Unter dem Begriff des "Staates, in dem die Verletzung begangen wurde" in Art. 8 II Rom II-VO ist der Staat zu verstehen, in dem die Verletzungshandlung begangen worden ist. Besteht diese im Angebot von Waren über eine Website ohne Zustimmung des Rechteinhabers, ist auf den Ort abzustellen, an dem der Prozess der Veröffentlichung des Angebots durch den Seitenbetreiber auf seiner Website in Gang gesetzt worden ist.
Abweichend davon ist der Anwendungsbereich des Art. 8 II Rom II-VO teleologisch zu reduzieren, wenn der Staat, in dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde, kein Mitgliedstaat der EU ist, denn es ist nicht davon auszugehen, dass der europäische Gesetzgeber die Durchsetzung von Unionsschutzrechten nach dem Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmen wollte. [LS der Redaktion]
Die Klägerin mit Sitz in Mainz produziert und vertreibt weltweit Parfüms verschiedener bekannter Marken. Die Beklagte mit Sitz in Hongkong betreibt die E-Commerce-Plattform "a...com" die sich überwiegend an private Abnehmer richtet, und die E-Commerce-Plattform "a.com", die sich überwiegend an gewerbliche Abnehmer richtet.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten wegen nach Ansicht der Klägerin markenrechtsverletzender Angebote, die Verkäufer auf den E-Commerce-Plattformen der Beklagten eingestellt hatten. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Die Beklagte begehrt mit ihrer Berufung die Abweisung der Klage.
[1]III.
[2]Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin sind jeweils nur teilweise begründet …
[3]Berufung zu Ziff. I.1.a):
[4]Die Berufung betrifft die Verurteilung des Landgerichts, mit der es der Beklagten untersagt hat, Angebote auf der Website "a....com" in der Kategorie "beauty & health" zu veröffentlichen, die die Lieferung von Parfüms der Marke Calvin Klein mit den im Klagantrag abgebildeten Verpackungen und/oder Flakons betreffen, an Abnehmer in der EU gerichtet sind und eine der in den Klaganträgen aa) bis gg) befindlichen Formulierungen beinhalten.
[5]A.
[6]Die Klage ist zulässig.
[7]Die internationale Zuständigkeit, ..., ergibt sich aus Art. 125 Abs. 2 UMV. Danach sind, wenn der Beklagte - wie hier - weder einen Wohnsitz noch eine Niederlassung in der EU hat, die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig, in dem der Kläger seinen Wohnsitz hat. Dem Wohnsitz gleichgestellt ist bei einer juristischen Person gem. Art. 122 Abs. 1 UMV i.V.m. [Art.] 63 Abs.1 a) EuGVVO deren satzungsmäßiger Sitz. Die Klägerin hat ihren Sitz in Mainz. Zuständig sind daher die Gerichte Deutschlands …
[8]B ... 1. ... 2. ... Berufung zu Ziff. 1.3a) und b) und Anschlussberufung zu Ziff 1.3b): ... 1. ... 2. ... 3.
[9]Die Berufung der Beklagten bzgl. der Verurteilung unter Ziff. I.3.b) ist begründet, die Anschlussberufung der Klägerin unbegründet.
[10]a) Auf den Schadensersatzanspruch ist entgegen der mit der Berufung der Beklagten vertretenen Ansicht nicht chinesisches, sondern deutsches Recht anzuwenden.
[11]Nach Art. 129 Abs. 2 UMV wendet das Unionsmarkengericht in allen Markenfragen, die nicht durch die UMV erfasst werden, das geltende nationale Recht an. Schadensersatzansprüche sind nicht durch die UMV erfasst (Eisenführ/Overhage in Eisenführ/Schennen, aaO., Art.101, Rn. 5).
[12]Welches Recht das anwendbare Recht im Sinne von Art.129 Abs.2 UMV ist, ergibt sich aus Art.8 Abs.2 Rom II-VO (Eisenführ/Overhage, aaO., Art.101, Rn. 10; Drexl in MüKo/BGB, Bd. XII, 7. Aufl.2018, Teil 8, Internationales Immaterialgüterrecht, Rn. 141; Fezer/Koos, in Staudinger [2019] EGBGB, Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 959). Danach ist bei außervertraglichen Schuldverhältnissen aus einer Verletzung von gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten des geistigen Eigentums auf Fragen, die nicht unter den einschlägigen Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Verletzung begangen wurde. Das danach bezeichnete Recht ist nach Art. 3 Rom II-VO auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist.
