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Verfahrensgang

AG Kassel, Beschl. vom 07.03.2018 – 524 F 3451/17, IPRspr 2018-120

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit

Leitsatz

Hat die zuständige Behörde die Wirksamkeit einer im Ausland geschlossenen Kinderehe vor Erlass des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen schriftlich bestätigt, besteht ein Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der Ehe, da eine schriftliche Bestätigung einen Rechtsschein setzt, der eine gerichtliche Feststellung notwendig macht, dass aufgrund der Änderung der Gesetzeslage nun eine unwirksame Ehe vorliegt. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EGBGB Art. 13; EGBGB Art. 44; EGBGB Art. 229
EheGVO 1347/2000 Art. 2
KindereheG Art. 2

Sachverhalt

Der AGg. zu 1), der deutscher Staatsbürger ist, sowie die AGg. zu 2), die bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige ist, schlossen am 28.1.2017 in Bosnien und Herzegowina die Ehe. Zum Zeitpunkt der Eheschließung war der AGg. zu 1) 20 Jahre alt, die AGg. zu 2) war zum Zeitpunkt der Eheschließung 14 Jahre alt.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.1.2017 wurde der minderjährigen AGg. zu 2) die Eheschließung mit dem AGg. zu 1) durch das AG in D/Bosnien-Herzegowina erlaubt. Die Entscheidung erging unter dem Aktenzeichen 41 0 V 062897 17 V. Vor Erlass des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017 teilte der ASt. auf Anfrage des JugA der Stadt Kassel mit Schreiben vom 30.3.2017 mit, dass von einer anfechtbaren Eheschließung ausgegangen werde, die aber von Gesetzes wegen wirksam sei. Weiter wurde mitgeteilt, dass ein gerichtliches Eheaufhebungsverfahren nicht einzuleiten ist.

Der ASt. beantragt, die Ehe der AGg. aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass die Ehe der AGg. unwirksam ist. Die AGg. beantragen, die Anträge zurückzuweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Auf den von dem ASt. gestellten Hilfsantrag hin ist festzustellen, dass die zwischen den AGg. am 28.1.2017 geschlossene Ehe unwirksam ist.

[2]Dieser Antrag ist zulässig und begründet. Der weitergehende Antrag, die Ehe aufzuheben, ist unbegründet.

[3]Die internationale Zuständigkeit des Gerichts folgt aus Art. 2 I der VO (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. 2000 Nr. L 160/19; nachfolgend: EheGVO). Im konkreten Fall ist eine Entscheidung über die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Ehe zu treffen. Beide Eheleute haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Kassel und damit im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland.

[4]Die zwischen den Eheleuten geschlossene Ehe ist unwirksam. Dies folgt aus Art. 13 III EGBGB i.d.F. vom 17.7.2017, eingeführt durch Art. 2 Nr. 1a des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017 (BGBl. I 2429). Danach ist eine Ehe nach dem hier anwendbaren deutschen Recht unwirksam, wenn einer der Eheleute im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte, soweit die Ehemündigkeit eines Verlobten ausländischem Recht unterliegt.

[5]Nach Art. 13 I EGBGB unterliegen die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staats, dem er angehört. Vor dem Hintergrund, dass die AGg. zu 2) die Staatsangehörigkeit des Staats Bosnien-Herzegowina hat, bestimmt sich die Ehemündigkeit nach den rechtlichen Regelungen des Landes Bosnien-Herzegowina und damit ausländischem Recht. Zum Zeitpunkt der Eheschließung am 28.1.2017 hatte die AGg. zu 2) das 16. Lebensjahr nicht vollendet, was die Unwirksamkeit der Ehe zur Folge hat.

[6]Die gesetzliche Härtefallregelung der Überleitungsvorschrift zum KindereheG in Art. 229 § 44 IV EGBGB, nach der Art.13 III Nr. 1 EGBGB nicht zur Anwendung kommt, greift im vorliegenden Fall nicht ein. Sie greift nur dann ein, wenn der minderjährige Ehegatte vor dem 22.7.1999 geboren wurde oder wenn die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und kein Ehegatte seit der Eheschließung bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.

[7]Die minderjährige AGg. zu 2) wurde nach dem 22.7.1999 geboren. Die nach bosnisch-herzegowinischem Recht geschlossene Ehe wurde auch nicht bis zur Volljährigkeit der minderjährigen AGg. zu 2) geführt. Die AGg. zu 2) ist weiterhin minderjährig.

[8]Die Unwirksamkeit der Ehe ist durch Beschluss festzustellen. Insofern besteht ein Feststellungsinteresse des ASt., auch wenn sich die Unwirksamkeit der Ehe bereits aus dem Gesetz ergibt. Das Feststellungsinteresse des ASt. resultiert hier daraus, dass der ASt. im März 2017 vor Erlass des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen festgestellt hatte, dass eine wirksame Eheschließung vorliegt und dies schriftsätzlich geäußert hatte. Damit wurde für die Beteiligten ein Rechtsschein gesetzt, der eine gerichtliche Feststellung notwendig macht, dass aufgrund der Änderung der Gesetzeslage nun eine unwirksame Ehe vorliegt. Die Notwendigkeit der gerichtlichen Feststellung resultiert weiter daraus, dass die AGg. auch nach der Gesetzesänderung die Ansicht vertreten, dass weiterhin eine wirksame Ehe vorliegt.

Fundstellen

Bericht

Erbarth, FamRB, 2018, 338
Eckebrecht, NZFam, 2018, 707, mit Anm.

LS und Gründe

FamRZ, 2018, 1149, m. Anm. Dutta
ZKJ, 2018, 434, m. Anm. Dürbeck

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2018-120

Lizenz

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Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
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