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Verfahrensgang

OLG München, Urt. vom 13.11.2018 – 18 U 1282/16 Pre, IPRspr 2018-236

Rechtsgebiete

Immaterialgüterrecht und Unlauterer Wettbewerb (bis 2019)
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung
Zuständigkeit → Sonstige besondere Gerichtsstände

Leitsatz

Die EuGVO ist maßgeblich, wenn die Beklagte ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier: in Irland) hat und Streitgegenstand die Bewertung der Klägerin auf der Internetseite www. ... .de als „schädigendes Ereignis“ im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist.

Ein „schädigendes Ereignis“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVO tritt primär am Sitz des klagenden Unternehmens ein, denn dort kommt es zur Kollision der widerstreitenden Interessen der Parteien, dem Anspruch der Klägerin auf Achtung ihres Unternehmenspersönlichkeitsrechts aus Art. 2 I GG und der durch Art. 10 EMRK gewährleisteten Meinungsfreiheit der Beklagten.

Der nach Art. 40 I 2 EGBGB maßgebliche Erfolgsort für Ansprüche wegen Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts liegt in Deutschland, wenn die Achtung, die ein in Deutschland ansässiges Unternehmen genießt, nach ihren Behauptungen gestört oder gefährdet wird.

Eine Bewertung im Internet kann auch nach irischem Recht untersagt werden, wenn es sich um eine rufschädigende Äußerung im Sinne des Act No. 31 of 2009 – Defamation Act 2009 handelt und der Bewertende sich nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

31/2009 DefamationA (Irland) s. 2; 31/2009 DefamationA (Irland) s. 6; 31/2009 DefamationA (Irland) s. 12; 31/2009 DefamationA (Irland) s. 16; 31/2009 DefamationA (Irland) s. 20; 31/2009 DefamationA (Irland) s. 26; 31/2009 DefamationA (Irland) s. 27; 31/2009 DefamationA (Irland) s. 33
E-Commerce 2000/31/EG Art. 3
EGBGB Art. 40
EMRK Art. 10
EuGVVO 1215/2012 Art. 2; EuGVVO 1215/2012 Art. 7
GG Art. 2
TMG § 3
ZPO § 412; ZPO § 511; ZPO § 517; ZPO §§ 519 f.

Sachverhalt

Die Kl. macht gegen die Bekl., die ihren Sitz in Irland hat und unter www. ... .de ein Bewertungsportal im Internet betreibt, einen Unterlassungsanspruch und Schadensersatzansprüche geltend. Die Kl. hat keine Möglichkeit, ihren Betrieb der Darstellung auf der Webseite der Bekl. zu entziehen. Die streitgegenständliche Bewertung der Bekl. hat zu einem erheblichen Kundenrückgang bei der Kl. geführt.

Das LG hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die streitgegenständliche Bewertung sei weder eine Unternehmenspersönlichkeitsrechtsverletzung noch ein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Kl. Gegen dieses Urteil hat die Kl. am 18.3.2016 Berufung eingelegt. Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 22.12.2016 i.V.m. dem Beschluss vom 24.1.2017 zum Inhalt des irischen Rechts Beweis erhoben durch Erholung eines Sachverständigengutachtens.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Berufung der Kl. ist nach §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO zulässig und hat ganz überwiegend auch in der Sache Erfolg.

[2]A. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die auch im Berufungsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BGH, Urt. vom 28.11.2002 – III ZR 102/02 (IPRspr. 2002 Nr. 157), NJW 2003, 426), gegeben.

[3]Maßgeblich ist die EuGVO, weil die Bekl. ihren Sitz in Irland und damit in einem Mitgliedstaat der EU hat.

