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Verfahrensgang

AG Laufen, Beschl. vom 19.04.2018 – VI 655/17
OLG München, Beschl. vom 24.08.2020 – 31 Wx 241/18, IPRspr 2020-95
BGH, Beschl. vom 24.02.2021 – IV ZB 33/20, IPRspr 2021-1

Rechtsgebiete

Erbrecht → Gewillkürte Erbfolge
Allgemeine Lehren → Rechtswahl

Leitsatz

Für die Frage, ob eine konkludente Wahl deutschen Rechts im Sinne von Art. 83 II EuErbVO für die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments vorliegt, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Rechtsnormen

BGB §§ 2265 ff.; BGB § 2270; BGB §§ 2270 f.
EuErbVO 650/2012 Art. 1; EuErbVO 650/2012 Art. 3; EuErbVO 650/2012 Art. 21; EuErbVO 650/2012 Art. 22; EuErbVO 650/2012 Art. 25; EuErbVO 650/2012 Art. 27; EuErbVO 650/2012 Art. 75; EuErbVO 650/2012 Art. 83
HTestformÜ Art. 4

Sachverhalt

Die Erblasserin war deutsche Staatsangehörige und hatte ihre letzte Wohnanschrift in der ... in ... Sie war in einziger Ehe verheiratet mit dem österreichischen Staatsangehörigen ..., der am ..., zu diesem Zeitpunkt ebenfalls wohnhaft in ..., verstorben war. Die Erblasserin und ihr Ehemann waren im Jahr 1995 von Österreich nach ... umgezogen. Am 25.3.1996 verfassten die Ehegatten in getrennten, aber wortgleichen, jeweils eigenhändig ge- und unterschriebenen Urkunden zwei mit „Gemeinschaftlichen Testament“ überschriebene Schriftstücke folgenden Wortlauts:

Gemeinschaftliches Testament

Ich Frau ... geb. ... in ... derzeit wohnhaft in der ... in ... bin deutsche Staatsangehörige und habe keine Kinder. Ich, Herr ... geb. am ... in ... (Österreich) derzeit wohnhaft in der ... in ... bin österreichischer Staatsangehöriger und habe als einzigen Abkömmling meine am ... in Gotha geborene Tochter ..., die ihrerseits verheiratet und österreichische Staatsangehörige ist. Wir sind miteinander seit 30.V.95 verheiratet, In der freien Verfügung über unser Vermögen sind wir nicht beschränkt, weder durch einen Ehe oder Erbvertrag oder durch ein früheres Testament. Höchst vorsorglich widerrufen wir alle bisher von uns errichteten früheren Verfügungen von Todes wegen und wir bestimmen nun mehr folgendes als unseren gemeinsamen letzten Willen:

I. Wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein.

II. Nach dem Tod des zweiten von uns sollen gemeinsame Schlusserben a) ... b) ... c) ... d) ... zu gleichen Teilen sein.

III. Die hier getroffene Verfügung von Todes wegen (Erbeinsetzung, Schlusserbeneinsetzung u. Vermächtnisanordnung) sind wechselseitig verbindlich. Sie können zu unserer beiden Lebzeiten nur gemeinschaftlich aufgehoben werden. Nach dem Tod eines von uns beiden ist der überlebende Ehegatte nicht mehr berechtigt die Erbeinsetzungen und Vermächtnisanordnungen abzuändern.

IV. Weitere Verfügungen wollen wir heute nicht treffen. Das Original dieses Testaments befindet sich bei unseren persönlichen Unterlagen. Eine Fotokopie befindet sich in der Kanzlei des RAe .... Weitere Abschriften oder Kopien haben wir nicht gefertigt ...

