PDF-Version

Verfahrensgang

AG Karlsruhe, Beschl. vom 28.11.2019 – 6 F 1165/18
OLG Karlsruhe, Beschl. vom 26.11.2020 – 2 UF 3/20, IPRspr 2020-84
BGH, Beschl. vom 11.05.2022 – XII ZB 543/20, IPRspr 2022-148

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Unterhalt
Allgemeine Lehren → Gewöhnlicher Aufenthalt

Leitsatz

Nach Art. 5 HUP findet die durch Art. 3 I HUP angeordnete Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der unterhaltsberechtigten Person keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich dagegen wendet und das Recht eines anderen Staates eine engere Verbindung zu der betreffenden Ehe aufweist. Die Darlegungs- und Beweislast für eine engere Verbindung zu einem anderen als dem nach der Grundanknüpfung in Art. 3 HUP ermittelten Recht trägt der die Einrede erhebende Ehegatte.

Die Auslegung des Begriffs einer engeren Verbindung erfolgt bei einer nicht feststehenden Dauer des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts insbesondere anhand des Indizes des Ortes des letzten gemeinsamen Aufenthalts. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Ehegatten bewusst für eine Scheidung nach dem Recht des letzten gemeinsamen Aufenthalts entschieden haben. Die engere Verbindung zur Rechtsordnung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts wird verstärkt vermittelt, wenn der Unterhaltsverpflichtete dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Das HUP misst dem Kriterium der Staatsangehörigkeit bewusst nur noch nachrangige Bedeutung zu und lässt in seiner Gesamtkonzeption die Staatsangehörigkeit in ihrer Bedeutung typischerweise hinter aufenthaltsorientierten Kriterien zurückstehen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

AUG § 28
BW 1 (Niederl.) Art. 77a; BW 1 (Niederl.) Art. 80a
EuUntVO 4/2009 Art. 3; EuUntVO 4/2009 Art. 15
FamFG § 58; FamFG § 117
HUP 2007 Art. 2; HUP 2007 Art. 3; HUP 2007 Art. 3 ff.; HUP 2007 Art. 5; HUP 2007 Art. 8

Sachverhalt

Die Beteiligten sind geschiedene Ehegatten. Sie streiten um nachehelichen Unterhalt, wobei insbesondere das anzuwendende Recht in Streit steht. Die in V. geborene Antragstellerin und der in S. geborene Antragsgegner besitzen beide die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Antragstellerin nahm im Oktober 1988 ein Geologiestudium in K. auf, wo sie 1990 den Antragsgegner, der ebenfalls in K. Geologie studierte, kennenlernte. Am ... 1992 wurde die gemeinsame Tochter der Beteiligten geboren. Aufgrund der Geburt brach die Antragstellerin ihr Studium ab. Der Antragsgegner trat nach Abschluss des Studiums im Jahr 1994 eine Doktorandenstelle in E. an. Die Antragstellerin ging mit der gemeinsamen Tochter K. mit nach E. und es kam erstmals zur Begründung eines gemeinsamen Haushalts der Beteiligten. Im Jahr 1999 wurde der Antragsgegner nach dem Erwerb seines Doktortitels in E. von der Firma S. als sogenannter „Expat“ angeworben. Das Anstellungsverhältnis als Expat sah vor, dass der Arbeitnehmer für eine befristete Zeit von üblicherweise 4 Jahren an einem internationalen Standort tätig ist und sich anschließend neu auf eine Stelle im Unternehmen bewirbt. Die Antragstellerin und die gemeinsame Tochter zogen nach Abschluss des Grundtrainings ebenfalls in die N. Nach Ende der Befristung wurde der Antragsgegner weiterhin in den N. eingesetzt, so dass die Familie von 1999 bis 2008 in den N. lebte. Die Beteiligten schlossen 2006 einen notariellen Partnerschaftsvertrag, der gemäß Ziffer 16 dem niederländischen Recht unterlag. Außerdem erwarben die Eheleute zeitgleich in V./N. eine Immobilie zum gemeinsamen Miteigentum. Im Partnerschaftsvertrag waren die vermögensrechtlichen Ansprüche näher geregelt und Ziffer 15 des Vertrages legte für den Fall, dass das Zusammenleben auf andere Weise als durch Ableben eines Partners endet, einen Partnerunterhalt fest. Unter Ziffer 10 lit. e war festgelegt, dass der Vertrag bei Heirat aufgelöst wird. 2008 kam es zur Eheschließung der Beteiligten in V./N. Im Anschluss lebten die Eheleute und die gemeinsame Tochter von 2008 bis 2012 in B., B. Ab dem Jahr 2012 lebten die Eheleute nach neuerlichem Stellenwechsel des Ehemannes in H., T., wo sie eine Immobilie zum gemeinsamen Miteigentum erwarben. Der Antragsgegner war dabei in T. von S. nicht mehr als „Expat“ angestellt, sondern unter den Bedingungen eines „Local Non-National“. Die gemeinsame Tochter der Beteiligten war zwischenzeitlich in den N. wohnhaft. Ende des Jahres 2014 kam bei der Ehefrau der Verdacht auf, dass der Ehemann heimlich eine außereheliche Beziehung führt, was er Anfang des Jahres 2015 einräumte. Seit dem Februar 2015 lebten die Eheleute getrennt.