[4]Bei der streitgegenständlichen Bewertung der Kl. auf der Internetseite www. ... .de handelt es sich nach dem Klagevorbringen um ein ‚schädigendes Ereignis’ i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Dieses tritt primär am Sitz der Kl. ein, denn dort kommt es zur Kollision der widerstreitenden Interessen der Parteien, dem Anspruch der Kl. auf Achtung ihres Unternehmenspersönlichkeitsrechts aus Art. 2 I GG und der durch Art. 10 EMRK gewährleisteten Meinungsfreiheit der Bekl. (vgl. BGH, Urt. vom 2.3.2010 – VI ZR 23/09 (IPRspr 2010-213), BGHZ 184, 313, Rz. 20 ff.).

[5]B. Die von der Kl. geltend gemachten Ansprüche sind gemäß Art. 40 I 2 EGBGB nach deutschem Recht zu beurteilen.

[6]1. Der nach Art. 40 I 2 EGBGB maßgebliche Erfolgsort liegt, wie o.a., in Deutschland. Hier wird die Achtung, die die in Deutschland ansässige Kl. genießt, nach ihren Behauptungen gestört bzw. gefährdet (vgl. BGH aaO Rz. 23). Ihr Bestimmungsrecht zugunsten des deutschen Rechts gemäß Art. 40 I 2 EGBGB hat die Kl. durch ihre Prozessbevollmächtigten jedenfalls in der Klageschrift ausgeübt, in der sie sich durchwegs auf deutsche Rechtsvorschriften berufen hat ...

[7]2. Art. 40 EGBGB wird nicht durch § 3 II TMG verdrängt. Gemäß § 3 II 1 TMG wird der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien, die in der Bundesrepublik Deutschland von Diensteanbietern geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden, die in einem anderen Staat innerhalb des Geltungsbereichs der E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG) niedergelassen sind, nicht eingeschränkt.

[8]Diese Bestimmung ist zwar entgegen der Ansicht der Kl. auf den vorliegenden Fall anwendbar, da die in Irland niedergelassene Bekl. in Deutschland geschäftsmäßig Telemedien anbietet und Dienstleistungen erbringt. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Kollisionsnorm, sondern um ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene, durch das das sachlich-rechtliche Ergebnis des nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten Rechts inhaltlich modifiziert und auf die Anforderungen des Herkunftslands reduziert wird. Art. 3 der E-Commerce-RL verlangt von den Mitgliedstaaten, vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 IV der Richtlinie gestatteten Ausnahmen sicherzustellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht (BGH, Urt. vom 8.5.2012 – VI ZR 217/08 (IPRspr 2012-230), NJW 2012, 2197; EuGH, Urt. vom 25.10.2011 – eDate Advertising GmbH u.a. ./. X und Société MGN LIMITED, Rs C-509/09, NJW 2012, 137).

[9]C. Auf der Grundlage deutschen Rechts sind die mit der Berufung weiter verfolgten Klageanträge im Wesentlichen begründet ...

[10]D. Auch nach irischem Recht könnte die Kl. sowohl den geltend gemachten Unterlassungsanspruch als auch die Schadensersatzansprüche mit Erfolg einklagen.

[11]1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wäre die streitgegenständliche Gesamtbewertung des klägerischen Fitnessstudios auch nach irischem Recht zu untersagen, weil es sich um eine rufschädigende Äußerung (defamatory statement) im Sinne des Defamation Act 2009 handelt und die Bekl. sich nicht auf einen Rechtfertigungsgrund (defence) berufen kann.

[12]a) Eine Entscheidung des Irish High Court zu einem in allen Punkten vergleichbaren Fall liegt – soweit ersichtlich – bislang nicht vor. Der Sachverständige Prof. Dr. C. B., LL.M. (Amsterdam), LL.M. (EUI) hat in seinem Gutachten vom 23.2.2017 ausgeführt, dass gerade zu Internetveröffentlichungen im irischen Recht nur wenige vergleichbare Fälle existieren (aaO). Daraus folgt aber nicht, dass der Senat bereits aus diesem Grund zum Nachteil der Kl. zu entscheiden hätte. Vielmehr hat er sich in die Rolle eines irischen Gerichts zu versetzen und auf der Grundlage der vorliegenden Präzedenzfälle zu einer eigenen Entscheidung zu gelangen.