Mit Testament vom 7.10.2013 verfügte die Erblasserin, dass sie „mein Haus + Inventar sowie mein Barvermögen Herrn + Frau ...“ vererbe. Am 4.12.2013 verfasste die Erblasserin ein eigenhändig ge- und unterschriebenes Schreiben, in dem es unter anderem heißt: „Sollte meine Schwester oder mein Neffe sowie Nichten von meinen Konten Geld abgehoben haben müssen sie diese an den Erben zurückbezahlt werden. Ich hatte ihnen nie erlaubt Geld abzuheben“

Mit Antrag vom 26.10.2017 haben die Beschwerdeführer einen Erbschein dahingehend beantragt, dass sie Erben zu je ½ geworden sind. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Mit der Beschwerde verfolgen die Beschwerdeführer ihren Erbscheinsantrag weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag im Ergebnis zurecht abgelehnt. Die Erbfolge nach der Erblasserin richtet sich nämlich nach dem wirksamen gemeinschaftlichen Testament vom 25. März 1996, dessen Bindungswirkung den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegensteht.

[3]1. Die Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments vom 25. März 1996 war zulässig.

[4]a) Da die Erblasserin nach dem 17. August 2015 verstorben ist, ihre Rechtsnachfolge von Todes wegen Prüfungsgegenstand ist und mit der österreichischen Staatsangehörigkeit ihres Ehemanns, mit dem gemeinsam sie das Testament vom 25. März 1996 errichtet hat, ein grenzüberschreitender Bezug vorliegt, bestimmt sich das anwendbare Recht grundsätzlich nach Art, 1 Abs. 1 S.1, Art 83 EuErbVO. Art. 83 Abs. 3 EuErbVO bestimmt, dass eine vor dem 17. August 2015 errichtete Verfügung von Todes wegen zulässig sowie materiell und formell wirksam ist, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III der Verordnung erfüllt oder wenn sie nach den zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung geltenden Vorschriften des Internationalen Privatrechts in dem Staat, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, oder in einem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besaß, oder in dem Mitgliedstaat, dessen Behörde mit der Erbsache befasst ist, zulässig sowie materiell und formell wirksam ist. Nach dem Konzept dieser Übergangsregelung genügt es somit, wenn das Testament nach nur einem der von den unterschiedlichen Kollisionsrechten (EuErbVO, ehemaliges IPR des Aufenthaltsstaates, ehemaliges IPR des Staates der Staatsangehörigkeit, ehemaliges IPR des angerufenen Gerichts) berufenen Rechte zulässig und wirksam ist.

[5]b) Das gemeinschaftliche Testament ist nach dem durch die Kollisionsnormen des Kapitels III der EuErbVO berufenen Recht (Art. 83 Abs. 3,1. Alt. EuErbVO) zulässig.

[6]aa) Für die Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments gilt Art. 25 EuErbVO. Es stellt nämlich einen Erbvertrag im unionsrechtlichen Sinne des Art. 3 Abs. 1. b) EuErbVO dar. Hiernach ist ein Erbvertrag eine Vereinbarung, einschließlich einer Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente, die mit oder ohne Gegenleistung Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen begründet, ändert oder entzieht. Jedenfalls ist das gemeinschaftliche Testament nach deutschem Recht, das wechselbezügliche Verfügungen enthält (§ 2270 BGB), ein Erbvertrag im Sinne des autonom zu bestimmenden Begriffs der EuErbVO (Dutta in: MüKo BGB, 7. Aufl. < 2018>, EuErbVO Art. 3 Rn. 11 mit umfangreichen Nachweisen auch zur Gegenansicht in Fn. 23). Nach der Ausgestaltung des gemeinschaftlichen Testaments insbesondere in Ziffer III beabsichtigten die Erblasserin und deren vorverstorbener Ehemann eine bindende Ausgestaltung der Verfügungen.

[7]Das gemeinschaftliche Testament betrifft mit der Erblasserin und ihrem Ehemann den Nachlass mehrerer Personen, sodass sich das auf die Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments anwendbare Recht grundsätzlich nach Art. 25 Abs. 2 UAbs. 1 EuErbVO richtet.