Die Ehe der Beteiligten wurde am 2017 mit amerikanischem Urteil des Amtsgerichts des 505. Gerichtsbezirks, F., T., rechtskräftig geschieden. Die Ehefrau lebt seit Dezember 2017 bei ihren Eltern in B., D. Der Ehemann lebt weiterhin in T./USA. Mit Schriftsatz vom 26.06.2018 stellte die Ehefrau Unterhaltsantrag beim Amtsgericht Karlsruhe. Die Antragsschrift wurde dem Antragsgegner in den USA am 08.12.2018 zugestellt. Die Antragstellerin hat beantragt, den Antragsgegner zur Zahlung von Unterhalt an die Antragstellerin zu verurteilen. Der Antragsgegner hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Das AG hat mit Verfügung vom 17.5.2019 mit ausführlicher Begründung darauf hingewiesen, dass es von der Anwendung texanischen Unterhaltsrechts ausgehe und die Antragstellerin gegebenenfalls zur Begründung ihrer Unterhaltsansprüche nach texanischem Recht aufgefordert werde. Mit Beschluss vom 28.11.2019 hat das AG - Familiengericht - Karlsruhe die Anträge zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat durch ihre Verfahrensbevollmächtigte gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Die Antragstellerin beantragt neben der Zulassung der Rechtsbeschwerde, den Beschluss des AG - Familiengericht - Karlsruhe vom 28.11.2019 aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von Unterhalt an die Beschwerdeführerin zu verurteilen. Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde sowie die Zurückweisung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die gemäß der §§ 58, 117 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Karlsruhe vom 28.11.2019 (6 F 1165/18) hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Antrag der Antragstellerin zu Recht zurückgewiesen.

[3]1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich vorliegend aus Art. 3 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18. Dezember 2008 (EuUntVO), weil die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Das Amtsgericht Karlsruhe hat gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 AUG zu Recht seine örtliche Zuständigkeit bejaht. Das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses trotz fehlender Vollstreckungsmöglichkeiten in den USA wurde ebenfalls zutreffend vom Amtsgericht bejaht.

[4]2. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin findet vorliegend texanisches Unterhaltsrecht Anwendung. Denn die Ehe der Beteiligten weist zum Recht dieses Staates eine engere Verbindung auf als zu Deutschland, dem aktuellen Aufenthaltsort der Antragstellerin.