[13]b) Die allein auf der Auswertung ‚empfohlener’ Beiträge beruhende Gesamtbewertung des klägerischen Fitnessstudios ist nach der Überzeugung des Senats im Hinblick auf den Kontext, in dem die Veröffentlichung erfolgt ist, rufschädigend im Sinne des maßgeblichen irischen Defamation Act 2009 i.V.m. dem common law.

[14]Gemäß s. 6 (2) Defamation Act 2009 besteht das Delikt der Rufschädigung (tort of defamation) in der Veröffentlichung einer ehrverletzenden bzw. rufschädigenden Äußerung (defamatory statement) über eine andere Person, gleich in welcher Form, gegenüber einer Person oder Personenmehrheit, welche nicht mit der von der Äußerung betroffenen Person identisch ist. Der Defamation Act 2009 findet nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. auf juristische wie natürliche Personen Anwendung (vgl. s. 12). Einer juristischen Person kann ein Anspruch nach diesem Gesetz unabhängig davon zustehen, ob sie einen finanziellen Schaden erlitten hat oder nicht (s. 12; ebenso Gutachten ...).

[15]S. 2 des Defamatory Act 2009 definiert das defamatory statement wie folgt: 'Defamatory statement' means a statement that tends to injure a person's reputation in the eyes of reasonable members of society. Der Sachverständige übersetzt diese Legaldefinition als: ‚eine Äußerung, die darauf abzielt, den Ruf eines anderen aus der Perspektive eine[s] verständigen Dritten zu schädigen’ (Gutachten ...).

[16]aa) ... Ob eine Äußerung diffamierender Natur ist, hängt von der ihr zugeschriebenen Bedeutung ab. Bei der Interpretation der Äußerung ist gemäß den Regeln des common law die natürliche und gebräuchliche Bedeutung, die ein durchschnittlicher und vernünftiger Leser der Äußerung zuschreiben würde, zugrunde zu legen (Gutachten ...). Der durchschnittliche und vernünftige Leser ist dadurch gekennzeichnet, dass er ‚weder übermäßig misstrauisch oder naiv’ ist und die jeweilige Veröffentlichung in ihrer Gesamtheit liest (aaO ...).

[17]Nach irischem Recht ist das entscheidende Merkmal bei der Prüfung der Frage, ob eine ‚Diffamierung’ vorliegt, der Wahrheitsgehalt der entspr. Behauptung. Ob die Aussage beleidigend, anstößig, ehrenrührig, ekelerregend oder schädlich ist, hat ‚wenig bis gar nichts mit dieser Prüfung zu tun.’ Im common law wird der diffamierende Charakter einer Veröffentlichung daran gemessen, ob die Aussage den Ruf des von der Äußerung Betroffenen beeinträchtigt hat, wobei als Maßstab die Ansicht der ‚vernünftigen’ Mitglieder der Gesellschaft zugrunde zu legen ist (Ergänzungsgutachten ...). Dagegen muss der von der Äußerung Betroffene nicht beweisen, dass der Empfänger der Äußerung diese geglaubt hat. Von entscheidender Bedeutung ist nicht die tatsächliche Wirkung der Äußerung, sondern ihr (rufschädigendes) Potential (vgl. Gutachten ...).

[18]Erfasst werden sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Meinungsäußerungen. Bei Meinungsäußerungen ist die Schwelle zur Diffamierung allerdings hoch, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung klargestellt hat (Protokoll vom 10.7.2018 ...).