[8]Ob eine vorrangige, auf das Errichtungsstatut beschränkte, konkludente Wahl des deutschen Rechts durch Bezugnahme auf Form und Inhalt eines gemeinschaftlichen Testaments nach Vorbild der §§ 2265 ff. BGB gemäß Art. 25 Abs. 3 iVm Art. 22 Abs. 2 Alt. 2 EuErbVO vorliegt, kann zunächst noch dahinstehen. Denn auch nach der objektiven Anknüpfung des Errichtungsstatutes (Art. 25 Abs. 2 UAbs. 1 EuErbVO) richtet sich die Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments allein nach deutschem Recht. Hiernach ist das gemeinschaftliche Testament nur zulässig, wenn es nach jedem der Rechte zulässig ist, die nach dieser Verordnung auf die Rechtsnachfolge der einzelnen beteiligten Personen anzuwenden wären, wenn sie zu dem Zeitpunkt verstorben wären, in dem der Erbvertrag geschlossen wurde. Somit ist für beide an dem gemeinschaftlichen Testament beteiligten Personen das hypothetische Erbstatut nach der EuErbVO unter den zum Errichtungszeitpunkt vorliegenden Umständen zu ermitteln.

[9]Die so ermittelte objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO führt für beide Ehegatten in das deutsche Recht. Der gewöhnliche Aufenthalt ist durch eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalls (Erwägungsgründe = Erwgr. Nr. 23 S. 2, Erwgr. Nr. 24 S. 5 EuErbVO) zu bestimmen, wobei maßgeblich auf den Lebensmittelpunkt des Erblassers in familiärer und sozialer Hinsicht abzustellen ist (Erwgr. Nr. 24 S. 3 EuErbVO). Nach den Feststellungen des Nachlassgerichts zogen die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann im Jahr 1995 von Österreich nach Bad Reichenhall. Ab diesem Zeitpunkt hatten die Ehegatten ihren gemeinsamen Hausstand in Deutschland, nennenswerte berufliche, familiäre oder sonstige soziale Beziehungen nach Österreich bestanden nicht mehr. Somit lag der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung in Deutschland, auch wenn sie ihren Lebensmittelpunkt erst seit ungefähr einem Jahr von Österreich nach Deutschland verlagert haben. Da so das Erbstatut nach der EuErbVO für beide Ehegatten deutsches Recht ist, ist die Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments allein hiernach zu bestimmen. Eine zusätzliche Prüfung der Zulässigkeit nach österreichischem Sachrecht, wie das Nachlassgericht sie angestellt hat (S. 7f. des angegriffenen Beschlusses), ist darüber hinaus nicht angezeigt.

[10]bb) ... 2. Das gemeinschaftliche Testament vom 25. März 1996 ist formell wirksam. Art. 83 Abs. 3 EuErbVO gilt auch für die formelle Wirksamkeit.

[11]a) Die formelle Wirksamkeit des Testaments ist nach Art. 27 iVm Art. 83 Abs. 3 1. Alt. EuErbVO zu bestimmen. Das Haager Testamentsformübereinkommen, das nach Art. 75 Abs. 1 U Abs. 2 EuErbVO vorrangig zu berücksichtigen ist, findet sachlich keine Anwendung. Denn das vorliegende gemeinschaftliche Testament wurde in zwei Testamentsurkunden errichtet, sodass im unionsrechtlichen Sinne zwar ein Erbvertrag (Art. 3 Abs. 1 b) EuErbVO), jedoch kein gemeinschaftliches Testament (Art. 3 Abs. 1 c) EuErbVO) vorliegt (Burandt/Rojahn/Burandt/Schmuck, 3. Aufl. <2019>, EuErbVO Art. 27 Rn. 2; Dutta in: MüKo a.a.O., EuErbVO Art. 27 Rn. 1). Nach Art. 4 des Übereinkommens über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht (HTestformÜ) ist auch das Übereinkommen nur auf gemeinschaftliche Testamente im formalen Sinne, also auf durch mehrere Personen in einer Urkunde errichtete Testamente anwendbar.

[12]Art. 27 EuErbVO lässt es für die formelle Wirksamkeit des Testamentes ausreichen, wenn das Testament den Anforderungen eines der von fünf unterschiedlichen Anknüpfungen berufenen Rechte genügt. Hier ist das gemeinschaftliche Testament bereits nach dem von Art. 27 Abs. 1 a) EuErbVO berufenen Recht des Staates, in dem die Verfügung errichtet worden ist - hier Deutschland -, formell wirksam.

