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Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe, Urt. vom 23.01.2020 – 8 Ca 194/19
LAG Baden-Württemberg, Teilurt. vom 09.04.2021 – 12 Sa 15/20, IPRspr 2021-282
BAG, Urt. vom 17.11.2021 – 5 AZN 305/21
BAG, Urt. vom 26.04.2022 – 9 AZR 228/21, IPRspr 2022-48
BVerfG, Beschl. vom 17.01.2023 – 1 BvR 2079/22

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht → Individualarbeitsrecht
Allgemeine Lehren → Eingriffsnormen
Allgemeine Lehren → Rechtswahl

Leitsatz

Arbeitet eine Leiharbeitnehmerin, die von einem ausländischen Verleiher entsandt wurde, in Deutschland für den Entleiher, so gilt für die Rechtsbeziehungen zwischen der Leiharbeitnehmerin und dem Entleiher gemäß Art. 8 Abs. 2 VO EG 593/2008 (Rom I) deutsches Recht.

§ 9 Nr. 1 AÜG ist eine zwingende Eingriffsnorm im Sinne des Art. 9 Abs. 1 VO EG 593/2008. Im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung ohne behördliche Erlaubnis ist der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmerin innerhalb des Geltungsbereichs der Norm (in Deutschland) auch dann unwirksam, wenn für diesen Vertrag kraft Rechtswahl ausländisches Recht gilt. Außerhalb des Geltungsbereichs der Norm richtet sich die Wirksamkeit des Vertrags nach dem gewählten Recht.

Auch, wenn im Fall einer Arbeitnehmerüberlassung ohne behördliche Erlaubnis das Vertragsverhältnis von Verleiher und Leiharbeitnehmerin kraft des gewählten Rechts im Ausland wirksam bleibt, gilt gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und der Leiharbeitnehmerin als zu Stande gekommen. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

AÜG § 1; AÜG § 3; AÜG § 9; AÜG § 10
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 8; Rom I-VO 593/2008 Art. 9

Sachverhalt

Die Klägerin macht im vorliegenden Verfahren auf der Grundlage einer von ihr vorgetragenen illegalen Arbeitnehmerüberlassung an die Beklagte u.a. den Bestand eines Arbeitsverhältnisses der Parteien seit dem 01.10.2014 sowie Ausgleich von Wegezeiten geltend. Die Klägerin wurde 1958 geboren. Sie hat die französische Staatsbürgerschaft. Sie gehört keiner deutschen Gewerkschaft an. Am 12.9.2014 schloss die Klägerin mit der A., einer französischen Gesellschaft mit Sitz in Paris (im Folgenden: A.), einen Arbeitsvertrag ab. Sie wurde von A. mit Wirkung ab dem 1.10.2014 als Fachberaterin/Ingenieurin eingestellt. In Paragraph 1 verweist der in französischer Sprache abgefasste Arbeitsvertrag auf den einschlägigen französischen Manteltarifvertrag. Die A. ist ein weltweit agierender Beratungskonzern mit dem Schwerpunkt Technologieberatung. Sie bietet Technologieberatungsdienstleistungen an. Die Beklagte plante, ihr ERP (Enterprise Resource Planning)-​System von MFGPro auf ein Oracle-​System umzustellen und hatte sich deshalb an A. gewandt. Am 16.9.2014/30.11.2015 unterzeichneten der Manager von A. B. und der Prokurist der Beklagten G. das technische und kommerzielle Angebot von A. zur Unterstützung der Beklagten in den Bereichen Vertrieb und Administration. D. erhielt keine leistungsunabhängigen Einmalzahlungen wie ein Weihnachtsgeld oder ein Urlaubsgeld. Ab dem 1.10.2014 gab sie die Leitung des Export-​Verwaltungsteams an die Klägerin ab und widmete sich der Einführung des ERP-​Systems von Oracle. Im August 2015 übernahm D. eine neue Aufgabe in der Produktionsvorplanung. Die Vorgängerin an dieser Stelle, S. geborene M., war bei der Beklagten ausgeschieden. Die entsprechenden Arbeitszeitnachweise der Klägerin wurden von D. gegengezeichnet und an A. zur Abrechnung weitergeleitet. Wie zwischen A. und der Beklagten vereinbart, arbeitete die Klägerin in verschiedenen Büroräumen der Beklagten. Sie übernahm in Vertretung für D. die Leitung des Export-​Verwaltungsteams. Bei Abwesenheit von D. erhielten Kunden der Beklagten die automatische Mitteilung, dass die Klägerin D. vertrete. Ihren Urlaub stimmte die Klägerin mit D. ab, wobei auch die Urlaube des Teams berücksichtigt wurden. Der Urlaub wurde sowohl in den Urlaubskalender der Abteilungsleiter der Beklagten als auch in dem Wandkalender des Export-​Verwaltungsteams verzeichnet. Die Klägerin wurde in die betriebliche Kommunikation der Beklagten aufgenommen. Sie hatte einen eigenen telefonischen Direktwahlanschluss und die E-​Mail-​Adresse T. Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin eine Vielzahl von E-​Mails verwertet, die sie über ihren E-​Mail Account bei der Beklagten erhalten hatte. Die Klägerin trat gegenüber Dritten als Mitarbeiterin der Beklagten auf. Ab dem 01.5.2016 arbeitete die Klägerin für andere Kunden von A. Das noch nicht abgeschlossene Changemanagement zur Umstellung auf das neue ERP-​System übernahm bis Ende 2017 C. in Vollzeit. Sie musste in diesem Zusammenhang zusätzlich einen Konfigurator für „spezielle Kundenanforderungen“ entwickeln und einführen. C. war ebenfalls eine Beschäftigte von A. A. kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 12.4.2019. Wegen der Kündigung und wegen Überstunden im April 2016 ist zwischen A. und der Klägerin vor dem Conseil de Prud´hommes de Strasbourg ein Gerichtsverfahren anhängig, für das eine Verhandlung im März angekündigt war. Auf Anfrage der Klägerin teilte die Bundesagentur für Arbeit ihr mit E-​Mail vom 4.4.2019 mit, dass A. zwischen Oktober 2014 und Mai 2016 nicht im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gewesen sei. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18.4.2019 verlangte die Klägerin von der Beklagten, sie als Sales Coordinator und Sales Manager zu beschäftigen, und bot ihre Arbeitskraft an. Außerdem verlangte sie von der Beklagten eine Auskunft gemäß § 13 AÜG a.F. Es folgte mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 8.7.2019 die Geltendmachung der Überstundenvergütung und des Ausgleichs für Wegezeiten. Die Beklagte reagierte nicht.