[19]bb) Der in der Legaldefinition des defamatory statement (s. 2 Defamation Act 2009) verwendete Begriff reputation umfasst auch das Ansehen eines Unternehmens im geschäftlichen Verkehr. Dies entnimmt der Senat nicht nur den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B., sondern auch den mitgeteilten Sachverhalten der Entscheidungen T. v G. ([2012] IEHC 42) und M. v F. ([2016] IEHC 519) sowie den hierauf gestützten Ausführungen des jeweils erkennenden Richters ...

[20]cc) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu dem Ergebnis, dass die von der Bekl. für das Fitnessstudio der Kl. allein auf der Grundlage der ‚empfohlenen Beiträge’ ermittelte Gesamtbewertung als rufschädigend (defamatory) i.S.d. Defamatory Act 2009 anzusehen sind, weil ein durchschnittlicher und vernünftiger Leser bei Aufruf der in den Berufungsantrag zu Nr. I. 1. eingescannten Internetseite nicht erkennt, dass der dort ausgewiesenen Gesamtbewertung nicht sämtliche von den Nutzern des Bewertungsportals abgegebenen Einzelbeiträge zugrunde liegen und die ausgewiesene Gesamtbewertung zum Nachteil der Kl. vom rechnerischen Durchschnitt sämtlicher Einzelbeiträge abweicht.

[21](1) Der Sachverständige Prof. Dr. B. bejaht den rufschädigenden Charakter der streitgegenständlichen Gesamtbewertungen nach irischem Recht mit der Begründung, dass dem objektiven Leser der Beiträge nicht aufgezeigt werde, welche Kriterien die Software der Bekl. benutze, um zu entscheiden, welche Beiträge stärker gewichtet würden, welche (in die ausgewiesene Gesamtbewertung) einbezogen und welche nicht einbezogen würden (vgl. Gutachten vom 23.2.2017 ...) ...

[22](2) Diese Wertung des Sachverständigen entspricht im Wesentlichen der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung der streitgegenständlichen Gesamtbewertungen durch den Senat nach deutschem Recht. Der von der Bekl. ausgewiesenen Gesamtbewertung liegt letztlich die Wertung zugrunde, dass nur diejenigen Beiträge der Portalnutzer, die sie aufgrund von nicht vollständig offengelegten Kriterien als ‚empfohlen’ bewertet, ‚repräsentativ’ seien. Darin liegt eine wesentliche Abweichung von der üblichen Funktionsweise eines Bewertungsportals, das gerade aufgrund der subjektiv geprägten Einschätzung, die in den – ungefilterten – Einzelbewertungen zum Ausdruck kommt, anderen Nutzern Hilfestellung bei ihrer Entscheidung geben und dadurch zu mehr Leistungstransparenz beitragen soll. Auf diesen wichtigen Unterschied wird der Nutzer aber bei Aufruf der betreffenden Internetseite (Anlage ...) nicht mit hinreichender Deutlichkeit hingewiesen. Da im vorliegenden Fall der von der Bekl. ermittelte Durchschnitt der ‚empfohlenen’ Beiträge zum Nachteil der Kl. vom rechnerischen Durchschnitt aller tatsächlich abgegebenen Bewertungsbeiträge erheblich abweicht, ist die vom Algorithmus der Bekl. generierte Gesamtbewertung geeignet, den geschäftlichen Ruf der Kl. zu beschädigen.

[23](3) ... Der Entscheidung B. v B. vom 23.3.2010 ([2010] EWHC 616 [QB]) lag der Sachverhalt zugrunde, dass die rufschädigenden Artikel auf der Webseite der damaligen Beklagten nur im Wege einer gezielten Suche aufgerufen werden konnten (by searching for it). Eine solche Suche hätte jedoch als Ergebnis Links zu drei Artikeln eröffnet, von denen der zweite und dritte den im ersten Artikel enthaltenen Äußerungen die rufschädigende Wirkung genommen hätten (A search would reveal three articles the second two of which would clarify and remove any defamatory meaning in the first, zit.n. ...). Bei dieser Sachlage hielt das englische Gericht die Annahme für falsch, dass es Leser geben könnte, die nur den ersten Artikel lesen würden, aber nicht die beiden folgenden (It would be wrong to ask the court to infer that there would be readers who would make the inference suggested by the claimant, or that they would read only the first article without reading the subsequent ones aaO).

