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Verfahrensgang

LG Itzehoe, Urt. vom 29.07.2019 – 2 O 381/18
OLG Schleswig, Urt. vom 14.05.2020 – 7 U 181/19, IPRspr 2020-252
BGH, Hinweisbeschl. vom 05.05.2021 – IV ZR 147/20, IPRspr 2021-188

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Versicherungsrecht
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Der Innenregress ist auch dann möglich, wenn ein dänischer Versicherer mit seinem Versicherungsnehmer hinsichtlich des Anhängers/Aufliegers eine nach dänischem Recht wirksame Subsidiaritätsklausel vereinbart hat. Denn der Versicherungspflicht nach deutschem Recht kommt bei einem Unfall in Deutschland nach Art. 7 IV lit. a Rom I-VO Vorrang zu. Ein im EU-Ausland geführtes Fahrzeug erhält damit den am Nutzungsort gesetzlich erforderlichen, ggf. erweiterten vertraglichen Versicherungsschutz. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

Kfz-Haftpflicht-RL 2009/103/EG Art. 14
KfzPflVV § 2; KfzPflVV § 3
PflVG § 1
Rom I-VO 593/2008 Art. 7
Rom II-VO 864/2007 Art. 1; Rom II-VO 864/2007 Art. 3; Rom II-VO 864/2007 Art. 4; Rom II-VO 864/2007 Art. 19
StVG § 7
VVG § 59; VVG § 78

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt als Kraftfahrtzeughaftpflichtversicherung einer Sattelzugmaschine von der Beklagten, einer dänischen Versicherung, den hälftigen Ersatz der von ihr aufgrund eines Verkehrsunfalles geleisteten Zahlungen. Die Versicherungsverträge der Beklagten sehen bei der Versicherung von Sattelaufliegern lediglich eine subsidiäre Haftung vor, für den Fall, dass die Zugmaschine nicht auffindbar ist oder der Sattelauflieger zum Zeitpunkt des Unfalls nicht an eine Zugmaschine gekoppelt war. Am 25.9.2015 übersah der Fahrer der Sattelzugmaschine, an welcher der vorgenannte Sattelauflieger angespannt war, auf einer Windradbaustelle beim Rückwärtsfahren das hinter ihm stehende Baustellenfahrzeug der Firma K. und beschädigte dieses mit dem Sattelauflieger an der rechten Seite. Die Klägerin regulierte den bei der Geschädigten entstandenen Schaden vollständig.

Sie nimmt die Beklagte nunmehr als Versicherin des Sattelaufliegers auf hälftigen Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Sie behauptet, es bestehe schon kein Versicherungsvertrag über den unfallbeteiligten Sattelauflieger. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. …

[2]Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die festgestellten Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung. Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch … zu.

[3]Nach § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG sind die Versicherer sind im Verhältnis zueinander zu Anteilen nach Maßgabe der Beträge verpflichtet, die sie dem Versicherungsnehmer nach dem jeweiligen Vertrag zu zahlen haben. Dies ermöglicht der Klägerin im vorliegenden Fall den geltend gemachten hälftigen Regress gegenüber der Beklagten.

[4]Bei Unfällen eines Fahrzeuggespanns haben die beiden Versicherer im Innenverhältnis je zur Hälfte den Schaden zu tragen, wenn Zugmaschine und Auflieger bei zwei unterschiedlichen deutschen Versicherungen haftpflichtversichert sind. Geht eine der Versicherungen in Vorleistung, kann sie von der anderen Versicherung aufgrund des Bestehens einer Doppelversicherung im Regelfall die Hälfte der von ihr geleisteten Zahlungen im Wege des Regresses aus § 78 Abs. 2 VVG (§ 59 Abs. 2 VVG a. F.) ersetzt verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2010 - IV ZR 279/08 - NJW 2011, 447, 448). Dieser Innenausgleich kann nach deutschem Recht nicht durch eine Subsidiaritätsvereinbarung des einen Haftpflichtversicherers mit seinem Versicherungsnehmer ausgeschlossen werden, da ein solcher Ausschluss auf einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter hinauslaufen würde. Eine Abbedingung wäre grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen den Versicherern möglich (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2018 - IV ZR 121/17 - NJW 2018, 2958, 2959).