[13]b) ... 3. Das gemeinschaftliche Testament vom 25. März 1996 ist schließlich nach Art. 25 Abs. 2 UAbs. 2 in Verbindung mit 83 Abs. 3, 1. Alt. 1 EuErbVO materiell wirksam. Die objektive Anknüpfung der materiellen Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments führt zum deutschen Recht, sodass es im Rahmen der materiellen Wirksamkeit nicht darauf ankommt, ob die Ehegatten konkludent durch Bezugnahme auf erbrechtliche Bestimmungen des BGB das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht der Erblasserin als Errichtungsstatut nach Art. 25 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 83 Abs. 2 EuErbVO gewählt haben. Nach Art. 25 Abs. 2 UAbs. 2 EuErbVO richtet sich die materielle Wirksamkeit eines Erbvertrages im unionsrechtlichen Sinne, der den Nachlass mehrerer Personen betrifft, nämlich nach demjenigen hypothetischen Erbstatut im Sinne des Art. 25 Abs. 2 UAbs. 1 EuErbVO, zu dem die engste Verbindung besteht. Da hier das hypothetische Erbstatut sowohl der Erblasserin als auch ihres vorverstorbenen Ehemannes zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments das deutsche Recht ist, kommt auch für die objektive Anknüpfung der materiellen Wirksamkeit allein deutsches Recht in Betracht.

[14]4. Das gemeinschaftliche Testament vom 25. März 1996 entfaltet Bindungswirkung, die den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegenstand.

[15]a) Auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments findet deutsches Recht Anwendung.

[16]aa) Entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts kann die Ermittlung des insoweit anwendbaren Rechts nicht dahinstehen, da nach den Rechtsordnungen, zu denen das gemeinschaftliche Testament eine Beziehung aufweist (Österreich und Deutschland), die Bindungswirkung des Testamentes vom 25. März 1996 jeweils unterschiedlich zu beurteilen ist.

[17]Unter Anwendung des zum Testamentserrichtungszeitpunkt geltenden österreichischen Rechts kommt dem gemeinschaftlichen Testament nämlich - anders als das Nachlassgericht meint - keine Bindungswirkung zu …

[18]bb) Die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments ergibt sich aus einer entsprechenden konkludenten Rechtswahl.

[19]Nach Art. 25 Abs. 3 EuErbVO können die Parteien eines Erbvertrages im unionsrechtlichen Sinne auch für die Bindungswirkung ihres Erbvertrags, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung, das Recht wählen, das die Person oder eine der Personen, deren Nachlass betroffen ist, nach Artikel 22 unter den darin genannten Bedingungen hätte wählen können. Eine solche Wahl des auf die Bindungswirkung anwendbaren Rechts, die vor dem 17. August 2015 erfolgte, ist nach der Übergangsregelung des Art. 83 Abs. 2 EuErbVO wirksam, wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III der EuErbVO erfüllt. Soweit Art. 83 Abs. 2 EuErbVO hierbei Rückwirkung entfaltet, ist das europa- und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BGH NJW 2019, 3449 (IPRspr 2019-205)). Die Übergangsregelung des Art. 83 Abs. 2 EuErbVO umfasst hierbei alle Rechtswahltatbestände der EuErbVO und damit auch eine Teilrechtswahl des Errichtungsstatutes nach Art. 25 Abs. 3 EuErbVO (BGH NJW 2019, 3449, 33450 (IPRspr 2019-205); J. Schmidt in: BeckOGK, 1.2.2020, EuErbVO Art. 83 Rn. 10f.; Burandt/Rojahn/Burandt/Schmuck, 3. Aufl. <2019>, EuErbVO Art. 83 Rn. 4; Dutta/Weber/Bauer, 1. Auflage 2016, EuErbVO Art. 83 Rn. 10; Palandt/Thorn, BGB, 79. Auflage <2020>, Art. 83 EuErbVO Rn. 4; Rudolf ZfRV 2015, 212, 213; Schoppe IPrax 2014, 27, 29; aA (Anwendung von Art. 83 Abs. 3 EuErbVO als lex specialis für das Errichtungsstatut einschließlich diesbezüglicher Rechtswahl) NK-BGB/Magnus, 2. Auflage 2015, Art. 83 Rn. 14; von Bary, IPrax 2019, 1565; so bei Ausnahme der in Art. 83 Abs. 3 nicht genannten Bindungswirkung auch MüKoBGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, EuErbVO Art. 83 Rn. 7).

