Ist der Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Insolvenzschuldner erhoben worden und der Schiedsspruch über eine die Insolvenzmasse betreffende Gläubigerforderung ergangen, so hat das Fehlen der Prozessführungsbefugnis auf der Passivseite des Verfahrens die Unzulässigkeit des Antrags zur Folge. [LS von der Redaktion neu gefasst]
Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckbarerklärung eines zu ihren Gunsten am 20.2.2021 in Peking (China) ergangenen Schiedsspruchs der China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC). Die Antragstellerin, eine Gesellschaft mit Sitz in China, und der Antragsgegner, ein in Bayern wohnhafter Einzelunternehmer, stritten im Schiedsverfahren über die Verpflichtung des Antragsgegners, ein von der Antragstellerin im Voraus gezahltes Entgelt zurückzuerstatten und eine Vertragsstrafe zu erbringen, nachdem die als Gegenleistung zugesagte Lieferung von Mundschutz ausgeblieben war. Der in englischer Sprache verfasste Vertrag enthielt in Ziffer 15 eine Schiedsklausel. Danach sollten alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder seiner Ausführung in einem Schiedsverfahren vor der China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC) am Schiedsort Peking entschieden werden. In dem von der Antragstellerin bei der CIETAC eingeleiteten Verfahren erging am 20.2.2021 am Sitz des Schiedsgerichts in Peking ein Schiedsspruch, mit dem der Antragsgegner zur Rückzahlung sowie zur Zahlung eines pauschalen Schadensersatzes nebst Kosten an die Antragstellerin verurteilt wurde.
Mit Schriftsatz vom 10.8.2021 an das Oberlandesgericht München hat die Antragstellerin darum ersucht, diesen Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären. Mit dem Antrag hat sie eine Übersetzung des Schiedsspruchs ins Deutsche sowie eine Abschrift des Schiedsspruchs, deren Übereinstimmung mit dem Original durch eine Notarin in China beglaubigt ist, eingereicht; der Beglaubigungsvermerk bezieht sich auch auf die Echtheit des Schiedsspruchs, die Legalisation auf die Echtheit der Unterschrift der Notarin. Das Oberlandesgericht München hat den Antrag auf Vollstreckbarerklärung mit Beschluss vom 23.8.2021 auf entsprechenden Antrag der Antragstellerin zuständigkeitshalber an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben. Dem Antragsgegner ist der Antrag auf Vollstreckbarerklärung am 1.9.2021 zugestellt worden. Ausweislich der Veröffentlichungen über Insolvenzbekanntmachungen hat das Amtsgericht Rosenheim am 18.5.2021 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragsgegners eröffnet. Die auf diesen Umstand hingewiesene Antragstellerin hat an dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung festgehalten. Sie beruft sich auf die im Insolvenzverfahren ergangene Bekanntmachung vom 1.6.2021. Demnach hat der Insolvenzverwalter dem Schuldner gegenüber nach § 35 Abs. 2 InsO erklärt, dass „Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners, derzeit: Handel von Ersatzteilen für (...) nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden können“.
[1]II.
[2]Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist statthaft, aber nicht zulässig.
[3]1. Für den Antrag ist das Bayerische Oberste Landesgericht gemäß § 1025 Abs. 4, § 1062 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 und 5 ZPO i. V. m. § 7 BayGZVJu in der seit dem 1. Mai 2020 geltenden Fassung zuständig, weil kein deutscher Schiedsort besteht und der Wohnsitz des Antragsgegners in Bayern liegt.
[4]2. Die Form, in der der Schiedsspruch und die Schiedsvereinbarung vorgelegt worden sind, genügt; die Regelungen in Art. II mit Art. IV Abs. 1 Buchst. a) und b), Abs. 2 UNÜ (UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 [BGBl. 1961 II S. 122]) sind nicht als Zulässigkeitsvoraussetzungen, sondern als Beweisbestimmungen zu verstehen (vgl. BGH, Beschl. v. 22. Februar 2001,
[5]Zudem sind die gemäß Art. VII Abs. 1 UNÜ zu berücksichtigenden anerkennungsfreundlicheren Anforderungen des nationalen Rechts (§ 1064 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 ZPO) erfüllt (vgl. BGH, Beschl. v. 25. September 2003, III ZB 68/02 (IPRspr. 2003 Nr. 203), SchiedsVZ 2003, 281 [juris Rn. 9]).
[6]3. Der Antrag ist allerdings nicht zulässig, weil der Antragsgegner bereits im Zeitpunkt der Zustellung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung nicht prozessführungsbefugt war und er seine Prozessführungsbefugnis auch nicht im Lauf des Verfahrens erlangt hat.
[7]a) Das Einzelunternehmen hat keine eigenständige Rechtspersönlichkeit. Prozesspartei ist vielmehr die natürliche Person, die das Einzelunternehmen betreibt. Dass sie im Geschäftsverkehr unter einem anderen als ihrem bürgerlichen Namen handelt, ist in diesem Zusammenhang in rechtlicher Hinsicht ohne Bedeutung. Deshalb sind die rechtlichen Wirkungen, die aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der natürlichen Person resultieren, im Streitfall zu berücksichtigen.