Der Gütetermin des erstinstanzlichen Verfahrens fand am 17.9.2019 statt. Die Beklagte wandte sich dagegen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestehe. Sie kündigte mit Schreiben vom 22.1.2020 vorsorglich ein zwischen den Parteien bestehendes Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Der Klägerin ging das Kündigungsschreiben am 23.1.2020 zu. Sie erhob vor dem Arbeitsgericht Karlsruhe Kündigungsschutzklage (7 Ca 24/20). Das Arbeitsgericht hat das Kündigungsschutzverfahren mit Beschluss vom 28.2.2020 bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens ausgesetzt. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.1.2020 abgewiesen. Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 13.2.2020 zugestellt. Die Berufung ging am 28.2., die Berufungsbegründung innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 11.5. beim Landesarbeitsgericht ein.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 23.Januar 2020 (8 Ca 194/19) hat zum Teil Erfolg. Das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts ist teilweise abzuändern. Mit dem Arbeitsantritt der Klägerin bei der Beklagten am 01. Oktober 2014 kam zwischen den Parteien entsprechend § 10 Abs. 1 AÜG in der damals geltenden Fassung (im Folgenden: AÜG ohne Zusatz) ein Arbeitsverhältnis zu Stande, das zumindest bis zum Zugang der außerordentlichen Kündigung der Beklagten am 23. Januar 2020 bestanden hat. Aus diesem Arbeitsverhältnis resultieren Ansprüche der Klägerin auf Überstunden- und Differenzvergütung. Einen Anspruch auf Ausgleich ihrer Wegezeiten hat die Klägerin nicht. Ihr Auskunftsverlangen hat, soweit es sich auf den Zeitraum 01. Oktober 2014 bis 31. Dezember 2020 bezieht, keinen Erfolg.

[3]Klagantrag Nr. 5: Feststellung eines Arbeitsverhältnisses der Parteien ab dem 01. Oktober 2014.

