bezweckten Schutz des Mieters durch Erhalt seines Lebensmittelpunktes bei grundsätzlich langfristigem Bestehen des Wohnraummietverhältnisses, dem Mieter bei Vertragsabschluss schriftlich und damit hinreichend klar die ausnahmsweise Beendigung des Mietverhältnisses allein durch Zeitablauf vor Augen zu führen, ohne den von dem Gesetzgeber grundsätzlich vorgesehenen fundamentalen Mieterschutz durch die Kündigungsschutzvorschriften sowie auf die Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen einer persönlichen Härte (§ 574 BGB) und die Gewährung einer Räumungsfrist (§ 721 ZPO) in Anspruch nehmen zu können.
[13]In Anbetracht dessen erlangt das Erfordernis der schriftlichen Begründung der nur in engen Grenzen die Befristung tragenden Gründe unter Darlegung eines konkreten Lebenssachverhalts für den Mieter eine fundamentale schützende Bedeutung, um ihm nicht nur den Umstand der Befristung als solchen unter Umgehung des Bestandsschutzes vor Augen zu führen, sondern auch durch ein Unterscheiden von anderen Interessen eine spätere Überprüfung zu gewährleisten. Dieser weitgehende Schutz vor dem Abschluss eines gesetzesuntypischen befristen Wohnraummietvertrags ist nur gewährleistet, wenn sich die daraus resultierende Formvorschrift - ebenso wie die der Schriftform der Kündigung des Wohnraummietverhältnisses durch den Vermieter - international zwingend gegenüber den an sich einschlägigen und eine Befristung uneingeschränkt zulassenden ausländischen Vorschriften durchsetzt (vgl. BT- Drs. 14/4553, S. 69f.; Mäsch, a.a.O.; Winkler von Mohrenfels, a.a.O., Rz. 145, Lindner, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2021, Rz. 1, 6, 27; Caspers, ZAP 2019, 21, 27 jew. m.w.N.).
[14]Davon ausgehend kann offen bleiben, ob vorliegend - wie von dem Amtsgericht angenommen - die Rechtswahl ohnehin gemäß Art. 3 Abs. 3 Rom-I-VO wegen eines reinen Inlandsfalls beschränkt war.
[15]Eine Vorlage an den EuGH gem. Art 267 AEUV war nicht geboten, da es sich bei der Frage, inwiefern in der Vorschrift des § 575 Abs. 1 BGB eine international zwingende Formvorschrift zu sehen ist, um eine Auslegungsfrage des nationalen und nicht des europäischen Rechts handelt ...
[16]Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen, um eine höchstrichterliche Klärung der Frage zu ermöglichen, ob es sich bei § 575 Abs. 1 BGB um eine international zwingende Formvorschrift im Sinne von Art. 11 Abs. 5 Rom-I-VO handelt.