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Verfahrensgang

AG Düsseldorf, Beschl. vom 09.09.2019 – 501 IN 150/19
AG Düsseldorf, Beschl. vom 11.10.2019 – 501 IN 150/19
LG Düsseldorf, Beschl. vom 30.10.2019 – 25 T 602/19, IPRspr 2019-379
AG Düsseldorf, Beschl. vom 04.12.2019 – 501 IN 150/19
BGH, Beschl. vom 17.12.2020 – IX ZB 72/19, IPRspr 2020-210
EuGH, Urt. vom 24.03.2022 – C-723/20
BGH, Beschl. vom 08.12.2022 – IX ZB 72/19, IPRspr 2022-210

Rechtsgebiete

Insolvenz- und Anfechtungsrecht

Leitsatz

Bei der Ermittlung des COMI einer Konzerngesellschaft kann weder auf einen „Konzern-COMI“ abgestellt noch die erkennbaren Umstände nachgeordneter Gesellschaften für die Bestimmung des COMI einer Muttergesellschaft herangezogen werden. Es sind daher die Umstände für jede Konzerngesellschaft gesondert zu ermitteln.

Bei einer Holdinggesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft und Ausführung des Managements für die konzernangehörigen Gesellschaften können die für einen COMI hinreichenden Verhältnisse sehr einfach gelagert sein. Es genügt ein technisch solide ausgestattetes Büro, in dem die Verwaltung der Geschäftsaktivitäten von wenig Personal wahrgenommen werden kann. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EGInso Art. 102c
EuInsVO 2015/848 Art. 1; EuInsVO 2015/848 Art. 3; EuInsVO 2015/848 Art. 5; EuInsVO 2015/848 Art. 19
InsO §§ 21 f.; InsO § 27
ZPO §§ 574 ff.

Sachverhalt

Die Schuldnerin wurde im April 2014 als D. in Luxemburg mit dortigem satzungsmäßigen Sitz gegründet und in dem luxemburgischen Handelsregister eingetragen. Die Gründung erfolgte seinerzeit von der E. als Vorratsgesellschaft, um den Erwerb der Wärmetauscher-Sparte von der F. Aktiengesellschaft zu vollziehen. Alleingesellschafterin der Schuldnerin ist die G. mit satzungsmäßigem Sitz in Luxemburg. Die Schuldnerin hielt sämtliche Geschäftsanteile an der H., der Bet. zu 10), mit satzungsmäßigem Sitz ebenfalls in Luxemburg. Unternehmensgegenstand der Schuldnerin ist das Halten und Verwalten von Unternehmensbeteiligungen sowie die Finanzierung dieser Beteiligungen durch die Aufnahme von Fremdkapital an den Bank- und internationalen Kapitalmärkten. Im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit hält die Schuldnerin zum einen die (mittelbaren) Beteiligungen an den (operativen) Gesellschaften der K. Gruppe. Zum anderen ist sie über die Ausgabe von Anleihen sowie von Intercompany-Darlehen wesentlich in die Finanzierung der Unternehmensgruppe eingebunden. Die Schuldnerin beabsichtigte eine Verlagerung ihres Verwaltungssitzes nach Fareham in England. In diesem Zusammenhang veranlassten die am 13.6.2019 berufenen vormaligen Direktoren L. und M. am selben Tag eine Ad-hoc-Mitteilung über eine Verlegung des Hauptverwaltungssitzes nach Fareham und stellten am 22.8.2019 einen Insolvenzantrag beim High Court in England. Mit Beschluss vom 23.8.2018 wurden in der Folge um 11:11 Uhr die bisherigen Direktoren abberufen und Herr N. zum neuen Direktor der Schuldnerin bestellt. In der Folge wurde der Verwaltungssitz – bestrittenermaßen – nach Düsseldorf verlegt. Der Geschäftsführer der Schuldnerin unterzeichnete einen entsprechenden Mietvertrag über separate Büroräumlichkeiten in der Anwaltskanzlei O., die von Anfang an durch entsprechende Beschilderungen kenntlich gemacht wurden. Die Schuldnerin verfügt – nach wie vor – über keine weiteren Arbeitnehmer. Der neue Geschäftsführer der Schuldnerin wies die anwaltlichen Vertreter der Schuldnerin in England unmittelbar am 23.8.2019 um 12:01 Uhr an, den dortigen Insolvenzantrag zurückzunehmen. Statt der Rücknahme erfolgte indes ein Eintritt einer Anleihegläubiger-Gruppe in den Insolvenzantrag, so dass das Verfahren als Gläubigerverfahren weitergeführt wurde. Eine Entscheidung erging in diesem Verfahren nachfolgend nicht.

