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Verfahrensgang

AG Köln, Beschl. vom 16.01.2019 – 322 F 210/18, IPRspr 2019-346

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Verfahren

Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 II AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich bei einem Vollstreckungsabwehrantrag gemäß § 767 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) gegen einen ausländischen Unterhaltstitel um eine Unterhaltssache im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUnthVO)?

2. Falls nein, handelt es sich bei einem Vollstreckungsabwehrantrag gemäß § 767 ZPO gegen einen ausländischen Unterhaltstitel um ein Verfahren, welches im Sinne des Art. 24 Nr. 5 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand hat?

Rechtsnormen

AEUV Art. 267
AUG § 66
EuGVVO 1215/2012 Art. 1; EuGVVO 1215/2012 Art. 24
EUGVVO 44/2001 Art. 22; EUGVVO 44/2001 Art. 34 f.; EUGVVO 44/2001 Art. 43 f.; EUGVVO 44/2001 Art. 45; EUGVVO 44/2001 Art. 66
EuGVÜ Art. 6; EuGVÜ Art. 16
EuUntVO 4/2009 Art. 1; EuUntVO 4/2009 Art. 3; EuUntVO 4/2009 Art. 4; EuUntVO 4/2009 Art. 8; EuUntVO 4/2009 Art. 10
FamFG § 120
ZPO § 760; ZPO § 767

Sachverhalt

[Der EuGH hat in dem Vorabentscheidungsverfahren (Rs C-41/19) durch Urteil vom 4.6.2020 entschieden (ECLI:EU:C:2020:425).]


Gegenstand des in Deutschland vor dem AG (FamG) Köln anhängig gemachten gerichtlichen Verfahrens ist ein Vollstreckungsabwehrantrag gemäß § 767 ZPO des in Deutschland wohnhaften ASt. gegen die in Polen wohnhafte AGg. Der ASt. ist der Vater der minderjährigen AGg. und ist durch eine Entscheidung des AG Krakau vom 26.5.2009, Az. III RC 401/08/N, verpflichtet worden, für sie ab dem 1.9.2008 einen monatlichen Unterhalt sowie für den Rückwirkungszeitraum vom 19.6.2008 bis zum 31.8.2008 zu zahlen. Da das unterhaltsberechtigte Kind die Vollstreckung dieser polnischen Entscheidung in Deutschland begehrte, beantragte es mit Antragsschrift vom 20.7.2016 beim vorlegenden Gericht die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der polnischen Unterhaltsentscheidung in Deutschland nach der EuUnthVO. Das vorlegende Gericht hat daraufhin mit Beschluss vom 27.7.2016, Az. 322 F 139/16, nach Maßgabe der Art. 23 ff., 75 II EuUnthVO i.V.m. § 40 I 1 AUG angeordnet, dass die vorgenannte Entscheidung des AG Krakau mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist.

Die AGg. betreibt nunmehr gegen den ASt. in Deutschland die Zwangsvollstreckung aus dem polnischen Titel in Verbindung mit dem Beschluss des vorlegenden Gerichts. Hiergegen richtet sich der mit Antragsschrift vom 5.4.2018 erhobene Antrag des ASt., die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des AG Köln – FamG – vom 27.7.2016 für unzulässig zu erklären.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Gemäß Art. 267 II AEUV ist eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, weil die Entscheidung des angerufenen Gerichts von der Beantwortung der an den Gerichtshof gestellten Fragen zum Anwendungsbereich der EuUnthVO und der Brüssel Ia-VO abhängt.

[2]Zu Frage 1:

[3]Falls es sich bei dem vom ASt. erhobenen Vollstreckungsabwehrantrag um eine Unterhaltssache i.S.v. Art. 1 EuUnthVO handelt, ergibt sich aus der VO keine internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts; denn die Voraussetzungen von Art. 3 EuUnthVO liegen ersichtlich in keiner Alternative vor, eine Gerichtsstandsvereinbarung i.S.v. Art. 4 EuUnthVO haben die Bet. nicht getroffen und eine solche wäre im Übrigen wegen Art. 4 III EuUnthVO unbeachtlich. Demgegenüber wären die Gerichte in Polen, wo der Titel geschaffen wurde, gemäß Art. 3 litt. a bzw. b EuUnthVO ohne weiteres dazu berufen, sich mit dem Erfüllungseinwand des ASt. zu befassen.