[5]Dieser Grundsatz ist auch dann anwendbar, wenn ein dänischer Versicherer mit seinem Versicherungsnehmer hinsichtlich des einen Gespannteils eine nach dänischem Recht wirksame Subsidiaritätsklausel vereinbart hat. Denn der Versicherungspflicht nach deutschem Recht kommt bei einem Unfall in Deutschland Vorrang vor der nach dänischem Recht wirksamen Vereinbarung zu.

[6]Für einen Regressanspruch der Klägerin gegen die Beklagte muss sowohl die Klägerin als auch die Beklagte gegenüber der Geschädigten aus demselben rechtlichen Grund zum Schadensersatz verpflichtet sein. Ferner muss das geltende Recht die Möglichkeit vorsehen, dass die Klägerin in die Rechte der Geschädigten eintritt (vgl. EuGH, 4. Kammer, Urteil vom 21.01.2016 -C-359/14, C-475/14, NJW 2016, 1005, 1007).

[7]Diese Voraussetzungen liegen vor.

[8]1) ... 2) Die Haftung der Halter der Sattelzugmaschine und des Sattelauflegers gegenüber der Geschädigten richtet sich gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO nach deutschem Recht.

[9]Die Rom II-VO ist anwendbar. Zwar gilt die Rom II-VO gemäß Art. 1 Abs. 4 Rom II-VO nicht in Dänemark. Gleichwohl wird sie von allen Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Rom II-VO im Verhältnis zu Dänemark angewandt.

[10]Gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in welchem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Der Unfall ereignete sich in Deutschland. Es liegt ferner ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung zwischen der Geschädigten und den Haltern der Sattelzugmaschine und des Sattelauflegers aus § 7 Abs. 1, Alt. 2 StVG vor.

[11]Im Verhältnis zwischen der Klägerin und Beklagten liegt zwar im Ausgangspunkt kein vertragliches Verhältnis vor. Welches Recht im Verhältnis zwischen den Versicherern angewendet wird, regelt insoweit Art. 19 Rom II-VO. Nach dieser Vorschrift ist maßgeblich, welches Recht in dem Verhältnis zwischen der Beklagten und der Geschädigten angewendet wird. Dies regelt wiederum Art. 7 Rom I-VO, da es sich bei diesem Verhältnis um ein vertragliches Schuldverhältnis handelt. Der Anspruch der Geschädigten gegen die Beklagte als Versicherer folgt aus dem Versicherungsvertrag zwischen der Beklagten und dem Versicherungsnehmer über den Sattelaufleger (vgl. EuGH, NJW 2016, 1005, 1007, Rd. 54). Insoweit ändert die direkte Inanspruchnahme des Geschädigten den Charakter der übergeleiteten vertraglichen Haftung nicht.

[12]Zwar wäre grundsätzlich gemäß Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO dänisches Recht auf den Versicherungsvertrag zwischen der Beklagten und dem Versicherungsnehmer und damit auch auf das Verhältnis zwischen der Beklagten und der Geschädigten anzuwenden, da die Beklagte als Versicherung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Dänemark hat. Nach dänischem Recht wäre ein Regress der Klägerin bei der Beklagten nicht möglich, da die Beklagte in dem Versicherungsvertrag über den Sattelaufleger vereinbart hat, dass sie für den Sattelaufleger nur subsidiär haftet, was nach dänischem Recht zulässig ist.