[24]Mit der gezielten Internetrecherche zu einem bestimmten Ereignis bzw. der hierzu ergangenen Berichterstattung ist die Nutzung eines Bewertungsportals, wie es die Bekl. betreibt, nicht vergleichbar. [...] Anders als im Fall B. v B. kann deshalb gerade nicht davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlicher und vernünftiger Nutzer eines Bewertungsportals, der sich einen raschen Überblick über die zur Auswahl stehenden Angebote verschaffen will, die von der Bekl. angebotenen Links aktiviert, um sich über die Funktionsweise der Empfehlungssoftware der Bekl. und den Inhalt der ‚momentan nicht empfohlenen’ Beiträge anderer Nutzer zu informieren.

[25](4) Auch der zitierten Passage aus dem von der Bekl. als Standardwerk zum irischen Äußerungsrecht bezeichneten Buch ‚D. L. a. P.’ von N. C. und E. M.C. (Anlage ...) lässt sich nicht ableiten, dass nach irischem Recht zur Interpretation einer im Internet veröffentlichten Äußerung stets auch der Inhalt weiterer Internetseiten heranzuziehen ist, die erst nach der Aktivierung eines auf der betreffenden Seite befindlichen Links geöffnet werden.

[26]Die zitierte Passage befasst sich mit dem in der (irischen und englischen) Rspr. etablierten Grundsatz, dass der vernünftige Leser (reasonable reader) die Gesamtheit einer Publikation (totality of the publication) zur Kenntnis nehmen wird (aaO Rz. 3–33). Als Hauptbeispiel (in particular) wird angeführt, dass eine rufschädigende Wirkung (defamatory meaning), die einer Zeitungsschlagzeile oder einer Fotografie für sich genommen zukommen würde, durch die zugehörige Wortberichterstattung in dem Artikel korrigiert werden kann (aaO Rz. 3–34).

[27]Mit dem gebildeten Beispiel kann der vorliegende Fall aber nicht verglichen werden. Ein Zeitungsartikel bildet eine natürliche Einheit. Der Inhalt mehrerer durch Links verbundener Internetseiten weist demgegenüber eine erheblich geringere Zusammengehörigkeit auf. Im Übrigen melden die Autoren des zitierten Werks selbst gewisse Zweifel daran an, ob der Grundsatz, dass eine Publikation stets in ihrer Gesamtheit zu würdigen ist, den Realitäten des Alltagslebens hinreichend Rechnung trägt (such an approach does not necessarily fit into the reality of daily life aaO). In dieselbe Richtung geht auch der vorsichtig formulierte Hinweis darauf, dass dieser Grundsatz dennoch in Irland geltendes Recht zu sein scheint (Nonetheless this appears to be settled law in Ireland ... aaO, Hervorhebung durch den Senat).

[28]c) Die Bekl. kann sich im vorliegenden Fall auf keine der nach irischem Recht in Betracht kommenden Einwendungen (defences), die in der Terminologie des deutschen Rechts als Rechtfertigungsgründe anzusprechen wären, berufen.

[29]aa) Der in s. 16 des Defamation Act 2009 geregelte Rechtfertigungsgrund defence of truth kommt im vorliegenden Fall von vornherein nicht in Betracht. Diese Einwendung entspricht im Wesentlichen der Führung des Wahrheitsbeweises nach deutschem Recht (vgl. Gutachten ...). Als Werturteile sind die streitgegenständlichen Gesamtbewertungen aber als solche nicht dem Wahrheitsbeweis zugänglich.