[5]a) Die Bestimmung des anzuwendenden Rechts folgt dem Haager Unterhaltsprotokoll vom 23.11.2007 (HUP), auf das Art. 15 EuUntVO verweist. Das HUP beinhaltet kollisionsrechtliche Regeln, die gemäß Art. 2 HUP auch dann anzuwenden sind, wenn das darin bezeichnete Recht dasjenige eines Nichtvertragsstaates ist. Es ist loi uniforme, mithin allseitig und ohne Rücksicht darauf anwendbar, ob die von ihm erfassten Sachverhalte irgendwelche räumlichen oder persönlichen Beziehungen zu einem anderen Vertragsstaat als dem Gerichtsstaat haben (Österr. OGH, Beschluss vom 20.09.2017 - 3 Ob 104/17s - FamRZ 2018, 342, 344).

[6]In dem Scheidungsurteil ist entgegen dem Vortrag des Ehemannes allerdings keine Rechtswahl im Sinne des Art. 8 Abs. 1 HUP zu sehen, weshalb sich die Bestimmung des auf die Unterhaltspflicht anzuwendenden Rechts nach den Art. 3-6 HUP richtet. Eine ausdrückliche oder konkludente Bestimmung einer Rechtsordnung als das auf eine Unterhaltspflicht anzuwendende Recht ist dem Wortlaut des Scheidungsurteils nicht zu entnehmen. Allein der Umstand, dass die Eheleute das Scheidungsverfahren in T. betrieben haben, begründet keine Rechtswahl gemäß Art. 8 Abs. 1 HUP.

[7]b) Nach Art. 3 Abs. 1 HUP ist für Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern in den weiteren Vorschriften nichts anders bestimmt ist. Danach wäre also das deutsche Recht anzuwenden.

[8]c) Allerdings ist gemäß Art. 5 HUP vorliegend texanisches Recht anwendbar. Die Regelung des Art. 3 Abs. 1 HUP findet danach dann keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich dagegen wendet und das Recht eines anderen Staates eine engere Verbindung zu der betreffenden Ehe aufweist als zu dem Staat, in dem die berechtigte Person (derzeit) ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das ist hier der Fall.

[9]Die Darlegungs- und Beweislast für eine engere Verbindung zu einem anderen als dem nach der Grundanknüpfung in Art. 3 HUP ermittelten Recht trägt der die Einrede erhebende Ehegatte. Hintergrund der als Einrede zu qualifizierenden Regelung des Art. 5 HUP ist das Vertrauen des Ehegatten in diejenige Rechtsordnung, der sich beide Eheleute während des Bestehens der Ehe unterstellt haben (Dimmler/Bißmaier FPR 2013, 11, 14). Bei Erhebung der Einrede sind alle Verbindungen zu betrachten, die die Ehe zu den verschiedenen betroffenen Ländern aufweist. Nachfolgend ist deshalb abzuwägen, ob die festgestellten bestehenden Verbindungen bedeutsamer sind als die Verbindungen zum Ort des derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalts der unterhaltsberechtigten Person.

[10]Umstände, die vor der Eheschließung oder nach der Ehescheidung liegen, bleiben bei der Gesamtbeurteilung außer Betracht (Österr. OGH, Beschluss vom 20.09.2017 - 3 Ob 104/17s - FamRZ 2018, 342, 345; Hausmann in: Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Auflage 2017, § 10 Rn. 61; Andrae in: Rauscher, EuZPREuIPR, Art. 5 HUntStProt Rn. 15; Staudinger in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, Art. 5 HUP, Rn. 17; Schäuble NZFam 2014, 1071, 1073). Soweit vereinzelt in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass bei der vorzunehmenden Abwägung auch Umstände, die vor der Ehe lagen, berücksichtigt werden können (Ludwig in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Art. 5 UntProt (Stand: 01.03.2020), Rn. 16), vermag sich der Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen. Aus dem Wortlaut des Art. 5 HUP ergibt sich, dass die Verbindungen der betreffenden Ehe entscheidend sind. Maßgeblich können daher nur die Lebensumstände der Eheleute sein, welche die Ehezeit geprägt haben. Würde man auch auf die Gegebenheiten abstellen, die ein voreheliches Zusammenleben der Eheleute geprägt haben, widerspräche dies dem Grundsatz, dass die Ehe einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft rechtlich nicht gleichsteht. Legt man nur die in der Ehezeit vorliegenden Umstände zu Grunde, ist der Beginn des maßgeblichen Zeitraums stets zuverlässig ermittelbar, während der Beginn einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, der nicht durch einen formalen Akt gekennzeichnet ist, bereits deshalb wesentlich schwieriger zu ermitteln wäre.