[4]Der Klagantrag Nr. 5 ist zulässig (1) und zumindest für den Zeitraum 01. Oktober 2014 bis 23. Januar 2020 begründet. Zwischen den Parteien ist mit dem Arbeitsantritt der Klägerin am 01. Oktober 2014 entsprechend § 10 Abs. 1 AÜG von Gesetzes wegen ein fiktives Arbeitsverhältnis zu Stande gekommen. Die Rechtsbeziehungen der Parteien richten sich nach deutschem Recht (2). A. hat die Klägerin der Beklagten als Arbeitskraft überlassen (3), ohne die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung zu besitzen (4). Für ihren Arbeitsvertrag haben A. und die Klägerin die Geltung französischen Rechts vereinbart. Die illegale, weil ohne behördliche Erlaubnis erfolgte, Arbeitnehmerüberlassung der Klägerin an die Beklagte hat daher gemäß § 9 Abs. 1 AÜG nur die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags innerhalb des Geltungsbereichs der Norm zur Folge. Die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags in Frankreich blieb von der illegalen Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland unberührt (5). Dennoch ist § 10 Abs. 1 AÜG anwendbar. Er ist dahingehend auszulegen, dass er auch in Fällen mit Auslandsbezug, in denen die Unwirksamkeitsfolge des § 9 Nr. 1 AÜG eingeschränkt ist, seine Rechtswirkungen entfaltet (6). Das fiktive Arbeitsverhältnis der Parteien kann nicht als befristetes Arbeitsverhältnis behandelt werden (7). Die Klägerin hat ihr Recht, sich auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu berufen, nicht materiellrechtlich verwirkt (8). Sie verhält sich insoweit auch nicht widersprüchlich (9).

[5]1. Der Klagantrag Nr. 5 ist zulässig.

[6]a) ... b) ... aa) ... bb) ... 2. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, insbesondere § 10 Abs. 1 AÜG ist auf die Rechtsbeziehungen der Parteien, soweit sie sich nicht aus ihren Vertragsbeziehungen zu A. herleiten, anwendbar. Haben die Vertragspartner keine Rechtswahl getroffen, ist gemäß Art. 8 Abs. 2 VO EG 593/2008 (Rom I) das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit in Erfüllung seines Vertrags verrichtet. Das gilt entsprechend auch für die Rechtsbeziehungen zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher, die unabhängig von deren Vertragsbeziehungen zum Verleiher unmittelbar an die Tätigkeitsaufnahme des Leiharbeitnehmers anknüpfen (vgl. Boemke/Lembke, AÜG, 3. Auflage 2013, Einleitung, Rn. 26).

[7]Die Klägerin hat für die Beklagte in Deutschland gearbeitet, so dass für die Begründung und die Inhalte der Rechtsbeziehungen zwischen ihr und der Beklagten, die keinen Bezug zu den Vertragsbeziehungen mit A. haben, deutsches Recht anzuwenden ist.

[8]3. A. überließ der Beklagten die Klägerin als Arbeitskraft …

[9]a) ... b) ... aa) ... bb) ... cc) ... 4. Die Arbeitnehmerüberlassung erfolgte ohne die gemäß § 1 Abs. 1 AÜG erforderliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Die gesetzliche Erlaubnispflicht trifft auch einen französischen Arbeitnehmerverleiher wie A. Es gilt das Territorialitätsprinzip. Anknüpfungspunkt ist die Arbeitnehmerüberlassung im Geltungsbereich des Gesetzes. Die Klägerin wurde in Deutschland als Arbeitskraft verliehen. Dazu war die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung erforderlich (vgl. auch § 3 Abs. 4 AÜG).

[10]5. Gemäß § 10 Abs. 1 AÜG gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer als zu Stande gekommen, wenn der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist. Der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer ist gemäß § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis hat. § 9 Nr. 1 AÜG ist zwar grundsätzlich auf das Arbeitsverhältnis von A. und der Klägerin anwendbar. Die Gesetzesnorm kann ihre Rechtswirkung jedoch nur innerhalb ihres Geltungsbereichs, in Deutschland, entfalten. Sie berührt nicht den Bestand des Arbeitsvertrages zwischen A. und der Klägerin in Frankreich.

[11]a) Kraft Rechtswahl gilt für das Arbeitsverhältnis von A. und der Klägerin grundsätzlich französisches Recht. Gemäß Art. 8 Abs. 1 VO EG 593/2008 (Rom I) unterliegen Arbeitsverträge dem von den Parteien gewählten Recht. Die Parteien habe die freie Rechtswahl. Sie kann ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falls ergeben (Art. 3 Abs. 1 VO EG 593/2008).

[12]Danach haben A. und die Klägerin für ihren Arbeitsvertrag die Geltung französischen Rechts vereinbart. Das kann bereits aus dem Umstand geschlossen werden, dass die französische Arbeitgeberin mit der französischen Arbeitnehmerin einen Arbeitsvertrag in französischer Sprache vereinbart, der keinen Bezug zu einem anderen Land enthält. Hinzu kommt, dass in Paragraph 1 die Geltung französischen Tarifrechts vereinbart ist, § 13 auf französische Sozialsicherungssysteme verweist und nach § 17 französisches Datenschutzrecht gilt. Auf das Arbeitsverhältnis von A. und der Klägerin ist daher grundsätzlich französisches Recht anzuwenden.

