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Verfahrensgang

VG Düsseldorf, Beschl. vom 30.11.2021 – 27 L 1414/20, IPRspr 2021-344
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 07.09.2022 – 13 B 1911/21

Rechtsgebiete

Öffentliches Recht (ab 2020) → ohne Unterteilung

Leitsatz

1. Der Anwendbarkeit der Vorschriften des Jugendmedienschutzstaatsvertrages a.F. steht nicht der Umstand entgegen, dass die Antragstellerin ihren Sitz nicht im Bundesgebiet, sondern auf Zypern hat. Insbesondere ist das sog. Herkunftslandprinzip der Richtlinie 2000/31/EG (E-​Commerce-​Richtlinie) nicht als Kollisionsregel einzuordnen.

2. Die Vorschrift des § 20 Abs. 6 Satz 2 JMStV a.F., die gerade eine Sonderregelung für den Fall trifft, dass der Anbieter keine Niederlassung im Inland hat, setzt implizit die Möglichkeit des Vorgehens gegen einen im Ausland ansässigen Anbieter voraus.

3. Weder Art. 3 Abs. 1 GG noch Art. 12 Abs. 1 GG gebieten die Aufstellung eines behördlichen Eingriffskonzepts für die zeitliche Reihenfolge des Einschreitens gegen Anbieter von Telemedienangeboten im Unionsgebiet außerhalb Deutschlands, die pornografische Inhalte frei zugänglich anbieten.

4. Das frei zugängliche Angebot pornografischer Inhalte im Internet durch Anbieter mit Sitz im Unionsgebiet außerhalb Deutschlands dürfte eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip aus § 3 Abs. 2 TMG a.F. i.V.m. Art. 3 Abs. 2 E-​Commerce-​Richtlinie begründen:

a) Der Jugendschutz in Gestalt von § 4 Abs. 2 JMStV a.F. stellt ein Schutzgut dar, das ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

b) Dieses Schutzgut ist bei frei zugänglicher Pornografie im Internet ernsthaft und schwerwiegend gefährdet.

c) Die streitbefangenen Maßnahmen - die Beanstandung und die Untersagung der Verbreitung des Angebots in Deutschland, soweit es frei zugängliche Pornografie enthält - dürften im Sinne von § 3 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz TMG a.F. und der gleichlautenden Vorgabe in Art. 3 Abs. 4 Buchst. a iii) E-​Commerce-​Richtlinie auch in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Schutzgut stehen, mithin auch nach Rechtsprechung des EuGH verhältnismäßig sein. Dies gilt insbesondere angesichts dessen, dass es der Antragstellerin freigestellt ist, den Anforderungen durch Implementierung eines Altersverifikationssystems nachzukommen.

d) Der Umfang der von Art. 3 Abs. 4 b) E-​Commerce-​Richtlinie geforderten Konsultations- und Informationspflichten gegenüber dem EU-​Mitgliedstaat, in dem der Anbieter seinen Sitz hat, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, u.a. auch danach, ob das in Rede stehende Verhalten im Sitzland der dortigen Rechtsordnung entspricht.

Rechtsnormen

E-Commerce 2000/31/EG Art. 3
GG Art. 3; GG Art. 12
JMStV § 4; JMStV § 20
TMG § 3

Sachverhalt

[Siehe auch die im Wesentlichen inhaltsgleichen Parallelentscheidungen des VG Düsseldorf vom 30.11.2021 – 27 L 1415/20 (IPRspr 2021-365) und 27 L 1416/20 (IPRspr 2021-366).]

Fundstellen

Bericht

Weismantel, GRURPrax, 2022, 54

LS und Gründe

MMR, 2022, 157, mit Anm. Liesching

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2021-344

Lizenz

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