[4]Das angerufene Gericht hält den vom ASt. erhobenen Vollstreckungsabwehrantrag für eine Unterhaltssache i.S.d. EuUnthVO, sieht sich jedoch daran gehindert, sich gemäß Art. 10 EuUnthVO von Amts wegen für unzuständig zu erklären, weil der Vollstreckungsabwehrantrag anders als der Abänderungsantrag (Art. 8 EuUnthVO) weder in der EuUnthVO noch in der Brüssel Ia-VO eine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat und seine Einordnung daher durch Auslegung dieser Rechtsinstrumente zu ermitteln ist.

[5]Der deutsche Gesetzgeber ist ersichtlich der Auffassung, dass für Vollstreckungsabwehranträge die Gerichte des Mitgliedstaats international zuständig seien, in dem die Vollstreckung stattfindet. So hat er in § 66 AUG bestimmt, dass der Schuldner Einwendungen, die sich gegen den Anspruch selbst richten, in einem Verfahren nach § 120 I des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) in Verbindung mit § 767 ZPO geltend machen kann, wenn ein ausländischer Titel nach der EuUnthVO für vollstreckbar erklärt worden ist. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts vom 27.2.2011 (BT-Drucks. 17/4887 S. 48 f.) heißt es zu § 66 AUG u.a.:

[6]‚Ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben, lässt der Entwurf das Vollstreckungsabwehrverfahren auch gegen ausländische Titel zu. Im Bereich der Europäischen Union richtet sich die internationale Zuständigkeit insoweit weiterhin nach Artikel 22 Nummer 5 der Brüssel-I-Verordnung. Die Unterhaltsverordnung steht nämlich nicht isoliert neben der Brüssel-I-Verordnung, sondern ändert diese ab, indem sie die unterhaltsrechtlichen Regelungen ersetzt. Ergänzend ist daher auf die Brüssel-I-Verordnung zurückzugreifen.

[7]Die Vorschrift ermöglicht es dem Schuldner, gegen einen ausländischen Titel, der entweder bereits ohne Exequaturverfahren vollstreckbar ist oder aus dem die Vollstreckung zugelassen ist, Einwendungen vorzubringen, die nach deutschem Recht mit einem Vollstreckungsabwehrverfahren geltend zu machen sind. Es handelt sich dabei nicht um eine unzulässige Überprüfung der ausländischen Entscheidung in der Hauptsache; denn diese Einwendungen konnten von dem Richter im Ursprungsgericht noch gar nicht berücksichtigt werden. Von der Präklusion werden nicht nur ausländische Entscheidungen, sondern umfassend alle ausländischen Titel erfasst, die im Inland, gegebenenfalls nach einem Exequaturverfahren, vollstreckbar sind. Damit ist gewährleistet, dass auch bei gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden das Verbot der sachlichen Nachprüfung beachtet wird. Bei der im achten Buch der Zivilprozessordnung verorteten Vollstreckungsabwehrklage, die über § 120 FamFG auch in Familienstreitsachen Anwendung findet, handelt es sich überdies um ein vollstreckungsrechtliches Verfahren, das die Unterhaltsverordnung unberührt lässt. Schließlich trägt § 66 [Brüssel I-VO] der gebotenen Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Titel Rechnung.’