[13]b) Dennoch ist § 9 Nr. 1 AÜG zu beachten. Die Bestimmung kommt als sog. Eingriffsnorm zur Anwendung.

[14]aa) In Durchbrechung der freien Rechtswahl sind die Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt worden sind, rechtswirksam, soweit sie die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen (Art. 9 Abs. 3 VO EG 593/2008). Gemäß Art. 9 Abs. 1 VO EG 593/2008 sind Eingriffsnormen zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seiner öffentlichen Interessen, insbesondere seiner politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet der Rechtswahl der Vertragspartner auf alle in Betracht kommenden Sachverhalte angewandt werden müssen. Der Begriff der Eingriffsnorm ist eng auszulegen (Erwägungsgrund Nr. 37 zur VO EG 593/2008).

[15]bb) Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verfolgt neben dem Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer im Wesentlichen sozial- und ordnungspolitische Zwecke. Hierzu heißt es in der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung vom 15. Juni 1971 unter A II Die vorgesehenen Neuregelungen (BT-​Drucks. VI/2303, S. 9 f.):

[16] „Nach dem vorliegenden Entwurf soll für die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung eine Erlaubnispflicht eingeführt werden; die Verleiher werden der Aufsicht der Bundesanstalt für Arbeit unterstellt. … Diese Einschränkungen der Berufsausübung sind geboten, um bei der Arbeitnehmerüberlassung Verhältnisse herzustellen, die den Anforderungen des sozialen Rechtsstaates entsprechen und eine Ausbeutung der betroffenen Arbeitnehmer ausschließen.“

[17]„Zu § 9

[18]Nummer 1 ergänzt die Vorschrift des § 1, … Die Zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit ist ein wichtiges Mittel, die Verleiher zu einem gesetzmäßigen Verhalten zu veranlassen.“

[19]Die Erlaubnispflicht bei Arbeitnehmerüberlassung wurde aus gewichtigen sozialpolitischen Gründen eingeführt. Als Sanktion soll § 9 Nr. 1 AÜG die Einhaltung der Erlaubnispflicht sicherstellen. Es handelt sich folglich um eine zwingende Eingriffsnorm i.S. des Art. 9 Abs. 1 VO EG 593/2008. Ihre Anwendung in Deutschland auch bei Arbeitsverträgen, die sich nach ausländischem Recht richten, ist entscheidend für die Durchsetzung der mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verfolgten sozialpolitischen Ziele (vgl. Brors, in: Schüren/Hamann, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 5. Auflage 2018, Einleitung Rn. 650 f.; Thüsing, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 4. Aufl. 2018, Einführung Rn. 60; einschränken: Boemke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 3. Auflage 2013, Einleitung Rn. 22; a.A. Ulrici, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 2017, § 9 Rn. 13).

[20]c) Die Anwendung des § 9 Nr. 1 AÜG auf den Arbeitsvertrag von A. und der Klägerin hat jedoch nicht zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt unwirksam ist. § 9 Nr. 1 AÜG gilt nicht über das deutsche Staatsgebiet hinaus. Das bedeutet, der Arbeitsvertrag der Klägerin mit A. war in Frankreich und ggf. im weiteren Ausland von Beginn an wirksam und blieb es auch. Lediglich im Geltungsbereich des § 9 Nr. 1 AÜG, also in Deutschland, war er von Beginn an wegen der fehlenden Erlaubnis von A. zur Arbeitnehmerüberlassung als unwirksam zu behandeln (vgl. Boemke, a.a.O.; Ulrici, a.a.O.).

[21]6. ... 7. ... 8. ... 9. ... Klaganträge Nrn. 6 bis 24: ... Klagantrag Nr. 3: ... Klagantrag Nr. 4: Ausgleich Wegezeiten in Höhe von .. Euro brutto

[22]Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Vergütung von Wegezeiten, die sie benötigt hat, um die Strecke zwischen Wohnung und Betrieb der Beklagten zurückzulegen. Es gibt im deutschen Recht keine Rechtsquelle, die einen derartigen Anspruch begründen könnte.

[23]Die Klägerin verweist auf französisches Recht, ohne dies aber näher zu benennen. Unabhängig davon richtet sich das fiktive Arbeitsverhältnis der Parteien nach deutschem Recht. Französische Vergütungsregelungen zu Wegezeiten können auch nicht über § 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG isoliert angewandt werden. § 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG setzt einen Vergleich aller Entgeltbedingungen voraus.

[24]Der Klagantrag Nr. 4 ist unbegründet. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ist in diesem Punkt zurückzuweisen.

[25]...

Fundstellen

LS und Gründe

DB, 2022, 197, mit Anm. Bähr

Bericht

Ritz, GWR, 2022, 123

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