[20]Eine ausdrückliche Wahl deutschen Rechts für die Bindungswirkung enthält das Testament vom 26. März 1996 nicht. Jedoch umfasst Art. 83 Abs. 2 EuErbVO auch eine konkludente Rechtswahl (Dutta/Weber/Bauer, 1. Auflage 2016, EuErbVO Art. 83 Rn. 36; NK-BGB/Magnus, 2. Auflage 2015 Art. 83 Rn. 38; Dutta in: MüKoBGB, 7. Aufl. 2018, EuErbVO Art. 83 Rn. 13). Die EuErbVO enthält nämlich einen autonomen Rechtswahlbegriff, der auch für die Übergangsregelung in Art. 83 EuErbVO gilt. Wie sich aus Art. 22 Abs. 2 Alt. 2 EuErbVO ergibt, kann sich eine Rechtswahl im unionsrechtlichen Sinne auch aus den Bestimmungen einer Verfügung von Todes wegen ergeben, also konkludent erfolgen.

[21]Das gemeinschaftliche Testament vom 26. März 1996 enthält eine solche konkludente Wahl deutschen Rechts für die Bindungswirkung, die die Voraussetzungen des Kapitels III der EuErbVO erfüllt (Art. 83 Abs. 2 Var. 1 EuErbVO). Ob eine konkludente Rechtswahl in diesem Sinne vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu bestimmen. (Dutta in: MüKoBGB/, a.a.O. Art. 22 Rn. 14; J. Schmidt in: BeckOGK, a.a.O. Rn. 21; Dutta/Weber/Bauer, 1. Auflage 2016, EuErbVO Art. 22 Rn. 19; NK-BGB/Looschelders, 2. Auflage 2015, Art. 22 Rn. 28; Solomon in: Dutta/Herrler, EuErbVO, S. 19, 40f (Rn.56); Palandt/Thorn, BGB, 79. Auflage 2020, Art. 22 EuErbVO Rn. 6; wohl auch OLG Köln NJW-RR 2019, 1353 (IPRspr 2019-204); aA (Maßgeblichkeit des hypothetisch gewählten Rechts) GKKW IntErbR/Köhler, 3. Auflage <2020>, §4 Rn. 30; Burandt/Rojahn/Burandt/Schmuck, 3. Aufl. 2019, EuErbVO Art. 22 Rn. 6; jurisPK-BGB/Sonnentag, 9. Auflage 2020, Art. 22 EuErbVO Rn. 20; Leitzen ZEV 2013, 128, 129; Pfeiffer IPrax 2016, 310, 313). Eine autonome Begriffsbestimmung der konkludenten Rechtswahl ergibt sich dabei insbesondere daraus, dass sich andernfalls nicht erklären ließe, weshalb die Verordnung selbst in Erwgr. Nr. 39 Kriterien für die Ermittlung konkludenter Rechtswahlen bereithalten sollte, wenn sie diese Frage als von dem Rechtswahlstatut beantwortet wissen wollte (So auch NK-BGB/Looschelders, 2. Auflage 2015, Art. 22 Rn. 28). Darüber hinaus ist nur so gewährleistet, dass die Voraussetzungen einer konkludenten Rechtswahl nicht abhängig von dem gewählten Recht unterschiedlich zu behandeln sind. An Rechtswahlwillen und Rechtswahlbewusstsein sind hierbei keine strengen Anforderungen zu stellen (Dutta in: MüKoBGB/, a.a.O. Art. 22 Rn. 14; Dutta/Weber/Bauer, 1. Auflage 2016, EuErbVO Art. 22 Rn. 19; Palandt/Thorn, BGB, 79. Auflage 2020, Art. 22 EuErbVO Rn. 6.). Nach Erwgr. Nr. 39 S. 2 der EuErbVO ist Indiz für eine konkludente Rechtswahl unter anderem, „wenn z.B. der Erblasser in seiner Verfügung Bezug auf spezifische Bestimmungen des Rechts des Staates, dem er angehört, genommen hat oder das Recht dieses Staates in anderer Weise erwähnt hat.“ Somit sprechen die Bezugnahme auf Rechtsinstitute eines nach der EuErbVO wählbaren Recht, die Verwendung charakteristischer Rechtsbegriffe einer nationalen Erbrechtsordnung oder die Nachbildung von durch nationale Gesetze vorgezeichneten Regelungskonzepten für eine konkludente Rechtswahl.

