Einer internationalen Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung nach Art. 26 EuGVVO steht nicht entgegen, dass die Kläger die Klage in der Annahme erheben, das angerufene Gericht sei international unzuständig.
Bei Bestimmung einer offensichtlich engeren Verbindung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO ist zu berücksichtigen, dass sich der Unglücksort im Wesentlichen zufällig ergeben hat und sich aufgrund der Flugroute auch in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat hätte realisieren können. [LS der Redaktion]
Die Kläger machen sowohl eigene als auch ererbte Schmerzensgeldansprüche sowie Ansprüche aus behaupteten Abtretungen von Forderungen aus eigenem und ererbten Schmerzensgeld im Zusammenhang mit dem Absturz des H-Fluges ... von C nach E am ... geltend. Nach dem Ergebnis der abgeschlossenen Ermittlungen der französischen Behörde für Sicherheitsuntersuchungen in der zivilen Luftfahrt (Bureau d`Enquêtes et d`Analyses pour la sécurité de l`avitation civile) sowie der Staatsanwaltschaft E1 brachte der Co-Pilot des Fluges, M, das Flugzeug im Rahmen eines erweiterten Selbstmordes in den französischen Alpen, bei Q, vorsätzlich zum Absturz. Keine der insgesamt 150 Personen an Bord überlebte. Die Beklagten sind mit Ms Arbeitgeberin durch Konzernstrukturen verbunden.
Die Kläger beantragen nunmehr, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen. Die Beklagten haben sich im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte rügelos eingelassen.
[1]Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
[2]A.
[3]Die Klagen sind zulässig. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben, das Landgericht Essen ist für die noch anhängigen Klagen örtlich zuständig.
[4]I.
[5]Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich aus Art. 26 Brüssel Ia-VO, soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 1) richtet. Diese hat sich hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit rügelos eingelassen. Dem steht nicht entgegen, dass die Kläger die Klage vor dem Landgericht Essen nach eigenem Bekunden in der Annahme erhoben haben, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestehe nicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist derartiger Vortrag irrelevant, da auf Klägerseite lediglich die Erhebung der Klage als solches erforderlich ist. Für das Eingreifen der Vorschrift ist anschließend lediglich weiteres Handeln des Beklagten, in Form der rügelosen Einlassung, notwendig. Art. 26 Brüssel I a-VO fordert zudem nicht, dass die Parteien ihren (Wohn-) Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben (vgl. Gaier in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 36. Edition, Stand: 01.03.2020, Brüssel I a VO Art. 26, Rn. 6 m.w.N.). Insofern ist es unschädlich, dass der Sitz der Beklagten zu 1) in den USA liegt.
[6]Mit Blick auf die Beklagte zu 2) bestehen hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte ebenfalls keine Bedenken.
[7]II. ... B.
[8]Die zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet. Materielle Ansprüche der Kläger gegen die Beklagten kommen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.
[9]I.
[10]Es bestehen keine Ansprüche der Kläger gegen die Beklagte zu 1) auf Zahlung eines (weiteren) Schmerzensgeldes.
[11]1.
[12]Aus Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO folgt die Anwendung deutschen materiellen Rechts. Die Rom II-VO ist aufgrund ihrer in Art. 3 geregelten universellen Geltung auch anwendbar, wenn ein möglicher Bezug zum Recht von Drittstaaten, wie hier der USA, gegeben ist (Schmidt in BeckOGK-Rom II-VO, Stand: 01.02.2020, Art. 1, Rn. 29 f.). Bei den geltend gemachten Ansprüchen handelt es sich um außervertragliche Ansprüche i.S.d. Art. 1 Abs. 1 und 4 Abs. 1 Rom II-VO. Dies sind solche, die auf den Ersatz eines Schadens aufgrund einer unerlaubten Handlung gerichtet sind. Hierbei werden sowohl der Begriff der unerlaubten Handlung als auch der des Schadens jeweils europarechtlich definiert. Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung ist nach dem weiten europarechtlichen Verständnis ein solcher, der auf Schadenersatz gerichtet ist und nicht auf einem Vertragsverhältnis beruht. Der Begriff des Schadens erfasst sowohl materielle als auch immaterielle Schäden (Rühl in BeckOGK-Rom II-VO, Stand: 01.12.2017, Art. 4, Rn. 35 ff.). Im Gegensatz dazu ist für eine vertragliche Grundlage eine freiwillig eingegangene Verpflichtung charakteristisch, was offensichtlich nicht Grundlage der vorliegend geltend gemachten Ansprüche ist und auch von den Parteien so nicht verstanden wird. Auch ein Anspruch aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wäre als außervertraglich i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO zu qualifizieren (vgl. Gottwald in MüKo-BGB, 8. Aufl. 2019, § 328, Rn. 175).
[13]Gem. Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO ist, abweichend von den Regelungen der Abs. 1 und 2, das Recht des Staates anwendbar, zu dem die streitgegenständliche unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung aufweist. So liegt es hier in Bezug auf das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Grundsätzlich wäre gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO das französische Recht anzuwenden, da der streitgegenständliche Primärschaden in Form der Tötung der Angehörigen der Kläger bei dem Absturz des H-Fluges eingetreten ist. Von dieser Regel ist im vorliegenden Fall entsprechend der Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO abzuweichen, da eine wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles eine offensichtlich engere Verbindung zum deutschen Recht aufzeigt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich der Unglücksort im Wesentlichen aus dem Zufall ergeben hat und sich aufgrund der Flugroute auch in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat hätte realisieren können. Außer dem Umstand, dass sich der Absturz selbst auf französischem Territorium ereignet hat, weist der hiesige Rechtsstreit keine weiteren Bezugspunkte zum französischen Recht auf. Auf der anderen Seite bestehen mehrere, wesentliche Verbindungen zur deutschen Rechtsordnung. So klagen deutsche Staatsangehörige gegen die Enkelgesellschaft eines deutschen Luftfahrtunternehmens. Diese Enkelgesellschaft hat aufgrund eines Vertrages mit der M1 GmbH, welcher eine Rechtswahl für die Anwendbarkeit deutschen Rechts beinhaltet, einen Teil der Ausbildung des M, eines deutschen Staatsangehörigen, zum Piloten übernommen. Die weitere Ausbildung sowie die jeweiligen flugmedizinischen Untersuchungen fanden in Deutschland statt, ebenso wie die Behandlung seiner psychischen Erkrankung. Zudem war das Ziel des Fluges E.
[14]2. ...
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