[8]b) Das Verfahren ist mit der Zustellung der Antragsschrift an den Insolvenzschuldner, gegen den sich der Antrag nach seinem eindeutigen Wortlaut richtet, rechtshängig geworden, denn die Zustellung der Antragsschrift an den Insolvenzschuldner ist wirksam. Da dessen Partei- und Prozessfähigkeit, §§ 50, 51 ZPO, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beeinflusst wurden, findet § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO keine Anwendung (vgl. BGH, Beschl. v. 11. Dezember 2008,
[9]c) Weil mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens allerdings die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeht, ist der Insolvenzschuldner in einer Rechtsstreitigkeit, die die Insolvenzmasse betrifft, nicht prozessführungsbefugt. Denn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis umfasst auch die Prozessführungsbefugnis (vgl. BGH, Urt. v. 18. April 2013,
[10]Diese Grundsätze gelten gleichermaßen im Verfahren über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs, hier nach § 1061 Abs. 1 ZPO. Das Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs ist ein der Vollstreckung vorgeschaltetes Erkenntnisverfahren besonderer Art (BGH, Beschl. v. 30. Januar 2013,
[11]Entgegen der Meinung der Antragstellerin ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2007 (
[12]d) Da im Streitfall das Insolvenzverfahren bereits am 18. Mai 2021 und damit weit vor der Zustellung der Antragsschrift am 1. September 2021 eröffnet worden ist, erweist sich der Antrag als unzulässig.
[13]aa) Der Antrag betrifft die Insolvenzmasse, die gemäß § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen umfasst, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und - vorbehaltlich einer Freigabeerklärung - das er während des Verfahrens erlangt. Im Streitfall reklamiert die Antragstellerin für sich einen bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Zahlungsanspruch gegen den Insolvenzschuldner. Gemäß § 38 InsO dient zur Befriedigung dieser Forderung die Insolvenzmasse. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen ist mit der Insolvenzeröffnung gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen.
[14]bb) Da die Antragstellerin als sogenannte Altgläubigerin einen Vollstreckungstitel über eine bereits bei Verfahrenseröffnung entstandene Forderung erstrebt, kann sie aus der am 1. Juni 2021 bekannt gemachten Negativerklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO (i. d. insoweit seit dem 1. Juli 2007 unverändert geltenden Fassung) nichts für sie Günstiges herleiten. Der Bezug ihres Antrags auf die Insolvenzmasse wird durch diese Erklärung nicht beeinflusst.
[15]Ausweislich der nach § 35 Abs. 4 Satz 2 InsO erfolgten Bekanntmachung hat der Insolvenzverwalter von der Möglichkeit des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO Gebrauch gemacht; er hat dem Schuldner gegenüber erklärt, dass das Vermögen, das dieser durch die Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit („derzeit: Handel von Ersatzteilen für ...“) erzielt, nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit des Schuldners nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Mit dieser Negativerklärung, mit der der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit zugunsten des Schuldners freigegeben hat und die mit dem Zugang beim Schuldner wirksam geworden ist (vgl. Kirchner in BeckOK Insolvenzrecht, 24. Ed. Stand: 15. Juli 2021, InsO § 35 Rn. 65 f.; Gehrlein NZI 2020, 503 [504]), hat der Insolvenzverwalter letzterem die Weiterführung der selbständigen Tätigkeit überlassen. Neuerwerb des Schuldners aus der Fortführung seiner Tätigkeit nach der Freigabeerklärung fällt damit nicht mehr in die Masse (BGH, Urt. v. 9. Februar 2012,
[16]Mit der Freigabeerklärung werden zwar diejenigen Vermögensgegenstände und Rechte, die von der Beschreibung als „selbständige Tätigkeit, derzeit Handel von Ersatzteilen für ...“ umfasst werden, aus dem Insolvenzbeschlag herausgelöst (vgl. BSG NZI 2015, 620 Rn. 18), so dass insoweit materiellrechtlich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis sowie verfahrensrechtlich die Prozessführungsbefugnis an den Schuldner zurückfallen (BGH NZI 2013, 641 Rn. 12; Gehrlein NZI 2020, 503 [504]). Nach dem Willen des Gesetzgebers erstreckt sich diese Wirkung der Freigabe auch auf die Vertragsverhältnisse, die der selbständigen Tätigkeit dienen und zum Zeitpunkt der Freigabe bestehen (BGHZ 192, 322 Rn. 18 f., 25 ff.; Kirchner in BeckOK Insolvenzrecht, InsO § 35 Rn. 67; Wittkowski/Kruth in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, Werkstand: 43. EL Mai 2021, § 80 Rn. 95a; Gehrlein NZI 2020, 503 [504]; BT-Drs. 16/3227 S. 17). Diese Vertragsverhältnisse werden daher mit Wirkung ex nunc vom Insolvenzverwalter auf den Schuldner übergeleitet. Rückwirkung entfaltet die Freigabe aber nicht, wenn sie - wie vorliegend - nicht ausdrücklich rückwirkend erteilt wird (vgl. BGH, Urt. v. 21. Februar 2019,
[17]Der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens hat keinen Bezug zu Neuerwerb, den der Schuldner nach Wirksamwerden der Freigabe getätigt hat. Die inmitten stehenden Ansprüche waren zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits i. S. d. § 38 InsO begründet, weil der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen war (vgl. BGH, Beschl. v. 22. September 2011,
[18]cc) Bis zum Zeitpunkt der Entscheidung hat der Antragsgegner die Prozessführungsbefugnis nicht wiedererlangt. Insbesondere ist das Insolvenzverfahren noch nicht beendet, so dass die Voraussetzungen des § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht vorliegen.
[19]III ...
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