[8]Die Auffassung, dass es sich bei Vollstreckungsabwehranträgen nicht um Unterhaltssachen i.S.d. EuUnthVO handelt, wird von der wohl h.M. in Deutschland geteilt (vgl. etwa BGH, FamRZ 2015, 653; Hausmann, Int. u. Europ. Familienrecht, 2. Aufl. [2018], M. Unterhaltssachen, Rz. 822; MünchKommFamFG-Lipp, 2. Aufl. [2013], Art. 8 EG-UntVO Rz. 8; Rauscher-Andrae, Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. [2015], Art. 8 EG-UntVO Rz. 5 und Art. 21 EG-UntVO Rz. 38, jeweils m.w.N.). Es wird im Wesentlichen argumentiert, bei einem Vollstreckungsabwehrantrag richte sich das Rechtsschutzziel allein gegen die Vollstreckung selbst, während der Bestand des Ursprungstitels unangetastet bleibe und Maßnahmen gegen die Vollstreckung selbst seien von der EuUnthVO nicht erfasst, sondern im Vollstreckungsstaat geltend zu machen.

[9]Demgegenüber meint eine a.A., dass der Vollstreckungsabwehrantrag eine Unterhaltssache i.S.d. EuUnthVO sei, weil sich die mit Hilfe dieses Antrags vorgebrachten Einwendungen wie etwa die Erfüllung oder der Forderungsübergang im Ergebnis gegen den Titel als solches und nicht lediglich gegen die rein vollstreckungsrechtlich zu beurteilende Art und Weise der Zwangsvollstreckung richteten (Prütting-Helms-Hau, FamFG, 4. Aufl. [2017], Anh. 3 zu § 110 FamFG Rz. 68; Zöller-Geimer, ZPO, 32. Aufl. [2018], § 8 EuUntVO Rz. 4, jeweils m.w.N. auch zum österreichischen Schrifttum). Zudem wird darauf hingewiesen, dass der Vollstreckungsabwehrantrag des deutschen Prozessrechts funktional einem auf Herabsetzung des titulierten Unterhaltsanspruchs gerichteten Abänderungsantrag entspricht, der ausweislich Art. 8 EuUnhVO den zuständigkeitsrechtlichen Wertungen der VO unterworfen ist.

[10]Das Gericht neigt der letztgenannten Auffassung zu, weil nur sie mit dem Ziel der EuUnthVO, nämlich den Schutz und die kompetenzrechtliche Privilegierung des Unterhaltsgläubigers zu gewährleisten (vgl. Erwgr. 9), vereinbar ist. Würde der Unterhaltsgläubiger sich gegen einen Vollstreckungsabwehrantrag, der materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch zum Gegenstand hat, im Vollstreckungsstaat wehren müssen, so wäre genau dieser Schutz immer dann nicht gewährleistet, wenn der ASt. behauptet, dass die Einwendung gegen den titulierten Unterhaltsanspruch zeitlich erst nach der Rechtskraft des Titels entstanden ist. Der Unterhaltsgläubiger, der in Übereinstimmung mit den zuständigkeitsrechtlichen Wertungen der EuUnthVO im Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts (hier: Polen) einen Unterhaltstitel erstritten hat, wäre also – entgegen diesen Wertungen – gehalten, diesen Titel in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) gegen Angriffe des zunächst unterlegenen Unterhaltsschuldners zu verteidigen. Hinzu kommt, dass die Gerichte des Staats, in dem der Anspruch ursprünglich tituliert wurde, sehr viel besser in der Lage sind, materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Anspruch zu beurteilen als die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats, in dem der Titel nur vollstreckt werden soll.

[11]Zu Frage 2:

[12]Falls es sich bei dem vom ASt. erhobenen Vollstreckungsabwehrantrag nicht um eine Unterhaltssache i.S.d. EuUnthVO handelt, stellt sich die weitere Frage, ob es sich dann um ein Verfahren i.S.d. Art. 24 Nr. 5 Brüssel Ia-VO handelt, welches die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand hat.

[13]Eine Antwort auf die vorgelegte Frage ergibt sich nicht schon aus den Entscheidungen des EuGH vom 4.7.1985 – AS-Autoteile Service GmbH ./. Pierre Malhé, Rs C-220/84, ECLI:EU:C:1985:302, u. vom 13.10.2011 – Prism Investments BV ./. Jaap Anne van der Meer, Rs C-139/10, ECLI:EU:C:2011:653.