[13]Allerdings räumt Art. 7 Abs. 4 lit. a Rom I-VO dem Recht desjenigen Mitgliedstaates den Vorrang ein, welcher eine Versicherungspflicht vorschreibt, soweit es um die Frage geht, ob der Versicherungsvertrag der Versicherungspflicht genügt. Deshalb hat deutsches Recht hier den Vorrang. In Deutschland besteht zum einen eine Versicherungspflicht für Anhänger, die aus § 1 PflVG i.V.m. §§ 2, 3 der Kraftfahrzeug-PflichtversicherungsVO folgt. Ferner kann nach deutschem Recht der Versicherer eines Gespannteils, welcher den Geschädigten bereits befriedigt hat, hälftigen Regress bei dem Versicherer des anderen Gespannteils nehmen, wobei eine Subsidiaritätsklausel nach deutschem Recht unwirksam ist. Ein im EU-Ausland geführtes Fahrzeug erhält mithin den am Nutzungsort gesetzlich erforderlichen, ggf. weiteren vertraglichen Versicherungsschutz.

[14]Der ausländische Versicherungsvertrag wird auf diesem Wege gewissermaßen auf den Versicherungsumfang erweitert, den der EU-Staat, in dem Fahrzeug genutzt wird, zwingend vorschreibt (vgl. Müller, Anm. zu LG Göttingen, Urt. vom 23. Mai 2019, Az. 8 O 286/17 (IPRspr 2019-60), NZV 2020, 202).

[15]Die Argumentation, der deutsche Gesetzgeber habe keine Befugnis, in ausländische Versicherungsverträge gestaltend einzugreifen, geht fehl. Vielmehr ermöglicht Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO gerade den Vorrang für weitergehende Versicherungspflichten nach deutschem Recht.

[16]Das Ergebnis aus der Anwendung des Art. 7 Abs. 4 Rom I-VO befindet sich auch im Einklang mit der Richtlinie 2009/103/EG und den notwendigen Anforderungen des Grüne-Karte-Systems, die in den Internal Regulations ihren aktuellen Ausdruck gefunden haben. So ist zwar Art. 14 der Richtlinie 2009/103 EG, der das Einprämienprinzip einer umfassenden Deckung für das gesamte Gemeinschaftsgebiet zumindest im jeweils vom besuchten Staat vorgeschriebenen Umfang festschreibt, keine Spezialnorm gegenüber den Festlegungen in der Rom I bzw. Rom II-VO zum anwendbaren Recht bei internationalen Sachverhalten (EuGH, NJW, 2016, 1005, Rd. 38 ff.). Sie wirkt aber zusammen mit Art. 7 Abs. 4 Rom I-VO und sichert so für sämtliche Mitgliedsstaaten den Vorrang des vor Ort geltenden Pflichtversicherungsrechts für die Zeit des Aufenthalts einer Zugmaschine bzw. eines Anhängers ab.

[17]Zweck des Grüne-Karten-Systems ist es insbesondere, den grenzüberschreitenden Straßenverkehr zu vereinfachen und Verkehrsopfer davor zu schützen, dadurch benachteiligt zu werden, dass der ihnen entstandene Schaden durch ein ausländisches Kraftfahrzeug verursacht wurde. Allein aus dem Umstand, dass aufgrund der Internal Regulations nationale Büros eingerichtet wurden, welche die Umsetzung der erstrebten Harmonisierung gewährleisten sollen, können sich die jeweiligen Versicherer nicht ihrer auf Grund der Rom I-VO und der Rom II-VO geltenden Einstandspflicht entziehen. Die Einrichtung der nationalen Büros dient lediglich einer Absicherung des Schadensausgleichs und stellt keinen Haftungsausschluss des ausländischen Versicherers dar. Daneben bleibt die Haftung des nationalen Büros nach AuslPflVG unberührt. Aus diesen Gründen tritt der Senat auch nicht der Auffassung der Beklagten bei, eine Harmonisierung müsse darüber gelöst werden, dass stets die Garantiefonds der anderen Mitgliedstaaten eintrittspflichtig sein müssten.

[18]Nach alledem verbleibt es auch unter Beteiligung einer ausländischen Versicherung bei den durch den Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 4. Juli 2018 niedergelegten Grundsätzen (vgl BGH (a.a.O.), NJW 2018, 2958 ff.).

[19]...

Fundstellen

LS und Gründe

SchlHA, 2020, 229

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-252

Lizenz

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