[11]Eine engere Verbindung im Sinne des Art. 5 HUP kann sich dabei aus verschiedenen Kriterien ergeben; der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt wird in Art. 5 HUP nur beispielhaft genannt, wobei er zwar regelmäßig, aber keineswegs zwangsläufig eine engere Beziehung zur Ehe haben wird als der aktuelle Aufenthaltsort des Berechtigten (Andrea Bonomi, Erläuternder Bericht zum Protokoll vom 23. November 2007, Rn. 86; nachfolgend genannt: Bonomi-Bericht). Weitere Kriterien können beispielsweise ein früherer gemeinsamer Aufenthaltsort während der Ehe, eine gemeinsame Staatsangehörigkeit, der Ort der Eheschließung und derjenige der Ehescheidung sein (Bonomi-Bericht Rn. 85; Ivo Bach in: Hüßtege/Mansel, BGB, RomVerordnungen - EuErbVO - HUP, 3. Aufl., 2019, Art. 5 HUP Rn. 14). Die Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung sollte von einem Gewicht sein, das es nachvollziehbar erscheinen lässt, von der Grundsatzanknüpfung des Gläubigeraufenthaltsstatuts abzuweichen (Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Auflage 2019, § 10 Rn. 132). Haben die Ehegatten eine gemeinsame Staatsangehörigkeit, so kann das gemeinsame Heimatrecht das sachnähere Recht sein. Die gemeinsame Staatsangehörigkeit muss jedoch außer Betracht bleiben, wenn die engere Verbindung zum Heimatstaat nicht durch andere Faktoren untermauert wird (Andrae, a.a.O., § 10 Rn. 132). Bei Gleichwertigkeit der Verbindung bleibt es bei der Verweisung nach Art. 3 Abs. 1 HUP (Österr. OGH, Beschluss vom 20.09.2017 - 3 Ob 104/17s - FamRZ 2018, 342, 345).

[12]Gemessen an diesen Grundsätzen weist die Ehe der Beteiligten zum texanischen Recht eine engere Verbindung auf als zu Deutschland, in dem die Antragstellerin derzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

[13]aa) Vorliegend haben die Eheleute in der Ehezeit (24.07.2008 bis 08.12.2017) vier Jahre in B. (2008 bis 2012) und 5,5 Jahre in T. gelebt (Juni 2012 bis Dezember 2017). Bezogen auf die gesamte Ehezeit lebten die Eheleute am längsten in T., dem Ort des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts. Dies stellt einen gewichtigen Umstand im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung dar.

[14]Der Senat geht nach dem Ergebnis des Anhörungstermins jedoch entgegen den Ausführungen des Antragsgegners davon aus, dass für die Eheleute bei Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in T. nicht feststand, ob dieser dauerhaft sein würde. Der Vortrag des Antragsgegners, wonach die Arbeitstätigkeit in T. unbefristet gewesen sei, hat sich nicht hinreichend bestätigt. Insofern hat der Antragsgegner zwar nachgewiesen, dass anlässlich des Wechsels von B. nach Texas statt dem Expat-Vertrag ein Vertrag nach den Bedingungen „Local Non-National“ geschlossen wurde. Jedoch war auch diese Versetzung - entsprechend den Angaben der Antragstellerin im Anhörungstermin - für einen limitierten Zeitraum vorgesehen. Der vom Antragsgegner vorgelegte Vertrag enthält auf der zweiten Seite eine Regelung, wonach die Zuordnung des Antragsgegners zum Standort H. die Dauer von 5 Jahren nicht überschreiten solle (...your actual length of assignment(s) as LNN in US should not exceed five years). Der Vortrag des Antragsgegners, wonach es sich bei der Anstellung in T. um eine unbefristete Stelle gehandelt habe und eine Versetzung seiner Zustimmung bedurft hätte, lässt sich dem vorgelegten Vertrag demnach nicht entnehmen.