Auf einen auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gerichteten Antrag des aktuellen Direktors der Schuldnerin vom 23.8.2019 beim AG Düsseldorf ordnete dieses mit Beschluss vom selben Tag um 14:15 Uhr Sicherungsmaßnahmen an und bestellte Rechtsanwalt Dr. P. zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Eine Information des Kapitalmarkts über die Verlegung des Verwaltungssitzes und das anhängige Insolvenzeröffnungsverfahren erfolgte im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung der Schuldnerin mit Datum vom 23.8.2019, 16:30 Uhr, tatsächlich veröffentlicht indes erst am 25.8.2019 um 17:15 Uhr. Des Weiteren wurden die Anleihegläubiger bzw. deren anwaltliche Vertreter durch E-Mails des Geschäftsführers der Schuldnerin gesondert informiert. Dieser macht überdies im Einzelnen geltend, seine Tätigkeit aus den Räumlichkeiten in Düsseldorf auszuführen und von dort weitere betriebliche Entscheidungen getroffen zu haben, wie unter anderem die Kündigung von Räumlichkeiten in England, die Teilnahme an verschiedenen Besprechungen sowie die Führung der Korrespondenz und die Abwicklung anfallender Geschäftsführungsmaßnahmen. Mit Beschluss vom 6.9.2019 hob das AG Düsseldorf seinen Beschluss vom 23.8.2019 mangels internationaler Zuständigkeit auf und wies den zugrunde liegenden Insolvenzantrag als unzulässig zurück. Auf der Grundlage der Anträge der Bet. zu 11) und 12) hat das AG Düsseldorf mit dem angefochtenen Beschluss vom 9.9.2019 erneut Sicherungsmaßnahmen erlassen und Rechtsanwalt Dr. P. zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Hiergegen wenden sich erneut sowohl die Bet. zu 1) bis 9) als auch die Bet. zu 10) über ihre Verfahrensbevollmächtigten mit ihren Beschwerden. Mit Beschluss vom 11.10.2019 hat das AG den Beschwerden nicht abgeholfen und diese der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die Beschwerden haben keinen Erfolg.

[3]1.

[4]Die form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden sind gemäß Art. 5 I EuInsVO i.V.m. Art. 102c § 4 EGInsO grundsätzlich statthaft.

[5]Gemäß Art. 5 I EuInsVO kann jeder Gläubiger die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens vor Gericht aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anfechten. Art. 102c § 4 EGInsO sieht vor, dass jedem Gläubiger gegen die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 I EuInsVO die sofortige Beschwerde zusteht, wenn nach Art. 5 I EuInsVO das Fehlen der internationalen Zuständigkeit gerügt werden soll. Gemäß Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO gelten die §§ 574 bis 577 ZPO entsprechend.

[6]Der Begriff der „Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ i.S.d. EuInsVO ist im Hinblick auf das Ziel der Gewährleistung der Effizienz der VO weit auszulegen (vgl. EuGH, Urt. vom 2.5.2006 – Eurofood IFSC Ltd., Rs C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, juris). Gemäß Art. 1 I lit. a EuInsVO fallen in den Anwendungsbereich der VO auch vorläufige Verfahren, in denen auf der Grundlage gesetzlicher Regelung zur Insolvenz dem Schuldner die Verfügungsgewalt über sein Vermögen ganz oder teilweise entzogen und ein Verwalter bestellt wird. Die Verwendung der allgemeinen Formulierung „Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ erklärt sich damit, dass den verschiedenen rechtlichen Ausgestaltungen in den Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen war. Dass sich die Beschwerde vorliegend nur gegen die Anordnung vorläufiger Maßnahmen i.S.d. §§ 21, 22 InsO richtet, während ein Insolvenzeröffnungsbeschluss i.S.d. § 27 InsO noch nicht erlassen worden ist, ist damit unschädlich.