[14]In der Entscheidung [vom 4.7.1985, AS-Autoteile Service ./. Malhé, Rs] C-220/84, ist dem EuGH u.a. die Frage zur Auslegung von Art. 16 Nr. 5 des Vorläufers der Brüssel I-VO, des Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) zur Entscheidung vorgelegt worden, ob unter die Zuständigkeitsregelung des Art. 16 Nr. 5 des Übereinkommens Vollstreckungsabwehrklagen i.S.d. § 767 ZPO fallen.

[15]Nach Art. 16 Nr. 5 des Übereinkommens [EuGVÜ], der inhaltlich im Wesentlichen dem § 24 Nr. 5 Brüssel Ia-VO entspricht, sind ‚ohne Rücksicht auf den Wohnsitz (...) ausschließlich zuständig: (...) 5. für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist’.

[16]In Beantwortung dieser Frage hat der EuGH festgestellt, dass ein Verfahren der Art, wie es in § 767 ZPO vorgesehen ist, wegen seines engen Zusammenhangs mit dem Vollstreckungsverfahren an sich unter die Zuständigkeitsregel des Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ falle. Diese Feststellung lasse jedoch die Frage offen, welche Einwendungen eine Partei im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens geltend machen kann, ohne die Grenzen des Art. 16 Nr. 5 zu überschreiten.

[17]In der Entscheidung [vom 13.10.2011 – Prism Investments, Rs] C-139/10 sollte der EuGH zu der Frage Stellung nehmen, ob Art. 45 der VO Nr. 44/2001 der Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung durch ein Gericht, das über einen Rechtsbehelf gemäß Art. 43 oder 44 dieser VO [Brüssel I] zu entscheiden hat, aus einem anderen als einem in den Art. 34 und 35 dieser VO [Brüssel I] genannten Grund entgegensteht, der gegen die Vollstreckung der für vollstreckbar erklärten Entscheidung angeführt wird und nach dem Erlass dieser Entscheidung entstanden ist, wie etwa der Grund, dass der Entscheidung nachgekommen worden sei?

[18]Hierzu hat der EuGH ausgeführt, dass die Befolgung einer gerichtlichen Entscheidung dieser jedoch weder den vollstreckbaren Charakter nehme, noch kämen dieser bei ihrer Vollstreckbarerklärung im Ausland Rechtswirkungen zu, die sie im Urteilsstaat nicht habe. Ein solcher Grund könne hingegen vom Vollstreckungsgericht des Vollstreckungsmitgliedstaats geprüft werden. Denn sobald die Entscheidung in die Rechtsordnung des Vollstreckungsmitgliedstaats integriert worden sei, gälten die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats über die Zwangsvollstreckung ebenso wie für Entscheidungen, die von nationalen Gerichten erlassen worden seien.

[19]Beide Entscheidungen des EuGH betrafen allgemeine Zivil- und Handelssachen und sind vor Inkrafttreten der EuUnthVO und der Brüssel Ia-VO ergangen, die ausweislich ihres Art. 1 II lit. e Unterhaltssachen nicht erfassen soll. Die beiden Entscheidungen nehmen daher auch keine Rücksicht auf die oben zu Frage 1 bereits dargelegten besonderen zuständigkeitsrechtlichen Wertungen in Unterhaltssachen. Daher erscheint es zweifelhaft, ob sie auf Unterhaltssachen übertragbar sind, was bedeuten würde, dass dem Unterhaltsschuldner aufgrund von Art. 24 Nr. 5 Brüssel Ia-VO die Möglichkeit eröffnet wäre, im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts materiell-rechtliche Einwendungen gegen den in einem anderen Mitgliedstaat titulierten Unterhaltsanspruch gerichtlich geltend zu machen.

Fundstellen

Bericht

Dimmler, FamRB, 2019, 296

LS und Gründe

JAmt, 2019, 519
NZFam, 2019, 236, Althammer

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2019-346

Lizenz

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