[30]bb) Die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes defence of honest opinion (geregelt in s. 20 des Defamation Act 2009, vom Sachverständigen mit ‚Einwendung der ehrlichen Meinung’ übersetzt) sind nicht erfüllt, weil die Bekl. die Funktionsweise ihrer ‚Empfehlungssoftware’ und damit die Kriterien, nach denen sie die Beiträge als ‚empfohlen’ bzw. ‚momentan nicht empfohlen’ einordnet, jedenfalls nicht vollständig offengelegt hat.

[31]Dieser Rechtfertigungsgrund setzt nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. voraus, dass die Meinung ‚ehrlich vertreten’ worden ist. Dies umfasst zum einen, dass der sich Äußernde im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Meinungsäußerung von deren Wahrheitsgehalt überzeugt war [vgl. s. 20 (2) (a): ... the defendant believed in the truth of the opinion]. Zum anderen muss die Meinungsäußerung auf Tatsachen beruhen, welche ihrerseits grundsätzlich als wahr bewiesen sein müssen und auf zumutbare Weise für den Empfänger verfügbar sind (Gutachten ...), und sie muss eine Frage von öffentlichem Interesse betreffen [vgl. s. 20 (2) (c): the opinion related to a matter of public interest] ...

[32]Dieser rechtlichen Würdigung schließt sich der Senat an. Mangels vollständiger Offenlegung der Bewertungskriterien kann nicht nachvollzogen werden, ob die Bearbeitung der von den Nutzern verfassten Beiträge mit Hilfe einer ‚Empfehlungssoftware’ zu einem noch mit der Funktionsweise eines Bewertungsportals zu vereinbarenden repräsentativen Ergebnis führt, woran angesichts des Umstands, dass die Bekl. mehr als 98% der für das klägerische Fitnessstudio abgegebenen Bewertungen als ‚momentan nicht empfohlen’ ausgeblendet hat, erhebliche Zweifel bestehen. Es kann somit auf der Grundlage des Parteivortrags nicht beurteilt werden, ob die Bekl. darauf vertrauen durfte (honest opinion), dass den ausgewiesenen Gesamtbewertungen eine tragfähige Faktenbasis zugrunde liegt.

[33]cc) Entsprechendes gilt im Ergebnis für den Rechtfertigungsgrund der fair and reasonable publication (s. 26 Defamation Act 2009).

[34]Dieser Rechtfertigungsgrund setzt nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. zunächst voraus, dass die rufschädigende Äußerung in gutem Glauben [vgl. s. 26 (a) (ii): in good faith] veröffentlicht worden ist ...

[35]Auch in Bezug auf diesen Rechtfertigungsgrund misst der Sachverständige im vorliegenden Fall zutreffend dem Umstand entscheidendes Gewicht zu, dass die Bekl. ihre Gewichtungskriterien, nach denen sie zwischen ‚empfohlenen’ und ‚momentan nicht empfohlenen’ Beiträgen unterscheidet, nicht (vollständig) offengelegt hat (vgl. Gutachten ...). Aus diesem Grund kann der Senat nicht überprüfen, ob die Bekl. auf die Aussagekraft der von ihr herangezogenen Kriterien vertrauen durfte und daher in good faith gehandelt hat.

[36]dd) Der Rechtfertigungsgrund der innocent publication (s. 27, vom Sachverständigen mit ‚unverschuldete Veröffentlichung’ übersetzt, Gutachten ...), ist nicht einschlägig, weil es sich bei den streitgegenständlichen Gesamtbewertungen der klägerischen Fitnessstudios jeweils um eine eigene Äußerung der Bekl. handelt. Dieser Ansicht ist auch die Bekl. selbst (vgl. Schriftsatz vom 4.5.2017 ...; Schriftsatz vom 25.9.2017 ...).

[37]d) Ansprüche nach dem Defamation Act 2009 sind zwar in erster Linie auf Schadensersatz gerichtet. Gemäß s. 33 kommt aber auch die Verurteilung zur Unterlassung der rufschädigenden Äußerung in Betracht (an order prohibiting the publication or further publication of the statement). Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts (equity) ...