[22]Nach diesen Grundsätzen haben die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann im Testament vom 26. März 1996 für die Bindungswirkung übereinstimmend konkludent deutsches Recht gewählt. Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehegatte haben nämlich zum einen in ihrem gemeinschaftlichen Testament eine Terminologie verwendet, die auf deutsches Erbrecht hinweist. Insbesondere haben sie die Beteiligten ... und ... ausdrücklich als Schlusserben eingesetzt. Der Begriff des Schlusserben ist in deutscher Rechtsprechung anerkannt (BGH NJW 1998, 543; 2002, 1126; 2017, 329), während er im österreichischen Recht keine Verwendung findet. Zum anderen ergibt sich die konkludente Wahl deutschen Rechts für die Bindungswirkung aus dem Zusammenspiel der Ziffern I-III des gemeinschaftlichen Testaments. Wenn sich die Ehegatten hier nämlich gegenseitig als Alleinerben und Verwandte der Erblasserin als Schlusserben des Letztversterbenden einsetzen, hierbei ferner bestimmen, dass Erbeneinsetzung und Schlusserbeneinsetzung „wechselseitig verbindlich“ sein sollen, zu Lebzeiten beider Ehegatten nur gemeinschaftlich aufgehoben werden können und die Verfügungen nach dem Tod eines Ehegatten unabänderlich sind, ist damit deutlich auf das in §§ 2270 Abs. 1, Abs. 2, 2271 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB vorgezeichnete Regelungskonzept des deutschen Rechts zur verbindlichen gemeinsamen Nachlassplanung in gemeinschaftlichen Testamenten hingewiesen. Für eine konkludente Wahl deutschen Rechts und die Bindungswirkung der Verfügungen spricht letztlich auch, dass nur so der ausdrückliche Wille der Ehegatten, die Verfügungen nach dem Tod eines Ehegatten unwiderruflich auszugestalten, verwirklicht wird.

[23]Diese konkludente Wahl deutschen Rechts für die Bindungswirkung der Verfügungen aus dem gemeinschaftlichen Testament vom 26. März 1996 ist auch nach Art. 83 Abs. 2,1. Alt. EuErbVO wirksam. Das deutsche gehört als Recht der Staatsangehörigkeit der Erblasserin, deren Nachlass durch das gemeinschaftliche Testament betroffen ist, zu den nach Art. 25 Abs. 3 iVm 22 Abs. 1 EuErbVO wählbaren Rechten. Der Verweis auf Art. 22 in Art. 25 Abs. 3 EuErbVO verdeutlicht, dass auch die Teilrechtswahl hinsichtlich des Errichtungsstatutes konkludent erfolgen kann. Das Formerfordernis des Art. 22 Abs. 2 iVm Art. 25 Abs. 3 EuErbVO („in Form einer Verfügung von Todes wegen“) ist ebenfalls erfüllt, weil das gemeinschaftliche Testament vom 26. März 1996 als Erbvertrag im unionsrechtlichen Sinne nach Art. 3 Abs. 1 lit. d) eine Verfügung von Todes wegen im Sinne der EuErbVO ist.

[24]b) ...

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2020, 1951, mit Anm. Fornasier
FGPrax, 2020, 239
RNotZ, 2020, 516
DNotZ, 2021, 447
Rpfleger, 2021, 111, mit Anm. Lamberz
ZEV, 2021, 28, mit Anm. von Bary

Bericht

DNotI-Report, 2021, 30

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-95

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