Ein Produkt ist bereits durch die Bereitstellung zur Abholung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO in Verkehr gebracht, soweit keine Lieferung an einen anderen Ort geschuldet ist. Trägt der Hersteller die Kosten des Weitertransports an einen anderen Ort, so führt dies für sich genommen nicht dazu, dass das Produkt am Zielort dieses Transports in Verkehr gebracht wird.
Das Ergebnis eines im Ausland vorgenommenes Beweisverfahren kann im späteren deutschen Hauptprozess jedoch nicht gemäß § 493 Abs. 1 ZPO verwertet werden. [LS der Redaktion]
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz aus Produzentenhaftung nach italienischem Recht wegen Mängeln an sechs Legebatterien. Die Klägerin hat ihren Sitz in Italien. Sie produziert, verarbeitet und vermarktet Lebensmittel, insbesondere Eier und Eierprodukte. Die Beklagte vertreibt laut Handelsregister-Auszug Artikel der verarbeitenden Industrie - insbesondere X-Legebatterien für den Geflügelzuchtbedarf - und hat ihren Sitz in Deutschland. Zwischen den Parteien bestehen keine vertraglichen Beziehungen über die streitgegenständlichen sechs Legebatterien. Die Beklagte verkaufte mit Vertrag vom 2.12.2009 an die Firma A, die ihren Sitz in den Niederlanden hat, vier X-Legebatterien. Darüber hinaus ist unstreitig, dass die Beklagte eine weitere Legebatterie an die Firma A verkaufte. Bereits zuvor am 3.11.2009 hatte die Beklagte der Firma B, mit Sitz in Frankreich, eine X-Legebatterie verkauft. Diese Legebatterie wurde später von B an die Firma A weiterverkauft. Das erste Einzellagen-Nest Typ X sollte gemäß Ziffer „5. Lieferung“ des Vertrages zwischen der Firma A und der Beklagten am 7. Dezember in Stadt1/Stadt2, Deutschland verladen werden. Die weiteren Nester sollten 60 Tage nach Eingang der ersten Zahlungen von 20% bereit sein. Die Lieferung per LKW nach Stadt3/Italien erfolgte auf Kosten der Firma A. Vier der Legebatterien verkaufte die Firma A jeweils einzeln als A-Volierensysteme an vier verschiedene Leasingunternehmen. Diese vier Leasingunternehmen schlossen wiederum jeweils Leasingverträge mit der Klägerin. In der Zeit Juli bis Dezember 2010 kam es in sechs Hallen in Stadt3/Italien zum Aufbau der Volierensysteme. Dies erfolgte durch Monteure der niederländischen Firma A. Zur Unterstützung hatte die Firma A wiederum Monteure der Beklagten hinzugezogen. Nach der Fertigstellung der Montage kam es zu Problemen, insbesondere mit dem Eier- und dem Kottransport. Im Mai 2011 hat die Firma A nach italienischen Recht ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Beklagte wegen der Probleme mit den Legebatterien bei einem italienischen Zivilgericht in Stadt8 eingeleitet. Zwischen September 2013 und Januar 2014 kam es abschließenden zur Reparatur der Anlagen. Im Jahr 2014 hat die Klägerin Klage gegen die Beklagte ebenfalls vor dem Zivilgericht in Stadt8 erhoben und Schadenersatz verlangt. Am 27.6.2017 hat das Zivilgericht in Stadt8 die Nichtzuständigkeit des italienischen Gerichts zugunsten des deutschen Gerichts festgestellt und sich zur Begründung auf eine Entscheidung des EuGHs vom 16.1.2014 Nr. 45/2014 bezogen. Auch aus dem Umstand, dass die Firma A ein selbständiges Beweisverfahren vor einem italienischen Gericht eingeleitet habe, könne sich für die jetzige Schadenersatzklage kein italienischer Gerichtsstand ableiten.
Daraufhin hat die Klägerin im Mai 2018 vor dem Landgericht Darmstadt eine Schadenersatzklage gegen die Beklagte erhoben, mit welcher sie der Beklagten planerische und strukturelle Mängel und Funktionsstörungen an den sechs Anlagen vorwirft. Die Beklagte wendet sich gegen die Ansprüche der Klägerin. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Entscheidung Berufung eingelegt, mit welcher sie ihre Ansprüche weiterfolgt. Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Darmstadt wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
[1]II.
[2]Die Berufung der Klägerin ist statthaft gemäß § 511 ZPO und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).
[3]Die Berufung ist jedoch unbegründet, denn der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.