[15]Ausgehend davon, dass für die Eheleute nicht feststand, dass der Aufenthaltsort in T. über die Dauer von 5 Jahren hinausgehen würde, begründet der Ort des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in T. dennoch eine engere Verbindung zu der dortigen Rechtsordnung als das Recht am derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalt der Antragstellerin. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Eheleute, der zumindest regelmäßig eine enge Verbindung der Eheleute indiziert (Bonomi-Bericht Rn. 86), wird nämlich vorliegend durch weitere Umstände untermauert. Über den letzten gemeinsamen Aufenthalt hinaus ist eine engere Verbindung der Eheleute zum texanischen Recht daraus abzuleiten, dass sich die Eheleute bewusst entschlossen haben, sich in T. scheiden zu lassen. Der Einwand der Antragstellerin, sie habe sich auf das Scheidungsverfahren in T. einlassen müssen, weil der Antragsgegner dort Scheidungsantrag eingereicht habe, überzeugt nicht. Wie die Antragstellerin selbst ausgeführt hat, hätte ebenso die Möglichkeit bestanden, die Scheidung vor dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg zu beantragen. Aus den erstinstanzlich vom Antragsgegner vorgelegten Anwaltsrechnungen geht hervor, dass sich die Antragstellerin im Oktober/November 2016 sowohl von einem deutschen als auch von einem niederländischen Rechtsanwalt hat beraten lassen und man sich dabei darauf verständigt hat, das Scheidungsverfahren in T. durchzuführen (vgl. Anlagenheft, As. 205 f.). Dies deckt sich im Übrigen mit den von der Antragstellerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht am 26.09.2019 getätigten Äußerungen, wonach sie sich in Deutschland und in Holland anwaltlich habe beraten lassen und der niederländische Rechtsanwalt mit ihrer amerikanischen Anwältin kommuniziert habe. Schließlich sei gesagt worden, „gut, wir machen es in T.“ (I, As. 295). Dieses Vorgehen macht deutlich, dass sich auch die Antragstellerin für eine Scheidung in den USA entschieden hat. Selbst wenn diese Entscheidung letztlich aus Gründen der Praktikabilität erfolgt ist, hat sie hierfür eine bewusste Entscheidung getroffen. In dem daraufhin in T. durchgeführten Scheidungs- und Mediationsverfahren war sie durchgehend anwaltlich beraten und vertreten und hat ihre Rechte auch geltend gemacht, was durch den am 19.10.2017 eingereichten Scheidungswiderantrag belegt wird (vgl. Anlagenheft, As. 225 ff).

[16]Schließlich wird die enge Verbindung der Eheleute zum Ort des letzten gemeinsamen Aufenthalts auch dadurch untermauert, dass der Antragsgegner weiterhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in T. hat und dieser im Hinblick auf seinen Antrag auf Erteilung einer Green Card auf Dauer angelegt ist. Die engere Verbindung zur Rechtsordnung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts wird nämlich verstärkt vermittelt, wenn der Unterhaltsverpflichtete dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Andrae in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR, 4. Auflage (2016), Art. 5 HUntStProt, Rn. 18). Dass die Antragstellerin kein eigenständiges Aufenthaltsrecht in den USA hatte, ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht von Bedeutung, da dies ein Umstand ist, der erst als Folge der rechtskräftigen Scheidung eintrat. Ausgehend von einer weiterhin intakten Ehe hätte die Ehefrau in Anlehnung an das Aufenthaltsrecht des Ehemannes ebenfalls zeitlich unbefristet in den USA verbleiben können. Umstände, die nach der Ehescheidung eintreten, haben bei der Gesamtbeurteilung jedoch wie oben ausgeführt wurde außer Betracht zu bleiben. Dass eine Rückkehr der Antragstellerin in das Heimatland im Zuge der Beendigung des Scheidungsverfahrens für den Antragsgegner nach dem - bestrittenen - Vortrag der Antragstellerin vorhersehbar gewesen sei, kann zwar bei der Abwägung von Bedeutung sein (vgl. Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Auflage 2019, § 10 Rn. 132), erscheint jedoch vorliegend in Anbetracht der weiteren Umstände von nachrangiger Bedeutung.