[7]Die Beschwerde der Bet. zu 1) bis 9) ist jedoch bereits deshalb unzulässig, weil sie nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Bet. zu 11) und zu 12) ihre Gläubigereigenschaft inzwischen verloren haben. Die Bet. zu 1) bis 9) waren Kreditgeber unter der Avalfazilität und der revolvierenden Fazilität. Beide sollen zum 9.10.2019 vollständig zurückgezahlt worden sein.

[8]Dahingegen hat die Bet. zu 10) ihre fortbestehende Gläubigerstellung durch eidesstattliche Versicherungen und Vorlage eines Kreditvertrags hinreichend dargetan. Auch wenn die Bet. zu 11) und 12) auch diese Gläubigerstellung weiterhin in Zweifel ziehen und zudem der Bet. zu 10) ein Rechtsschutzbedürfnis in Gänze absprechen wollen, weil diese lediglich darauf abziele, Anfechtungsprozesse gegen die Parteien des Supplemental-Lock-up Agreements zu verhindern, so vermag die Kammer solches im Rahmen der Überprüfung der Zulässigkeit der Beschwerde betreffend die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nicht positiv festzustellen. Zur Wahrung des Effektivitätsgrundsatzes (effet utile) und der praktischen Wirksamkeit der VO dürfen in diesem frühen Verfahrensstadium keine übermäßigen Anforderungen an den Nachweis der Gläubigerforderung gestellt werden (vgl. nur MünchKommInsO-[Thole], 3. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rz. 5).

[9]2.

[10]Beide Beschwerden sind allerdings auch nicht begründet.

[11]In der Sache zu Recht hat das AG Düsseldorf seine internationale Zuständigkeit angenommen.

[12]a)

[13]Zutreffend ist das AG davon ausgegangen, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin i.S.d. Art. 3 I 1 EuInsVO („centre of main interests“, im [F]olgenden: „COMI“) in Deutschland liegt.

[14]Gemäß Art. 3 I 1 EuInsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner seinen COMI hat. Nach der Definition in Art. 3 I 2 EuInsVO ist der COMI der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Ferner sieht die Vorschrift vor, dass bei Gesellschaften bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der COMI der Ort ihres Sitzes ist.

[15]Im Hinblick auf die einschneidenden Wirkungen, die das Insolvenzstatut für die Zuständigkeit und für das anzuwendende materielle Insolvenzrecht hat, werden zwar an die Widerlegung der Vermutung im Allgemeinen gewisse Anforderungen gestellt, weil sowohl das Gebot der Rechtssicherheit als auch die Voraussehbarkeit für den Gläubiger einen solchen Maßstab erfordern (vgl. i.d.S. nur Mankowski-Müller-J. Schmidt, EuInsVO 2015, Art. 3 Rz. 52). Auch der EuGH sieht indes die Vermutung als widerlegt an, wenn objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll (EuGH, Urt. vom 2.5.2006 – Eurofood IFSC Ltd., Rs C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, EuZW 2006, 337). Der EuGH (EuGH, Urt. vom 20.10.2011 – Interedil S.r.l., in Liquidation ./. Fallimento Interedil S.r.l. u. Intesa Gestione Crediti S.p.A., Rs C-396/09, NZI 2011, 990) hat außerdem näher ausgeführt, dass die Vermutung widerlegt werden kann, wenn sich der Ort der Hauptverwaltung einer Gesellschaft aus der Sicht von Dritten, insbes. Gläubigern, nicht am Ort des satzungsmäßigen Sitzes befindet. Die Faktoren seien anhand einer Gesamtbetrachtung zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des BGH hat ein Gläubiger, der einen Insolvenzantrag gegen eine Schuldnergesellschaft mit ausländischem Sitz bei einem deutschen Gericht stellt, substantiiert zur internationalen Zuständigkeit des Gerichts und zum Interessenmittelpunkt der Schuldnerin vorzutragen (BGH, NJW 2012, 936 (IPRspr 2011-331)).