[4]Zutreffend ist allerdings der Vorwurf der Klägerin, fehlerhaft sei der Verzicht des Landgerichts gewesen, die Frage, welches materielle Recht im vorliegenden Fall anzuwenden sei, zu klären. Bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt müsse das Gericht zwingend klären, nach welcher Rechtsordnung die Entscheidung zu erfolgen habe. Eine durchgängige Entscheidung nach zwei Rechtsordnungen, wie vom Landgericht letztlich vorgenommen, sei allenfalls in den Fällen zulässig, wenn trotz gründlicher kollisionsrechtlicher Prüfung Zweifel an dem anzuwendenden Recht blieben, was vorliegend aber nicht der Fall sei. Dem ist von Seiten des Senats zuzustimmen. Weiter ist der Klägerin darin zu folgen, dass die Bestimmung des anzuwendenden Rechts nach Art. 5 Rom II-Verordnung zu erfolgen hat, nachdem die Parteien - die nicht Vertragsparteien sind - keine Rechtswahl getroffen haben und auch nachträglich keine solche Wahl erfolgt ist, vielmehr die Parteien während des Rechtsstreits über das anzuwendende Recht unterschiedliche Positionen vertreten.
[5]Im Ergebnis unzutreffend ist jedoch die Ansicht der Klägerin, das auf den vorliegenden Fall italienisches Rechts anzuwenden sei.
[6]Die Prüfung nach Art 5 Abs. 1 Rom II-VO stellt bei allen drei Anknüpfungspunkten des Abs. 1 Satz 1 darauf ab, in welchem Staat das Produkt in Verkehr gebracht worden ist. Diese Voraussetzung dient dazu, die tendenziell geschädigtenfreundlichen Anknüpfung des Abs. 1 Satz 1 durch einen vom Ersatzpflichtigen zu beeinflussendem Kriterium einzuschränken (MünchKommBGB/Junker Art 5 Rom II-VO Rdnr. 24). Außervertragliche Schuldverhältnisse aus Produkthaftung unterliegen der sogenannten Anknüpfungsleiter des Abs. 1 Satz 1, d.h. primär berufen ist demnach das Recht des gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten (lit.a), sekundär das Rechts des Staates, in dem das Produkt erworben wurde (lit.b) und tertiär das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist (lit.c). Jede der drei hintereinandergeschalteten Anknüpfungen kommen aber nur dann zum Zuge, wenn das Produkt in diesem betreffenden Staat auch in Verkehr gebracht worden ist (MünchKommBGB/Junker a.a.O. Rdnr. 30; Erman BGB/Hohloch Art 5 Rom II-VO Rdnr. 6 ff.). Der Begriff des Inverkehrbringens ist entsprechend der englischen Fassung „… if the product was marketed in that country“ im Sinne vom „Vermarkten“, „auf den Markt bringen“ zu verstehen. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte entsprechend ihrer Verträge über insgesamt sechs X-Legebatterien mit der niederländischen Firma A und der französischen Firma B ihr Produkt in Stadt1 zur Abholung bereitgestellt und dort ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren beiden Vertragspartnern erfüllt. Die Produkte sind demnach in Deutschland auf den Markt gebracht worden. Mit den in Deutschland auf den Markt gebrachten Produkten hat der niederländische Käufer - nachdem von der französischen Firma B eine Legebatterie gekauft hat - seinerseits weitere Verträge geschlossen, allerdings Verträge über A-Volierensysteme, die vom Lieferumfang und vom Preis um ein vielfaches umfangreicher waren als die zunächst zugekauften Legebatterien der Beklagten. Mit den in Deutschland in Empfang genommenen Legebatterien waren die Vertragspartner der Beklagten in der Lage, ihrerseits Verträge über die A-Volierensysteme und deren Installierung in Italien zu erfüllen.
[7]Soweit es in den Verträgen zwischen der Beklagten und den Firmen A und B unter Ziffer 5. Lieferbedingungen heißt, dass die Transportkosten nach der tatsächlich in Stadt3 eintreffenden Lkws bezahlt werden, bedeutet dies nicht, dass die X-Legebatterie dort auf den Markt gebracht wurden. Auf den Markt gebracht wurden in Italien A-Volierensysteme und zwar von der Firma A, die in Italien auch zur Installation des ihres Volierensystems in mehreren Hallen vertraglich verpflichtet war.