[17]bb) Die Verbindung der Eheleute zu Deutschland besteht demgegenüber vorliegend im Wesentlichen allein aufgrund der gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit der Beteiligten, wobei hinsichtlich des Kriteriums der Staatsangehörigkeit bei der Bewertung im Rahmen des Art. 5 HUP grundsätzlich Zurückhaltung geboten ist (Ivo Bach in: Hüßtege/Mansel, BGB, RomVerordnungen - EuErbVO - HUP, HUP Art. 5 Rn. 15; Bonomi-Bericht Rn. 89). Das Haager Protokoll misst diesem Kriterium bewusst nur noch nachrangige Bedeutung zu und lässt in seiner Gesamtkonzeption die Staatsangehörigkeit in ihrer Bedeutung typischerweise hinter aufenthaltsorientierten Kriterien zurückstehen (Ivo Bach, a.a.O., Art. 5 Rn. 15). Neben der gemeinsamen Staatsangehörigkeit waren die Eheleute nur durch gelegentliche Besuche mit Deutschland verbunden. Nach den unbestrittenen Angaben der Antragstellerin im Anhörungstermin beim Amtsgericht stand eine Rückkehr der Ehegatten nach Deutschland während der Ehezeit zu keiner Zeit in Frage (I, As. 299). Eine Arbeitstätigkeit des Antragsgegners in Deutschland kam nicht in Betracht, da die Firma S. in Deutschland über keine Niederlassung verfügt. Auch der Umstand, dass die Eheleute den Abschluss des Partnerschaftsvertrages und die Eheschließung in den Niederlanden vornahmen, macht deutlich, dass die Eheleute Deutschland gerade nicht als gemeinsame Basis angesehen haben. Ansonsten hätten die Beteiligten diese für ihr Zusammenleben maßgeblichen Entscheidungen in Deutschland nach der dortigen Rechtsordnung getroffen. Dies erfolgte jedoch gerade nicht, was zeigt, dass die Beteiligten die ihrem Zusammenleben zu Grunde liegenden maßgeblichen Entscheidungen jeweils nach den Rechtsordnungen des aktuellen gewöhnlichen Aufenthalts getroffen haben. In gleicher Weise gingen die Beteiligten auch bei der Scheidung vor, wo sie sich bewusst für die Rechtsordnung des derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalts entschieden. Bei der Beurteilung der Verbindung der Ehe zum Heimatland Deutschland ist der bestrittene Vortrag der Antragstellerin, wonach mit den Mitteln der Eheleute in Deutschland eine Ferienwohnung erworben worden sei und sich auch hieraus eine enge Verbindung ableiten lasse, unerheblich. Die Belegenheit von Gegenständen des ehelichen Vermögens scheidet als Kriterium im Rahmen des Art. 5 HUP aus (Ludwig in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Art. 5 UntProt (Stand: 01.03.2020), Rn. 15).