[38]In der Entscheidung T. v G. ([2012] IEHC 42), die ebenfalls eine Art Bewertungsportal im Internet (’www. ... .com’) betraf und die der Sachverständige Prof. Dr. B. für den maßgeblichen Präzedenzfall hält (vgl. Gutachten ...), wurde eine derartige Anordnung von Richter P. getroffen (aaO sections 26 – 28). Die Einwendungen der Bekl. gegen den Präzedenzcharakter dieser Entscheidung überzeugen nicht.

[39]aa) ... Entscheidend ist vielmehr, dass auch das irische Recht grundsätzlich einen Anspruch des Betroffenen auf Unterlassung einer rechtswidrigen rufschädigenden Äußerung kennt.

[40]bb) Auf die zit. Entscheidung M. v F. ([2016] IEHC 519) kann die Bekl. ihre gegenteilige Ansicht nicht stützen. [...] Die Bekl. ist nicht nur Plattformbetreiberin, sondern auch Verfasserin der streitgegenständlichen Gesamtbewertungen. An anderer Stelle weist sie selbst darauf hin, dass es niemals im Streit gestanden habe, dass es sich bei der Veröffentlichung der Gesamtbewertung um eine Äußerung der Bekl. selbst handele (aaO ...).

[41]Es trifft zu, dass Richter B. im Verfahren M. v F. den Erlass einer Anordnung gemäß s. 33 Defamation Act. 2009 abgelehnt hat (aaO sections 52, 53). Dies erfolgte allerdings deshalb, weil sich die damalige Bekl. bei der gebotenen summarischen Prüfung (vgl. section 53: On the face of it ... and at this remove at least it seems likely ...) auf den Rechtfertigungsgrund gemäß s. 27 (defence of innocent publication) berufen konnte. Der Richter betonte ausdrücklich den entscheidenden Unterschied (the very significant difference ...) zu dem Verfahren T. v G., in dem der Erstbeklagte auch Verfasser (author) der rufschädigenden Äußerungen gewesen war und das Gericht sich davon überzeugen konnte, ob er sich bei summarischer Prüfung auf das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds berufen konnte (... to form a view as to whether or not the first named defendant had a credible defence, section 59). Auch der Sachverständige Prof. Dr. B. sieht in diesem Punkt den maßgeblichen Unterschied zwischen den beiden Präzedenzfällen (Ergänzungsgutachten vom 15.8.2017 ...). Im vorliegenden Fall ist aus den oben unter lit. c) dargelegten Gründen nicht ersichtlich, dass sich die Bekl. mit Aussicht auf Erfolg auf einen der Rechtfertigungsgründe (statutory defences) nach dem Defamation Act 2009 berufen könnte.

[42]Eine zweite erfolgversprechende Verteidigung der damaligen Beklagten (another line of defence) erkannte Richter B. in Regulation 18 (3) der E-Commerce-RL (section 54). Dies betrifft die hosting immunity, also die Immunität, die dem Plattformbetreiber nach der E-Commerce-RL zusteht (vgl. hierzu Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 15.8.2017 ...). Auf die hosting immunity kann sich die Bekl. im vorliegenden Fall aber nicht berufen, weil sie nicht lediglich als Hostprovider gehandelt hat, sondern es sich bei den streitgegenständlichen Gesamtbewertungen um ihre eigenen Äußerungen handelt.