[16]Konkret im Bezug auf die Schuldnerin ist zu berücksichtigen dass es sich insoweit um eine (Zwischen-)Holding ohne eigenes operatives Geschäft handelt, der es weitgehend untersagt ist, wirtschaftliche Tätigkeiten auszuüben. Es ist inzwischen nahezu unbestritten, dass es insoweit weder einen „Konzern-COMI“ gibt noch die erkennbaren Umstände nachgeordneter Gesellschaften für die Bestimmung des COMI einer Muttergesellschaft herangezogen werden können. Es sind daher die Umstände für jede Konzerngesellschaft gesondert zu ermitteln.

[17]Bei einer Holdinggesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft und Ausführung des Managements für die konzernangehörigen Gesellschaften können die Verhältnisse daher naheliegenderweise sehr einfach gelagert sein. Insoweit beschränkt sich die Tätigkeit der Schuldnerin auf die Verwaltung ihrer Geschäftsanteile an der Bet. zu 10) sowie einiger weniger – wenn auch umfangreicher und grundsätzlicher – Finanzaktivitäten, die einerseits aus Darlehen an nachgeordnete Gesellschaften bestehen und andererseits aus eigenen Verbindlichkeiten aus Darlehen, Anleihen und Garantien. Für diese Tätigkeit ist kein großer Aufwand erforderlich. Es genügt ein technisch solide ausgestattetes Büro, in dem die Verwaltung der Geschäftsaktivitäten von wenig Personal wahrgenommen werden kann. Solche Verhältnisse und Tätigkeiten werden von der Schuldnerin sowie den Bet. zu 11) und zu 12) im Rahmen des vorliegenden Verfahrens für den maßgeblichen Zeitpunkt Anfang September 2019 durch die Tätigkeitsauflistungen hinreichend substantiiert dargelegt. In einer derartigen Fallgestaltung wird der COMI regelmäßig dort anzunehmen sein, wo sich das von der Geschäftsführung benutzte Büro – für andere erkennbar – befindet, so dass eine COMI-Verlegung in einer solchen Fallgestaltung besonders einfach ist (vgl. explizit R. , Gutachten zur Frage der internationalen Zuständigkeit, S. 17, ...). Auch der EuGH hat in seiner Eurofood-Entscheidung ausgeführt, dass ein Abweichen von Sitz und COMI insbes. bei einer „Briefkastenfirma“ der Fall sein kann, die in dem Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. Daher ist dem vorläufigen Insolvenzverwalter insoweit zuzustimmen, dass die objektiven Merkmale mangels operativer Geschäftstätigkeit bei einer Holding zwar allgemein weniger Außenwirkung entfalten mögen, die Anforderung zur Annahme eines von der Satzung abweichenden COMI jedoch geringer sind und insbes. bei einer Holdinggesellschaft gegeben sein können. Jedenfalls die von den Beschwerdeführern herangezogenen Maßstäbe für die Bestimmung eines COMI bei einer Gesellschaft, die die wirtschaftliche Tätigkeit bei Antragstellung bereits vollständig beendet hat, können nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall Anwendung finden, weil es sich vorliegend unstreitig um eine fortbestehende Holdinggesellschaft handelt.

[18]Keiner der weiteren Bet. und Beschwerdeführer trägt darüber hinaus konkrete Anhaltspunkte für einen tatsächlichen COMI in Luxemburg vor. Vielmehr berufen sich die Bet. zu 1) bis 10) ausschließlich auf einen angeblichen COMI in England sowie im Kern auf eine Sperrwirkung infolge des dort angebrachten Verfahrens.

[19]Die neue Geschäftsanschrift der Schuldnerin war jedoch Anfang September 2019 für außenstehende Dritte infolge der Ad-hoc-Mitteilung des Geschäftsführers der Schuldnerin vom 23.8.2019, der im Schriftverkehr fortan ausschließlich angegebenen Düsseldorfer Geschäftsanschrift sowie entsprechender zusätzlicher Benachrichtigungen maßgeblicher Gläubiger hinreichend erkennbar. Hier lag auch zu diesem Zeitpunkt der Ort der täglichen Managemententscheidungen. Bei dem Büro handelt es sich nicht nur um einen „Briefkasten“, sondern um ein technisch umfassend eingerichtetes und voll funktionsfähiges Büro, in dem der einzige Geschäftsführer der Schuldnerin persönlich anwesend war bzw. ist. Nach den substantiierten Angaben der Bet. zu 11) und017212) sowie der Schuldnerin wurde die Hauptverwaltung gerade nach Düsseldorf verlegt, weil dieser Ort für den aktuellen Direktor gut zu erreichen ist und ihm die Verwaltungstätigkeit in Düsseldorf ermöglicht.