[18]Wird die Verbindung der Ehe zum Heimatland im Wesentlichen nur durch die gemeinsame Staatsangehörigkeit begründet und wie hier nicht durch weitere Umstände untermauert, kann diese allein nur in Ausnahmefällen eine engere Verbindung im Sinne des Art. 5 HUP begründen, wenn beispielsweise der gewöhnliche Aufenthalt in einem anderen Staat aus beruflichen Aspekten von Anfang an nur auf eine begrenzte Dauer angelegt und ein Rückzug in den Heimatstaat von vornherein angedacht war (MüKoBGB/Staudinger, 8. Aufl. 2020, HUP Art. 5 Rn. 18). Diese Voraussetzungen liegen vorliegend jedoch unstreitig nicht vor, weil eine gemeinsame Rückkehr nach Deutschland wie ausgeführt nie beabsichtigt war. Der Entschluss der Ehefrau nach Deutschland zurückzukehren wurde erst im Zuge der Scheidung der Beteiligten gefasst.

[19]Ohne Erfolg versucht die Beschwerde die engste Beziehung zu Deutschland daraus abzuleiten, dass die Ehegatten hier geboren wurden, bis 1994 in Deutschland gelebt haben und auch die gemeinsame Tochter 1992 in Deutschland geboren wurde. Denn dabei wird verkannt, dass diese Ereignisse alle vor der am 24.07.2008 in den Niederlanden erfolgten Eheschließung stattgefunden haben. Wie oben ausgeführt, bleiben Umstände, die vor der Eheschließung oder nach der Ehescheidung liegen außer Betracht.

[20]cc) Es besteht ferner auch keine engere Verbindung der Ehe zu den Niederlanden. Insofern ist zwar zu berücksichtigen, dass die Beteiligten in den Niederlanden die Ehe geschlossen haben. Das Recht am Ort der Eheschließung begründet in der Regel jedoch keine engere Verbindung als der Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts der Eheleute (Staudinger in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, HUP Art. 5 Rn. 20). Die Beteiligten haben nach der Eheschließung nicht mehr in den Niederlanden gelebt. Allein aufgrund des längeren Aufenthalts der Beteiligten in den Niederlanden vor der Eheschließung kann eine engere Verbindung dorthin nicht angenommen werden, da Umstände vor der Eheschließung wie ausgeführt nicht zu berücksichtigen sind.

[21]Eine Vorverlagerung der Ehezeit auf den Zeitpunkt des im Januar 2006 abgeschlossenen Partnerschaftsvertrages ist rechtlich schon deshalb nicht möglich, weil dieser Vertrag durch die Eheschließung aufgelöst worden ist (vgl. Ziffer 10 des Vertrages, Anlagenheft, As. 15 ff.). Auch handelte es sich bei dem abgeschlossenen Partnerschaftsvertrag lediglich um eine notarielle Regelung im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und nicht um eine sogenannte „registrierte Partnerschaft“, die nach niederländischem Recht der Ehe weitgehend gleichgestellt ist. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Vertrages und dem Umstand, dass der Vertrag vor dem Notar abgeschlossen wurde, während eine „registrierte Partnerschaft“ vor dem Standesbeamten abgeschlossen wird (Art. 80a BW, Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch). Für den Fall einer „eingetragenen Partnerschaft“ hätten die Beteiligten für eine spätere Eheschließung die Umsetzung der registrierten Partnerschaft in eine Ehe vornehmen müssen (Art. 77a BW, Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch), womit die registrierte Partnerschaft nachträglich in eine Ehe umgewandelt worden wäre. Anders als die registrierte Partnerschaft ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft auch nach niederländischem Recht einer Ehe weder gleichgestellt, noch begründet sie im Falle des Scheiterns einen gesetzlichen Anspruch des Partners auf Unterhalt (vgl. Vinnen in Rieck: Ausländisches Familienrecht, Werkstand: 19. EL Mai 2020, Niederlande Rn. 17). Deshalb hat eine Vorverlagerung der Ehezeit auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Partnerschaftsvertrags auch nicht zu erfolgen.

[22]3. ...

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2021, 1030
IPRax, 2021, 567

Aufsatz

Andrae, IPRax, 2021, 531

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-84

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>