[43]Schließlich hat Richter B. auch darauf abgestellt, dass der Erlass der begehrten Unterlassungsverfügung sinnlos wäre (section 64: it would serve no useful purpose), weil aufgrund der vom damaligen Kläger gegebenen Interviews die rufschädigenden Behauptungen ohnehin im Internet zu finden seien (vgl. section 63). Diese Erwägungen können allerdings im Hinblick auf die ganz anders geartete Interessenlage der Kl. nicht auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragen werden. Der Kl. geht es hier nicht darum, zu unterbinden, dass eine in der Vergangenheit ausgewiesene negative Gesamtbewertung ihrer Fitnessstudios im Internet weitere Verbreitung findet. Mit ihrem Unterlassungsbegehren will sie vielmehr eine künftige Gesamtbewertung im selben Kontext verhindern. Es ist deshalb für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich, dass die Kl. in Presseberichten und in einem Blog zu ihrer Gesamtbewertung auf dem von der Bekl. betriebenen Portal Stellung bezogen hat (vgl. Anlagen ...).

[44]e) Die Bekl. könnte sich schließlich auch nicht darauf berufen, dass ein Unterlassungsanspruch der Kl. in Bezug auf die streitgegenständlichen Gesamtbewertungen nach irischem Recht verjährt wäre.

[45]Ansprüche wegen rufschädigender Äußerungen nach dem Defamation Act 2009 verjähren nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. innerhalb eines Jahrs nach der ersten Veröffentlichung der Äußerung, wenn nicht innerhalb dieser Frist Klage eingereicht wird. Im Fall einer Veröffentlichung im Internet entsteht die Klageberechtigung zu dem Zeitpunkt, zu dem die Äußerung erstmals durch dieses Medium wahrgenommen werden kann. Durch Gerichtsbeschluss kann diese Frist unter bestimmten Voraussetzungen auf zwei Jahre verlängert werden (Gutachten ...).

[46]Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob die E-Commerce-RL und die zu ihrer Umsetzung verabschiedete Vorschrift des § 3 TMG es gebieten, in die vorzunehmende Vergleichsbetrachtung mit dem Recht des Sitzmitgliedstaats auch die dort geltenden Verjährungsvorschriften einzubeziehen, oder ob es bei der Prüfung eines Unterlassungsanspruchs allein darauf ankommt, ob die fragliche Äußerung auch nach dem Recht des Sitzmitgliedstaats untersagt werden kann, weil sie den von der Äußerung Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Die streitgegenständliche Gesamtbewertung kann nämlich frühestens am 8.1.2014 veröffentlicht worden sein, da die einzige empfohlene Bewertung, auf der sie beruht, ausweislich der Anlage K 4 erst an diesem Tag abgegeben wurde. Die Klage wurde am 22.12.2014, also innerhalb eines Jahrs, eingereicht.

[47]2. Auch soweit die Kl. Schadensersatzansprüche geltend macht, kann sich die Bekl. nicht auf ihre Privilegierung nach § 3 II TMG berufen.

[48]Wie oben unter C. 1. im Einzelnen dargelegt, haftet die Bekl. der Kl. auch nach irischem Recht für die Veröffentlichung des diese betreffenden defamatory statement durch die streitgegenständliche Gesamtbewertung nach dem Defamation Act 2009. Dabei sind die Ansprüche in erster Linie auf Schadensersatz gerichtet (vgl. hierzu M. v F., [2016] IEHC 519, section 50).

[49]3. Die Einholung des von der Bekl. beantragten neuen Sachverständigengutachtens gemäß § 412 I ZPO ist nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Der Senat erachtet die vorliegenden Gutachten trotz einiger – im Wesentlichen auf die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache durch den Sachverständigen Prof. Dr. B. zurückzuführender – Schwächen nicht für ungenügend. Die Ausführungen des Sachverständigen stehen im Einklang mit der Auslegung der zitierten Präzedenzfälle durch den Senat. Da auch nach Darstellung der Bekl. irische Gerichte bislang keinen in allen Einzelheiten vergleichbaren Fall entschieden haben, verspricht die Einholung eines weiteren Gutachtens keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.

Fundstellen

LS und Gründe

AfP, 2019, 61
CR, 2019, 394
K&R, 2019, 195

Bericht

Lehr, GRURPrax, 2019, 49

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