[8]Fehlt es an einem Inverkehrbringen des Produktes in einem der in Abs. 1 Satz 1 genannten Orten oder an der Voraussehbarkeit dieses Inverkehrbringens, kommt nach Abs. 1 Satz 2 der gewöhnliche Aufenthaltsort des Herstellers als Anknüpfungskriterium zum Zuge (MünchKommBGB/Junker a.a.O. Rdnr. 9). Demnach ist deutsches Recht anzuwenden, denn für die Beklagte ergab sich aus ihren Verträgen mit den Firmen A und B, dass sie ihre Produkte in ihrem Werk in Stadt1 ab 7. Dezember bereitzustellen und zu übergeben hat. Mit dem Verlassen des Werks in Stadt1 erfolgte das Inverkehrbringen der Produkte der Beklagte und nicht erst in Stadt3. Dort kamen vielmehr die A Volierensysteme in Verkehr.
[9]Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang die Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung beantragt hat, erachtet der Senat eine solche Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV für nicht angezeigt. Der EuGH hat in seiner Vorabentscheidung vom 9.2.2016 (in NJW 2006, 825) zur Frage des Inverkehrbringens im Rahmen der Produkthaftung bereits ausgeführt, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls und des Sachverhalts festzustellen, ob die Verbindungen zwischen dem Hersteller und einer anderen Einrichtung (in der Vorlagefall ging es um eine Lieferung an eine Tochtergesellschaft des Herstellers) so eng ist, dass der Begriff des Herstellens auch diese andere Einrichtung umfasst und die Übergabe des Produkts an diese Einrichtung nicht ein Inverkehrbringen bewirkt. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Beklagten und den Firmen A und B um selbständige Firmen und mit der Übergabe der Legebatterien an diese Vertragspartner ist ein Inverkehrbringen gewirkt worden.
[10]Die Forderung der Klägerin auf Schadenersatz aus Produzentenhaftung nach italienischem Recht scheidet demnach bereits mangels Abwendbarkeit italienischen Rechts aus. Ein Schadenersatz nach deutschem Recht besteht jedoch ebenfalls nicht.
[11]Nach deutschen Produkthaftungsgesetz haftet der Hersteller eines Produkts generell nur für Körper-. Gesundheits- und Sachschäden, die durch den Fehler eines Produktes verursacht worden sind. Die Beklagte ist Herstellerin i.S.d. § 1 ProdHaftG, da als Hersteller auch der Produzent eines Teilproduktes nach § 4 ProdHaftG gilt. Die X-Legebatterien sind als Teil in die A-Volierensysteme verbaut worden …
[12]Soweit die Klägerin Schadenersatz für die beschädigten Eier … geltend macht, könnte diese Schadensposition generell als Sache - die eine andere als das fehlerhafte Produkt ist - zu dem Schutzbereich des § 1 Abs. 1 ProdHaftG gehören. Für ihre Behauptung, über die Beschädigungen an den Eiern, die beim Hochklappen des Bodens hinabfielen und zerstört worden seien, hat sich die Klägerin auf die Feststellungen im selbständigen Beweisverfahren berufen, welches von der Firma A gegen die Beklagte im Jahre 2011 vor dem italienischen Zivilgericht Stadt8 eingeleitet worden war. Dem Landgericht wirft die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung vor, dieses Gutachten nicht berücksichtigt zu haben.
[13]Dieser Berufungseinwand ist jedoch unbegründet, denn nach § 493 Abs. 1 ZPO darf sich - bei der Nämlichkeit der Beteiligten - jede Partei auf die inländische selbständige Beweisaufnahme im Hauptprozess berufen (Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann - ZPO Kommentar 77. Auflage § 493 Rdnr. 2; Zöller - ZPO Kommentar 33. Auflage § 493 Rdnr. 1). Das Ergebnis eines im Ausland vorgenommenes Beweisverfahren kann im späteren deutschen Hauptprozess jedoch nicht gemäß § 493 Abs. 1 ZPO verwertet werden (Werner/Pastor - der Bauprozess, 12. Auflage S. 61 Rdnr. 109; OLG Köln NJW 1983, 2779 (IPRspr. 1983 Nr. 190); HansOLG Hamburg in OLGR 2000, 39). Im vorliegenden Fall unterscheiden sich bereits die Parteien des selbständigen Beweisverfahrens in Italien von den Parteien des hiesigen Hauptprozesses. Das selbständige Beweisverfahren hatte die Firma A gegen die Beklagte eingeleitet. Die Firma A ist aber nicht Partei des anhängigen Rechtsstreits. Im Übrigen steht das italienische selbstständige Beweisverfahren nicht dem Verfahren nach [§ 485 ZPO] gleich und das Landgericht hat daher zu Recht seine Entscheidung nicht auf die Feststellungen des italienischen selbständigen Beweisverfahren gestützt.
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