[20]Weitere allgemein herangezogene Kriterien, wie namentlich etwa Personaleinsatz, Marktaktivitäten, Geschäftskonten, Buchhaltungsort können angesichts der vorstehenden Umstände allesamt nicht ausschlaggebend gegen einen COMI in Deutschland herangezogen werden.

[21]Nicht zuletzt können auch etwaige vergangene Vereinbarungen über die Verlegung eines COMI nach England für den maßgeblichen Zeitpunkt für das hiesige Verfahren Anfang September 2019 keine entscheidende Rolle spielen.

[22]b)

[23]Ein abweichendes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem am 22.8.2019 beim High Court in England gestellten Insolvenzantrag. Hieraus ergibt sich keine generelle Sperrwirkung für das deutsche Insolvenzverfahren.

[24]Dass eine bei Antragstellung gegebene internationale Zuständigkeit eines Gerichts nicht dadurch beseitigt werden kann, dass der COMI zwischen Insolvenzantrag und Insolvenzeröffnung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird, betrifft ausschließlich die fortbestehende Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts in England und hat keine Auswirkung auf die Zuständigkeit bei Folgeanträgen bei abweichenden Gerichten. Der Grundsatz der „perpetuatio fori“ bezieht sich insoweit lediglich auf das einleitende Verfahren und erklärt für dieses Verfahren eine nachträgliche Änderung von den COMI betreffenden Umständen für unerheblich (vgl. EuGH, Urt. vom 17.1.2006 – Susanne Staubitz-Schreiber, Rs C-1/04, ZIP 2006, 188).

[25]Zutreffend hat bereits das AG erkannt, dass es vorliegend nicht um den nachträglichen Wegfall einer bei Antragstellung vermeintlich gegebenen internationalen Zuständigkeit Englands geht, sondern um das zusätzliche Vorliegen der Zuständigkeit des hiesigen AG. Insoweit ist es grundsätzlich denkbar, dass zwei verschiedene Gerichte jeweils eine internationale Zuständigkeit als gegeben erachten können. Demnach ist die vorliegende Konstellation zweier örtlich unterschiedlicher Insolvenzanträge über die Kooperationspflichten bzw. die wechselseitige Pflicht zur Anerkennung von Eröffnungsentscheidungen aus Art. 19 EuInsVO zu lösen. Da unstreitig keine Eröffnungsentscheidung des High Court in England vorliegt, ergeben sich auch keine Beschränkungen für das Insolvenzgericht Düsseldorf (vgl. zum Ganzen ausführlich sowohl das Rechtsgutachten R. , ... als auch das weitere Gutachten Szum COMI, ...).

[26]c)

[27]Eine Rechtsmissbräuchlichkeit der vorliegenden Antragstellung vor dem AG Düsseldorf vermag auch die Kammer bereits im Ansatz nicht zu erkennen.

[28]Soweit die Schuldnerin, vertreten durch ihre seinerzeitigen Direktoren, einen Insolvenzantrag in England gestellt hat, entsprach es ihrer freien unternehmerischen Entscheidung, einen solchen – ungeachtet des Anschlusses dortiger Gläubiger – nicht mehr weiter verfolgen zu wollen. Soweit später die Bet. zu 11) und zu 12) das hiesige Verfahren angebracht haben, kann dem weder mit dem Vorwurf des „forum shopping“ noch einer anderweitigen Missbräuchlichkeit entgegnet werden. Auch unter diesem Aspekt kann es nach Auffassung der Kammer nach der zwischenzeitlichen Herbeiführung des COMI in Deutschland maßgeblich allein auf den Entscheidungszeitpunkt des AG ankommen (vgl. zum Ganzen ausführlich S. 4 f. Gutachten S., ...). Dieser lag nach den vorstehenden Ausführungen am 9.9.2019 in jedem Falle in Deutschland.

[29]3. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2023, 51854

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