[13]aa) Der EuGH hat in dem Fall Nintendo/BigBen, der ein Geschmacksmuster betraf (Urteil vom 27.09.2017, C-24/16 und C-25/16), festgestellt, dass der Begriff des "Staates ..., in dem die Verletzung begangen wurde" sich von dem Kriterium in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO (Staat, "in dem der Schaden eintritt") unterscheide und dahingehend auszulegen sei, dass darunter der Staat zu verstehen sei, in dem die Verletzungshandlung begangen worden sei (aaO., Rn. 98). In einem Fall, in dem einem Wirtschaftsteilnehmer vorgeworfen werde, dass über seine Website ohne Zustimmung des Rechteinhabers Waren zum Kauf angeboten werden, sei der Ort des schadensbegründenden Ereignisses der Ort, an dem der Prozess der Veröffentlichung des Angebots durch den Wirtschaftsteilnehmer auf seiner Website in Gang gesetzt worden sei (aaO., Rn. 108).
[14]Die Veröffentlichung der Angebote auf der Website der Beklagten hat unstreitig in China stattgefunden. Mithin wäre chinesisches Recht anwendbar. Ob das IPR Chinas eine Rückverweisung enthält, wäre nach Art. 24 Rom II-VO ausdrücklich unbeachtlich.
[15]bb) Der Anwendungsbereich des Art.8 Abs.2 Rom II-VO ist jedoch teleologisch zu reduzieren, wenn - anders als in der oben zitierten Entscheidung des EuGH vom 27.09.2017, C-24/16 und C-25/16 - der Staat, in dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde, kein Mitgliedstaat der EU ist. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass der europäische Gesetzgeber die Durchsetzung von Unionsschutzrechten nach dem Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmen wollte.
[16]Gegen eine solche Absicht spricht wesentlich der Umstand, dass der europäische Gesetzgeber mit der Richtlinie 2004/48/EG (im Folgenden: Durchsetzungs-RL) das Ziel verfolgt, die in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums einander anzunähern, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten (Erwägungsgrund 10). Beispielsweise haben die Mitgliedstaaten nach Art.13 der Durchsetzungs-RL sicherzustellen, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechteinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat. Würden nun die Sanktionen zur Durchsetzung von Unionsschutzrechten nach dem Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmt werden, dann könnte das Unionsrecht entgegen dem mit der Durchsetzungs-RL verfolgten Ziel gerade keinen ausreichenden Rechtsschutz für Verletzungshandlungen, die Schäden im Gebiet der Europäischen Union verursachen, bieten. Sähe das Sachrecht des Drittstaats überhaupt keine Vorkehrungen für Nebenansprüche aus der Verletzung eines europäischen Rechtstitels vor, käme es sogar zu einem vollständigen Leerlauf der Verweisung (Grünberger in Hüßtege/Mansel, BGB - Band 6 Rom-Verordnungen, 3. Aufl.2019, Rom II-VO Art.8, Rn. 68).
[17]Der Anwendungsbereich des Art.8 Abs.2 Rom II-VO ist daher teleologisch zu reduzieren. Die Vorschrift findet nur Anwendung, wenn der Staat, in dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde, ein Mitgliedstaat der EU ist, denn die Funktion der Vorschrift beschränkt sich auf eine Unteranknüpfung für das Territorium der EU (Drexl, aaO., Rn. 138; lediglich die Meinung Drexls referierend ohne eigene Stellungnahme Fezer/Koos, aaO., Rn. 966; zum selben Ergebnis - Nichtanwendbarkeit des Rechts des Drittstaats - führt die Ansicht Grünbergers aaO., Rn. 68, dass in diesen Fällen ausschließlich nach dem tatbestandlichen Handlungsortbegriff (Erfolgsort) anzuknüpfen sei).
[18]Auf die Fälle des Handelns in einem Drittstaat - wie hier - ist sodann nach den klassischen kollisionsrechtlichen Prinzipien das sachnächste Recht eines Mitgliedstaates im Sinne einer Reserveanknüpfung zur Anwendung zu bringen (Drexl, ebenda). Das sachnächste Recht ist hier deutsches Recht. Denn eine Anknüpfung daran, in welchen EU-Staat wieviele Lieferungen erfolgt sind, ergibt vor dem Hintergrund, dass die Rechtsverletzung in einem Angebot besteht und nicht in einer Lieferung, keinen Sinn. Und auf den Sitz des Markeninhabers kann nicht abgestellt werden, weil dieser außerhalb der EU liegt. Damit bleibt als einziger weiterer Anknüpfungspunkt der Sitz des Lizenznehmers, d.h. der Klägerin, der in Deutschland liegt.
[19]Ebenfalls zur Anwendung deutschen Rechts würde die von Grünberger favorisierte Lösung über eine Anknüpfung an die lex fori des international zuständigen Gerichts führen (Grünberger in Hüßtege/Mansel, aaO., Rn. 68).
[20]b) …